Streit um EU-Energiepolitik - Robert Habecks Atomkraft-Kritik ist nur Theaterdonner

Deutschlands neuer Superminister für Wirtschaft und Klima wettert gegen Brüssel, weil die EU-Kommission Kernkraftwerke als Klimaschutz-Investitionen sieht. Doch Robert Habecks Protest wird wirkungslos verpuffen. In Europa ist der deutsche Anti-Atom-Kurs nicht mehrheitsfähig.

Gegen Kernkraft in Europa: Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck / dpa
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Daniel Gräber leitet das Ressort Kapital bei Cicero.

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Stürmische Zeiten kommen auf Robert Habeck zu. Im parteiinternen Machtkampf nach der aus Grünen-Sicht enttäuschenden Bundestagswahl hat er sich zwar gegen seine Doppelspitzenpartnerin Annalena Baerbock durchgesetzt und den Vizekanzler-Titel sowie das Supertransformationsministerium ergattert. Doch während die Völkerrechtlerin nun durch die Weltgeschichte jettet und sich allenfalls Kleingeistern gegenüber für die CO2-Bilanz ihrer Dienstreisen rechtfertigen muss, hat Habeck eine wesentlich vertracktere Aufgabe zu meistern. Als Minister für Wirtschaft und Klima muss er zeigen, wie sich die wohlklingenden Ideen vom klimaneutralen Umbau der Industrienation in die Tat umsetzen lassen. Und zwar so, dass daraus kein „Wohlstand für wenige“ wird. Der selbst gesetzte Anspruch ist enorm. Die Möglichkeiten des Scheiterns sind es auch.

Denn der Komplettumbau des Energiesystems, den Angela Merkel Deutschland verordnet aber nur halbherzig und ohne einen zu Ende gedachten Plan begonnen hat, muss durch die Ampelkoalition vollendet werden. Die Dimension dieses Vorhabens ist gewaltig. Glaubenssätze und Durchhalteparolen, von denen die Energiepolitik in Deutschland mehr geprägt ist als von physikalischen Tatsachen, helfen dabei nicht weiter.

Atomausstieg mitten in einer Energiekrise 

Der Realitätsschock wird kommen. Genau genommen ist er schon da. Denn noch während Habecks Grüne mit SPD und FDP um die Details des Koalitionsvertrags, um Klimaziele und Kohleausstieg gerungen haben, bahnte sich eine weltweite Energiekrise an. Ein schwaches Windjahr und geringere Erdgaslieferungen aus Russland verschärfen die Lage in Europa. Einige EU-Staaten sehen den Ausweg in einer Renaissance der Atomenergie. Da in Kernkraftwerken kaum CO2 entsteht, gilt die in Deutschland verteufelte Technologie andernorts als wichtiger Beitrag zum Klimaschutz. Zumal sie, anders als Wind und Sonne, zuverlässig rund um die Uhr und zu allen Jahreszeiten Strom liefern.

Einer von Frankreich und Polen angeführten Pro-Atom-Allianz ist es mit diesen Argumenten gelungen, die Europäische Kommission zu überzeugen. Gegen Widerstand aus Deutschland und Österreich setzte sich die Überzeugung durch, dass neue Kernkraftwerke dabei helfen können, den Klimawandel zu bremsen. Neben politischem Druck hat wohl der nüchterne Vergleich zwischen der deutschen und der französischen CO2-Bilanz beim Stromverbrauch gewirkt. Das Ergebnis ist eine Art Ökolabel für Nuklearprojekte. Mit der sogenannten EU-Taxonomie will Brüssel privates Kapital in klimaneutrale Bahnen lenken. Da viele Anleger inzwischen auf die Nachhaltigkeit ihres Investments achten, würde es schwieriger werden, Geld für den Neubau von Kernkraftwerken einzusammeln, wenn die EU dieser Technologie das Taxonomie-Label verweigert hätte.

Deutsche Unerbittlichkeit stößt auf Unverständnis

Offiziell verkündet hat die EU-Kommission ihre Pro-Atom-Entscheidung just einen Tag, nachdem Deutschland seinem Ziel des endgültigen Atomausstiegs einen großen Schritt näher gekommen ist. An Silvester schaltete die Bundesrepublik drei ihrer noch verbliebenen sechs Kernkraftwerke ab. Sie sollen nie wieder ans Netz gehen und abgerissen werden, obwohl sie voll funktionstüchtig sind. Im Ausland stößt die Unerbittlichkeit, mit der Deutschland seinen nach dem japanischen Reaktorunglück 2011 gefassten Ausstiegsplan durchzieht, zunehmend auf Unverständnis. Und in der deutschen Öffentlichkeit werden langsam aber deutlich immer mehr Stimmen laut, die fragen, ob es nicht wesentlich sinnvoller wäre, erst die Kohle- und dann die Kernkraftwerke stillzulegen statt umgekehrt.

Auch Klimaminister Robert Habeck wird diese Frage beantworten müssen. Angesichts der Gasknappheit bringen ihn neben dem Klimaschutzargument auch die Themen Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit in Erklärungsnot. Privathaushalte und Industrie leiden schon jetzt unter rasant steigenden Energiepreisen. Sie sind eine der Hauptursachen der aktuellen Inflationssprünge.

Doch statt allen Mut zusammenzunehmen und zumindest anzudeuten, dass die Grünen bereit wären, über eine Laufzeitverlängerung der deutschen Kernkraftwerke nachzudenken, stößt Habeck nur ins altbekannte „Atomkraft, nein danke“-Horn. Auf der Internetseite seines Ministeriums ließ er am Neujahrstag die Meldung veröffentlichen, dass „Bundeswirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck“ die „Aufnahme von Atomenergie in die Taxonomie der EU kritisiert“. Atomenergie als nachhaltig zu etikettieren, sei falsch. „Es verstellt den Blick auf die langfristigen Auswirkungen für Mensch und Umwelt; der hochradioaktive Atommüll wird uns über Jahrhunderte belasten. Und es mangelt auch an harten Sicherheitskriterien. Das ist mehr als bedenklich. Es ist ohnehin fraglich, ob dieses Greenwashing überhaupt auf dem Finanzmarkt Akzeptanz findet“, wird Habeck darin zitiert.

Kommissionschefin hat Kompromiss im Herbst angekündigt

Seine Worte klingen entschieden und kämpferisch. Doch das ist reiner Theaterdonner. Eine Show für die eigene Parteibasis, die noch von den Schützengräben in Wyhl und Wackersdorf träumt. Habeck will den Grünen (noch) nicht zumuten, sich einen Irrtum einzugestehen. Wahrscheinlich weiß er genau: Sein öffentlicher Protest gegen den Brüsseler Atomkurs wird wirkungslos verpuffen. Denn ausrichten kann die neue Bundesregierung kaum mehr etwas. Der Taxonomie-Deal wurde noch unter Merkel ausgehandelt und von ihrer Parteifreundin Ursula von der Leyen bereits im Oktober öffentlich gemacht.

Die EU-Kommissionspräsidentin sagte damals: „Wir brauchen mehr erneuerbare Energien. Sie sind billiger, kohlenstofffrei und selbst angebaut. Wir brauchen auch eine stabile Quelle, Kernenergie und während des Übergangs Gas. Aus diesem Grund werden wir unseren Taxonomievorschlag vorlegen.“

Diese knappen Worte beinhalteten bereits den deutsch-französischen Kompromiss, wie er nun am 1. Januar offiziell vorgelegt wurde: Paris bekommt das Ökolabel für seine Atomreaktoren, Berlin eines für seine Gaskraftwerke. Die stoßen zwar jede Menge CO2 aus, sollen aber dafür sorgen, dass in Deutschland nicht die Lichter ausgehen, wenn der Doppelausstieg aus Kernkraft und Kohlestrom vollendet ist. Gestoppt werden kann der Atom-und-Gas-Plan der EU-Kommission nur noch, wenn mindestens 20 Mitgliedstaaten, die mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung vertreten, dagegen sind. Das ist unwahrscheinlich und würde auch Deutschland schaden.

Investoren für deutsche Gaskraftwerke gesucht

Denn dass mit Wind und Sonne alleine eine stabile Stromversorgung aufzubauen ist, daran glauben selbst die Grünen nicht mehr. Damit die Energiewende nicht zum Desaster wird, will die Ampelkoalition deshalb etliche neue Erdgaskraftwerke in Deutschland bauen lassen. Sie sollen irgendwann einmal auf „grünen“ Wasserstoff umgestellt werden – ein brennbares Gas, das mithilfe von Ökostrom erzeugt wird. Technisch ist das vorstellbar, aber ob und wie es sich rechnet, ist noch vollkommen unklar. Das EU-Taxonomie-Label soll zumindest dabei helfen, Geldgeber anzulocken. Die halten sich allerdings, nach den Erfahrungen der vergangenen Jahre, mit Investitionen in deutsche Kraftwerke zurück.

Hören Sie zum Thema Energieversorgung auch den Cicero-Podcast mit Anna Veronika Wendland: „Bei der Energiestrategie ist Stimmungspolitik Gift“ 

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