Wohin mit ihrem Geld? - Negativzinsen als Normalität

Der Trend zu tieferen Zinsen ist in einer reicher werdenden Welt nicht ungewöhnlich. Doch die Folge sind immer mehr Spekulationen statt Investitionen. Daniel Stelter erklärt, warum eine Trendwende bevorstehen könnte.

Der Schuldner verdient Geld mit seinen Schulden: Ist die Fortschreibung der Entwicklung zulässig?
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Autoreninfo

Daniel Stelter ist Gründer des auf Strategie und Makroökonomie spezialisierten Diskussionsforums „Beyond the Obvious“. Zuvor war er bei der Boston Consulting Group (BCG). Zuletzt erschien sein Buch „Ein Traum von einem Land: Deutschland 2040“.

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Die Studie eines Nachwuchsökonomen sorgt zurzeit für Aufsehen in Finanzkreisen. Paul Schmelzing hat in seiner Zeit bei der Bank of England die Entwicklung der Realzinsen in den vergangenen 800 Jahren untersucht und stellte fest: Die Realzinsen sinken anhaltend. Basierend auf diesem Trend kommt der Forscher zu der Einschätzung, dass schon Ende 2020 weltweit die realen Kurzfristzinsen im negativen Bereich liegen werden und ab 2050 auch die realen Zinsen auf langfristigen Anleihen.

Demnach wären wir auf dem Weg in eine Welt, wo Kredite nicht nur nichts kosten, sondern man mit Schulden Geld verdient. Umgekehrt würden Sparer immer und dauerhaft real Geld verlieren. Nun sind negative Realzinsen nichts Neues. Schon mehrfach in den vergangenen Jahrhunderten lag der Nominalzins unter der Inflationsrate. Neu ist, dass im Umfeld geringer Inflation auch die Nominalzinsen im negativen Bereich sind. Folgt man Schmelzing, ist dies die natürliche Folge von steigender Ersparnis oder einfach gesagt: Je reicher die Welt wird, desto tiefer muss der Zins sinken.
Doch aufgepasst! Immer wieder kam es in den zurückliegenden 800 Jahren zu deutlichen Zinsanstiegen, ausgelöst durch externe „Schocks“ wie die Pest, den Dreißigjährigen Krieg oder den Zweiten Weltkrieg. In jedem dieser Fälle sind die Zinsen rasch und deutlich gestiegen, die Trendumkehr erfolgte also schnell. 

Spekulation statt Investition ist das Motto

Ereignet sich in den kommenden Jahren kein Schock, dürfte sich der Kapitalaufbau in der Welt fortsetzen und damit der Trend zu tieferen Zinsen. Aber ist so eine Fortschreibung des Trends wirklich zulässig? Ich habe Zweifel. Während der größte Teil des Rückgangs der Realzinsen der vergangenen 800 Jahre aufgrund der Entwicklung des modernen Finanzwesens, der zivilisatorischen Fortschritte, vor allem bei der Rechtssicherheit und der Durchsetzung von Forderungen und dem Eigentumsschutz erklärt werden kann, dürften seit dem Zweiten Weltkrieg eine Abkehr vom Goldstandard und tendenziell höhere Inflationsraten der Grund für die tieferen Realzinsen sein. 

Im heutigen Umfeld tiefer Inflation und negativer Nominalzinsen dürften weitere Zinssenkungen an natürliche Grenzen stoßen. Der Zins als wichtigster Preis der Wirtschaft drückt die Zeitpräferenz aus: die Bereitschaft, heute auf Konsum zu verzichten für mehr Konsum in Zukunft. Dreht man dies auf Dauer um, ist Fehlallokation von Kapital die zwangsläufige Folge. Spekulation statt Investition ist dann das Motto, und genau dies können wir seit Jahren beobachten. 

Was die Inflationsraten nach oben drücken könnte

Wir dürften deshalb in den nächsten zehn Jahren einen radikalen Trendbruch erleben. Mögliche Auslöser gibt es viele. Naheliegend ist das Problem zu hoher weltweiter Verschuldung. Inflation lautet das Zauberwort, und die Chancen dafür im neuen Jahrzehnt stehen nicht schlecht: Abkehr von der Globalisierung, zunehmender Protektionismus, Nationalismus und Populismus dürften, gepaart mit mehr oder weniger sinnvollen Maßnahmen zur Klimawandelbekämpfung, die Inflationsraten nach oben drücken.

Zunächst dürfte dies den Trend beschleunigen mit deutlich negativen Realzinsen wegen hoher Inflation, bevor sich die Realzinsen auf einem Normalniveau einpendeln. Dessen Höhe dürfte sich daran bemessen, wie stark das Vertrauen in die Geldordnung gelitten hat. Anleihen bleiben kein gutes Investment.
 

Dieser Text ist in der Februar-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können.

 

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