Zulassungsbehörden - Big Fama

Pharmaunternehmen machen Milliardengeschäfte – und zwar regelmäßig auch mit Arzneimitteln, die eigentlich gar nicht zugelassen werden dürften. Denn zwischen den Konzernen und den Behörden wechseln die Mitarbeiter munter hin und her. Oft kommt so erst Jahre nach der Markteinführung heraus, welche Schäden ein Mittel wirklich verursacht.

Viele Medikamente dürften eigentlich überhaupt nicht zugelassen werden / dpa
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Cornelia Stolze ist Wissenschafts- journalistin in Hamburg.

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Für Hans-Georg Eichler, so scheint es, hat sich durch die Corona-Pandemie innerhalb weniger Monate ein jahrelanger Traum erfüllt. Natürlich habe er die Zeit seit Beginn der Krise auf der persönlichen Ebene so bedrückend erlebt wie jeder andere, versicherte der Mediziner im Februar 2021 gegenüber der Bundesregierung. „Aber als Wissenschaftler auch sehr stimulierend und sogar ermutigend.“ Noch nie in der Geschichte habe die medizinische Forschung so rasch so beeindruckende Erfolge verzeichnet. In weniger als einem Jahr seien wirksame und sichere Impfstoffe auf den Markt gebracht worden. „Wir haben rasch sowohl ältere Arzneimittel als wirksam für die Behandlung von schweren Covid-­Erkrankungen identifiziert als auch ganz neue Produkte entwickelt und verfügbar gemacht.“ 

Bemerkenswert daran: Eichler ist weder Mitarbeiter von Pfizer noch von Biontech oder irgendeinem anderen Pharmaunternehmen. Anfang 2021 ist der Pharmakologe leitender Mediziner der Europäischen Arzneimittelagentur EMA – jener Behörde also, die Arzneimittel vor ihrer Zulassung in der Europäischen Union unabhängig und gründlich auf Sicherheit und Wirksamkeit prüfen und Verbraucher und Patienten zuverlässig vor Schäden schützen soll. 

Doch das Vertrauen in Zulassungsbehörden für Arzneimittel wie die EMA, die US-amerikanische Food and Drug Administration (FDA), die britische Medicines and Healthcare Products Regulatory Agency (MHRA) und die australische Therapeutics Goods Administration (TGA) hat Risse bekommen. Immer wieder ist es in vergangenen Jahren zu Arzneimittelskandalen gekommen, bei denen auch die Zulassungsbehörden ins Zwielicht geraten sind. 

Milliardengeschäft mit Herzinfarkten

Kritiker bemängeln nicht nur, dass etliche Funktionäre und Berater der Arzneimittelbehörden allzu eng mit der Industrie verflochten sind. Hinzu kommt, dass es dort zunehmend darum geht, neue Arzneimittel schnell auf den Markt zu bringen. Tatsächlich wurden die Zulassungsverfahren in den vergangenen Jahren mehrfach verkürzt und vereinfacht. Die Folge: weniger Sicherheit für die Patienten, schnellere und höhere Profite für die Hersteller. Oft kommt dadurch erst Jahre nach der Markteinführung heraus, welche Schäden ein Mittel wirklich verursacht. Und selbst bei schweren und klar nachweisbaren Nebenwirkungen kann es noch lange dauern, bis es verboten wird. 

Legendäres Beispiel dafür ist das Diabetesmittel Avandia von GlaxoSmithKline. 1999 war das Medikament mit dem Wirkstoff Rosiglitazon in den USA zugelassen worden, 2000 in Europa. Schon bald nach Markteinführung zeichnete sich ab, dass das Präparat das Risiko für einen Herzinfarkt deutlich erhöht. 2007 belegte eine im Fachblatt New England Journal of Medicine veröffentlichte Studie, dass Typ-2-Diabetiker, die das Mittel nahmen, ein 43-fach erhöhtes Herzinfarktrisiko hatten. Seither stand fest: Rosiglitazon verursacht Herzinfarkte, statt sie zu verhindern. Doch erst 2010, zehn Jahre später, verschwand das Mittel vom Markt. Dem Hersteller hatte es ein Jahrzehnt lang Einnahmen von mehreren Milliarden US-Dollar im Jahr beschert. Untersuchungen zeigten später, dass die Belege für den Nutzen des Medikaments bei der Zulassung mehr als dürftig waren.

Nutzlos und mit Nebenwirkungen

Erst jüngst sorgte die Zulassung eines Alzheimermedikaments für internationalen Protest. Im Juni 2021 hatte die FDA dem US-Konzern Biogen für sein Präparat Aduhelm grünes Licht gegeben. Erstmals, hieß es, habe die Behörde damit ein Medikament zugelassen, mit dem man die zugrunde liegende Ursache der Krankheit bekämpfen könne. Die weltgrößte Alzheimerorganisation, die Alzheimer’s Association, feierte die Entscheidung als „historischen Akt“. 

Unter zahlreichen Fachleuten rief die Zulassung von Aduhelm dagegen Empörung hervor. Die Rede war von einem Dammbruch bei der FDA. Entscheidend für die Zulassung eines Wirkstoffs, so der Vorwurf, seien nicht mehr saubere wissenschaftliche Daten. Wichtiger seien offenbar gute Kontakte des Herstellers zur Zulassungsbehörde. 

 

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In einem öffentlichen Appell forderte eine Gruppe von renommierten Forschern und Patientenschützern in den USA die FDA am 20. Dezember 2021 auf, das Mittel umgehend vom Markt zu nehmen. „Wir sagen nicht nur, dass die Zulassung wahrscheinlich die schlechteste Entscheidung war, die die FDA je getroffen hat“, so der Alzheimerforscher Peter Whitehouse von der Case Western Reserve University in Cleveland, Ohio. „Sie ist so schlecht, dass wir uns aktiv für den Entzug der Zulassung einsetzen müssen.“ 

Ähnlich sieht es auch heute noch Bernd Mühlbauer, Professor für Pharmakologie am Klinikum Bremen-Mitte und stellvertretender Vorsitzender der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ). Die Zulassung von Aduhelm grenze ans Kriminelle. „Das Mittel ist nicht nur wirkungslos. Man handelt sich damit auch ganz scheußliche Nebenwirkungen ein.“ 

Die Amyloid-Theorie

Der Stein des Anstoßes: Aus wissenschaftlicher Sicht sprach nichts für und alles gegen die Zulassung des Medikaments. Trotz jahrelanger Studien war es dem Hersteller Biogen nicht gelungen, überzeugende Belege für die Wirksamkeit des Mittels zu liefern. Dabei schien der in Aduhelm enthaltene Wirkstoff Aducanumab anfangs durchaus ein aussichtsreicher Kandidat zu sein. Der Wirkstoff ist ein biotechnologisch hergestellter Antikörper, der sich gegen das menschliche Eiweiß Amyloid-Beta richtet. Lange Zeit galt es als ausgemacht, dass Ablagerungen dieses Eiweißes im Gehirn, die sogenannten Amyloid-Plaques, die Ursache der Alzheimerkrankheit sind. 

Seit den 1990er Jahren waren zahlreiche Arzneimittelkonzerne auf den Amyloid-Zug aufgesprungen, darunter auch Pfizer, Eisai, Johnson & Johnson und Eli Lilly. Milliarden von Forschungsgeldern wurden in die Entwicklung von Medikamenten gegen die Klumpen im Hirn investiert. Denn eines steht fest: Wem es gelingt, ein Mittel gegen das Vergessen zu entwickeln, dem winkt ein enormes Geschäft. 

Der schon oft verkündigte „Durchbruch“ blieb allerdings aus. Und längst ist die Amyloid-Theorie ins Wanken geraten. Unter anderem haben Studien an Verstorbenen gezeigt, dass rund ein Drittel aller normal alternden Menschen große Mengen dieser Eiweißablagerungen im Gehirn aufweisen – ohne Anzeichen einer Demenz. Und umgekehrt. 

Rosinenpickerei vom Hersteller

Es scheiterte eine klinische Studie nach der anderen. Auch die von Biogen. Im Frühjahr 2019 teilte das Unternehmen den Abbruch zweier Zulassungsstudien für Aduhelm mit. Mit dem Medikament seien zwar die Amyloid-Plaques im Gehirn der Probanden zurückgegangen. Es habe sich aber, so der Konzern, kein Effekt auf die geistigen und praktischen Fähigkeiten der Testpersonen gezeigt.

Umso größer war die Überraschung, als Biogen wenige Monate später verkündete, dass sich in einer neuen nachträglichen Analyse doch ein Nutzen des Wirkstoffs gezeigt habe. Man habe für einige Patienten weitere Daten gesammelt und so einen doch vorhandenen Effekt berechnet. Damit reichte der Konzern den Zulassungsantrag bei der FDA schließlich ein. 

„Solche nachträglichen Auswertungen werden bei klinischen Studien zu Recht sehr kritisch betrachtet“, monieren die Herausgeber der pharmakritischen Patientenzeitschrift Gute Pillen, schlechte Pillen. „Denn wenn die Daten bereits erhoben sind, lässt sich mit Rosinenpickerei leicht das gewünschte Ergebnis herausrechnen.“ Als Wirksamkeitsbeleg taugten solche Auswertungen in der Regel nicht.

Freigabe trotz Gutachten dagegen

Zu diesem Schluss war auch die Mehrheit eines externen Gutachtergremiums der FDA gekommen. Sie hatte festgestellt, dass die von Biogen vorgelegten Forschungsergebnisse keinen Beweis für die Wirksamkeit von Aduhelm liefern. Außerdem hatte das Mittel in den Tests bei etlichen Probanden schwere Nebenwirkungen hervorgerufen. Bei 35 von 100 Patienten kam es zu gefährlichen Hirnschwellungen, die unerkannt zu Hirnblutungen führen können. Zudem traten gehäuft Verwirrtheit, Desorientiertheit und Delirium auf. 

In der Regel richtet sich die FDA nach dem Votum der Gutachter. Doch in diesem Fall ignorierte sie es – und ließ das Mittel, anders als ursprünglich vorgesehen, sogar in einem sogenannten beschleunigten Verfahren zu. Drei der Gutachter traten direkt danach aus dem Gremium aus, darunter Aaron Kesselheim von der Harvard Medical School. Die Freigabe von Aduhelm sei „unhaltbar“, so Kesselheim. Wenn das Mittel nicht vom Markt genommen werde, komme es höchstwahrscheinlich zu einer massenhaften Übertherapie, die die Lebensqualität von Patienten nicht verbessern, sie aber unnötigen Schäden aussetzen werde. 

Mehrere auffällige Unregelmäßigkeiten bei dem Zulassungsprozess riefen einen Untersuchungsausschuss des US-Repräsentantenhauses auf den Plan. In einem Schreiben an die Behörde zeigten sich die Abgeordneten besorgt über die offensichtlichen Anomalien und vor allem über die „unübliche Zusammenarbeit“ zwischen der FDA und dem Hersteller Biogen. 

Ein Präzedenzfall für weitere zweifelhafte Produkte

Beobachter hatten gerätselt, wie eine solche – wissenschaftlich nur schwer erklärbare – Entscheidung der FDA zustande kommen konnte. Das Pharmainformationsportal STAT hat nach umfangreichen Recherchen eine plausible Erklärung gefunden, berichtet die deutsche Verbraucherschutz­organisation Buko-Pharma-Kampagne. „Biogen hatte einen direkten Zugang zu Billy Dunn, dem für Alzheimer zuständigen Wissenschaftler in der Behörde. Die Firma startete 2019 das geheime ‚Projekt Onyx‘, um dessen bereits gescheiterten Produkt neues Leben einzuhauchen.“ 

Es bestehe die akute Gefahr, dass Aduhelm zum Präzedenzfall für weitere zweifelhafte Alzheimerprodukte werde, warnte die Buko-Pharma-­Kampagne 2021. Und siehe da: Im Januar 2023 hat die FDA einem weiteren Medikament mit ähnlichem Wirkprinzip ihr Okay gegeben. Wie Aduhelm ist auch das neue Mittel namens Leqembi ein Antikörper, der gegen die Amyloid-Plaques im Gehirn gerichtet ist. Wieder klingen die Berichte nach einer Sensation. Leqembi, heißt es etwa auf der Website der Tagesschau, gelte als „das erste Medikament, das nachweislich den fortschreitenden Abbau kognitiver Fähigkeiten bremst, den Alzheimer auslöst“. Im Juli hat die FDA Leqembi eine uneingeschränkte Zulassung erteilt, trotz ebenfalls erheblicher Nebenwirkungen und fragwürdigen Nutzens. 

Derlei Zulassungserfolge hätte sich Hans-Georg Eichler wohl auch für Europa gewünscht. Als leitender Mediziner der EMA hat er sich über viele Jahre für schnellere Zulassungen auf Basis von Surrogatmarkern eingesetzt, um die Industrie von Kosten zu entlasten. In einer Veröffentlichung von 2015 führte er explizit auch Alzheimermedikamente als Argument ins Feld. Es sei den Herstellern nicht zuzumuten, 15 bis 20 Jahre lang Studien durchführen zu müssen, bis man sehen könne, ob die Medikamente tatsächlich nützten. 

Mit „Adaptive Pathways“ zur Blitz-Zulassung

Um auch in Europa die Zulassungsbedingungen zugunsten der Hersteller weiter aufzuweichen, hat Eichler vor einigen Jahren ein Konzept propagiert, das sich „Adaptive Pathways“ nennt. Dahinter stand die Idee, die Sicherheitsanforderungen an neue Arzneimittel herunterzuschrauben, um sie künftig noch schneller für den Markt zuzulassen. Der Vorteil für die Hersteller lag auf der Hand: Eine schnellere Zulassung, bei der sie weniger Daten vorlegen müssen, spart ihnen eine Menge Geld. Und je früher sie ein Arzneimittel auf den Markt bringen können, desto länger profitieren sie vom Patentschutz. 

Die maßgeblichen Strategiepapiere zur adaptiven Zulassung entstammen einer in den USA angesiedelten Denkfabrik, der New Drug Development Paradigms Initiative namens Newdigs, an der Eichler und andere Mitarbeiter aus Behörden sowie aus der Pharmaindustrie und anderen Institutionen mitgewirkt haben. Die Initiative wird von der Pharmaindustrie gesponsert. Zu ihren Mitgliedern und Kooperationspartnern zählen unter anderen Biogen, Pfizer, Johnson & Johnson, Janssen und die Bill & Melinda Gates Stiftung. 

Zahlreiche kritische Stimmen hatten davor gewarnt, dass die geplante Beschleunigung Patienten mithilfe der „Adaptive Pathways“ unwirksamen und gefährlichen Medikamenten aussetzen würde. Eine von ihnen ist Teresa Alves, Pharmaexpertin am niederländischen Nationalinstitut für öffentliche Gesundheit (RIVM). „Wenn das Expressverfahren kommt, lässt sich wohl kaum noch verhindern, dass es zum Standard für alle Medikamente wird. Viele Akteure, die Aktien mit im Spiel haben, fragen bereits jetzt, warum man die Idee, die angeblich für Krankheiten erdacht wurde, für die gute Medikamente fehlen, nicht gleich auf alle Zulassungen anwenden kann.“ Das Projekt „Adaptive Pathways“ scheiterte. Doch dann kam Corona – und damit eine beispiellos schnelle, weltweite Zulassung von völlig neuartigen Impfstoffen. Dafür wurde eigens eine neue Form der Schnell- Zulassung kreiert: der sogenannte „Rolling Review“, bei dem die Bewertung von Datenpaketen bereits begonnen wird, bevor alle erforderlichen Daten für einen Zulassungsantrag erhoben sind.

Wenn Kontrolleure und Kontrollierte sich zu gut kennen

Wie sich inzwischen gezeigt hat, sind die neuartigen mRNA- und DNA-Vakzine keineswegs so sicher und wirksam wie anfangs erhofft und behauptet. Die Präparate sind weder nebenwirkungsfrei noch können sie eine Übertragung von Mensch zu Mensch verhindern. Vor diesem Hintergrund werden inzwischen vermehrt Zweifel an der Objektivität und Integrität der Kontrollbehörden laut. „Von der FDA bis zur MHRA: Sind die Arzneimittelkontrollbehörden käuflich?“, titelte vor einem Jahr das British Medical Journal (BMJ) und präsentierte damit einen Bericht der Investigativjournalistin Maryanne Demasi, die die sechs wichtigsten Zulassungsbehörden der Welt unter die Lupe genommen hatte. Ergebnis: Alle sechs sind einem erheblichen Einfluss durch die Industrie ausgesetzt. Die Kontrolleure machen sich häufig nicht die Mühe, maßgebliche Daten für die Zulassung zu analysieren. Sie enthalten der Fachöffentlichkeit Informationen vor, ignorieren Interessenkonflikte und sie tun wenig oder nichts gegen den Drehtüreffekt, also den in diesem Feld weitverbreiteten Rollenwechsel zwischen Kontrolle und Kontrollierten. 

So hat 2021 eine Untersuchung des BMJ gezeigt, dass mehrere externe Berater der Covid-19-Komitees der FDA und der MHRA in Großbritannien finanzielle Verflechtungen mit Impfstoffherstellern hatten. Solche Verbindungen sind nicht nur ein Schönheitsfehler. Sie beeinflussen nachweislich das Verhalten. Das belegt unter anderem eine Studie mit Mitgliedern von Beratergremien der FDA. Bei jenen Beratern, die finanzielle Interessenkonflikte haben, ist die Wahrscheinlichkeit, für ein Produkt des Sponsors zu stimmen, signifikant höher als bei jenen, die keine haben.

Eine schnelle Drehtür

Eine ähnliche Gefahr besteht auch innerhalb der Behörden selbst. Das zeigt das Beispiel FDA. Zwar verfügt die US-Behörde über Vorschriften, die verhindern sollen, dass die Aussicht auf einen späteren Job bei einem Arzneimittelhersteller die Entscheidungen der Mitarbeiter während ihrer Tätigkeit bei der FDA beeinflussen, und die sie davon abhalten sollen, dass sie nach ihrem Ausscheiden die Beziehungen zu ehemaligen Kollegen ausnutzen. 

Recherchen des Wissenschaftsmagazins Science haben jedoch 2018 gezeigt, dass 11 von 16 medizinischen Prüfern der FDA, die an 28 Arzneimittelzulassungen gearbeitet hatten und dann die Behörde verließen, jetzt bei den Unternehmen angestellt sind oder diese beraten, die sie kurz zuvor überwachen mussten. 
Exemplarisch für einen Seitenwechsel ist der Fall Laughren. 2009 hatte ein FDA-Gremium darüber zu entscheiden, ob das häufig verschriebene Antipsychotikum Quetiapin von Astrazeneca für ein breiteres Spektrum von Erkrankungen zugelassen werden kann. Das Gremium hörte dazu den Experten für Gesundheitspolitik Wayne Ray von der Vanderbilt University in Nashville an. Dieser berichtete über eigene Forschungsergebnisse, die das Medikament mit plötzlichem Herztod in Verbindung bringen, wenn es zusammen mit bestimmten anderen Medikamenten eingenommen wird. Ray wies das Gremium zudem darauf hin, dass Astrazeneca bei der Darstellung der Daten aus all seinen Studien getrickst hatte. „Die Analyse des Unternehmens hätte einen Unterschied in Bezug auf den plötzlichen Herztod aufzeigen müssen“, berichtete Ray dem Gremium. Astrazeneca habe es aber so dargestellt, als ob kein Unterscheid zwischen Medikament und Scheinmedikament festgestellt worden sei.

Alle Behörden sind betroffen

Thomas Laughren, damals Direktor der FDA für psychiatrische Produkte, wischte Rays Warnungen in der Diskussion weg und verteidigte die Ergebnisse von Astrazeneca. Seroquel wurde kurz darauf zugelassen. Wenig später waren die von Ray beschriebenen Herzerkrankungen unübersehbar. Die FDA sah sich 2011 gezwungen vorzuschreiben, dass auf dem Etikett von Seroquel ein Warnhinweis anzubringen ist.

Thomas Laughren hatte da schon längst die Seiten gewechselt. Kurz nach der Zulassung des Antipsychotikums von Astrazeneca verließ er die Behörde und gründete ein Beratungsunternehmen, das Herstellern von Psychopharmaka, darunter Astrazeneca, bei der FDA-Zulassung hilft. Der Drehtüreffekt betrifft auch die Chefetage der FDA. Zwischen 2006 und 2019 nahmen neun von zehn ihrer Direktoren nach Ende ihrer Amtszeit Jobs in der Pharmaindustrie an. 

Die FDA steht mit dem Phänomen keineswegs allein. Auch der langjährige EMA-Direktor Thomas Lönngren, der die europäische Behörde von 2001 bis 2010 leitete, gründete zum Ende seiner Amtszeit direkt eine Beratungsfirma und ließ die Industrie an seinem Insiderwissen teilhaben. Bei der aktuellen EMA-Direktorin Emer Cooke lief es andersherum. Sie war von 1992 bis 1998 beim Europäischen Pharmaverband ­EFPIA für Regulierung – also für die EMA – zuständig. 

Auch Hans-Georg Eichler hat die EMA bereits verlassen. Im April 2021 ging er in den Ruhestand. Wenige Wochen zuvor waren erste Fälle von schweren Nebenwirkungen des Covid-19-Impfstoffs von AstraZeneca publik geworden, der seit Ende 2021 nicht mehr in Deutschland verwendet wird. Im Dezember 2021 hat der österreichische Bundespräsident Eichler das Große Silberne Ehrenzeichen der Republik Österreich verliehen. Als „Würdigung für Verdienste um die internationale Medikamentenentwicklung und -zulassung“.

 

Dieser Text stammt aus der September-Ausgabe des Cicero, die Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

 

 

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