Stellenabbau bei Thyssenkrupp - Die Stahlarbeiter erleben ihr grünes Wunder

Platzt der Traum vom klimaneutralen Stahl made in Germany? Ein Medienbericht über angebliche Kahlschlagspläne bei Thyssenkrupp lässt erahnen, was der grüne Umbau des Landes für die heimische Schwerindustrie bedeutet.

Hochofen von Thyssenkrupp in Duisburg / dpa
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Stefan Laurin ist freier Journalist und Herausgeber des Blogs Ruhrbarone. 2020 erschien sein Buch „Beten Sie für uns!: Der Untergang der SPD“.

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Thyssenkrupp Steel ist in der Krise. Seit Jahren macht die Sparte des Mischkonzerns, der neben Stahl unter anderem auch U-Boote und Elektrolyseure für die Wasserstoffproduktion herstellt, Verluste. Nach einem Bericht des Handelsblatts plant der Vorstand von Thyssenkrupp nun, die Arbeitsplätze von 5000 der Ende vergangenen Jahres noch 26.923 Beschäftigten abzubauen. Ganze Hochöfen sollen stillgelegt werden. Vor allem der Standort Duisburg wäre betroffen.

Auf Anfrage von Cicero will das Unternehmen die im Handelsblatt veröffentlichten Pläne zum Arbeitsplatzabbau weder bestätigen noch dementieren. „Wir sind verwundert über die im Handelsblatt geäußerten Spekulationen“, heißt es aus der Pressestelle. „Wie unser Aufsichtsratschef Sigmar Gabriel der WAZ gegenüber ausführte, erarbeitet der Stahlvorstand derzeit Vorschläge für eine Neustrukturierung des Stahlbereichs, die ab Mitte April mit der Mitbestimmung und den Gremien beraten werden.“ Zum jetzigen Zeitpunkt seien alle Mutmaßungen über möglicherweise betroffene Aggregate Spekulation und im hohen Maße unseriös. „So werden völlig unnötigerweise Ängste und Befürchtungen bei unseren Mitarbeitenden geschürt.“ Es gebe auch keine konzernseitige Planungsvorgabe, die Produktion auf 6,5 Millionen Tonnen Stahl zu reduzieren.

Nun noch neun Millionen Tonnen

Noch ist Thyssenkrupp vor seinen Konkurrenten Arcelor-Mittal und Salzgitter AG der größte Stahlproduzent Deutschlands: Die Anlagen sind auf eine jährliche Produktion von zwölf Millionen Tonnen ausgelegt. Weltweit ist der Konzern, der 1999 aus der Fusion der beiden deutschen Industrielegenden Thyssen und Krupp hervorging, jedoch längst ein kleines Licht: Statt der möglichen zwölf Millionen Tonnen Stahl produzierte das Unternehmen 2022 gerade einmal neun Millionen Tonnen und kam damit im weltweiten Branchenvergleich nur auf Platz 43. Der Branchenprimus, die China Baowu Steel Group, lieferte im selben Jahr 131,84 Millionen Tonnen Stahl an ihre Kunden. Die von Thyssenkrupp unbestätigte Planungsvorgabe, die Produktion auf 6,6 Millionen Tonnen im Jahr zu kürzen, würde zur Entwicklung des Unternehmens passen: Noch 2015 stellte man 17 Millionen Tonnen Stahl her. 

Die Mitarbeiter von Thyssenkrupp Steel würden, sollte es zu einem massiven Arbeitsplatzabbau kommen, nicht nur den Preis für eine verfehlte Unternehmenspolitik zahlen, die unter anderem dazu führte, dass Milliardenbeträge für den Bau eines längst verkauften Stahlwerks in den brasilianischen Mangrovenwäldern verbuddelt wurden, sondern auch für den Traum vom grünen Wirtschaftswunder, den Deutschland nicht erst träumt, seit mit Robert Habeck ein Grüner die Wirtschaftspolitik bestimmt.

Thyssenkrupp spürt Deindustrialisierung

Getrieben von Öko-Aktivistinnen wie Greta Thunberg soll Deutschlands Wirtschaft grün und CO2-neutral werden – und das in Höchstgeschwindigkeit. Der Ausstieg aus Kohle und Kernkraft ließ in den vergangenen Jahren die Energiepreise steigen, der russische Angriffskrieg sorgte für einen Mangel an Gas, des Energieträgers, mit dem der gewollte Ausfall von Kohle und Kernkraft aufgefangen werden sollte.

Die Folge ist eine sich beschleunigende Deindustrialisierung, deren Auswirkungen Thyssenkrupp zu spüren bekommt: Die deutsche Autoindustrie, der wichtigste Abnehmer von Stahl, steckt in der Krise. Und das ist nicht die einzige für das Unternehmen wichtige Branche, die Probleme hat: Auch die Bauindustrie und Hersteller von Waschmaschinen und Herden wie Miele oder Bosch fahren ihre Produktion in Deutschland herunter.

Teurer Umbau

Darüber hinaus belastet der Umbau von Thyssenkrupp Steel zu einem grünen Stahlhersteller das Unternehmen zusätzlich: Bis 2030 will der Konzern seine CO2-Emissionen um 30 Prozent senken, bis 2045 klimaneutral werden. Für die CO2-Bilanz Deutschlands wäre das ein Gewinn: Der Stahlhersteller ist mit seinen jährlich im Werk in Duisburg ausgestoßenen 7,9 Millionen Tonnen CO2 der größte Emittent des Klimagases in ganz Deutschland und steht allein für 2,5 Prozent des CO2-Ausstoßes der Republik.

Doch der Umbau zu einem grünen Stahlproduzenten ist teuer. Drei Milliarden Euro will das Unternehmen in seinen Öko-Umbau stecken, den auch der Markt fordert: Die Automobilindustrie erwartet künftig grünen Stahl, denn auch VW, Mercedes und BMW wollen klimaneutral werden. Doch wieviel Stahl sie künftig brauchen, wenn noch weniger Autos hergestellt werden, weiß niemand.

Wasserstoff statt Kohle

Dazu kommen noch einmal 1,3 Milliarden Euro vom Bund, 700 Millionen Euro vom Land Nordrhein-Westfalen. Doch die Förderung gilt nur für den Bau einer Direktreduktionsanlage, in der Stahl künftig mit grünem Wasserstoff statt mit Kohle in einem traditionellen Hochofen hergestellt werden soll. Die geförderte Direktreduktionsanlage ersetzt nur einen Hochofen. Alleine vier betreibt Thyssenkrupp Steel in Duisburg. Die Hoffnung, dass alle durch staatlich geförderte Direktreduktionsanlagen ersetzt werden, dämpfte der Duisburger Bundestagsabgeordnete Felix Banaszak (Grüne) bereits im vergangenen Jahr im Gespräch mit der WAZ: „Nicht jeder Hochofen wird ersetzt werden.“
 

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Im grünen Wirtschaftsministerium dürfte man das kaum anders sehen. Zwar hat Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck auch Stahlwerken in Bremen und dem Saarland Unterstützung zugesichert, und das Werk von Salzgitter in Niedersachsen hatte seinen Förderbescheid schon vor Thyssenkrupp im Briefkasten, aber dass alle Werke in ganz Deutschland subventioniert werden können, übersteigt die Möglichkeiten des Bundes in Zeiten knapper Kassen.

Abwanderung der energieintensiven Industrie

Zumal im Bundeswirtschaftsministerium schon lange klar ist, dass in der Grundstoffindustrie, zu der auch der Stahl gehört, im Laufe der vielbeschworenen grünen Transformation Arbeitsplätze abgebaut werden. Schon vor fast zwei Jahren sagte Habecks damals noch amtierender Staatssekretär Patrick Graichen in einem Interview mit dem Öko-Aktivisten Michael Liebreich auf die Frage, welche Folgen die Umstellung auf den teuren grünen Wasserstoff für die Industrie in Deutschland habe: „Im Wesentlichen wird es wahrscheinlich bedeuten, dass energieintensive Industriezweige mit Produkten, die man auch an anderen Orten einfach herstellen könnte, dorthin gehen, wo es den Strom für ein bis zwei Cent gibt.“

In Deutschland liegt der Industriestrompreis aktuell bei knapp über 19 Cent. Im Jahr 2020, als Graichen noch Chef der Lobbyorganisation Agora Energiewende war, klang das in einer Studie der Organisation ganz anders: „… die Grundstoffindustrie“, schrieb Graichen, „ist ein Pfeiler des Wohlstands in Deutschland, sie garantiert Wertschöpfung und sorgt für über 550.000 hochwertige Arbeitsplätze.“ Das, muss man anmerken, tut sie allerdings nur, wenn man sie nicht mit hohen Energiepreisen und einer übereilten grünen Transformation in die Ecke drängt.

Die Arbeiter von Thyssenkrupp werden in den kommenden Jahren erleben, was das grüne Wirtschaftswunder für sie bedeutet. Thyssenkrupp und viele andere Unternehmen passen nicht mehr zu einem Deutschland, das sich offenbar dazu entschlossen hat, keine starke Exportnation, sondern der Verkünder grüner Glücksseligkeit zu sein.

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