Bundesweite Maskenpflicht - Die plötzliche Bevormundung

Nach Wochen des Lavierens bei der Maskenpflicht ist die politische 180-Grad-Wende vollzogen. Noch immer will die Regierung den Eindruck vermeiden, sie könnte hier einen Fehler begangen haben. Doch die Bundeskanzlerin und ihr Gesundheitsminister kommen in Erklärungsnot.

Bringt nix war gestern: Jens Spahn mit Nasenmundschutz / dpa
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Bastian Brauns leitete das Wirtschaftsressort „Kapital“ bei Cicero von 2017 bis 2021. Zuvor war er Wirtschaftsredakteur bei Zeit Online und bei der Stiftung Warentest. Seine journalistische Ausbildung absolvierte er an der Henri-Nannen-Schule.

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Jetzt ist sie also da, die bundesweite Maskenpflicht. Als letztes verbliebenes Bundesland hat ihre Einführung heute der Stadtstaat Bremen angekündigt. Wobei diese Pflicht, wie etwa in Berlin, nicht generell gilt, sondern zum Beispiel nur für das Fahren in Bussen und Bahnen. Man muss nicht verstehen, warum der Besuch in Supermärkten, Drogerien oder Baumärkten weiterhin auch ohne Maskentragen erlaubt ist. Man würde aber gerne verstehen, woher dieser plötzliche politische Sinneswandel zu dieser neuen „Bevormundung“ kommt. Seit Wochen und Monaten war zu beobachten wie die Bürger anderer Staaten, ob sie nun Südkorea, Österreich oder Tschechien heißen, zum Maskentragen animiert worden sind.

Und die deutsche Regierung? Über Wochen und Monate hatten der Gesundheitsminister Jens Spahn, der RKI-Chef Lothar Wieler, der Generalbundesvirologe Christian Drosten und selbst die Bundeskanzlerin den Nutzen von Masken heruntergespielt, um zugleich zu sagen, sie seien nur wichtig und richtig für das Krankenhauspersonal. Dabei hatte niemand bestritten, dass die sensiblen Bereiche am besten ausgestattet sein müssen. Im Gegenteil, in jedem Pandemieplan war nachzulesen, dass es hierfür ausreichenden Vorrat geben muss. Es gab ihn aber schlicht nicht. Ein eindeutiges und belegbares Versäumnis der Verantwortlichen. Es sei jetzt nicht die Zeit von Schuldzuweisungen, sagten da viele. Klar, die Regierung brauchte offensichtlich die Unterstützung der Opposition, der Medien und der Bevölkerung. Aber darum geht es nicht. Es geht jetzt wieder um eine alte Normalität: Es geht darum, zu sagen, was ist. Und das tat die Regierung nicht.

Sie bemühte stattdessen samt ihrer Experten immer und immer wieder folgende Argumente:

1. Masken schützen nicht

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So vehement wie Jens Spahn inzwischen eine Differenzierung zwischen sogenannten Alltagsmasken (Volksmasken) und FFP2-/FFP3-Masken einfordert, so beharrlich wurde eben diese Unterscheidung wochenlang von Seiten der Regierung ignoriert. Vollkommen verkürzt und vereinfacht wurde immer und immer wieder unters Volk gebracht, Masken würden gar nicht schützen. Korrekt, die einfachen OP-Masken oder selbstgenähte Dinger aus Stoff oder Staubsaugerbeuteln schützen nicht den Träger vor dem Virus, wohl aber die anderen. Wenn also jeder eine solche Maske trägt ist jeder zumindest besser geschützt. Normale Masken würden hingegen nur gegen den häufigen „Griff an Mund und Nase - also die Schmierinfektion“ helfen, sagte etwa der Virologe Christian Drosten. Der Vorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Andreas Gassen, sagte, ein Mundschutz sei „reine Symbolpolitik“ und „hilft aber so gut wie gar nicht“. Und Ende Januar sagte Gesundheitsminister Jens Spahn gar zu Bild: „Ein Mundschutz ist nicht notwendig, weil der Virus gar nicht über den Atem übertragbar ist.“

2. Masken sind „Virenschleudern“

Es war die Bundeskanzlerin selbst, die öffentlich davon sprach, dass Masken bei unsachgemäßem Gebrauch das Gegenteil dessen erreichen, was gewünscht ist. Sie warnte vor ihnen gar als „Virenschleudern“. Korrekt, wer sie nicht wäscht, wegwirft oder sie nach dem Tragen berührt und sich anschließend ins Gesicht fasst, riskiert vermehrt, in Kontakt mit Viren zu kommen. Aber was, wenn die Bevölkerung tatsächlich in der Lage ist, diese Masken sachgemäß zu gebrauchen?

3. Falsches Sicherheitsgefühl

Es war wohl das Lieblingsargument der Regierung gegen die Masken: Wenn alle Masken tragen würden, würde das ein falsches Sicherheitsgefühl vermitteln. In der Folge würden die Menschen dann das sogenannte „social distancing“ nicht mehr befolgen und das große Ziel von „flatten the curve“ wäre in Gefahr. Woher diese Annahme kam, weiß keiner. Denn genauso gut könnte man argumentieren, die Masken würden im Gegenteil zu mehr Vorsicht im Umgang miteinander führen, weil sie ein Signal sind: Komm mir nicht zu nahe, ich bin vielleicht krank.

4. Nur Kranke sollten Masken tragen

Politiker und ausgerechnet der Apothekenverband ABDA ließen verlauten: „Atemmasken für Gesunde sind unnötig.“ Bei diesem Argument liegt der logische Fehler ganz besonders offen. Denn nur, wer weiß, dass er oder sie krank ist, kann entscheiden, ob er oder sie eine Maske trägt. Da viele Verläufe aber vollkommen symptomfrei sind und da es niemals genügend Tests gab, um auch jene mit Symptomen zu testen, konnten und können viele Menschen nach wie vor nicht wissen, ob sie ansteckend sind oder nicht. Folglich sollten alle Masken tragen, bis auf jene vielleicht, die gesundet sind und Antikörper haben. Aber auch hierfür gibt es noch keine ausreichenden Tests.

5. Es gibt noch keine Evidenz

Fehlende Evidenz war wohl das Lieblingsargument der Wissenschaftler. Es gebe noch keine Studien, die belegen würden, dass die Alltagsmasken eine Übertragung von Coronaviren verringern. Logisch, denn das Virus ist neu. Und es ist auch logisch, dass Wissenschaftler derart argumentieren, Evidenz gehört zum Grundethos von Wissenschaft. Genauso wenig gibt es aber Studien, die evident belegen, dass das Schließen von Schulen oder Spielplätzen konkret dieses neue Coronavirus an seiner Ausbreitung behindert. Oder das Händewaschen. Und trotzdem wurde es empfohlen. Aber es gibt eben einen Unterschied zwischen Evidenz und Wahrscheinlichkeit. Seit Jahrzehnten tragen etwa Zahnärzte und Mediziner im OP den sogenannten einfachen Mundschutz. Warum? Weil es die Wahrscheinlichkeit der Übertragung von Bakterien und Viren erwiesenermaßen verringert – und zwar deutlich.

6. Gegen unsere Kultur

Das wahrscheinlich unsinnigste Argument tauchte immer mal wieder auf. Aber eher nebenbei. Verhüllung, das passe nicht zu Deutschland. Das passe nicht zur Demokratie. Das klang dann fast schon nach einer herbeigeredeten Anti-Niqab-Debatte. Die Einschränkungen elementarer demokratischer Freiheiten wie Demonstrationsrecht, Berufsausübung und vieles mehr waren im Grunde keine wirkliche Debatte wert.

„Wir werden viel verzeihen müssen“

Und jetzt die große Frage: Was hat sich an diesen Argumenten geändert? Ganz einfach: nichts. Und trotzdem gibt es nun die Maskenpflicht. Die Läden machen plötzlich wieder auf, obwohl der sogenannte Reproduktionsfaktor bereits Mitte März unter 1 gefallen war und auch da alles zu blieb. Es gibt nach wie vor keinen Impfstoff, wir sollen mit dem Virus leben lernen – jetzt mit Maske. Warum dann überhaupt der Lockdown? Nur, um den Ernst der Lage zu illustrieren? Nicht ohne Grund warnte die Bundeskanzlerin nun vor „Öffnungsdiskussionsorgien“ – wie soll man argumentieren, dass jetzt plötzlich wieder vieles geht mit Maske, wenn Masken bisher Teufelszeug waren.

In fast schon vorauseilendem Gehorsam vor anrollender Schelte dieser absurden Kehrtwende in der Maskendiskussion wirkte der Gesundheitsminister heute fast flehentlich. Gleich zweimal, in einem Pressestatement und in der Befragung im Bundestag, sagte er, ohne dass ihn jemand zur Maskenwende wirklich gegrillt hätte: „Ich glaube, wir werden in der politischen Debatte und auch in der medialen Debatte nach dieser Corona-Lage alle miteinander viel verzeihen müssen.“ Denn noch nie habe es in Deutschland eine solche Situation gegeben. Damit hat Jens Spahn Recht. Und er hat auch Recht, dass Fehler passieren dürfen. Aber man muss Fehler auch eingestehen. Das hat er aber nicht getan.

Nicht mehr ernstzunehmen

Bleibt die Frage zu beantworten, weshalb die Regierung den Nutzen von Masken derart herunterspielte. Es ist nachvollziehbar, dass die Verantwortlichen Angst hatten vor sogenannter hochpotenter Nachfragen, sprich Hamsterkäufen wie bei Klopapier, Mehl und Desinfektionsmitteln. Es ist nachvollziehbar, dass man Angst hatte, die Leute würden das Virus mit Maske nicht ernst genug nehmen. Und ja, es ist auch nachvollziehbar, dass Armut sichtbar hätte werden können. Weil es sich Menschen hätten leisten können, teurere FFP3-Masken zu kaufen, während eine ärmere Familie mit vier Kindern nur Selbstgenähtes hätte tragen können. Doch die Bestände im Internet und in den Baumärkten waren ja längst ausverkauft und vollkommen überteuert.

Bis heute will Spahn laut eigenem Bekunden „nicht in den Markt eingreifen“. Warum denn eigentlich nicht? Trigema verkauft das genähte 10er-Pack inzwischen für 120 Euro. Geliefert wird aber erst im Mai. Wenn dieses Produkt so wichtig ist, warum, fragt man sich, hat Spahn es dann nicht getan und eingegriffen und zur Not dort beschlagnahmt, als es noch ging.

Es ist nicht nachvollziehbar, dass sich die Regierung außerstande sah, schon vor Wochen das zu tun, was sie jetzt macht: Sie differenziert und appelliert, dass die Menschen den sogenannten einfachen Nasen-Mundschutz tragen sollen. Ob denn nun plötzlich keine Konkurrenz für die Krankenhäuser entsteht? Spahn antwortet darauf plötzlich ganz locker: Seine ganz persönliche Sicht sei, dass es ein wachsendes und ausreichendes Angebot gebe. Wenn er unterwegs sei in den sozialen Medien oder auch ganz analog auf den Straßen Berlins, dann gewinne er diesen Eindruck. Eigentlich müsste man nicht dem Gesundheitsminister verzeihen, sondern ihn darum bitten zu verzeihen, dass man ihn nicht mehr ganz ernst nehmen kann.

Danke, Jena!

Mehr Mut! möchte man ihm und der Regierung zurufen. Traut euch und traut eurer Bevölkerung doch endlich mehr zu! Schluss mit Bevormundung! Animiert die Leute zur Selbsthilfe. Schon vor Wochen hätte der Gesundheitsminister, dessen Kampagne #Wirbleibenzuhause ja gar nicht mal so schlecht lief, eine Kampagne mit dem Namen #howtomask starten können. Spahn zeigt, wie man Masken näht, Merkel zeigt, wie man sie desinfiziert im Kochtopf. Was auch immer. Diese Art von Volksnähe, die Vertrauen schafft, hat Politik nur leider verlernt. Sie verzagt und orientiert sich ausschließlich an Elfenbeintürmen. Das ist kein Verächtlichmachen von Wissenschaft.

Aber die Frage nach der Sinnhaftigkeit von Masken werden ein Prof. Lothar Wieler und ein Prof. Christian Drosten nie zu hundert Prozent beantworten wollen, weil sie es schlicht nicht können. Darum ist nicht nur die Maskenfrage eine, die politisch beantwortet werden muss. Wieder einmal haben die Länder nun gehandelt und Druck gemacht. Begonnen hatte damit eine kleine Stadt namens Jena – und sie verzeichnet inzwischen echte Erfolge. Danke, Jena!

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