Stefan Kooths zum Industriestrompreis - „Man kann die Wettbewerbsfähigkeit nicht herbeisubventionieren“

Ein staatlich subventionierter Industriestrompreis würde den Strukturwandel nur hinauszögern, sagt der Ökonom Stefan Kooths. Was die einen an Zuschüssen bekommen, müssen die anderen mit höheren Steuern oder schlechteren Bedingungen bezahlen.

Extrem energieintensive Industrie: Aluminiumschmelzofen / picture alliance
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Ferdinand Knauß ist Cicero-Redakteur. Sein Buch „Merkel am Ende. Warum die Methode Angela Merkels nicht mehr in unsere Zeit passt“ ist 2018 im FinanzBuch Verlag erschienen.

 

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Stefan Koohts ist Direktor des Forschungszentrums Konjunktur und Wachstum am Kiel Institut für Weltwirtschaft.

Herr Kooths, durch die Bundesregierung aber auch durch den gesamten Politikbetrieb geht ein Riss entlang der Frage nach dem sogenannten Industriestrompreis: Laut Wunsch von Wirtschaftsminister Habeck soll der Staat „für einen klar definierten Empfängerkreis“ von Unternehmen den Strompreis auf höchstens 6 Cent pro Kilowattstunde deckeln. Der Kanzler und CDU-Chef Merz sind dagegen, die Grünen aber auch prominente Unionspolitiker wie NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst sind dafür. Um Industrieunternehmen in Deutschland zu halten, könne man auf so eine Maßnahme nun einmal nicht verzichten, sagen die Befürworter. Haben sie recht?

Nein. Das wäre nur wieder mal eine Maßnahme, um ein Symptom zu bekämpfen. Solange man an der jetzigen Energiepolitik festhält, muss man dann auch konsequent sein und sagen: Wir können eben in diesem Land keine energieintensiven Unternehmen anziehen und einige werden auch abwandern. Strukturwandel wird es so oder so geben müssen. Es ist keine kluge Politik, bestimmte Industrien zu definieren und dann zu bestimmen, welche Rahmenbedingungen am Standort man dafür braucht. Denn wir wissen ja gar nicht, was in Zukunft die hier am Standort marktfähigen Produkte sein werden. Man muss sich umgekehrt fragen: Was sind allgemein günstige Bedingungen für ökonomische Aktivität. Und wenn die gewährleistet sind, können sich die entsprechenden Produktionsstrukturen ausprägen.

Der Industriestrompreis wäre also nur eine politische Maßnahme, die versucht zu flicken, was falsche Politik zuvor verschuldet hat?

Genau. Es wäre nur ein Übertünchen von Problemen. Standortpolitik sollte immer ein Bündel sein. Jede Milliarde, die wir jetzt für solche strukturerhaltende Subventionen aufwenden, fehlt an anderer Stelle. Nämlich dort, wo wir mit guten Gründen sagen können, dass dort Wachstumseffekte erzielt werden, beispielsweise bei der Bildung und der Infrastruktur. Wenn heute junge Menschen gut ausgebildet werden, wissen wir nicht, in welchen Berufen die später arbeiten werden und welche Produkte in welchen Branchen sie herstellen werden. Aber dass sie gute Arbeitsplätze haben werden, ist dann nahezu sicher. Es heißt dann immer reflexhaft in der politischen Debatte, man dürfe doch nicht die einen gegen die anderen ausspielen. Damit wird jede ernsthafte Diskussion über Prioritäten niedergehalten. Am Ende des Tages sind die Mittel begrenzt. Und wir müssen uns sehr gut überlegen, für was wir sie einsetzen.

Finanziert würde der Industriestrompreis als Subvention wohl mit neuen zusätzlichen Staatsschulden.

Damit wird der Verteilungskonflikt vertagt an die nächste Generation. Damit geht man kurzfristig den leichtesten Weg, ohne sich dieser Prioritätenfrage zu stellen. Um es deutlich zu sagen: Man kann die Wettbewerbsfähigkeit eines Wirtschaftsraumes nicht herbeisubventionieren. Denn was die einen an Subventionen bekommen, müssen die anderen in Form von höheren Steuern oder schlechteren Standortbedingungen aufbringen. Unter dem Strich wird dann für den gesamten Wirtschaftsraum keine Erfolgsgeschichte daraus. Dass die jeweils betroffenen Branchen für solche Subventionen plädieren, liegt in der Natur der Sache. Da sind Produktionskapazitäten aufgebaut worden, die an ein bestimmtes Energiepreisniveau gebunden waren. Wenn das nicht mehr in Sicht ist, dann stehen für die hier tatsächlich Vermögenswerte im Feuer.

 

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Der Industriestrompreis soll ja nur zeitlich befristet eingerichtet werden.  

Wenn es nur um eine Übergangszeit ginge, dann könnten die Unternehmen diese Durstrecke auch selbst am Kapitalmarkt überbrücken. Aber ich halte es für sehr unwahrscheinlich, dass hierzulande nach einem Dekarbonisierungskraftakt Energie wieder günstig verfügbar wird, wenn man die systemischen Kosten insgesamt im Blick behält.

Also keine Aussicht auf das von Kanzler Scholz angekündigte neue Wirtschaftswunder?

Das scheint mir sehr unwahrscheinlich, wie ich ja schon begründet habe.

Der Wissenschaftliche Beirat im Finanzministerium schreibt in einer aktuellen Stellungnahme: „Bei knappen Finanzen und angesichts des notwendigen Kraftakts bei der Ausweitung der erneuerbaren Energien spricht viel für die Investition in zusätzliche Kapazitäten statt in die Verwaltung des Mangels.“ Haben Christian Lindners Ratgeber recht?

Ja. Das ist ein kluger Satz.

Nur an den Energiepreisen kann die besondere akute Schwäche der deutschen Wirtschaft im Vergleich zu anderen EU-Staaten aber auch nicht liegen. Die Preise sind schließlich nicht besonders viel höher als der EU-Schnitt.

Standortpolitik umfasst immer ein Bündel an Faktoren. Es gibt eine Neigung dazu, einen Faktor herauszugreifen und den dann irgendwie verbessern zu wollen. Dabei wird dann übersehen, dass dadurch andere Standortfaktoren in Mitleidenschaft gezogen werden. Insbesondere die Abgabenquote ist auch schon ziemlich hoch für die Unternehmen und für die Arbeitnehmer. Und Energiesubventionen müssten letztendlich dann über noch höhere Abgaben bezahlt werden.

Ein Politiker sagte mir kürzlich, wenn er derzeit Vorstandschefs anrufe, seien die meist irgendwo außerhalb Europas unterwegs, um nach neuen Produktionsstandorten zu schauen. Erleben wir tatsächlich schon die Deindustrialisierung Deutschlands?  

Wir reden hier vor allem über energieintensive Unternehmen. Dass die nach anderen Standorten sehen, ist für die auch richtig. Sie passen sich an veränderte Weltmarktbedingungen an. Es ist weltwirtschaftlich betrachtet sinnvoll, dass energieintensive Produkte dort herstellen, wo Energie billig zu haben ist. Beispielsweise in Norwegen, wo man dank reichlich vorhandener Wasserkraft mit wirklich billigem Strom dann Aluminium schmelzen kann.  Es ist nicht sinnvoll, hier unbedingt eine bestimmte Industriestruktur zu konservieren. Wenn man den Strukturwandel laufen lässt, tut er weniger weh als wenn er erstmal mit teuren Subventionen aufgehalten wird. Und dann brechen irgendwann eben doch die Dämme und die Leute viel zu lange Zeit in falschen Strukturen verbracht haben.

Was heißt das bezogen auf den möglichen Industriestrompreis bis 2030?

Denken wir das zu Ende: Was ist, falls sich bis 2030 die Energiekosten nicht ermäßigt haben? Glauben Sie, dass die Regierung dann sagt, jetzt ist Schluss? Nein, dann wird es heißen, wir haben sechs Jahre lang so viel Geld aufgewendet, um die Industrien hier zu halten, wir können sie doch jetzt nicht sterben lassen. Und dann wird man dem schlechten Geld gutes hinterherwerfen. Wir haben ja den hinausgezögerten Strukturwandel  mit der Steinkohle erlebt. Das Geld dafür hätte man viel besser ausgeben können. Was die deutsche Wirtschaft in den vergangenen Jahrzehnten so stark gemacht hat, war, dass man sich sehr klug jeweils an die Weltmarktbedingungen angepasst hat. Das ist die Wohlstandsquelle und das bleibt sie auch in Zukunft. Man sollte nicht ausgerechnet an den Industrien festhalten, für die wir offenkundig keinen Standortvorteil haben. Staatliches Geld sollte nicht ausgegeben werden, um die Schwächen zu übertünchen, sondern um die Stärken zu fördern.

Das Interview führte Ferdinand Knauß.

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