Trotz AKW-Abschaltung - Habecks Ministerium hält Atomkraft für politisch noch nicht erledigt

Unsere Klage auf Einsicht in Robert Habecks Atomkraft-Akten wird bald vor Gericht verhandelt. Sein Ministerium beharrt weiterhin auf Geheimhaltung – und argumentiert dabei überraschend ehrlich.

Ist das Thema Kernkraft in Deutschland doch noch kein „totes Pferd“? In Robert Habecks Wirtschaftsministerium wachsen Zweifel / dpa
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Daniel Gräber leitet das Ressort Kapital bei Cicero.

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Das Durchboxen des deutschen Atomausstiegs, entgegen aller ökonomischen und ökologischen Vernunft, war für Robert Habeck ein Erfolg. Zumindest parteipolitisch. Denn für wesentliche Teile der Grünen ist der jahrzehntelange Anti-AKW-Kampf identitätsstiftend und die Abschaltung der letzten drei Kernkraftwerke im April 2023 ein historischer Triumph. Doch jenseits der Grünen-Kernwählerschaft, die aus technologiefeindlichen und wirtschaftsfernen Staatsbediensteten besteht, wird der von Habeck vollendete Ausstiegsbeschluss angesichts hoher Stromkosten und schlechter CO2-Bilanz als verhängnisvolle Fehlentscheidung gesehen.

Zwar macht gerade eine Meldung der grünennahen Lobbyorganisation „Agora Energiewende“ die Runde, wonach Deutschland im vergangenen Jahr so wenig CO2 ausgestoßen habe wie seit den 1950er Jahren nicht mehr. Dies geht aus einer Agora-Studie hervor, die diesen Donnerstag vorgestellt wurde. Laut einem Vorabbericht der Nachrichtenagentur dpa sehen die Autoren aber nicht nur Grund zum Jubeln. Denn die niedrigeren Emissionen sind zum einem großen Teil auf das Schwächeln der deutschen Industrie zurückzuführen. Insbesondere die Produktion der energieintensiven Industrie brach ein.

CO2 gespart, weil die Industrie einbricht

„Der krisenbedingte Produktionseinbruch schwächt den Industriestandort Deutschland. Wenn in der Folge Emissionen lediglich ins Ausland verlagert werden, ist auch für das Klima nichts gewonnen“, sagte der Deutschland-Direktor von Agora, Simon Müller.

Er bringt damit das Scheitern des von der Ampelkoalition vollmundig versprochenen grünen Wirtschaftswunders auf den Punkt. Robert Habeck, der als erster Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz angetreten ist, um die beiden Ziele Wohlstand und Weltrettung miteinander zu versöhnen, ist längst zur einer Bedrohung für den Industriestandort geworden. Seine sture Haltung und sein taktisches Agieren während der monatelangen Diskussion über die Zukunft der letzten drei bis sechs deutschen Atomkraftwerke, die 2022 und 2023 noch hätten gerettet werden können, haben das deutlich gemacht.

Braunkohle statt Atomstrom

Während andere Industrieländer zunehmend auf Nuklearenergie setzen, weil sie erkannt haben, dass CO2-Neutralität mit Wind- und Sonnenstrom allein nicht zu erreichen ist (zumindest dann nicht, wenn man den wirtschaftlichen Niedergang vermeiden will), hat Deutschland bereits stillgelegte Braunkohlekraftwerke reaktiviert. Und erst kürzlich hat die Bundesnetzagentur die geplante Abschaltung solcher Kraftwerke untersagt, aus Sorge um die Versorgungssicherheit. Braunkohle zu verbrennen, ist die dreckigste und gesundheitsgefährdendste Form der Stromerzeugung. Aber um den Atomausstieg durchzusetzen, nehmen Robert Habeck und seine Grünen offenbar das Scheitern des für 2030 geplanten Kohleausstiegs in Kauf und treiben gleichzeitig energieintensive Branchen wie die Chemieindustrie aus dem Land.    

Die jetzt zutage tretenden Probleme waren schon vor dem Ukraine-Krieg und der dadurch verschärften Energiekrise absehbar. Das Ausbleiben russischen Erdgases hat sie verstärkt und offensichtlich gemacht. Gleichzeitig öffnete sich dadurch ein Fenster der Gelegenheit, die ideologische Sackgasse der deutschen Energiepolitik zu verlassen. Plötzlich wurde über Kernkraft in Deutschland so offen diskutiert wie seit Jahren nicht mehr. Doch Robert Habeck hat diese Gelegenheit nicht genutzt.

Klage gegen Habeck: Gerichtsverhandlung im Januar

Cicero hat diese Debatte von Anfang an intensiv verfolgt. Mit einem Antrag auf Akteneinsicht, gestützt auf das Umweltinformationsgesetz, wollten wir herausfinden, wie und auf welcher Faktengrundlage ab Februar 2022 innerhalb der Bundesregierung über den Atomausstieg entschieden wurde. Die Idee dieses Gesetzes ist es, staatliches Handeln, das Auswirkungen auf die Umwelt hat, transparent zu machen und so Bürgern zu ermöglichen, sich an der Entscheidungsfindung zu beteiligen. Eigentlich ein ur-grünes Anliegen. Doch in unserem Fall hielt man in Habecks Wirtschaftsministerium nicht viel davon.


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Erst nachdem wir eine Klage am Verwaltungsgericht eingereicht hatten, erhielten wir Einblick in die ersten Unterlagen. Und die waren dürftig. So gut wie alles, was politisch brisant sein könnte, hält das Ministerium nach wie vor geheim. Das Verfahren zog sich in die Länge. Doch nun wird der Richter entscheiden, welche internen Vermerke, E-Mails und sonstigen Unterlagen zu Habecks Atomkraft-Entscheidungen wirklich geheimhaltungsbedürftig sind und welche das Ministerium offenlegen muss. Die nächste öffentliche Gerichtsverhandlung ist am Montag, 22. Januar, um 9.30 Uhr am Verwaltungsgericht Berlin (Aktenzeichen VG 2 K 302/22). Ob an diesem Tag ein Urteil fällt, ist offen.

Ministerium agiert wie Wahlkampfzentrale der Grünen

Interessant ist, wie Habecks Juristen gegenüber dem Gericht argumentieren. In ihrem jüngsten Schreiben betonen sie, dass die Debatte über Kernkraft in Deutschland trotz vollendetem Atomausstieg noch nicht beendet sei. Zwar seien die verbleibenden drei Kraftwerke zum 15. April 2023 abgeschaltet, schreibt das Wirtschaftsministerium. „Gleichwohl besteht das Thema der Rolle der Kernenergie in Deutschland politisch und medial fort.“ Verwiesen wird auf den bayerischen Koalitionsvertrag sowie auf Diskussionen auf europäischer und globaler Ebene.

Dann folgt die zentrale Aussage des Schreibens:

„Angesichts fortdauernder Diskussionen zu dem Thema besteht auch weiterhin der dringende Bedarf an einem geschützten Raum für Beratungen innerhalb der Bundesregierung, um sich zu diesem Thema in den verschiedenen Kontexten zu positionieren. Dies betrifft insbesondere strategisch-taktische und politische Bewertungen bzw. Positionierungen, etwa zu den Bereichen Nachhaltigkeit, Sicherheit und Wirtschaftlichkeit von Atomkraft. Die wegen § 8 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 UIG zurückzuhaltenden Dokumente (Ziff. P025, P026 in Anlage B 2) beinhalten entsprechende bewertende und taktisch-strategische Überlegungen. Eine Herausgabe würde die notwendige Vertraulichkeit zukünftiger Beratungen innerhalb der Bundesregierung im beschriebenen Kontext entsprechend beeinträchtigen.“

Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz widerspricht damit Bundeskanzler Olaf Scholz, der das Thema Kernkraft in Deutschland als „totes Pferd“ bezeichnet hat. Und auch sämtlichen Spitzenpolitikern der Grünen, die sich kaum mehr bemühen, vernünftige Argumente gegen AKW zu finden, sondern die Debatte für erledigt und beendet erklären. Wozu braucht Robert Habeck dann einen „geschützten Raum“, in dem er strategisch-taktische Überlegungen zur „Nachhaltigkeit, Sicherheit und Wirtschaftlichkeit von Atomkraft“ anstellen kann? Und wieso werden diese Themen, die eigentlich nach einer sachlich-nüchternen Betrachtung verlangen, überhaupt strategisch-taktisch behandelt? Sollte ein vom Steuerzahler finanziertes Fachministerium wie die Wahlkampfzentrale der Grünen agieren?

„Mir ist klar, dass die Laufzeitverlängerung total politisch ist“, schrieb ein Beamter des Referats III A 4, Strommarkt und Stromversorgungssicherheit, im Juli 2022 in einer internen E-Mail, nachdem er vorsichtige Zweifel an der Anti-Atom-Haltung der Ministeriumsspitze äußerte. Diese E-Mail musste das Ministerium im Rahmen des laufenden Gerichtsverfahrens bereits herausgeben. Wir sind gespannt, was in den anderen, bislang noch geheim gehaltenen Unterlagen steht.

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