Neue Finanzkrise? - Die Bankenrettung feiert ein Comeback

Die Schweizer Großbank UBS übernimmt den Konkurrenten Crédit Suisse, um eine globale Bankenkrise abzuwenden. Doch die Pleitewelle im Finanzbereich dürfte weitergehen. Was wir erleben, ist der Bankrott der Geldpolitik und Finanzregulierung.

Too big to fail: Filiale der Crédit Suisse in Luzern / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Thomas Mayer ist Gründungsdirektor des Flossbach von Storch Research Institute mit Sitz in Köln. Zuvor war er Chefvolkswirt der Deutsche Bank Gruppe und Leiter von Deutsche Bank Research. Davor bekleidete er verschiedene Funktionen bei Goldman Sachs, Salomon Brothers und – bevor er in die Privatwirtschaft wechselte – beim Internationalen Währungsfonds in Washington und Institut für Weltwirtschaft in Kiel. Thomas Mayer promovierte an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und hält (seit 2003) die CFA Charter des CFA Institute. Seit 2015 ist er Honorarprofessor an der Universität Witten-Herdecke. Seine jüngsten Buchveröffentlichungen sind „Die Vermessung des Unbekannten“ (2021) und „Das Inflationsgespenst“ (2022).

So erreichen Sie Thomas Mayer:

Anzeige

Eigentlich sollten die Krisentreffen zur Bankenrettung an Wochenenden vorbei sein. Am 19. März feierten sie jedoch ein Comeback. Schweizer Spitzenbanker und Politiker trafen sich, um eine Fusion der Crédit Suisse mit der UBS auszuhandeln. Über hundert Jahre standen sich die beiden Großbanken am Züricher Paradeplatz als Konkurrenten gegenüber. Nun wurden sie zur Schweizer Mega-Bank vereint, um eine drohende globale Bankenkrise abzuwenden. Was ist da schiefgelaufen? 

Die Crédit Suisse gehörte zum elitären Club der 30 globalen „G-SIBs“. Die Gruppe der „Globally Systemically Important Banks“ sind Banken, die „too big“ oder „too connected to fail” sind, eine Kategorie von Finanzinstituten, die man nach den haarsträubenden Erfahrungen in der Großen Finanzkrise von 2007/08 gebildet hatte. Vor allem diese Banken sollten so gut mit Kapital, Liquiditätspuffern und Notfallplänen für eine eventuelle Abwicklung ausgestattet sein, dass Krisentreffen an Wochenenden zur Findung von Notlösungen unter Zeitdruck ein für allemal vorbei sein sollten. Dafür wurden umfangreiche und komplexe Regulierungswerke geschaffen – die ironischerweise nach der Stadt Basel benannt sind. Die Aufsichtsbehörden wurden ermächtigt, regelmäßige „Stresstests“ durchzuführen.  

Die seit Anfang 2022 steigenden Zinsen lösten eine Kaskade von Mini-Krisen aus

Auf dem Papier sah auch alles gut aus. Was die Regulierer aber übersehen hatten, war, dass die meisten Finanzinstitute – ob große oder kleine, Banken oder „Schattenbanken“ – nach einem Jahrzehnt historisch niedriger Zinsen und der Geldschwemme der Pandemiejahre Risiken aufgebaut hatten, die sie nach der Zeitwende beim Zins kaum mehr in den Griff kriegen konnten. Die seit Anfang 2022 steigenden Zinsen lösten eine Kaskade von Mini-Krisen aus, die von Großbritannien über die USA die Schweiz erreichten. Der ihnen gemeinsame Anlass ist, dass Zinsanstiege den Marktpreis von festverzinslichen Anlagen fallen lassen, sodass gewaltige Buchverluste auftreten können. Solange die Buchverluste nicht durch Verkauf der Anlagen realisiert werden müssen, bleiben sie harmlos. Müssen die Anlagen aber verkauft werden, weil die zu ihrer Finanzierung nötigen Mittel abgezogen werden, kann die Bank in die Pleite rutschen – so geschehen bei der Silicon Valley Bank

 

Das könnte Sie auch interessieren:

 

Die Crédit Suisse spielte in einer anderen Liga als die Silicon Valley Bank und hatte sich nicht wie diese vorwiegend über Einlagen finanziert. Dazu hatte sie ebenfalls Anleihen ausgegeben. Nach peinlichen Fehlinvestitionen und Skandalen wurden die Käufer dieser Anleihen nervös. Mit der Bankenkrise wurden sie noch nervöser und verkauften ihre Papiere in erheblichem Umfang. Mit dem Preisverfall stiegen die Rendite – und die Kosten für die Crédit Suisse, die abgezogenen Anleihen zu ersetzen. Hinzu kam, dass die Prämie für die Ausfallversicherung auf schwindelerregende Höhen kletterte. Nun fühlten sich auch Einleger und Kunden der Vermögensverwaltung nicht mehr sicher und flohen in Scharen.  

Die künftigen Finanzierungkosten der Bank stiegen immer weiter über ihre künftigen Erträge. Der Weg in die Pleite schien unaufhaltsam. Der Abwärtsstrudel und die damit verbundenen Ansteckungseffekte für andere Banken konnten nur vermieden werden, indem die Crédit Suisse entweder abgewickelt oder von einem stärkeren Partner übernommen werden würde. Die Schweizer entschieden sich für die zweite Lösung, wohl auch, weil sie sich nicht sicher waren, dass die Abwicklung ohne Probleme über die Bühne gehen würde. Aber auch die Details der Übernahme führen zu Beunruhigung auf den Finanzmärkten. Insbesondere wurde manch einer von der durch die Schweizer Aufsichtsbehörde verfügten völligen Abschreibung eigenkapitalähnlicher (AT1) Anleihen im Nominalwert von rund 15 Milliarden US-Dollar überrascht. Dies dürfte die Kosten des Eigenkapitals anderer Banken nach oben treiben. 

Das Aufpäppeln der Wirtschaft mit billigem Geld bereitete der Inflation den Weg

Die Effekte der Zinswende werden wohl noch nicht zu Ende sein. Mit weiter steigenden Zinsen dürfte die Pleitewelle im Finanzbereich weitergehen, ja vielleicht sogar erst richtig an Schwung gewinnen. Das stellt die Zentralbanken vor ein Dilemma: Sollen sie zur Bekämpfung der Inflation die Zinsen weiter erhöhen und ihre astronomisch hohen Anleihebestände wie geplant abbauen, oder sollen sie das Ziel der Preisstabilität dem der Finanzstabilität unterordnen? Die Europäische Zentralbank entschloss sich letzten Donnerstag vorläufig für den ersten Weg. Die US Federal Reserve dürfte dies bei ihrem Treffen am Mittwoch dieser Woche wohl auch tun. Noch scheint das Risiko einer Kernschmelze im globalen Finanzsektor überschaubar. Sollte es jedoch weiter steigen, werden die Zentralbanken einknicken. 

Was wir gerade erleben, deutet auf den Bankrott der Geldpolitik und Finanzregulierung nach der Großen Finanzkrise von 2007/08 hin. Danach versuchten die Geldpolitiker, die Wirtschaft mit immer niedrigeren Zinsen aufzupäppeln. Die Regulierer, die oft im gleichen Haus wie die Geldpolitiker sitzen, versuchten, die Finanzindustrie für spätere Zinserhöhungen resilient zu machen. Beides ging schief. Das Aufpäppeln der Wirtschaft mit billigem Geld bereitete schließlich der größten Inflationswelle seit einem halben Jahrhundert den Weg. Und die Finanzindustrie erweist sich als weniger resilient für eine Rückkehr zu normalen Zinsen als gedacht.  

Nach der Großen Finanzkrise, die ich als Europa-Chefvolkswirt der Investmentbank und später Chefvolkswirt der Deutschen Bank Gruppe erlebte, machte ich mich an die Aufarbeitung meiner Erkenntnisdefizite über das Finanzgeschäft. Damals dachte ich, jeder würde dies tun. Doch die meisten Verantwortlichen in den Zentralbanken und Geschäftsbanken machten weiter wie gewohnt. Ich erhielt das Etikett des Bankenkritikers. Nach dieser Erfahrung habe ich kaum Hoffnung, dass das gegenwärtige Aufflammen der früheren Probleme zu einem selbstkritischen Nachdenken führen wird. Denn die Probleme liegen tief. Sie sind so alt wie unser fragiles Kreditgeldsystem. Seit langem liegen Lösungsvorschläge vor (die ich hier kommentiert habe), aber die Bereitschaft, neue Wege zu gehen, wird durch das wirtschaftliche Interesse der Banken und die Mutlosigkeit der Politiker verhindert. 

 

Von Thomas Mayer erschien soeben das Buch „Russlands Werk und Deutschlands Beitrag. Wie Putins und Merkels Politik uns zum Verhängnis wurden“. ecoWing, 208 S., 26 €

 

Anzeige