Öffentlich-Rechtliche - Die Machtmaschine

ARD und ZDF sind teuer, ineffizient und kaum zu kontrollieren. Jetzt stellt sich ein aufmüpfiges Bundesland gegen den Expansionsdrang der Anstalten.

Wohin steuert der Öffentlich-Rechtliche Rundfunk? / Julia Kluge
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Daniel Gräber leitet das Ressort Kapital bei Cicero.

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Wenn Anne Will am Sonntagabend die bundesdeutsche Politikprominenz empfängt, ist ihre Fernsehbühne bis in den letzten Winkel hinein perfekt ausgeleuchtet. Wer dort wann zu welchem Thema eingeladen wird, ist für Berliner Parteistrategen von größerer Bedeutung als die Rednerliste im Bundestag. Und das Publikum erfährt, auch wenn es nicht eingeschaltet hat, dank zahlreicher Nachbereitungsberichte auf den Nachrichtenseiten haargenau, wie sich Anne Wills Gäste geschlagen haben. Nur eines bleibt komplett im Dunklen: was der ganze Zirkus kostet.

Ihre Moderatorenhonorare behandeln ARD und ZDF wie ein Staatsgeheimnis. Als hätten die Beitragszahler, die den teuersten öffentlich-rechtlichen Rundfunk der Welt mit jährlich acht Milliarden Euro versorgen, kein Recht darauf zu erfahren, wofür und wie wirtschaftlich dieses Geld verwendet wird.

Überschüsse von einer Million Euro

„Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass der NDR zu Vertragsdetails mit einzelnen Produktionsfirmen keine Auskunft gibt“, antwortete der Norddeutsche Rundfunk auf die Frage, was die Sendung „Anne Will“ eigentlich kostet. Sie wird von der Will Media GmbH im Auftrag des NDR für das ARD-Programm produziert. Der aktuelle Vertrag läuft bis Ende 2023 und verspricht der privaten Produktionsfirma stabile Einnahmen bei geringem wirtschaftlichen Risiko. So erzielt die Will Media GmbH jährliche Überschüsse von mehr als einer Million Euro. Einzige Eigentümerin des Unternehmens ist die Moderatorin selbst. Was sich Anne Will zudem noch als Honorar oder Gehalt auszahlt, bleibt ihre Sache. 

Im deutschen öffentlich-rechtlichen Rundfunk sind solche Konstruktionen kein Einzelfall. Über die Jahrzehnte sind die neun Landesrundfunkanstalten der ARD sowie das ZDF und deren zahlreiche Tochtergesellschaften und Subunternehmen zu einem schier undurchdringbaren Geflecht herangewachsen, das sich einer funktionierenden Kontrolle entzieht. Selbst die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF), schon allein deren Name steht symptomatisch für das aufgebläht-bürokratische Rundfunksystem, blickt nicht mehr durch. 

Den Überblick verloren

Vor acht Jahren versuchte die KEF – deren Aufgabe es ist, über die Höhe des Rundfunkbeitrags zu wachen –, die Produktionskosten unterschiedlicher Talksendungen miteinander zu vergleichen. Sie scheiterte. In dem Kommissionsbericht werden zwar Gesamtkosten pro Sendeminute genannt, die sich je nach Sender und Format stark unterscheiden. Doch eine klare Aufstellung, was davon Fremdkosten etwa für die Moderatorenhonorare und was eigene Kosten der Sender sind, fehlte. So konnte niemand nachvollziehen, warum etwa eine Minute „Günther Jauch“ im Ersten damals mehr als doppelt so viel kostete wie eine Minute „Markus Lanz“ im ZDF.

Die KEF mahnte schließlich zur Sparsamkeit und forderte die Anstalten auf, „den erheblichen Unterschieden der Kosten der Formate nachzugehen“. Doch geschehen ist seitdem nichts. Das Thema Talkshow-Kosten taucht in keinem der folgenden KEF-Berichte mehr auf.

Verweis auf Rundfunkfreiheit

Für den Rundfunkpolitiker Rainer Robra ist das symptomatisch. Der CDU-Staatsminister aus Sachsen-Anhalt fordert seit Jahren, die mächtigen Anstalten einer stärkeren öffentlichen Kontrolle zu unterwerfen. „Ohne Kostentransparenz und Vergleichbarkeit laufen alle Bemühungen, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk wirtschaftlicher zu betreiben, ins Leere“, sagt Robra. „Aber die Rundfunkanstalten wehren sich dagegen und verweisen auf die verfassungsrechtlich garantierte Rundfunkfreiheit.“

In der bisherigen Geschichte der Bundesrepublik hatten sie großen Erfolg damit. Das ausgeuferte und im Internetzeitalter zunehmend anachronistisch wirkende System der Sendeanstalten wurde maßgeblich durch die Rundfunkurteile des Bundesverfassungsgerichts geformt. Denn die Karlsruher Richter leiteten aus einem Satz des Grundgesetzes – „die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film wird gewährleistet“ – einen Selbstermächtigungsanspruch des öffentlich-rechtlichen Apparats ab. Der Grundgedanke ist: Damit die Politik keinen Einfluss auf die Berichterstattung nehmen kann, soll sie auch bei deren Finanzierung möglichst wenig zu melden haben. Heraus kam das KEF-Modell, nach dem die Sendeanstalten ihren Finanzbedarf anmelden, die Kommission nachrechnet und die Landesparlamente die Gebühren- oder Beitragserhöhung nur noch abnicken. 

Anstoß aus Sachsen-Anhalt

Das Modell funktionierte jahrzehntelang, trotz manchem Murren und Knurren, und ermöglichte den Sendern, ihr Programmangebot stetig auszuweiten und ihre Mitarbeiter mit großzügigen Altersbezügen zu versorgen. Bis ein Bundesland nicht mehr mitspielte. Sachsen-Anhalt stoppte Ende vergangenen Jahres die geplante Erhöhung des Rundfunkbeitrags von 17,50 auf 18,36 Euro im Monat und stellte sich damit gegen alle anderen 15 Länder. Wie der Streit ausgehen wird, ist vollkommen offen. Doch fest steht schon jetzt: Er hat Bewegung in die dringend notwendige Debatte über eine grundlegende Reform der deutschen Rundfunkbürokratie gebracht.

Sachsen-Anhalts Staatskanzleichef Robra wehrt sich gegen den Vorwurf, seine Partei hätte mit ihrer Verweigerungshaltung der AfD in die Hände gespielt. „Die CDU-Fraktion hat, schon lange bevor die AfD in den Landtag gewählt wurde, klargemacht, dass sie für Beitragsstabilität ist“, sagt Robra. „Wenn wir jetzt, mitten in der Corona-Krise, einer Erhöhung zugestimmt hätten, wäre das das Ende aller Reformbemühungen bei ARD und ZDF gewesen.“

Nach außen hin haben sich die Intendanten der Sender gewohnt selbstbewusst und kampferprobt gezeigt. Sie zogen vor das Bundesverfassungsgericht und wollten die Beitragserhöhung auch gegen den Willen des Parlaments von Sachsen-­Anhalt durchsetzen. Doch im Eilverfahren sind sie gescheitert. Wie das Hauptverfahren ausgeht, bleibt abzuwarten.

Stemmen gegen den Reformdruck

Innerhalb der Sender ist die Verunsicherung jedenfalls groß. Denn den meisten Rundfunkmitarbeitern ist klar, dass die technische Entwicklung und die wachsende Entfremdung von Teilen des Publikums den Reformdruck in den kommenden Jahren noch deutlich erhöhen werden. Man muss nur in andere westliche Staaten schauen. In Großbritannien, dem Mutterland des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, steht die BBC unter Spar- und Rechtfertigungszwang. Das hängt auch mit der Brexit-Debatte zusammen, in der BBC-Journalisten eine deutliche Position gegen den EU-Austritt bezogen haben. In der Schweiz musste sich der gebührenfinanzierte SRF 2018 einer Volksabstimmung stellen. Die Mehrheit der Eidgenossen stimmte zwar für den Erhalt des öffentlich-rechtlichen Systems, doch die Debatte über Aufgabe und Ausrichtung des Schweizer Rundfunks ist damit nicht beendet.

In Westdeutschland traute sich lange Jahre kaum ein Politiker, den Milliarden verschlingenden Senderapparat infrage zu stellen. Kein Wunder, denn sie wollen weiterhin in die Talkshows eingeladen werden. Für die Landesregierungen sind ihre regionalen Rundfunkanstalten zudem Bastionen der Eigenstaatlichkeit. So kämpft man etwa in Saarbrücken verbissen um den Erhalt des notorisch klammen Saarländischen Rundfunks. Als der SR Ende 2020 einen neuen Intendanten suchte, stand das sogar in der offiziellen Stellenbeschreibung. Es werde erwartet, „dass sie/er dem Saarländischen Rundfunk eine Zukunft als souveräne Landesrundfunkanstalt sichert“. 

Doppel- und Dreifachstrukturen

Was für die Anstalten – und die mit ihnen in gegenseitiger Abhängigkeit eng verflochtenen Landespolitiker – das Wichtigste zu sein scheint, kommt den Beitragszahler teuer zu stehen. Denn er muss, ob er es will oder nicht, verkrustete und ineffiziente Verwaltungsapparate finanzieren. Und das gleich mehrfach, da jeder Sender auf seine Eigenständigkeit pocht. Selbst der Südwestrundfunk (SWR), der 1998 aus einer Fusion der beiden selbstständigen Anstalten für das nördliche Baden-Württemberg sowie den Süden und Rheinland-Pfalz hervorging, leistet sich nach wie vor zahlreiche Doppelstrukturen. Denn in Mainz, Stuttgart und Baden-Baden wird eifersüchtig darüber gewacht, was an den jeweils anderen SWR-Standorten geschieht. Effizienzgewinne, wie sie betriebswirtschaftliche Lehrbücher bei Großfusionen versprechen, sind in einem solchen System schwer durchzusetzen.

Dabei müsste jede ernsthafte Verschlankungsreform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks genau an diesem Punkt ansetzen. In Zeiten von Streaming-­Plattformen wie Netflix und Co. sowie Youtubern, die aus dem Kinderzimmer heraus per Handykamera ein Millionenpublikum erreichen, käme wohl kein Mensch mehr auf die Idee, eine quasistaatliche Senderlandschaft aufzubauen, wie wir sie heute haben. Wahrscheinlich würde man eher noch darüber nachdenken, ob Online-Plattformen wie Facebook und Google nicht besser in öffentlich-rechtliche Hand gehörten, als dass man die Produktion von Medieninhalten verstaatlichte. Zumal dann nicht, wenn es sich bei diesen Inhalten um Seifenopern, Quizshows, Fußballübertragungen und Fernsehkrimis handelt, die private Anbieter auf dem freien Markt in mindestens genauso guter Qualität liefern könnten, wie es ARD und ZDF derzeit tun.

Wettbewerblich nicht mehr begründbar

Der Wettbewerbsökonom Justus Haucap denkt schon seit Jahren in diese Richtung. Er hat 2015 den Vorschlag einer „liberalen Rundfunkordnung für die Zukunft“ vorgelegt. In seiner für das FDP-nahe Prometheus-Institut erstellten Studie erklärt Haucap, weshalb die These des Marktversagens, mit der die Notwendigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks immer begründet wird, längst nicht mehr zutrifft: Frequenzknappheit und hohe Produktionskosten seien im Digitalzeitalter kein Thema mehr.

„Paradoxerweise hat das weitgehende Verschwinden früher womöglich einmal existierender Marktversagenstatbestände jedoch nicht zu einer Rückführung öffentlich-rechtlicher Programmangebote geführt, sondern – ganz im Gegenteil – zu einer noch weiteren Expansion und aktiven Verdrängung privater Inhalte, insbesondere im Internet“, stellt Haucap fest.

Sein radikaler Reformansatz: die öffentlich-rechtlichen Sender komplett auflösen oder privatisieren. Um sicherzustellen, dass weiterhin Qualitätsinhalte produziert werden, die politisch oder kulturell relevant sind, sich aber marktwirtschaftlich nicht rechnen, solle der Staat solche Inhalte finanziell fördern. Haucap schlug vor, dazu ein Ausschreibungssystem zu schaffen, wie er es während seiner Zeit in Neuseeland kennengelernt hat. „Ich habe nicht den Eindruck, dass dort seitdem die Demokratie in Gefahr ist“, sagt Haucap.

Das „Framing-Manual“

Er spielt damit auf das Schreckens­szenario an, das von den Verfechtern des öffentlich-rechtlichen Systems stets als gewichtiges Argument gegen eine überwiegend private Medienlandschaft angeführt wird. Mit Schaudern blicken sie in die USA, wo Rupert Murdochs rechter Krawallsender Fox News das politische Klima vergiftet habe. Privatmedien ginge es nur um Klickzahlen, Einschaltquoten und Werbeeinnahmen. ARD und ZDF hingegen stünden für den gesellschaftlichen Zusammenhalt.

Auf die Spitze getrieben hat diese Argumentation die Sprachwissenschaftlerin Elisabeth Wehling, die für die ARD einen internen Sprechratgeber geschrieben hat. Dieses „Framing-Manual“ gelangte Anfang 2019 an die Öffentlichkeit und löste Empörung aus. „Wenn Sie Ihre Mitbürger dazu bringen wollen, den Mehrwert der ARD zu begreifen und sich hinter die Idee eines gemeinsamen, freien Rundfunks ARD zu stellen“, schreibt Wehling zu Beginn, „dann muss Ihre Kommunikation immer in Form von moralischen Argumenten stattfinden. In Form von Argumenten also, die eine moralische Dringlichkeit kommunizieren und eine Antwort auf die Frage geben: Wieso ist die ARD gut – nicht schlecht, wie ihre Gegner es halten; und wieso ist es wichtig und richtig, die ARD in ihrer Form zu erhalten – nicht überflüssig und falsch, wie ihre Gegner es propagieren.“ 

In diesem Ton geht es seitenlang weiter. Empfohlen wird etwa, statt von privaten Medien lieber von „Kommerzmedien oder Kommerzfernsehen“ zu sprechen. Denn „privat“ klinge zu freundlich und heimelig. Es müsse klar werden: „Kommerzmedien, profitorientierte Medien oder Profitsender (haben) einen Auftrag, welcher der moralischen Prämisse des gemeinschaftlichen Rundfunks ARD entgegensteht.“ Bezahlt wurde die Expertise der „Framing“-Expertin selbstverständlich mit Geld aus dem Beitragsaufkommen.

Im Kampf mit den Privaten

Mit den Privatmedien liegen die Rundfunkanstalten seit jeher über Kreuz. Insbesondere den Zeitungsverlegern war die Dominanz der Öffentlich-Rechtlichen nie ganz geheuer. Als Ende der achtziger Jahre private Fernseh- und Radioprogramme erlaubt wurden, beteiligten sich einige Verlage an neuen Regionalsendern. Nicht überall war dies von wirtschaftlichem Erfolg gekrönt. Mit dem Aufkommen von Nachrichtenangeboten im Internet verschärfte sich die Konkurrenz zwischen Verlagshäusern und Rundfunkanstalten. Denn nun galt es für beide Seiten, einen neu entstehenden Markt zu erobern. 

Der Kampf ist noch lange nicht ausgefochten. Den Zeitungsverlegern macht vor allem die textlastige Regionalberichterstattung der ARD-Anstalten zu schaffen. Sie wollen, dass sich die Sender auch online auf Bild und Ton beschränken und das geschriebene Wort der freien Presse überlassen. 
Laut aktuellem Rundfunkstaatsvertrag dürfen die Öffentlich-Rechtlichen „presseähnliche Angebote“ auf ihren Internetseiten nur veröffentlichen, wenn sie „sendungsbezogen“ sind. Wie weit diese Regel teilweise ausgelegt wird, stößt bei den unter großem wirtschaftlichen Druck stehenden Pressehäusern auf Unmut.

Unfairer Wettbewerb?

Carsten Knop, einem der Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, platzte in einer Diskussionsrunde mit SWR-Intendant Kai Gniffke neulich der Kragen. Er bezog sich auf die Online-­Nachrichtenseite des Hessischen Rundfunks. Hessenschau.de sei nicht staatsvertragskonform, sagte Knop. „Das sind Texte, Texte, Texte zu irgendwas, ein Liveticker zu allem. Und ich kann immer unten drunter schreiben: der Sendungsbezug ist Hessenschau im HR-Fernsehen. Das ist eigentlich ein Witz, dieses Angebot. Das ist eins zu eins Konkurrenz zu dem, was wir lokal machen, und natürlich nicht in Ordnung.“

SWR-Chef Gniffke, der das HR-Angebot zwar nicht zu verantworten hat, aber mit Zeitungsverlegern in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz sicher ähnliche Diskussionen führen muss, entgegnete: „Nicht wir kommen auf die Spielwiese der Verlage, sondern – ich sehe mit großem Interesse immer Bild TV – die Verlage kommen auf unsere Spielwiese.“
Tatsächlich setzt Axel Springer angesichts eines rasanten Auflagenschwunds seines Boulevard-­Flaggschiffs auf Videos und Livesendungen. Bild TV läuft derzeit nur im Internet, soll aber noch vor der Bundestagwahl als neuer Sender ins frei empfangbare Fernsehen kommen. Eine Sendelizenz hat Springer bereits beantragt.

Erziehungsjournalismus

Bild-Chefredakteur Julian Reichelt will das Angebot ganz bewusst als Gegenprogramm zum öffentlich-rechtlichen profilieren. So erklärte er: „Wir wollen Fernsehen machen, das Menschen nicht belehrt, sondern zeigt, was ist. Das Menschen eine Stimme gibt und ihnen aus der Seele spricht.“ Das zielt auf einen Vorwurf, dem sich ARD und ZDF spätestens seit der Flüchtlingskrise zunehmend ausgesetzt sehen: Ihre Berichterstattung sei politisch zu einseitig, zu volkserzieherisch und blende bestimmte Aspekte der Wirklichkeit einfach aus.

Ein Eindruck, der besonders in Ostdeutschland stark verbreitet ist. Und der auch erklärt, warum ausgerechnet in Sachsen-Anhalt der Streit um die Beitragserhöhung eskaliert ist. „Viele Menschen in Ostdeutschland haben beispielsweise Anstoß daran genommen, dass die ,heute‘-Nachrichten mitten in der Corona-Krise die Gendersprache einführen“, nennt Staatsminister Rainer Robra ein Beispiel. Der Medienpolitiker sitzt selbst im ZDF-Fernsehrat und soll dort den Senderverantwortlichen auf die Finger schauen.

Gender-Vorreiter*Innen

Die Gendersprache ist eine künstliche Kurzpause, die immer mehr Nachrichtensprecher und Moderatoren einlegen, um danach eine weibliche Endung anzufügen, die dazu beitragen soll, dass sich auch Frauen mitgemeint fühlen. Talkshow-Unternehmerin Anne Will ist eine der Vorreiterinnen dieses Konzepts. Aber auch in Radiobeiträgen, etwa des RBB oder des Deutschlandfunks, ist inzwischen wie selbstverständlich von „Bürger-innen“ oder „Mediziner-innen“ die Rede. 

Eine Volontärin des Bayerischen Rundfunks hat sich vor kurzem getraut, diese Zungenbrecher der politischen Korrektheit in einem Fernsehkommentar zu kritisieren. Sie geriet daraufhin mitten zwischen die Fronten einer aufgeheizten Debatte, sowohl extern als auch innerhalb ihres Senders. „Ich habe einige Rückmeldungen von Kollegen bekommen, die genauso denken wie ich und die sich gefreut haben, dass ich es öffentlich im Mittagsmagazin ausgesprochen habe“, sagt Julia Ruhs. „Andere haben mir vorgeworfen, ich lasse mich instrumentalisieren.“

Papier der Mittelstands-Union

Die junge Journalistin, die eher mit CSU und FDP sympathisiert als mit Linken und Grünen, zählt offenbar zu einer bedrohten Minderheit in den öffentlich-rechtlichen Redaktionsstuben. So räumte SWR-Intendant Gniffke im Gespräch mit der Zeit ein: „Wir sehen durchaus, dass wir noch stärker ein divergierendes Meinungsbild abgeben müssen.“ Und die Zeiten, in denen der Bayerische Rundfunk als schwarze Bastion gegen den „Rotfunk“ aus Köln oder Hamburg galt, scheinen endgültig vorbei zu sein.

Auch das mag ein Grund dafür sein, weshalb Unionspolitiker das Thema Rundfunkreform entdeckt haben. Nach dem Stoppsignal aus Sachsen-Anhalt hat die Mittelstands- und Wirtschaftsunion (MIT), eine Vereinigung innerhalb von CDU und CSU, ein Reformkonzept vorgelegt. Der rundfunkkritische Ökonom Justus Haucap war daran beteiligt. Ganz so radikal wie sein Neuseeland-Vorschlag von 2015 wurde das MIT-Papier zwar nicht. Im Vergleich zu dem, was maßgebliche Medienpolitiker sonst diskutieren, ist es aber revolutionär. Alle Anstalten sollen zusammengelegt und dabei deutlich verschlankt werden. Das Programm soll sich auf die Kernaufgaben Information, Bildung und Kultur konzentrieren.

Politik-Talkerin Anne Will wird sich über das MIT-Papier wohl weniger freuen. Denn eine Detailforderung zielt direkt auf ihr Geschäftsmodell. „Grundsätzlich sollen die Moderatoren Angestellte der Sender sein“, fordern die Unions-Mitglieder. „Fremdvergaben ureigener öffentlich-rechtlicher Kernaufgaben lehnen wir ab.“

 

Dieser Text stammt aus der Mai-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.
 

 

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