Führungsstreit bei OpenAI - Hirnlose Intelligenz

Der Führungsstreit beim KI-Entwickler OpenAI scheint beigelegt zu sein. Nach fünf Chaostagen im Silicon Valley ist Sam Altman zurück an der Unternehmensspitze. Der Konflikt hat einen Blick hinter die Kulissen des Kampfes um die Künstliche Intelligenz freigelegt.

Anatomie des menschlichen Gehirns / dpa
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Autoreninfo

Ralf Hanselle ist stellvertretender Chefredakteur von Cicero. Im Verlag zu Klampen erschien von ihm zuletzt das Buch „Homo digitalis. Obdachlose im Cyberspace“.

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Ein intelligentes System stellt man sich eigentlich anders vor: Als am vergangenen Freitag der Vorstand des amerikanischen Tech-Unternehmens OpenAI vollkommen unerwartet seinen CEO Sam Altman feuerte, war schnell klar, dass eine rationale und gut durchdachte Entscheidung im Idealfall anders hätte aussehen müssen. Denn Altmans Suspendierung und die Benennung der bisherigen Technischen Direktorin Mira Murati, einer 34-jährigen Tochter albanischer Einwanderer, die nur mit starkem Akzent Englisch spricht, löste weit über das Unternehmen hinaus einen Dominoeffekt aus. In nur wenigen Stunden kündigten Altmans Stellvertreter Greg Brockman sowie drei ausgewiesene KI-Experten und kehrten OpenAI den Rücken: „Sam and I are shocked and saddened by what the bord did today“, schrieb Brockman am darauffolgenden Samstag auf dem Kurznachrichtendienst „X“.

Doch da war die Selbstdemontage eines der wichtigsten Newcomer-Unternehmen der Technologiebranche längst im vollen Gange. Kaum, dass die Nachricht von Altmans Kündigung nach Börsenschluss die Runde gemacht hatte, meldeten sich wichtige Investoren, um Druck auf den offensichtlich verwirrten Vorstand von OpenAI auszuüben – darunter auch der Tech-Gigant Microsoft, der immerhin 49 Prozent der Unternehmensanteile von OpenAI hält. Man möge Altman zurückholen, so lautete zunächst die Forderung der wichtigsten Kapitalgeber. Und ihre Sorge um das Unternehmen schien nicht aus der Luft gegriffen zu sein: Einige Tage später nämlich schon sollen hunderte Mitarbeiter von OpenAI mit Kündigung gedroht haben – darunter sogar Altmans Interims-Nachfolgerin Mira Murati.

Irrationales Handeln

Und gestern dann der endgültige Super-Gau: Nachdem Altman längst einen Vertrag beim OpenAI-Investor Microsoft unterzeichnet hatte – offenbar schien dies für den Software-Giganten aus Redmond die bessere Lösung zu sein, um das Know-how des 38-jährigen KI-Pioniers für die eigene Unternehmensentwicklung nutzbar zu machen –, kam es am Dienstag zu einer regelrechten Revolte am Firmensitz von OpenAI in San Francisco: 700 der insgesamt 770 Mitarbeiter des 2015 gegründeten Start-ups hatten einen offenen Brief an den Vorstand unterzeichnet, in dem dieser aufgefordert wurde zurückzutreten. Andernfalls, so die besorgten Mitarbeiter, zu denen nach Medienberichten sogar längst einstige Befürworter des Altman-Rauswurfs gehörten, stünden massenhafte Kündigungen im Raum – und somit letztlich wohl das Ende eines Unternehmens, das in den letzten zwölf Monaten zweifellos Technologiegeschichte geschrieben hatte. 

Jenseits des Silicon Valleys also rieb man sich über Tage und vollkommen verwundert die Augen: War es also das, was das Valley denken nannte: eine Horde wildgewordener Software-Entwickler, IT-Experten und Manager, die irrational und aus dem Bauch heraus eine kreative Zerstörung von unvorstellbaren Ausmaß betrieben? Und das ausgerechnet bei OpenAI – jenem Unternehmen also, das vor genau einem Jahr, am 30. November 2023, mit einer Sensation aufwartete: dem Chatbot ChatGPT, der ersten Künstlichen Intelligenz, die wirklich in der Lage sein sollte, menschliche Kreativität wie Rationalität zu imitieren? Nur sieben Tage nach dem Start von ChatGPT jedenfalls hatte die nächste IT-Revolution bereits eine Million Nutzer. 

Heute ist die Entwicklung derart heiß gelaufen, dass unzählige Konkurrenten nicht nur eigene KI-Lösungen auf den Markt bringen. Beobachter fürchten längst auch, das schon bald eintreten könnte, was in der Vergangenheit so oft eingetreten ist, wenn sich eine innovative  Technologie auf den Weg gemacht hat, Kulturgeschichte zu schreiben: der Crash sowie das Platzen einer Blase. Es scheint dies nämlich ein oftmals notwendiger Zwischenschritt zu sein, um Hype und Realität voneinander zu trennen.

Fragt den Chatbot

Vielleicht also hätte man bei OpenAI lieber mal den eigenen Chatbot befragen sollen, um eine Antwort auf die drängende Frage zu erhalten, was wohl im schlimmsten Fall passieren kann, wenn man das Gesicht eines Unternehmens kurzerhand feuert, das mit seinen Ideen wie auch mit seinen eigenen berechtigten Zweifeln an diesen zum Aushängeschild des eigenen Erfolges geworden ist.  Denn so sehr Altman auch für den finanziellen Boom durch die neuartige KI steht, so sehr verkörpert er auch die vielen offenen Fragen an den innovativen Quantensprung. Kaum nämlich, dass das eigene Produkt auf dem Markt war, forderte Altman in einem offenen Brief bereits erhöhte Sicherheitsstandards für die intelligenten Chatbots. Und im Mai 2023 schließlich gestand er während einer Anhörung im US-Senat, dass Künstliche Intelligenz auch große Risiken mit sich bringen würde. Der Programmierer und Studienabbrecher aus Chicago wurde so zur Verkörperung eines neuen Zauberlehrlings: Ein Tüftler, der Geister rief, die er anschließend wieder zu bannen suchte.

 

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Einen solchen Typus jedenfalls setzt man nicht folgenlos vor die Tür. Doch da man bei OpenAI die eigene Technik nicht befragen wollte – oder diese zumindest keine hilfreichen Antworten gab –, musste die Bereinigung einer falschen Führungsentscheidung am Ende auf klassischem Wege vollzogen werden: Dem Druck der Mitarbeiter nämlich war es letztlich zu verdanken, dass sich das immer schneller drehende Rad der Geschichte noch einmal in die Ausgangsposition zurückbewegen konnte. Heute gab OpenAI über den Kurznachrichtendienst „X“ bekannt, was Insider bereits seit längerem gemunkelt hatten: Es war gelungen, Altman von Microsoft zurückzuholen: „We have reached an agreement in principle for Sam Altman to return to OpenAI as CEO with a new initial board of Bret Taylor (Chair), Larry Summers, and Adam D'Angelo.“

Es ist, als wäre noch einmal der Geist des 19. Jahrhunderts durch das vermeintlich so zukunftszugewandte Valley in Kalifornien geweht: Alle Datenströme stehen still, wenn dein starker Arm es will! Und das ausgerechnet bei OpenAI. Eine Posse, die gewiss auch offenlegt, wie stark einer der wichtigsten Märkte der Zukunft derzeit umkämpft ist. Vor allem aber veranschaulicht der nun beigelegte Führungsstreit den tiefen Graben zwischen Ideologie und Wirklichkeit: Im vermeintlich rationalsten, weil (künstlich) intelligentesten Gewerbe der Welt herrscht in den Tiefenschichten offensichtlich Chaos, Anarchie und Irrationalität vor. Das hat auch etwas Beruhigendes: Selbst hinter der Künstlichen Intelligenz, so wissen wir jetzt, zucken menschliche Regungen.

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