Mythos Mittelstand - Gebacken wird immer

In der DDR enteignet, dann wieder in Familienhand: Marco Thiele führt den Backmischungspionier Kathi und blickt besorgt auf die Folgen des Ukrainekriegs. Steigende Kosten für Energie und Mehl sorgen für Preissteigerungen, und Vorratskäufe der Supermarktkunden führen zu Lieferengpässen.

Der Hallenser Mittelständler Kathi feierte im vergangenen Jahr das 70. Firmenjubiläum / dpa
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Sabine Baur ist freie Wirtschaftsjournalistin und lebt in Karlsruhe.
 

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Bei Backmischungen denken die meisten Supermarktkunden zuerst an den Branchenriesen Dr. Oetker. Historisch betrachtet hat jedoch ein viel kleineres Unternehmen die Nase vorn: Kathi aus Halle an der Saale. Dessen Gründer Kaethe und Kurt Thiele brachten 1953 mit dem „Tortenmehl“ die erste deutsche Backmischung auf den Markt. 

Dr. Oetker war knapp zwei Jahrzehnte später dran und schreibt dazu: „Erst 1970 brachte ein Unternehmen aus den USA erfolgreich und in nennenswertem Umfang Backmischungen nach Westdeutschland. Eine Besonderheit bildete die DDR: 1953 wurde hier die erste moderne Backmischung im deutschsprachigen Raum entwickelt und verkauft. Das Produkt konnte sich durchsetzen.“ Gemeint sind die Kathi-Mischungen. Dass die Marke im Westen eher unbekannt ist, macht Kathi im Osten wieder wett. Der Marktanteil ist dort zuletzt auf knapp 51 Prozent gestiegen. Nur wenige ehemalige Ostmarken sind heute so beliebt.

Wilde Zeiten für Kathi

Dass dies so kam, ist keineswegs selbstverständlich. Gerade mal ein Jahr alt war der heutige Kathi-Chef Marco Thiele, als das Firmenvermächtnis seiner Großeltern dem Sozialismus zum Opfer fiel. 1972 wurden sie vollständig enteignet. „Meine Großmutter hat immer zu mir gesagt: Nicht wahr, mein Junge, du fängst doch mal wieder an in der Firma“, erzählt Marco Thiele, wie seine Großeltern bis zuletzt an ihrer Überzeugung festhielten, dass das Unternehmen eines Tages wieder in Familienhand käme. „Ja, ja, Oma“, habe er dann geantwortet und nicht geahnt, dass er es tatsächlich einmal in dritter Generation führen würde. 

Vergangenes Jahr feierte Thiele mit seinen 90 „Kathianern“ das 70. Firmenjubiläum – mit Umsatzzuwächsen auf Rekordniveau. Konkrete Zahlen lässt sich Thiele nicht entlocken, aber die Corona-Pandemie bescherte der gesamten Backbranche einen Boom. „Wir profitieren vom Trend regional und nachhaltig, obwohl wir das schon lange so machen“, beschreibt der Firmenchef einen wesentlichen Faktor, weshalb Kathi bei Backmischungen landesweit die Nummer zwei hinter Dr. Oetker ist. 

Auf die Feierlaune folgte der Krieg in der Ukraine und eine „Entwicklung, wie wir sie in den letzten 30 Jahren seit unserer Reprivatisierung nicht erlebt haben“, sagt Thiele: „Die Preissteigerungen sind dramatisch. Das fängt bei der Energie an, reicht über die Verpackungsmaterialien bis hin zu unserem Hauptrohstoff Getreide. Der Weltmarktpreis für Mehl ist explodiert.“ Kathi bezieht 90 Prozent seiner Rohstoffe aus den östlichen Bundesländern, verwendet ausschließlich Mehl von Vertragslandwirten aus der Region. Zu Lieferengpässen komme es deshalb nur wegen der „exorbitant gestiegenen Nachfrage“ in den Supermärkten. Eine schwierige Situation im ohnehin hart umkämpften Lebensmittehandel, wo der Preisdruck seit Jahren hoch ist. Schon früher hatte Kathi Produkte aus dem Sortiment genommen, wenn das Preis-Leistung-Verhältnis nicht wirtschaftlich war: „Bevor wir an der Qualität sparen, verzichten wir lieber ganz auf ein Produkt.“ 

Der steinige Weg zurück in die Marktwirtschaft

Marco Thiele beschreibt sich selbst als positiven Menschen. Auch sein Vater und seine Großeltern hätten immer nach vorne geschaut. Obwohl sie zusehen mussten, wie ihr hart erarbeiteter Erfolg samt innovativen Ideen Schritt für Schritt vom DDR-Regime einkassiert wurden. Erst mussten sie entschädigungslos die Produktion von Tütensuppen und Klößen abgeben, dann den gesamten Betrieb. Sohn Rainer blieb als angestellter Direktor, weigerte sich aber, in die SED einzutreten, und wurde zum Reservedienst der Volksarmee abkommandiert. 1976 verließ auch er die Firma. Doch die Thieles wollten ihr Lebenswerk nicht aufgeben und bezahlten die Patentgebühren trotz Enteignung weiter. Die Marke Kathi blieb deshalb auf den Packungen – bis zur Wende. Dann holte Rainer Thiele das Unternehmen wieder in die Familie und baute es mit seinem Sohn neu auf.

Der Weg zurück in die freie Marktwirtschaft war steinig. Mit Selbstgebackenem klapperten sie Handelsketten und Messen ab. „Anfangs konnten wir nur überleben, weil wir Waren für eine Westfirma verpackten“, erinnert sich Marco Thiele. Doch der Erfolg kam zurück, dank weitsichtiger Investitionen, einer guten Vermarktung und ständig neuer Produktideen. „Nicht die Großen fressen die Kleinen, sondern die Schnellen die Langsamen“, ist der Familienunternehmer überzeugt. 

 

Dieser Text stammt aus der Mai-Ausgabe des Cicero, die Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

 

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