Stromrationierung - Der Mangel als Fortschritt

Es ist die Ideologie der „All Electric Society“, die der deutschen Energiewende zugrunde liegt. Dass der Strom immer dann aus der Steckdose kommt, wenn wir ihn brauchen, muss aber nicht so bleiben. Die Bundesnetzagentur bereitet den Einstieg in die Rationierung vor.

Monteure arbeiten in luftiger Höhe an einer Hochspannungsleitung bei Weiden / dpa
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Daniel Gräber leitet das Ressort Kapital bei Cicero.

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Es scheint eine deutsche Eigenheit zu sein, dass man große Gemeinschaftsziele, die man sich einmal gesetzt hat, nicht so schnell wieder aufgibt. Selbst dann nicht, wenn sie sich als unerreichbar herausstellen und der Weg dorthin zahlreiche Opfer verlangt. Auch Zweifel daran, ob das hehre Ziel überhaupt das richtige ist, sind unterwegs tabu.

Es sind diese Tugenden der Konsequenz, der Opferbereitschaft und des Durchhaltewillens, die Deutschland anfällig machen für politische Ideologien. Im Nachhinein wird dann stets gefragt, warum deren offensichtliches Scheitern nicht schon viel früher erkannt wurde.

Wirklichkeitsfremde Kopfgeburt 

Wir erleben derzeit wieder ein solches Scheitern. Es ist die Ideologie der „All Electric Society“, die der jüngeren deutschen Energiewende zugrunde liegt und eine wirklichkeitsfremde Kopfgeburt ist: Obwohl es noch nicht einmal gelingt, den bisherigen Strombedarf zuverlässig und bezahlbar aus wetterabhängigen Quellen zu decken, wollen die Verfechter dieser Ideologie auch noch den gesamten weiteren Energieverbrauch auf Strom umstellen: E-Autos, E-Heizungen und E-Fabriken. Es ist der Traum von der totalen Elektrifizierung.

Wohin er führt, erkennt man bereits jetzt. Auch wenn noch sehr viele Motoren mit Benzin oder Diesel und Heizungen mit Erdgas oder Heizöl betrieben werden – fossile Energieträger, die den großen Vorteil haben, dass sie nicht so flüchtig und flatterhaft sind wie der elektrische Strom, sich einfach speichern und gut transportieren lassen.

Es soll nach Zukunft klingen

Die „All Electric Society“ hingegen ist darauf angewiesen, dass das Stromnetz zu jeder Sekunde stabil ist. Das heißt: Stimmen Verbrauch und Erzeugung nicht überein, bricht alles zusammen. Dann läuft gar nichts mehr. 

Eine gewaltige Herausforderung, die von maßgeblichen Politikern, vor allem der Grünen, oft kleingeredet oder umgedeutet wird. Es wird dann von „Smart Grids“, intelligenter Steuerung und mehr Flexibilität geredet. Das soll nach Fortschritt und Zukunft klingen. Um was es in Wahrheit geht, hat die Bundesnetzagentur jetzt klargemacht: um Stromrationierung.

Im Notfall den Strombezug drosseln

Die vom Ex-Grünen-Politiker Klaus Müller geführte und dem grünen Wirtschaftsminister Robert Habeck unterstellte Regulierungsbehörde ist schon länger damit beschäftigt, Regeln für die „Integration von steuerbaren Verbrauchseinrichtungen und steuerbaren Netzanschlüssen“ zu entwickeln. Jetzt hat sie diese Regeln, die ab Januar gelten sollen, veröffentlicht.

 

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Es ist, wie in Deutschland inzwischen üblich, ein sehr kompliziertes Regelwerk geworden. Sein Kern ist aber schlicht und einfach: Netzbetreiber sollen Privatleuten im Notfall den Strombezug drosseln können, um eine Überlastung des Netzes, die zum Zusammenbruch der Stromversorgung führen könnte, zu verhindern.

Wärmepumpen und E-Autos

Keine Sorge, versucht die Bundesnetzagentur zu beschwichtigen, es geht nicht um den Strom, der im Haushalt aus der normalen Steckdose kommt. Der soll weiterhin immer fließen. Es geht um neue zusätzliche Stromverbraucher, nämlich Elektroautos und Wärmepumpen. Und denen soll der Strom auch nicht komplett abgedreht, sondern nur reduziert werden. Wirklich beruhigend klingt das allerdings nicht.

Es sind diese scheibchenweisen Nachrichten aus der schönen grünen neuen Welt, die das Misstrauen in die Erzählungen der Energiewende-Utopisten nähren. Erst werden wir mit Subventionen und Verboten zum möglichst schnellen Abschied vom verlässlichen Verbrennungsmotor und dem bewährten Heizungsbrenner gedrängt, dann stellt sich heraus, dass die örtlichen Stromnetze dafür überhaupt nicht ausgelegt sind.

Stromnetze reichen nicht aus

Der Ausbau dieser Netze verschlingt Milliarden und kommt viel zu langsam voran. Damit dennoch weiterhin möglichst viele Privatleute sich eine Wärmepumpe ins (oder ans) Haus stellen und einen Starkstromladeanschluss in die Garage legen, sollen die Netzbetreiber jetzt eben bei Engpässen den Strom drosseln.

Für die Verfechter der „All Electric Society“ sind das alles nur Übergangskompromisse, vorübergehende Einschänkungen auf dem Weg zum gelobten Ziel. Irgendwann werden die Stromleitungen alle verstärkt und die alten „dummen“ Stromzähler alle durch kleine Computer ersetzt, dann wird das intelligente Netz die Lösung aller Probleme sein.

Gigantische Aufgabe

Doch Realisten erkennen den Unterschied zwischen utopischen Versprechungen und durchdachten Plänen. Leonhard Birnbaum, Ingenieur und Chef des größten Netzbetreibers Eon, hat jüngst im Cicero-Interview klargemacht, welche Mammutaufgabe der für die Energiewende notwendige Ausbau des Stromnetzes ist.

Birnbaum meinte nicht die großen Stromtrassen, die Energie aus dem windreichen Norden in den industriereichen Süden bringen sollen. Er meinte die Verteilnetze, die den Strom in jedes Stadtviertel und jedes Dorf bringen. Also dort, wo es eng wird, wenn mittags auf dem Scheunendach die Photovoltaikanlage glüht oder wenn abends alle Nachbarn gleichzeitig ihr Elektroauto an das Ladekabel hängen.

Eon-Chef Birnbaum warnt vor Bürokratie

„Für uns bedeutet das, dass wir alle Mittelspannungstrafos in unserem Netzgebiet austauschen müssen. Das sind Tausende. Wir müssen die bestehende Netz-Infrastruktur komplett ertüchtigen, damit sie mit dieser völlig neuen Situation zurechtkommt. Nur so können wir unsere Versorgungsaufgabe auch in Zukunft erfüllen“, sagte Birnbaum.

Und er wies darauf hin, dass dieses Vorhaben schon allein an der Bürokratie zu scheitern droht: „Die Anzahl der Genehmigungen, die wir brauchen, um die Infrastruktur für die Energiewende auszubauen, ist so groß, dass es aus meiner Sicht vollkommen ausgeschlossen ist, dass wir das mit den momentanen Verwaltungsverfahren hinbekommen. Für das Gelingen der Energiewende braucht Deutschland keine Ausnahmen von bestehenden Regelungen, sondern ein neues Betriebssystem.“

Alte Gewohnheiten

Wer verfolgt, wie Deutschland gerade bei anderen dringend notwendigen Infrastrukturinvestitionen vorankommt, von Bahn bis Mobilfunk, der ahnt, dass das neue Betriebssystem auf sich warten lassen wird. Und er ahnt daher auch, dass der nun erfolgte sanfte Einstieg in die Stromrationierung nur ein erster Schritt ist.

Dass der Strom einfach dann aus der Steckdose kommt, wenn man ihn braucht, muss nicht immer so bleiben. Die Waschmaschine sollen wir künftig nach dem Wetterbericht programmieren, den Sonntagsbraten nur bei Sonnenschein oder Starkwind in den Ofen schieben. Aber was soll's? Alte Gewohnheiten müssen eben abgelegt werden, wenn sie der Erreichung des großen Ziels im Wege stehen.  

 

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