Marktforschung - Dieses Unternehmen erkennt, was in Umfragen verborgen bleibt

Der Berliner Psychologe Michael Schießl erforscht für große Konzerne, wie es deren Kunden geht. Sein Unternehmen Eye Square hat mit Methoden aus den USA die Marktforschung revolutioniert.

Michael Schießl erforscht für Unternehmen die Psychologie des Menschen / Julia Steinigeweg
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Carsten Korfmacher ist Wirtschafts- korrespondent von Nordkurier und Schwäbischer Zeitung in Berlin.

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Ein junger Mann sitzt zu Hause an seinem Smartphone. Er hat sich gerade auf einem Server eingeloggt, wo er eine Aufgabe erhält: „Ihr Welpe ist ein ausgewachsener Hund geworden. Informieren Sie sich, was er von jetzt an als Futter benötigt, und kaufen Sie dann ein passendes Produkt.“ Der Mann beginnt seine Recherche in einem virtuellen Raum, der dem Internet zum Verwechseln ähnlich sieht. Er besucht Webseiten, soziale Medien und entscheidet sich schließlich, bei Amazon eine Bestellung aufzugeben.

Währenddessen spricht er ins Mikrofon seines Smartphones, erzählt zum Beispiel, welche Gefühle und Gedanken ihm bei der Recherche und der Bestellung kommen. Anschließend folgt eine Auswertung, bei der er einige Fragen beantwortet. Sein Arbeitstag ist damit beendet. Für seinen Auftraggeber, das Berliner Marktforschungsunternehmen Eye Square, geht es jetzt erst richtig los.

Denn im Hintergrund ist in der Zwischenzeit einiges passiert. Die Kamera des Smartphones zeichnete Mimik, Gestik und Augenbewegungen des Probanden auf, das Touchpad erfasste seine Reaktionszeiten, und simultan wurde das Tonsignal analysiert.

Die gesammelten Daten werden nun auf Basis der neuesten psychologischen Erkenntnisse ausgewertet. 
Eye Square schafft es so, die verborgene Gefühlswelt von Konsumenten sichtbar zu machen und zu messen. Anhand dieser Informationen können Unternehmen den Erfolg ihres digitalen Marketings bestimmen und verbessern. Implizite Marktforschung nennt sich das, und in diesem Feld ist das Berliner Unternehmen weltweit führend.

Idee kam in Yale

„Unser Geschäftsmodell ist die Human Experience, die menschliche Erfahrung als Ganzes“, sagt der Diplom-Psychologe und Eye-Square-CEO Michael Schießl, der die Firma im Jahr 1999 gemeinsam mit Freunden gegründet hat. Die digitale Welt habe ein radikal neues Feld der psychologischen Forschung eröffnet, schwärmt Schießl.

Die Technologien, die Eye Square auf dieser Basis entwickelt hat, verkaufen sich gut: Die Firma beschäftigt inzwischen 110 Mitarbeiter und ist nicht nur in Deutschland, sondern auch mit Standorten in den USA, Großbritannien, Indien, Japan und Hongkong vertreten. Der Umsatz, der von Jahr zu Jahr um etwa 20 Prozent wächst, liegt bereits bei zehn Millionen Euro. Seit rund 15 Jahren wirtschaftet das forschungsintensive Unternehmen profitabel.

 

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Die Idee kam dem gebürtigen Bayern während eines Studienaufenthalts an der amerikanischen Eliteuniversität Yale. „In den USA war das Thema der impliziten Messung in den 1990ern riesig, allerdings eher in der Sozialforschung“, berichtet Schießl. Ein Anwendungsbeispiel: Rassismusforschung.

In vier bis fünf Jahren an die Börse

Es habe in der Gesellschaft zwar einen erkennbaren Rassismus gegenüber Afroamerikanern gegeben, dieser sei aber mit den herkömmlichen Methoden der Meinungsforschung nicht messbar gewesen. Denn die Befragten wollten oder konnten ihre Vorurteile in Umfragen oft nicht benennen. Forscher mussten sich also der psychologischen Grundlagenforschung bedienen, um die wahre Gefühlswelt der Befragten erkennbar zu machen. 

Zurück in Deutschland wandte Schießl die neuen Methoden der impliziten Messung auf den Bereich der Marktforschung an. „Damals war ich krass zielorientiert“, erzählt Schießl, doch das habe sich im Laufe der Jahre geändert. In den Firmenräumen hat er eine Kunstsammlung eingerichtet, und im Unternehmen stünden Freude und familiärer Zusammenhalt an erster Stelle, betont der Unternehmer.

Mehr als 700 Kunden vertrauen mittlerweile auf die Analysen von Eye Square, darunter die Deutsche Bank, viele deutsche Krankenkassen und Versicherungen, aber auch Firmen wie Mars, Unilever, Google oder Amazon. Auf dieser Grundlage will das Unternehmen den Umsatz in den kommenden Jahren verdoppeln und in vier bis fünf Jahren den Gang an die Börse wagen.

Einen weiteren Schub verspricht sich der Eye-Square-Gründer durch den Aufstieg der künstlichen Intelligenz (KI). Zukünftig werden immer mehr Unternehmen KI nutzen, um mit ihren Kunden zu kommunizieren. „Und wir sehen uns als das Unternehmen an, das weltweit als erstes die menschliche Erfahrung mit KI messen und darstellen kann“, sagt Schießl selbstbewusst.

 

Dieser Text stammt aus der Oktober-Ausgabe des Cicero, die Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

 

 

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