Wirtschaftsentwicklung 2019 - Die deutsche Lust am Niedergang

Über dem Land dräuen ökonomische Gewitterwolken. Doch Politiker und weite Teile der Gesellschaft glauben an den ewigen Sonnenschein. Solche Naivität kann ihren Preis haben. Kommt die Rechnung schon 2019?

Demonstranten für neue nachhaltige Mobilitätskultur und Klimaschutz / picture alliance
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Autoreninfo

Wolfgang Bok war Chefredakteur und Ressortleiter in Stuttgart und Heilbronn sowie Direktor bei der Berliner Agentur Scholz & Friends. Der promovierte Politologe lehrt an der Hochschule Heilbronn Strategische Kommunikation.

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Selbst einem Berufshumoristen wie Dieter Nuhr ist 2018 die Lust am Ulk vergangen. Sein in der ARD übertragener Jahresrückblick geriet zur bitterbösen Abrechnung mit grünen Ideologen und ignoranten Wohlstandsvernichtern: „Die Chemiebranche ist den Bach runter. Die Energiewirtschaft wickeln wir gerade ab. Atomausstieg, Kohleausstieg, jetzt stehen nur noch ein paar Windräder rum. Die Banken haben sich selbst zerschossen. Nun sind wir auch noch dabei, unsere Autoindustrie zu vernichten.“

Nuhr ist nicht nur feinsinniger Satiriker, sondern ein mit Daten beschlagener Beobachter. So weit sind wir also: Witz und Ironie werden mittlerweile selbst bei Kabarettisten überlagert von realer Sorge um das Land: „Es wird oft vergessen, dass es durchaus Wohlstandseinbußen geben könnte, wenn wir nur noch Kartoffeln produzieren. Ich fürchte, unser Wohlstand basiert zu einem nicht geringen Teil auf der Autoindustrie. Doch das Auto ist der Volksfeind Nr. 1. Wir vernichten gerade alles, was irgendwie unseren Sozialstaat bezahlen könnte.“

Neue teure Ansprüche

Die Humoristen hingegen sitzen in den Ministerien. Besonders originell positioniert sich Franziska Giffey. Die Berliner SPD-Politikerin begnügt sich nicht mit Selbstlob, sondern gießt es gleich in Gesetzesform: Dass der Bund den Ländern eben mal 5,5 Milliarden Euro für eine verbesserte Kinderbetreuung spendiert, wird als „Gute-Kita-Gesetz“ verabschiedet und medial transportiert. So gesehen ist natürlich auch das „Rentenpaket“ ein „gutes Gesetz“, das zum Jahreswechsel lustig-bunt mit „Hallo 2019!“ beworben wird. Schließlich bringen Union und SPD auch hier viele Milliarden unters Volk und schaffen neue teure Ansprüche.

Diejenigen, die das alles finanzieren müssen, warten hingegen vergebens auf ein „Gutes-Steuer-Gesetz“. Im Gegenteil: Die Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenzen zum 1. Januar 2019 zehrt die kümmerlichen Entlastungen für die geschröpfte Mittelschicht weitgehend auf. Sie darf auch nicht auf ein Ende des Solidaritätszuschlags hoffen. Denn die SPD will ihn allenfalls bei denen kappen, die kaum dazu beitragen – was also auch kaum kostet. Trickreich hantieren auch die roten Minister Scholz und Barley auch auf einem anderen Feld: Weil die Pläne des Finanzministers zur neuen Grundsteuer das Wohnen noch teurer machen dürften, plant die Justizministerin schon mal, die Umlegung auf die Mieten schlichtweg zu verbieten. Derlei Auflagen werden den erlahmten Wohnungsbau sicher beflügeln.

Das Überdrehen der Ökoschraube

Nebenbei beschäftigen sich die Sozialdemokraten mit elementaren Fragen wie der, darunter auch, ob für Abtreibungen geworben werden darf. Vorausgesetzt, sie sind nicht mit der Ausarbeitung neuer Öko-Steuern ausgelastet, wie sie Umweltministerin Schulze in Form einer zusätzlichen CO2-Abgabe vorschwebt. Dass das Überdrehen der Ökoschraube die Massenproteste der Gelbwesten in Frankreich ausgelöst hat, wird in Berlin augenscheinlich ignoriert. Offenbar auch von einer Noch-Kanzlerin, die vorgibt, als gelernte Physikerin die „Sachen vom Ende her zu denken.“ Aber Angela Merkel schaut ja auch dem chaotischen Treiben ihrer CDU-Minister für Verteidigung (Ursula von der Leyen) und Wirtschaft (Peter Altmaier) gleichgültig zu.

Dass es mit den üppigen Steuereinnahmen rasch zu Ende gehen könnte, kommt den Regierenden offenbar nicht in den Sinn. Stattdessen müssen geistreiche Kabarettisten wie Dieter Nuhr den Irrsinn parodieren: Wir wickeln die Diesel-Technologie ab für Antriebe mit Batterien, „die man nirgends laden kann und schon bei der Produktion so viel CO2 ausstoßen, dass man den Diesel noch gut acht Jahre hätte fahren können. Aber Batterien sind bestimmt vegan und glutenfrei.“

Wir lassen uns von absurden Grenzwerten schikanieren, „die auf Hochrechnungen beruhen, die auf Schätzungen basieren, denen Vermutungen zu Grunde liegen, die auf Spekulationen fußen“. Wir leisten uns ein „Planungsrecht zwanzig Jahre durch alle Instanzen, um dann zu erfahren, dass sich inzwischen der langschwänzige Karpeniltis angesiedelt hat – mit lebenslangem Wohnrecht“.

Arbeitsplatzverluste in Chemie- und Autoindustrie

Darüber mag man schmunzeln. Doch Nuhr trifft nicht den einen wahren Kern. Zu Weihnachten erfuhren die VW-Arbeiter in Emden und Hannover, dass der Umstieg auf Elektromobilität in ihren Werken jeden dritten Arbeitsplatz (7000 von 22.000) kostet und vor allem kleine Autos deutlich teurer macht. Der Chemiekonzern Bayer will 12.000 Stellen abbauen. Der Aktienindex ist auf einem Zwei-Jahrestief. In Europa gewinnen Schuldenmacher wie Italien und Frankreich die Oberhand, derweil die EZB ihr Pulver verschossen und Brüssel keine Antwort auf den Brexit hat. Weltweit baut sich eine gigantische Schuldenwelle auf. Zugleich trübt der Handelsstreit mit den USA die Konjunkturaussichten weiter ein.

Ausgerechnet in dieser unsicheren Lage beschließt die Regierung Merkel ein „Fachkräfteeinwanderungsgesetz“, das rasch Fehlanreize in die ohnehin strapazierten deutschen Sozialsysteme entwickeln dürfte, weil es die Hürden für Migration noch weiter senkt. Schon heute ächzen Kommunen und Landkreise unter Sozialausgaben, die deutlich stärker als Löhne und Wirtschaft wachsen, und fordern ein Ende einer Vollkaskomentalität.

Sorglosigkeit und Lust an Deindustrialisierung

Woher das Geld kommen soll, um zudem all die neu geschaffenen Ansprüche (vom Baukindergeld bis zum Rentenzuschlag) zu finanzieren, wenn die Träger des deutschen Wohlstandes (Automobil, Energie, Chemie, Banken, Maschinenbau) in den Krisenmodus abgleiten? Dazu schweigen die Berliner Akteure ebenso wie jene Landespolitiker, die – siehe Bayern und jetzt Hessen – vor allem teure Koalitionsverträge vereinbaren.

Sorglosigkeit scheint das neue Markenzeichen der deutschen Politik zu sein. Gepaart mit einer grünen Lust an der Deindustriealisierung, die letztlich in den ökonomischen Niedergang mündet. Schon höhnt das Ausland über die Technik-Nation a. D., die weder Flughäfen bauen noch den Bahnverkehr organisieren kann. Ja, selbst beim Transport der eigenen Regierungschefin versagt. Aber für die Flugbereitschaft ist auch eine Bundeswehr zuständig, deren Zustand mit „bedingt abwehrbereit“ noch beschönigt ist: Hubschrauber, die nicht fliegen; U-Boote, die nicht tauchen; Gewehre, die nicht treffen; und Panzer, denen die Ersatzteile fehlen. Und das trotz eines Rekordetats von bald 42 Milliarden Euro.

Der Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen zeichnet die soziale Lage seines Hauptfinanziers Deutschland bereits in den düstersten Farben. Auf elf Seiten werden in dem jetzt bekannt gewordenen Gutachten vor allem „Besorgnis erregende Zustände“ angeprangert. Zunächst ist man geneigt, das Papier als Machwerk der Linkspartei zu vermuten, die daran tatsächlich mitgearbeitet hat und das hiesige Elend zur eigenen Legitimation herbeisehnt. Doch wer weiß: Vielleicht ist diesem Uno-Gremium prophetische Gabe beschieden. Auch die Kohlereviere in England und die Autostadt Detroit waren einmal Regionen der Prosperität. Auch dort wollte man lange nicht wahrhaben, dass Wohlstand vergänglich ist und jeden Tag neu erkämpft werden muss. Bioläden und Radgeschäfte reichen dafür nicht. Da wird selbst ein Berufshumorist wie Dieter Nuhr bierernst: „Wir verhindern Zukunft, anstatt uns dafür zu wappnen.“

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