Kommunale Wärmeplanung - Ritt auf der Kanonenkugel

Mithilfe kommunaler Wärmepläne will die Ampel ihre Heizungswende durchsetzen, ohne, dass die zuständigen Minister sich die Hände schmutzig machen müssten. Dabei ist der Ton in den Kommunen heute schon ruppig. Nun droht die Eskalation.

Nahende Wolken vor der Gemeinde Radolfszell / dpa
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Autoreninfo

Hans Martin Esser ist Diplom-Ökonom und Publizist. Im März 2023 erscheint sein Buch „Polemik. Ein philosophischer Beipackzettel“.

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Warum erlebt die AfD einen beispiellosen Aufstieg? Dies liegt nicht an der Zunahme der Asylbewerberzahlen im Jahr 2022, seit Beginn des Ukrainekrieges, den Russland begann, und ebenso wenig an der Inflation. Selbst die Coronapandemie, als der Staat die Samthandschuhe beiseitegelegt hat, wie es der Philosoph Peter Sloterdijk in einem seiner vielen Essays blumig ausgedrückt hatte, konnte nicht zu einer signifikanten Unzufriedenheit der Bevölkerung führen. Auch nicht die von Horst Seehofer als Mutter aller Probleme bezeichnete Migration aus außereuropäischen Erdteilen hat zum ersten Anwachsen einer Rechtsaußenpartei in Deutschland seit 1949 auf das Niveau einer Volkspartei geführt.

Es war das Heizungsgesetz im Jahr 2023, das erstmals spürbar den planhaften, absichtsvollen und auf lange Dauer angelegten Wohlstandsverlust aller Bürger markiert. Mit der kommunalen Wärmeplanung, die als nur scheinbare Abmilderung der Regeln, als Kompromiss kommuniziert wurde, wird es zu schlimmsten Feindseligkeiten und einem allgemeinen Politikerverdruss in allen deutschen Gemeinden kommen. Kommunalpolitiker wissen noch nicht, was man ihnen aufbürdet.

Ökonomisches Unvermögen

Um dies zu belegen, folgende Zahlen. Die AfD markiere hierbei das Ausmaß an Unzufriedenheit und Politikverdrossenheit im Lande: Höhenflüge der Rechtspartei sind nicht für die Jahre 2020 und 21 zu konstatieren. Dort behielt die Union mit beinahe an die 40 Prozent stabile Werte. Die AfD lag in der Zeit konstant zwischen 10 und 11 Prozent. Auch mit dem Ende von Corona, gleichzeitig Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine, änderte sich daran wenig. Bei den Landtagswahlen im Frühjahr 2022 hatte die AfD wenig zu gewinnen; blieb hinter den eigenen Erwartungen. Im September 2022, da eine Abkühlung des öffentlichen Interesses am Ukrainekrieg begann, rangierten die Grünen bei rund 23 Prozent, während die Rechtspopulisten noch bei 13 Prozent lagen.

Die seit den 70er Jahren höchste Inflation war seinerzeit das dominante Thema, getrieben besonders durch erhöhte Gaspreise, die an den Spotmärkten Mitte 2022 bei teilweise dem 20-fachen des Normalpreises lagen. Ein Mangelwinter drohte. Obwohl die Bundesregierung unter dem Diktum Zeitenwende auch aus moralischen Erwägungen heraus auf russisches Gas verzichten wollte, gab es noch im Herbst 22 eine Parlamentsmehrheit für die amtierende Ampelkoalition in Umfragen (Forschungsgruppe Wahlen, 30.09.2022: SPD 18%, Grüne 22%, FDP 7%). Die Bürger hatten die rationale Erwartung, dass die damalige Krise nur temporär war und behielten kühlen Kopf.

Die Grünen konnten sich in Umfragen bestätigt sehen, treibende Kraft mit Rückenwind zu sein. Trotz Habecks Talkshow-Patzer bei Sandra Maischerger, wo sein ökonomisches Unvermögen in schonungsloser Weise zutage trat (Stichwort: Insvolvenz), änderte sich bis Ende 2022 kaum etwas an den durch Umfragen genährten Ansprüchen des Klimaministers, der eigentliche Kanzler zu sein und es nach den Wahlen 2025 tatsächlich auch zu werden.

Mehrheitsverhältnisse drastisch gedreht

Seither haben sich, besonders ab März 2023, die Mehrheitsverhältnisse drastisch gedreht. Parteigründungen wie das Bündnis Sahra Wagenknecht (4% bei Forschungsgruppe Wahlen, 12.1.2024) sind inzwischen vollzogen oder im Falle der Werteunion möglich. Ferner werden die Freien Wähler als weitere Anti-Grüne-Partei seit der Erdinger Rede von Hubert Aiwanger im Sommer 23 wahrgenommen und sind ferner die vernehmbare Stimme der Bauernproteste, denen Minister Habeck mit einer Auslandsreise nach Saudi-Arabien ebenso auswich wie Außenministerin Baerbock ihrerseits.

Allein Cem Özdemir, der kaum mehr erwarten darf, nächster Ministerpräsident von Baden-Württemberg zu werden, muss als Sündenbock herhalten, wie auch im Rahmen der Bundestagswahl 2017, als die Grünen lediglich 8,9 Prozent auf sich vereinigen konnten und dies Özdemir anlasteten. Es war das monströse Heizungsgesetz, das die Bürger im Jahr 2023 zu einem radikalen Wechsel ihrer politischen Ansichten führte. Die Bauernproteste sind inzwischen ein mehrheitsfähiger Katalysator bei einem CO2-Preis von 45 Euro die Tonne. Die französische Gelbwestenbewegung entzündete sich übrigens auch schon bei einer CO2-Steuer von rund 40 Euro die Tonne.  

Keine einmalige Ausnahme

Seit Durchstechen der Heizungspläne im Frühjahr 2023 stieg die AfD von 15 Prozent (11.03.2023, INSA) auf bis zu 23 Prozent (14.10.2023, INSA) zum Beschluss als Gesetz – eindeutiger kann ein Zusammenhang kaum sein. Die Streichung von Steuerprivilegien bei Bauern, präzise 500 Jahre nach dem Bauernkrieg, war nur ein weiterer Schritt in einer langen Reihe von Wohlstandsbeschneidungen und Gängelungen, die seit Jahren in diesem Sektor, wie auch in der Immobilien-, Speditions- und Baubranche, im Einzelhandel, der chemischen und der autonahen Industrie sowie anderen vollzogen worden waren. 
 

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Arbeitnehmer, Konsumenten, Wohnungsbesitzer und Verkehrsteilnehmer wissen nun – aus rationalen Erwägungen heraus, dass es sich mit dem Heizungsgesetz nicht um eine einmalige Ausnahme wie im Fall der Inflation handelt, sondern um eine dauerhafte Wohlstandskrise in Form verschiedener Eingriffe. Die Aussichten sind trüb. Strukturell baut die Wirtschaft ab, Investments werden nicht mehr in die nahe Zukunft, sondern das ferne Ausland verlegt. Bauern können dies naturgemäß nicht tun, Bewohner von Immobilien genauso wenig. Es geht um die schiere Existenz vieler Menschen. 

CO2-Preise von 300 bis 400 Euro, die außerhalb Deutschlands kein Land mitvollzieht, werden als alternativlose Perspektive aufgerufen, auch aus dem Mund von Regierungsvertretern und ihren Sprechern. Dieser bereits eingetretene und sich perpetuierende Wohlstandsverlust hat dazu geführt, dass die Ampel nach den Wahlen nun mehr im Januar 2024 noch mit 27 Prozent rechnen kann (Forschungsgruppe Wahlen, 12.01.2024: SPD 13%, 14%, FDP aus dem Parlament mit 4%).

Rückhalt in der Bevölkerung für die Bauern

Mit der öffentlichen Diskussion über das Heizungsgesetz im Frühjahr 2023 begann der Abgang der Ampel und der spiegelbildliche Aufstieg der AfD. Es handelt sich hierbei nicht um eine Wählerlaune, sondern um das rationale Gespür des dauerhaften Wohlstandsverlusts, das sie zur entferntesten Oppositionspartei treibt. Die Agenda Klimaneutralität ist zu einem Wohlstandsvernichtungsprogramm geworden, das sogar in kurzer Frist die Wahlberechtigten auf die Zinne und weite Teile der Bevölkerung auf die Straße brachte. Im Gegensatz zur Letzten Generation, denen wenig bis kaum Solidarität außerhalb der veröffentlichten Meinung entgegenhallt, bestätigt die Demoskopie einen breiten Rückhalt in der Bevölkerung für die Bauern.

Im Frühjahr 2023 wurde mit dem monatelangen Streit um das Heizungsgesetz, das im Grunde ein Verbot von Gas- und Ölheizungen seit 1.1.2024 bedeutet, das Ausmaß der Wohlstandseinbußen ansatzweise auch für Laien begreifbar. Jeder muss wohnen. Die Elastizität der Nachfrage nach Wohnraum ist also starr. Gebaut wird auch deshalb kaum, weil Investoren infolge höchster Energieeffizienz-Standards sich keinen ausreichenden Return on Investment mehr versprechen, unabhängig vom Zinssatz. 

Nur scheinbar wurde das Heizungsgesetz entschärft. Im Grunde ist dies semantische Wählertäuschung. Im Rahmen des Koalitionsvertrages der Ampel vom November 2021 war die grüne Forderung, ab 1.1.2025 keine Heizung in Bestandsimmobilien mehr einbauen zu dürfen, die nicht mit mindestens 65 Prozent mit erneuerbaren Energien funktioniert, vereinbart worden. Obwohl es weder 2022 noch 2023 zu einem Gasmangelwinter gekommen war, wurde das Gesetz gar um ein Jahr vorgezogen. Alles weitere regeln – und das ist der gefährliche Kompromiss – kommunale Wärmepläne. 

Gefährliche, unübersehbare Konsequenzen

Damit wird dreierlei beabsichtigt. Erstens sollen die im Jahr 2023 ins Rutschen gekommenen Umfragewerte der Ampel bis Herbst 2025 wieder ins Lot kommen. Zweitens dürfen sich nun Kommunalpolitiker die Hände beschmutzen, und damit soll das Regime der Energiewende irreversibel installiert werden. Und drittens meint man, den Zorn der Bürger somit dezentralisiert zu haben, umgeleitet, weg von den Berliner Ministern auf die kommunalen Vertreter. Mit einem Bierchen am Stammtisch lassen sich aber Existenzvernichtungen nicht besänftigen. Es wird das Risiko gestreut, der Druck von der Ebene der regierenden Spitzenpolitiker in ihren Umfragetiefs genommen und nach unten umverteilt. Dies zeitigt aber gefährliche, unübersehbare Konsequenzen. 

Robert Habeck hat – flankiert von mehreren Personenschützern – den Zorn von Bauern erlebt, als er aus dem Urlaub kommend auf einer Fähre in der Nordsee festsaß. Nancy Faeser zog bereits hier eine Parallele zum 2019 erschossenen Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke. Mehr noch als Regierungspräsidenten stehen Stadträte mit dem für die Ampelparteien bequemen Delegieren von Verantwortung nach unten vor unruhigen Jahrzehnten. Bis 2026 müssen Großstädte, bis 2028 auch kleinere einen kommunalen Wärmeplan vorlegen, ohne dass hierfür finanzielle Mittel oder Ingenieur-Know-How vorhanden wäre, die physikalischen Unwägbarkeiten zu lösen. Es ist ein Ritt auf der Kanonenkugel wie bei Münchhausen.

Schon in den vergangenen Jahren ist der Ton in den Kommunen ruppiger geworden. Drohbriefe und beleidigende Emails erschweren den Amateuren der Parteibasis ihre Arbeit, zehren sie aus und vergiften das Klima in Kommunen. Die Wärmepläne werden das Problem eskalieren lassen. 

Energetisches Niveau der Immobilien

Die Stadt Leipzig hat für ihre knapp 600.000 Einwohner errechnet, was die Wärmewende kosten wird. Die Kosten, allein für den Netzumbau auf eine Infrastruktur mit erneuerbarer Energie, stellen dabei nur einen sehr kleinen Bestandteil dar. Bis 2038 will die Messestadt in Sachsen klimaneutraler Vorreiter sein. Rund fünf Milliarden Euro kostet das Vorhaben. Das wären also rund 15.000 Euro pro Wohnung allein für die Infrastruktur, wenn man von einer Haushaltsgröße von zwei Personen ausgeht, wie es in Deutschland üblich ist. Es sind dies allein schon Belastungen, die keinen Mehrwert abseits vom Erreichen von Klimazielen bieten. Wohnen kann man bisher auch.

Zusätzlich rechnet man in Leipzig mit Kosten von 7 bis 25 Milliarden Euro für die Ertüchtigung der Häuser, abhängig vom energetischen Niveau der Immobilien. Zu den oben genannten 15.000 Euro pro Wohnung gesellen sich dann bis zu 75.000 Euro weiterer Belastung pro Wohnung. Bei Einfamilienhäusern dürfte man bei dem doppelten Betrag landen. 

Häuser müssen in großem Umfang gedämmt werden. 74 Prozent der Bestandsimmobilien in Deutschland gehören den Energieeffizienzklassen D bis H an (Quelle: Statista für die Bestandsimmobilien in Deutschland 2021). Ohne Dämmung von Fassade, Dach und Kellerdecke sowie Einbau von Fußbodenheizung funktionieren hier weder Wärmepumpe noch klimaneutrale Fernwärmesysteme. 

Günstige Kräfte für die Bauwirtschaft

Wohlgemerkt haben es große Städte wie die sächsische Metropole aufgrund von betriebswirtschaftlichen Skaleneffekten leichter, Fernwärmenetze zu bauen. Gerade im Osten Deutschlands hat man dort Erfahrungen und durch die relative Nähe zu Tschechien und Polen eher die Möglichkeit, günstige Kräfte für die Bauwirtschaft zu rekrutieren. In Westdeutschland wird es entsprechend aber teurer. Für viele ostdeutsche Immobilienbewohner abseits der großen Städte, in denen Immobilien ohnehin kaum einen Wert haben, wäre die Umsetzung kommunaler Wärmepläne flächendeckend der Ruin. Das Gros der Immobilien sind die Renovierung nicht wert: ein wirtschaftlicher Totalschaden, auf den sich Banken nicht einlassen. 

Man mag sich gar nicht ausmalen, welches lebenslange Spießrutenlaufen Ratsmitgliedern blüht, wenn sich in ihrem sozialen Umfeld herumspricht, dass sie für die Entwertung der Immobilien ihres Ortes und massive Wohlstandsverluste mit vielen Pleiten und traurigen Schicksalen mitverantwortlich sind. Bisher waren die zeitweilige Belegung von Turnhallen im Jahr 2015 für Asylbewerber und der Bau einer Umgehungsstraße die äußersten Ursachen von Stress, denen sie zeitweilig in ihrem privaten Umfeld ausgesetzt waren.  

2023 mag als Wendejahr gelten

Bereits im Jahr 2019, als es noch nichts kostete, haben einige Kommunen den Klimanotstand ausgerufen und sich als Ziel die Klimaneutralität 2030 auf die Fahnen geschrieben. Aber selbst in Berlin ist der Volksentscheid, besonders in den Außenbezirken, abschlägig beschieden worden. 2023 mag somit als Wendejahr gelten. 

Hatte zuvor nach den goldenen 10er Jahren wirtschaftliche Prosperität den Realitätssinn für die Finanzierbarkeit getrübt und waren politische wie moralische Renditen mit dem Thema Klimanotstand eingefahren worden, hat das Vorhaben nun einen Preis, bei dem die Wohnungswende nur einen Teil der Kosten neben dem Verkehrssektor und dem industriellen Umbau repräsentiert. Die Ratsmitglieder und die für die kommunale Wärmeplanung zuständigen Kommunalpolitiker werden es mitbekommen. Es ist nun mehrheitlich ein Bewusstsein entstanden, dass die Ziele unbezahlbar sind.

Die Abwälzung der Wärmeplanung von der Bundespolitik auf die Kommunen ist ein unverantwortlicher Akt der Feigheit, einem unbezahlbaren Projekt, wenn Net-Zero denn in Deutschland gegen jede Ratio umgesetzt werden soll, ein fraktionsübergreifendes Alibi der Alternativlosigkeit zu verschaffen und der Versuch, es unumkehrbar zu machen, indem man die Verantwortung wegleitet, aber gerade dadurch arglose, nichts ahnende Kommunalpolitiker ins offene Messer laufen lässt.

 

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