Kompromiss beim Verbrennungsmotor - „Ein Verbot wäre fatal für die deutsche Industrie“

Die Ampel-Koalition hat sich im Streit um ein mögliches Aus für Verbrennungsmotoren geeinigt. Demnach sollen Autos mit Verbrenner auch nach 2035 noch zugelassen werden, wenn sie klimafreundliche Kraftstoffe nutzen. Dr. Stefan Wolf, Vorstandsvorsitzender des Automobilzulieferers ElringKlinger, begrüßt den Kompromiss. Ein Verbot würde Deutschland ohne Not in einen Wettbewerbsnachteil treiben, sagt er.

Das EU-Parlament will den Verkauf von Neuwagen mit Verbrennungsmotor ab 2035 verbieten. Blick unter die Motorraum eines Verbrenners mit Sechszylinder Dieselmotor. / dpa
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Ulrich Thiele ist Politik-Redakteur bei Business Insider Deutschland. Auf Twitter ist er als @ul_thi zu finden. Threema-ID: 82PEBDW9

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Dr. Stefan Wolf ist Vorstandsvorsitzender der ElringKlinger AG, die als Automobilzulieferer tätigt ist. Seit 2020 ist er zudem Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall.

Herr Wolf, die Ampel-Koalition hat sich während der laufenden EU-Verhandlungen auf eine gemeinsame Position beim möglichen Aus von Verbrennungsmotoren in Europa geeinigt. Demnach sollen Autos mit Verbrenner auch nach 2035 noch zugelassen werden, wenn sie klimafreundliche synthetische Kraftstoffe, E-Fuels, nutzen. Was halten Sie davon?

Ich halte das für richtig. Ich habe mich sowohl mit dem Verband der Automobilindustrie (VDA) als auch mit Gesamtmetall dafür ausgesprochen. Unsere ganze Industrie hält es für sinnvoll, das Thema E-Fuels voranzubringen.

Dr. Stefan Wolf / dpa

Warum?

Wir haben im Moment rund 280 Millionen zugelassene Fahrzeuge (Pkw) in der Europäischen Union und 48 Millionen in Deutschland. Und die sind ja nicht schlagartig weg von der Straße ab 2035, sondern haben eine viel längere Laufzeit. Ein Neufahrzeug, das 2033 hergestellt wird, wird unter Umständen noch bis 2050 auf der Straße sein. Wenn wir es schaffen, Verbrennungsmotoren mit synthetischen Kraftstoffen zu betreiben, sodass sie praktisch CO2-frei sind, ist das allein schon deswegen sinnvoll, um diese Altbestände klimaneutral fahren lassen zu können. Andere große Nationen wie China und die USA hören übrigens auch nicht auf, Verbrennungsmotoren zu bauen. Mit einem Verbot würden wir Deutschland und Europa ohne Not in einen massiven Wettbewerbsnachteil bringen.

Laut der Wissenschaftssendung Quarks ist die Herstellung so energieaufwendig, dass mit E-Fuel betriebene Autos drei bis fünf Mal mehr Strom für die gleiche Wegstrecke verbrauchen als E-Autos. Deswegen sei die E-Fuel-Technologie für PKW sinnlos, aber für Flugzeuge und Schiffe eine Möglichkeit, um Klimaneutral zu werden.

Da sollten wir erst mal abwarten. Momentan wird unglaublich viel geforscht und entwickelt. Bis 2035 sind es noch 12 bis 13 Jahre. Wie bis dahin die technischen Gegebenheiten sein werden, ist aus meiner Sicht noch völlig offen. Deswegen ist es auch wichtig, Technologieoffenheit zu haben und sich nicht einfach auf eine Technologie, nämlich die Batterie-betriebenen elektrischen Fahrzeuge, festzulegen. Sondern zu sagen: Das Ziel ist CO2-Neutralität bis 2035, aber der Weg dahin, mit welchen Aggregaten wir dahinkommen, bleibt offen. Deswegen finde ich den Kompromiss der Ampel gut.

Der Chef der Deutschen Umwelthilfe, Jürgen Resch, fordert sogar ein Verbrenner-Aus ab 2030. „Die eskalierende Klimakrise lässt uns nicht die Zeit, noch weitere 13 Jahre Millionen neuer Verbrenner-Autos auf Europas Straßen zu spülen, die dann wiederum 15 Jahre oder noch länger auf klimaschädlichen Sprit angewiesen sind.“ Was entgegnen Sie ihm?

Aus meiner Sicht ist es nicht zu schaffen, bis dahin eine hinreichende Ladeinfrastruktur zu bekommen, wenn wir das Tempo nicht immens erhöhen. Das würde dazu führen, dass wir massiv Arbeitsplätze verlieren. Die Fahrzeugindustrie ist die größte Industrie in Deutschland, an der, auch indirekt, unzählige Arbeitsplätze hängen. Insofern wäre das fatal. Das gilt auch für das 2035-Ziel – wir müssen zusehen, dass möglichst viele Menschen in der Industrie ihren Arbeitsplatz behalten. Abgesehen davon wird ja, wie gesagt, daran gearbeitet, Verbrenner-Autos klimaneutral zu gestalten.

Die großen Hersteller haben nicht unbedingt große Bedenken geäußert bezüglich eines möglichen Aus von Verbrennungsmotoren. Mercedes-Benz plant ohnehin, ab 2030 nur noch reine Elektroautos zu verkaufen. Audi will ab 2028 keine neuen Verbrennermodelle mehr auf den Markt bringen. Volkswagen will zwischen 2033 und 2035 die letzten Benzin- und Dieselfahrzeuge in Europa verkaufen. Ist der Verbrennungsmotor angesichts dessen 2035 überhaupt noch so wichtig?

Die Ziele sind ambitioniert, aber nochmal: Laut einer aktuellen Studie der Unternehmensberatung PwC wird Deutschland das Ziel von 15 Millionen zugelassenen Elektroautos bis 2030 deutlich verfehlen und nur 10,5 Millionen E-Fahrzeuge auf die Straße bringen. Selbst für diese 10,5 Millionen wären mindestens 340.000 öffentliche Schnellladepunkte nötig. Beim derzeitigen Tempo werden allerdings nur 210.000 erreicht. Wir vergessen oftmals, dass das Thema Elektrofahrzeuge sehr stark von der Infrastruktur abhängt. Unter Berücksichtigung der Frage der Ladeinfrastruktur und der Verbraucherakzeptanz, bin ich deshalb aktuell noch etwas verhalten was die Pläne der Hersteller angeht.

Was glauben Sie, wie in Zukunft das Verhältnis von E-Fuel- zu Elektro-Autos auf dem Markt sein wird?

Das hängt ebenfalls davon ab, wie weit die Ladeinfrastruktur bis dahin ausgebaut und wie groß die Verbraucherakzeptanz sein wird. Es wird Länder geben, die gut dastehen, wie zum Beispiel Deutschland oder auch die nördlichen EU-Länder. Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir in Portugal, Spanien, Italien und Griechenland bis 2035 eine hinreichende Ladeinfrastruktur haben. Und das ist ja Voraussetzung dafür, dass die Leute E-Autos kaufen. Außerdem muss man schauen, wie sich die Preise entwickeln. Im Moment sind Elektrofahrzeuge sehr teuer, deswegen ist der Verbrennungsmotor eine gute Alternative. Insofern wird es regional unterschiedlich sein. Die Verbraucherakzeptanz wird auch ein entscheidender Faktor sein. Wenn die 2035 nicht deutlich stärker ist als heute, werden mehr Leute Autos mit Verbrennungsmotor kaufen – aber dann eben mit E-Fuel betrieben.

Wie unterstützt ElringKlinger als Zulieferer die Transformation der Industrie?

Wir haben uns schon vor über 20 Jahren für die Transformation aufgestellt, als wir in die Entwicklung von Bipolarplatten für Brennstoffzellen-Stacks eingestiegen sind. Vor mehr als 10 Jahren sind wir in die Batterietechnologie eingestiegen und haben ganze Batteriemodule entwickelt. Wir haben bereits Kunden, die bei uns Batteriemodule und -komponenten sowie Brennstoffzellen-Stacks beziehen. Einen Teil unseres Geschäfts machen wir also schon mit neuen Technologien.

Wie viel Prozent Ihres Umsatzes hängt momentan vom Verbrenner ab?

Etwa 80 Prozent. Die Zahl wird in den nächsten fünf Jahren aber deutlich sinken.

Wie wird der Anteil voraussichtlich 2030 oder 2035 sein?

Wir haben das Ziel, dass 2030 rund 50 Prozent unseres Umsatzes nicht mehr von Verbrennungsmotoren abhängen soll. Wir wachsen zum Beispiel mit antriebsunabhängigen Komponenten, wie unserem Cockpitquerträger stark. Diese können sowohl in Verbrennerfahrzeugen als auch E-Auto verbaut werden.

Nicht alle sind auf dem Feld so weit. Laut einer Umfrage des VDA sagten 2020 noch 41 Prozent der befragten Zulieferer, dass sie nicht an der Entwicklung zur Elektromobilität teilnehmen. Was bedeutet die Wende für die Zuliefererindustrie?

Es ist ein Riesenumbruch. Wir sind mit ElringKlinger tatsächlich recht weit und der Weg dahin war nicht immer einfach, kann ich Ihnen sagen, weil die Transformation bislang viel gekostet hat. Man investiert ja Millionen in Entwicklungskosten, verdient aber erst viele Jahre später Geld damit. Jetzt geht es so langsam damit los, dass wir auch daran verdienen. Aber es war damals der richtige Weg. Nicht alle wollten diesen Weg gehen, deswegen wird es einige Zulieferer geben, die nicht überleben können, weil der Zug in Richtung Transformation schnell fährt. Ich sehe eine Konsolidierung der Branche bis 2035.

Die Verbrennungstechnologie ist ein Aushängeschild der deutschen Industrie. Verliert Deutschland seine Pole Position durch den Wandel?

Zum Teil hat Deutschland auch in der Transformation eine Vorreiterrolle. Unsere ElringKlinger-Brennstoffzellenstacks gehören weltweit zu den leistungsfähigsten Stacks. Deswegen hat sich Airbus 2020 mit uns in einem Joint Venture zusammengetan, um Brennstoffzellen-Stacks für die Anwendung in Flugzeugen zu entwickeln. Wir entwickeln den ersten Brennstoffzellen-Stack für ein Passagierflugzeug, das Mittelstrecke fliegt, also bis zu 2000 Kilometer. Es gibt schon einige deutsche Unternehmen, die gut dabei sind, auch in der Batterietechnik. Aber es ist klar, dass wir noch viel hineinstecken müssen, um uns zu behaupten und vielleicht auch die Pole Position in manchen Bereichen zurückzuholen.

Durch den Krieg in der Ukraine erfährt Deutschland gerade, wie fatal seine Gasabhängigkeit von Russland ist. Elring Klinger kauft die Zellen für seine Batteriemodule in Asien, darunter in China. Sehen Sie die Gefahr, dass mit China, das wegen seiner Menschenrechtsbrüche in der Kritik steht, ein ähnlich geopolitischer Bruch wie der derzeitige mit Russland auf uns zukommen könnte?

Die Hersteller von Batteriezellen kommen schwerpunktmäßig aus Asien – China, Südkorea und Japan – , das stimmt. Dass da bestimmte Abhängigkeiten entstehen, ist klar. Die Lithiumbatterie schafft zudem erhebliche Abhängigkeiten von Südamerika, also Bolivien und Chile, wo die größten Vorkommen sind

Aber sehen Sie die Gefahr, dass zum Beispiel Spannungen oder gar ein Bruch mit China der Industrie Schaden könnten?

Die Abhängigkeit von China ist in jedem Bereich so stark und so immens, dass wir es uns gar nicht leisten können, die Handelsbeziehungen deutlich einzuschränken oder gar abzubrechen. China ist auch als Absatzmarkt für die Hersteller ein ganz wichtiger Markt der größte Fahrzeugmarkt der Welt. Dass wir uns von China lossagen, ist nicht denkbar.

Das heißt, China hat uns in der Hand.

China ist für uns ein sehr wichtiger Handelspartner. Wir haben dort unsere Werke. Wir haben dort einen Markt. Wir kaufen dort sehr viele Vorprodukte. Entsprechend der Globalisierung sind Abhängigkeiten entstanden – beidseitig.

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