Fußball, Geld und Macht - „Die Geldzahlungen laufen aus dem Ruder“

Dozent, Unternehmer, Autor, Operationsmanager Berlin im Rahmen der FIFA-Weltmeisterschaft und frisch gewähltes Aufsichtsratsmitglied von Hertha BSC: Klaus Brüggemann spricht im Cicero-Interview über das Fußball-Business, insbesondere Spielerberater, Transferströme, Fußball-Weltmeisterschaften, DFB und FIFA.

Klaus Brüggemann / privat
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Holger Schmieder arbeitet als Datenanalyst und Marketingmanager in Berlin.

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Seit 1995 ist Klaus Brüggemann, der gestern in den Aufsichtsrat von Hertha BSC wiedergewählt wurde, eng mit dem Verein und dem Fußball-Business verbunden. Sein neues Buch leitet er ein mit dem Satz: „Meine persönlichen Erfahrungen und Erlebnisse im Laufe von 25 Jahren im Fußballbusiness waren spannend, manchmal auch grenzwertig und bitter, aber in jedem Fall erlebnis- und lehrreich.“ Für ihn ist Fußball „ein weltweit verbindendes Element, Tröster, Ablenkung, zusammenführend, echte Liebe und noch vieles mehr“.

Herr Brüggemann, wenn Sie hier, in diesem Interview, mit einem ganz bestimmten Klischee zum Fußball-Business aufräumen könnten, welches wäre das? 

Verzeihen Sie den Ausdruck: Scheiß Fußball-Millionäre. Profifußballer wird man wie ein Astronaut nicht nur durch Talent und Glück. Letztendlich ist vielleicht ein halbes Promille aller ambitionierten Fußballer, die als Kinder und Jugendliche Fußball spielen, in der Lage, auf absolutem Topniveau Fußball zu spielen. Man braucht sehr, sehr viel Talent, man braucht aber auch eine unglaubliche Disziplin. Und das ist auch die Bruchstelle in den Akademien. Ein junger Fußballer, der in der Junioren-Bundesliga spielt und in der Nationalmannschaft ist, ist beispielsweise 80 bis 90 Tage im Jahr gar nicht in Berlin. Und wenn er in Berlin ist, hat sein Arbeitstag, mit Fahrtwegen, im Schnitt sechs Tage in der Woche zwischen zwölf und 13 Stunden. Und wer da nicht die nötige Disziplin hat und die mentale Stärke und die pädagogische Begleitung, sei es aus dem Elternhaus oder über einen Verein, schafft das nicht, und viele schaffen es nicht, obwohl sie ein Riesentalent haben.

Wenn man auf Google „Spielerberater“ eingibt, werden folgende Ergebnisse vorgeschlagen: Gehalt, Jugendspieler, Jobs, Agentur Berlin. Das zeigt, in welche Richtung es geht: Junge Menschen träumen vom großen Geld. Welcher Suchbegriff fehlt Ihnen hier? 

Gier. 

Gier ist etwas, das Sie sofort mit Spielerberatern verbinden? 

Natürlich trifft das nicht auf alle zu, aber es wird einfach exorbitant viel Geld in dieser Branche verdient. Im Grundsatz gib es drei Problematiken: Jeder, der ein polizeiliches Führungszeugnis vorlegen kann, kann in der Branche tätig werden. Zweitens hält sich kaum einer an die Fifa-Richtlinien, was ein Spielerberater verdienen sollte. Drittens: Die Honorare sind viel zu hoch. Wenn die 1. und 2. Bundeliga circa 200 Millionen Euro nur an Spielerberaterhonoraren zahlen, stimmt die Verhältnismäßigkeit nicht mehr. Die Crux bei der ganzen Geschichte: der Erfolg für den eigenen Verein. Der Sportdirektor oder der sportlich Verantwortliche ist konfrontiert mit der Erwartungshaltung von außen und auch vom Verein selbst, die bestmögliche Performance der Mannschaft abzuliefern. Man versucht, die besten Spieler zu bekommen, und wenn man dann als erfolgreicher Verein zumindest dann auch über den nötigen Cashflow verfügt, einen Spieler unbedingt haben will, wird man gegebenenfalls erpressbar. Und dann akzeptiert man oftmals Beraterhonorare, die mit der Leistung an sich gar nichts mehr zu tun haben. Es müsste eine feste Regulierung geben, dass jeder Spielerberater beispielsweise für die Vermittlung des Spielers einmalig zwei Monatsgehälter an Provision bekommt; klingt etwas naiv, ich weiß. 

Stefan Herbert, ein Berater, sagt, dass sich hierzulande Sportverbände und Berater immer spinnefeind seien. In den großen Ligen der USA beispielsweise hätten die Funktionäre zu den Agenten ein ganz anderes Verhältnis, dort herrsche ein respektvoller Umgangston, und man kooperiert gelegentlich miteinander.

Das ist grundsätzlich richtig. Aber gerade im Fußball in den USA gibt es den Salary Cap. So kann man sich relativ schnell ausrechnen: Was sind Ansprüche von Spieler und Berater? Die Problematik, die ich aus Deutschland kenne: Man hat als neuer Berater große Schwierigkeiten, überhaupt an die sportlichen Verantwortlichen ranzukommen, weil jeder Sportdirektor am liebsten mit den Beratern aus seinem persönlichen Umfeld, mit den Beratern seines Vertrauens zusammenarbeitet. 

Kann man in Deutschlands Beraterbranche von einem grundsätzlich gestörten und vielleicht auch falsch ausgerichtetes Anreizsystem sprechen, da ja möglicherweise Trainer und Sportdirektoren bei der Verpflichtung von Spielern an Provisionen beteiligen beteiligt werden? Oder läuft das inzwischen subtiler ab? 

Grundsätzlich ist es natürlich nicht gestattet, dass Entscheidungsträger an sogenannten Kickbacks von irgendwelchen Beratern profitieren. 

Kickback-Zahlungen sind ein großes Thema bei Jugendspielern und deren Eltern. 

Man kennt das einfach aus der Praxis, auch wenn es früher zumindest in Deutschland noch schlimmer war, dass gerade bei Jugendspielern der Papa geködert wird mit Zahlungen. 

Oder mit einem neuen Job. 

Ja. Das passiert heute nach wie vor, denn gerade bei jungen Leuten ist es noch anspruchsvoller, dort saubere Wege zu gehen. Nur Reglementierungen helfen: Wenn ich heute ein Fachgeschäft aufmachen will, dann brauche ich zumindest einen Gesellenbrief oder meistens einen Meisterbrief; wenn ich heute im Wertpapierhandel tätig bin, werden hohe Anforderungen an die handelnden Personen gestellt. Noch vor einigen Jahren gab es eine Spielerberaterprüfung mit einer Durchfallquote von 82%. Das hatte was von Glücksspiel, und dass man das abgeschafft hat in der Form, war vielleicht der richtige Weg. Aber dass im Prinzip jeder Spielerberater werden kann, ist ungesund. 

Können Sie ausschließen, dass bei Hertha BSC Kickback-Zahlungen geleistet werden? 

Ich gehe mal stark davon aus, dass dieses nicht passiert. Die Nachwuchsarbeit bei Hertha ist exzellent. Es gibt einige Dutzend Bundesliga-Profis, die ursprünglich bei Hertha ausgebildet wurden.

Hätte der Profifußballer Klaus Brüggemann einen Berater gehabt, oder würden Sie es wie Joshua Kimmich machen und Verträge selber aushandeln? 

Aus der Sicht eines jungen Profifußballers hätte ich wahrscheinlich schon einen Berater, wenn es mir nicht gelungen wäre, mich so schnell wie Kimmich als Persönlichkeit zu entwickeln; desweiteren ist das Know-how eines guten Beraters sein Netzwerk, auch wenn heute schon viel mit KI gescoutet wird.

Sie schreiben: „Es wird Zeit, dass die Zahlungen an Berater und Vermittler endlich gedeckelt und transparenter werden. Das Milliardengeschäft Fußball verführt zur Gier. Die Nähe des Fußballs zur Macht ist verführerisch und die Grenzen zwischen den entscheidenden Personen, der Clubs, der Politik und der Wirtschaft fließend.“ Was wäre denn eine passende Maßnahme? Dass man jede Zahlung vom DFB durchwinken lässt oder einen Notar zwischenschaltet? 

Vom Grundsatz her ist das schon etwas verbessert worden in den letzten Jahren: Definitiv jede an einem Transfer beteiligte Person wird im Spieler-Vereins-Vertrag erfasst und muss dem DFB gemeldet werden. Wenn man jedoch die Gehälter von den Weltmeistern 1990 mit den heutigen vergleicht: 1990 haben die Top-Spieler 0,5 bis 4 Millionen Euro verdient, heute 10 bis 20 Millionen Euro, und dementsprechend sind auch die Beraterhonorare gewachsen; man müsste diese Entwicklung reglementieren, sodass letztendlich der sportliche Verantwortliche im Verein, der einen Spieler unbedingt haben will, nicht diesen Druck und Zwang hat, fast jede Forderung mitgehen zu müssen, um diesen Spieler zu bekommen. 

Würde beim Aufsetzen des entsprechenden Rahmens eine Frau an der Spitze des DFB helfen? 

Ich bin auch grundsätzlich sehr aufgeschlossen, aber ich bin gehöre nicht zu den Leuten, die grundsätzlich Quoten und Quotenpolitik unbedingt begrüßen. In erster Linie sollte man durch Qualität, durch Leistung, durch Ausbildung und auch durch Netzwerk eine Berufsposition bekommen. Im Idealfall hat so eine Führungskraft einen Bezug zum Sport. Aber ja, ich denke, eine qualifizierte Frau an der Spitze hätte dem DFB gutgetan. Und mit Aussitzen kommt man an der DFB-Spitze auch nicht weiter, sondern nur mit Wandel.

Angela Merkel wäre damit für sie keine Kandidatin?

Ich habe sie bei der WM 2006 aus nächster Nähe erlebt. Dort hat sie Nähe und Empathie gezeigt. 

Für den DFB eine sehr wichtige Einnahmequelle ist der DFB-Pokal, und diesen hat nun RB Leipzig gewonnen. Dieser Klub hat ein ganz eigenes Geschäftsmodell und eine Gesellschafterordnung, mit der er praktisch die 50+1-Regel umgeht, zumindest aber konterkariert. Wird mit dem Pokalgewinn dieser Grenzfall institutionalisiert?

Beide Vereine, SC Freiburg und RB Leipzig, haben klare Strukturen, eine klare Spielidee und eine klare Konzeption. Man muss sich einfach nur mal die 375 Millionen Euro von Lars Windhorst und Hertha BSC anschauen, da wurde leider einiges an Geld verbrannt, ohne nachhaltigen sportlichen Erfolg. Und das zeigt: Geld alleine reicht nicht aus. Leipzig hatte damals in der zweiten Liga Erste-Liga-Gehälter gezahlt. Nach dem Aufstieg in die erste Bundesliga lagen die Gehälter immer zwischen Platz fünf und Platz sieben. Das heißt, der Verein hat sich dann schnell selber getragen, ähnlich wie es Hoffenheim seit ein paar Jahren macht. Sie spielen aggressiven, schnellen Fußball, haben diesen Ansatz ganz klar verfolgt, und das gibt ihnen einfach aus meiner Sicht letztendlich auch die Legitimation, den ersten Pokal zu gewinnen und auch in der Liga zu existieren. Erfolg ist nur bedingt planbar, aber die Leipziger haben in den letzten Jahren ausschließlich Erfolg gehabt; man kann das Modell RB ablehnen, aber man muss Respekt haben vor dem nachhaltigen sportlichen Erfolg. Aber man muss aufpassen, dass man mit kreativen Konstrukten die 50+1 nicht verwässert, und den Wettbewerb einigermaßen fair halten. Ich denke, Fußball ist ein Geschäftsmodell, von dem wir alle von profitieren, nicht nur durch unser Glücksempfinden, wenn wir Fußballfans sind, sondern auch volkswirtschaftlich, durch die enormen Summen, Steueraufkommen und die großen Erträge, die dort erwirtschaftet werden. Fußballvereine in der Bundesliga sind Unternehmen, und ihnen muss zugestanden werden, dort ein Stück weit ihre eigene Politik zu verfolgen, aber Regeln müssen für alle gelten. 

Stichwort Fairness: Glauben Sie, dass Uli Hoeneß, wenn er ein fairer Manager gewesen wäre, den FC Bayern München dahin gebracht hätte, wo er heute ist? 

Ich denke schon. Was beim FC Bayern München immer ganz gut gestimmt hat: Die unterschiedlichen Personen in der Führungsebene, früher Rummenigge und Hoeneß, haben untereinander sehr produktiv gearbeitet, sind fast alle aus dem Profibereich gekommen und hatten auch den Intellekt, um sich weiterzuentwickeln – ein guter Manager macht ja jeden Tag Fehler, und ein schlechter Manager macht immer wieder die gleichen. Die Verantwortlichen in München haben von Anfang alle eine sehr, sehr große Lernbereitschaft gehabt und sind mit dem Verein gewachsen. 

Nun hat Kylian Mbappé, nach monatelanger Spekulation, seinen Vertrag mit Paris Saint Germain verlängert, statt bei Real Madrid zu unterschreiben. Das führte zu erheblichen Irritationen, länderübergreifenden Störgeräuschen, fast schon zu politischen Vorgängen, kurz: Da hat es mal richtig geknallt. Wie finden Sie das? 

Wir haben es auch hier mit Doppelmoral zu tun. Real Madrid hat vor einigen Jahren einen sehr, sehr hoch dotierten Vermarktervertrag für den Nahen und Fernen Osten abgeschlossen. Aufgrund der Anforderungen des Vermarkters hat Real Madrid damals aus seinem Vereinswappen das christliche Symbol, das Kreuz, rausgenommen. Für mich ein Verrat am Fußball. Es wäre allen Beteiligten grundsätzlich zu empfehlen, überall mal ein bisschen die Luft rauszunehmen, denn die Geldzahlungen laufen aus dem Ruder. Künstliches Wachstum durch Alimentierung wird dem Fußball nicht gerecht. 

Auch beim FC Barcelona brodelt die Gerüchteküche um angebliche Top-Stars als Neuzugänge. Wie kann das sein, wenn der Verein etwa 1,5 Milliarden Euro Schulden hat? 

Durch kreative Bilanzpolitik. Weil Spanien, Italien, fast alle Länder, kein derart scharfes Finanz- und Strafrecht wie Deutschland haben. Zwar gelten die Fifa-Regularien für alle, aber die höchste Anforderung an die Finanzabteilungen in den Vereinen ist, besonders kreativ zu sein bei Darstellung des Eigenkapitals. Es wird getrickst, auf einem unglaublich hohen Niveau; schmerzhaft für Fußballfans, dass die Verhältnismäßigkeit dermaßen entrückt ist. Wenn wir uns die Markenwerte von den ganz großen Klubs anschauen, spiegelt das dann schon proportional Ausgaben und Einnahmen wider. Aber große Markenwerte sind nicht immer gestützt durch Eigenkapital, Wertschöpfung an sich, ja, Wirklichkeit, sondern durch virtuelle Werte. Und diese virtuellen Werte führen zu überhöhter Wahrnehmung und auch zu virtueller Bilanzierung, denn auch Spielerwerte werden bilanziert und sind Eigenkapital, aber Spielerwerte werden genauso abgeschrieben wie der Bürostuhl. Sind Spielerwerte abgeschrieben, habe ich eine stille Reserve in meiner Bilanz, die ich aber nicht in dem Fall aktivieren kann. Und das führt in der Regel zu Eigenkapitalunterdeckung. Nach deutschem Bilanzrecht wäre das nur bedingt möglich. 

Nachfrage zum FC Barcelona. Ein Name, den man noch immer und vermutlich auch für die nächsten Jahrzehnte mit den Katalanen verbinden wird, auch wenn er inzwischen Teamkollege von Mbappé ist: Lionel Messi. Der spielte dort 21 Jahre, ohne zu wechseln. Als Berater verdient man trotzdem an so einem Spieler, zum Beispiel über die Gehaltszahlungen. Kann man dann umgedreht sagen, dass Berater keine Wechseltreiber sind? So werden sie ja gern dargestellt in den Medien.

Klaus Brüggemann:
„Die Fupballblase. Hinter den Kulissen eines
Milliardengeschäfts“

Man bekommt als Berater in der Regel 10% vom Einkommen, vom Jahresgehalt, über die komplette Laufzeit, das heißt, der Berater verdient nicht einmalig. Ein Berater von Messi hätte bei einem Wechsel viel, viel mehr verdient als bei ständigen Vertragsverlängerungen mit gleichbleibendem Einkommen. Ich will hier das Thema Berater nicht erhöhen, und mir ist wichtig zu sagen, dass es viele gute und seriöse Berater gibt, darum geht es nicht, aber wenn ein Berater allein 100 Millionen Euro im Jahr verdient, hat das wenig mit reiner Leistungserbringung zu tun, sondern ist aus dem Ruder gelaufen.  

Nun folgen ein paar ausgesuchte Statements zu Beratern und zum Beratergeschäft. Wir wüssten gern Ihre Meinung dazu. Erstes Statement: „Nicht die großen Gehälter für die ganz großen Spieler sind das Problem, sondern die überhöhten Gehälter für mittelmäßige Profispieler.“

Ja, es ist richtig, dass wie in der freien Wirtschaft für Spitzenleute Spitzengehälter gezahlt werden, und für Durchschnitt das Durchschnittsgehalt. Das wäre aus meiner Sicht fair. 

„Berater kann seit 1. April 2015 jeder werden. Da ist es kein Wunder, dass sich Berater sogar schon in Amateurligen gegenseitig Konkurrenz machen.“

Das ist richtig. Es tummeln sich zu viele nicht qualifizierte Menschen in dieser Sphäre. Und das tut dem Sport nicht gut. 

„Es gibt mehr Berater als Profifußballer.“

Ich denke, ja. 

„Viele Eltern finden es schick, wenn ihr Fußball spielender Sohn einen Berater hat.“

Ja, es hat schon was mit Eitelkeiten zu tun. Aber ich denke, die Eltern versprechen sich dadurch einfach den schnelleren Weg zur besseren Karriere und zum großen Geld. 

Letztes Statement: „Ohne Berater funktioniert das ganze Fußballgeschäft nicht.“

Ja, weil sich der Markt so entwickelt hat. Wir können das Geschäft nicht mehr zurückschrauben. Es ist ja auch durchaus legitim, als Fußball- oder Spielerberater zu arbeiten. Wir müssen halt nur aufpassen, dass das ganze System nicht entgleitet. 

Die Fifa hat behauptet, dass es vorkommen kann, dass ein Agent an einem Wechsel mehr verdient als der Spieler. Haben Sie das schon mal erlebt?

Ich kann jetzt kein konkretes Beispiel bringen, halte das aber durchaus für realistisch. Es ist nicht gestattet, als Berater am abgebenden und aufnehmenden Verein zu verdienen, aber es kommt immer wieder vor. Fakt ist, dass immer das Interesse des Spielers und nicht des Beraters im Vordergrund stehen sollte.

Mino Raiola sagte über die Fifa: „Wir brauchen keine Fifa; Fifa ist für mich nichts. Wir brauchen ein neues Fußball-System.“

Das sehe ich nur bedingt so, da es ohne Verbände nun einmal nicht geht. Die Fifa ist als Institution, als Verband zu mächtig geworden. Aber andererseits brauchen wir Regularien, und wir kommen an der Fifa als Verband nicht vorbei; wir haben das in anderen Branchen nicht, dass einerseits die unterschiedlichen Klubs Konkurrenten sind und gleichzeitig kooperativ miteinander in der Liga funktionieren müssen, denn sonst gäbe es ja den Ligabetrieb nicht. Das gilt auch für die Nationalverbände. 

In der Schweiz als gemeinnütziger Verein eingetragen, profitiert die Fifa von einer Sonderbesteuerung: Sie zahlt pro Jahr schlappe 3.000.000 Franken Steuern. Wie finden Sie das? 

Pervers. Eindeutig. Und deshalb geraten der Fußball, Verbände und Spielerberater in Verruf. Die Verhältnismäßigkeit zum realen Leben entgleitet. 

Zu Hertha BSC. 1990 arbeiteten dort circa fünf Personen in der Geschäftsstelle, heute sind es knapp 300. Was macht das mit einem Verein, wenn er sportlich deutlich langsamer vorankommt als wirtschaftlich? 

Erfolg im Fußball ist einfach an zu viele Variablen geknüpft. Und die Anforderungen an ein Klub-Management sind hoch. Entschieden wird das gesamte Geschäft immer noch auf dem Rasen, am Wochenende, und da liegen oftmals Erfolg und Niederlage ganz, ganz eng beieinander; Fußball ist eine ungerechte Sportart, weil so wenige Tore fallen. Fußball ist öffentlich, durch Eitelkeiten geprägt, und Fußball-Management wird von den nicht beteiligten Personen unterschätzt in seiner Komplexität. Heute geht es um Analyse, Dialog, Transparenz, um umsatzbezogene Projektarbeit. 

Eine Frage stellt man sich vor allem in der Hauptstadt seit Jahren: Was ist bei Hertha BSC mit dem ganzen Geld passiert? 

Es wurden circa 120 Millionen Euro Fremdverbindlichkeiten abgelöst. Und dann wurden in diesem berühmten Winter vor knapp zwei Jahren 130 bis 150 Millionen Euro an Geldern rausgehauen. Aber man darf nicht nur die Transfersummen sehen, sondern beachte auch die hohen Gehälter, die auf einmal in der Payroll standen. Die haben dazu geführt, dass Hertha BSC in der letzten Saison die höchste Personalquote, also Anteil der Personalkosten am Umsatz, in der Bundesliga hatte. Der Bundesliga-Durchschnitt liegt bei etwa 52%; wir lagen bei über 80%. Auch wenn ich handelnde Person bin: Im Aufsichtsrat kann man nicht ins operative Geschäft eingreifen; die Geschäftsführung wird vorrangig vom Präsidium bzw. Beirat kontrolliert, so ist das Konstrukt. Wir haben einfach in den letzten Jahren in einer Schulden-Mentalität gelebt, und das muss sich ändern. Ohne das Geld von Lars Windhorst wäre der Verein mit einer hohen Wahrscheinlichkeit insolvenzgefährdet gewesen, und es würde den Verein wahrscheinlich nicht mehr geben in der Form, allein schon aufgrund der Pandemie-Einbrüche. Wir sind nicht in Nordrhein-Westfalen, wo man mal eben eine Bürgschaft bekommt als Verein, dem es nicht gut geht. Hertha BSC hätte mit Sicherheit keine Landesbürgschaft bekommen. 

Sie hatten Beratungsmandate auch in Moskau und hatten Gelegenheit, Roman Abramowitsch kennenzulernen. Inzwischen haben wir Krieg in Europa. Wie bewerten Sie die Vermengung von Oligarchentum, Fußball und Politik? Was halten Sie vom Verkauf des FC Chelsea? Sehen Sie die Fußball-WM 2018 jetzt mit anderen Augen? Der britische Außenminister Boris Johnson sagte damals, Putin werde die Weltmeisterschaft nutzen wie Hitler die Olympischen Spiele 1936. 

Ja, in der Nachbetrachtung ergeben solche Aussagen durchaus Sinn. Für mich käme nicht mehr in Frage, in Russland zu arbeiten. Die Vergabe nach Russland war genauso schmutzig und unsauber wie die Vergabe nach Katar. Wie uns alle hat auch mich dieser barbarische Überfall von Russland auf die Ukraine massiv angefasst. Die alten Oligarchen, die aus dem Jelzin-System entstanden sind, haben sich bereichert, zum damaligen Zeitpunkt auf einem halbwegs legalen Weg. Die Oligarchen, die zu Putins Leuten gehören, sind Handlanger, manche sprechen auch von einer Mafia. Insofern differenziere man zwischen den alten und den neuen Oligarchen. Es gibt viele Stimmen, die zum damaligen Zeitpunkt gesagt haben, Abramowitsch steigt in erster Linie bei Chelsea ein, um sich – durch die Öffentlichkeit – aus dem Dunstkreis von Putin freizukaufen, und dadurch wurde er weltweit eine bekannte Person. 

Im November findet die Fußball-WM in Katar statt. Dort hat es bislang, im Rahmen der Bauarbeiten, wohl etwa 7000 Tote gegeben. Wie geldversessen ist das Fußball-Business, dass es solche Zustände in Kauf nimmt?

Auch da ist ganz viel schiefgelaufen, und insofern ist auch hier wieder zu viel Geld im Spiel, zu viele Eitelkeiten, zu viel Staats-Branding, zu viel Staats-Marketing. Nach der WM 2006 hatte ich Angebote gekriegt über die Uefa und die Fifa, für die großen Veranstaltungen zu arbeiten, aber in Katar könnte ich das nicht. 

Sie werden die WM im Fernsehen verfolgen? 

Selbstverständlich. Dafür ist man zu sehr Fußballer. Ich glaube, die vorrangige Aufgabe eines Profi-Fußballers ist, Fußball zu spielen, für das Land, und nicht unbedingt als politischer Botschafter in so ein Turnier zu gehen. Dennoch macht es immer Sinn, aufgrund von Menschenrechtsverletzungen auch durch die Nationalmannschaft Zeichen zu setzen. Aber der sportliche Wettkampf und der Fußball müssen im Vordergrund stehen. Die Olympischen Spiele in China haben nicht viel zur Entwicklung von Menschenrechten beigetragen. Die WM in Russland hat das Land, was die diktatorischen Ströme angeht, nicht wirklich weiterentwickelt. Und in Katar wird spätestens ein halbes Jahr nach Beendigung des Finals leider kein Mensch mehr drüber reden. Und das gehört einerseits zum Sport und zum Fußball dazu. Auf der anderen Seite wird einem dadurch ein Stück weit die Liebe zum Sport verdorben. 

Katar ist bekanntlich keine Demokratie. Kann man deshalb sagen, dass es zwangsläufig eine schlechte WM wird? 

Ich sage mal kurz und knapp: Einerseits geht es um den Fußball und um den sportlichen Vergleich, der interessant bleibt, weil die Dramaturgie des Turniers besteht. Andererseits geht es um die politischen Gegebenheiten vor Ort, die dieses Turnier zu einer schlechten WM machen, weil sie niemals in Katar hätte stattfinden dürfen. Schöner wäre, wenn Fußball in jenen Ländern gespielt wird, in denen Fußball auch schon immer gelebt wurde, wo Fußball auch Menschen begeistert und man die Stadien gefüllt bekommt. Das ist aber dann wieder auch wieder der Globalisierung geschuldet. Desweiteren benötigen auch die Clubs die internationalen Märkte und letztendlich die Fifa auch.

Sie schreiben in Ihrem Buch: „Ich möchte nicht, dass unser Fußball wie in England oder Spanien im Turbokapitalismus verkommt.“ Wird in diesen beiden Ligen, Primera División und Premier League, nicht der schönste Fußball gespielt? 

Ja, der englische Fußball ist in der Spitze, was die Qualität angeht, die Benchmark. Das ist aber letztendlich wieder dem großen Geld geschuldet. Ich glaube, die Bundesliga muss sich in der Breite definitiv nicht hinter Spanien und Italien verstecken, wir spielen immer noch weit vorne mit. 

Zum Abschluss. Sie schreiben: „Irgendwann wird die Fußballblase platzen.“ Verraten Sie uns, wann? 

Profifußball ohne Business funktioniert nicht. Profifußball ohne Globalisierung funktioniert kaum. Und dort liegen auch große Chancen. Aber wir dürfen uns als handelnde Personen im Fußball nicht noch weiter von der Basis entfernen. Wir müssen die Mitte der Gesellschaft, die Breite der Gesellschaft und die Fans ernst nehmen. In der Vereinslandschaft wird sich aus meiner Sicht vieles verändern, weil wir im Rahmen der Probleme, die die Gesellschaft zu lösen hat, insbesondere auch in den Bereichen der sozialen, ökologischen und ökonomischen Nachhaltigkeit, einfach besser werden müssen.

Das Gespräch führte Holger Schmieder.

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