Globale Getreideknappheit - „Weltweit wird es ein großes Problem geben“

Aufgrund des Ukraine-Kriegs und der Sanktionen gegen Russland steigen weltweit die Preise für Nahrungsmittel. Vor allem die Weizenproduktion ist betroffen. Im Cicero-Interview warnt die Agrarökonomin Wienke von Schenck vor globalen Versorgungsengpässen. In Deutschland würden wir den Mangel allerdings nicht spüren, leere Supermarktregale seien eine Folge von Hamsterkäufen.

In Deutschland ist die Versorgung mit Getreide noch gesichert / dpa
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Sophia Martus hat Soziologie studiert und absolviert derzeit ein Redaktionspraktikum bei Cicero.

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Wienke von Schenck ist Agrarökonomin und Marktanalystin bei der Agrarmarkt Informationsgesellschaft (AMI) mit Sitz in Bonn. Sie beobachtet seit Jahrzehnten die Entwicklungen an den Weltmärkten für Getreide, Düngemittel und Biokraftstoffe.

Frau von Schenck, derzeit wird angesichts des Ukraine-Kriegs eine globale Getreideknappheit befürchtet. Müssen wir uns auch in Deutschland Sorgen machen, dass das Mehl ausgeht?

Nein, den Mangel werden wir in Deutschland nicht spüren. Es sei denn, das Wetter spielt total verrückt, und die Ernte fällt schlecht aus. Wir haben ausreichend Anbaukapazitäten im eigenen Land. Das Problem sind eher die steigenden Kosten. Wir werden, was Rohöl angeht, ein neues Rekordhoch seit 2013 erreichen. Die Aussichten sind, was den Energiemarkt angeht, sehr pessimistisch. Und das hat natürlich zur Folge dass auch die Düngemittel immer teurer werden. Wenn aber die Landwirte das Getreide zu höheren Preisen verkaufen, profitieren sie nicht davon, weil zugleich die Produktionskosten in die Höhe steigen. Was sie einnehmen, geben sie gleichermaßen wieder aus für Produktionsmittel, Logistik und Lagerung.

Und wie sieht es global betrachtet auf dem Getreidemarkt aus?

Wir haben einen enormen Schock erlebt, aufgrund der rasant steigenden Preise für Düngemittel, des Exportstopps aus der Ukraine und der Sanktionen gegen Russland, die die Exportmenge begrenzt haben. Weltweit wird es ein großes Problem geben, weil die verfügbaren Mengen natürlich von den Ländern aufgekauft werden, die die hohen Preise bezahlen können. Und dann bleibt für die Länder, die kein Geld haben, noch weniger übrig.
 
Das kann auch von den Hilfsorganisationen nur mit großem finanziellen Aufwand aufgefangen werden. Konnten für 10 Millionen Euro im Mai 2021 noch knapp 50.000 Tonnen Weizen gekauft werden, sind es aktuell nicht einmal mehr 23.000 Tonnen. Dann kommt noch die Logistik dazu. Die Frachtraten sind extrem gestiegen. Schnell mal ein Schiff mit Weizen nach Angola oder Mauretanien zu schicken, kostet richtig viel Geld. Weltbank und Welthungerhilfe gehen davon aus, dass die Zahl der Verhungernden wieder zunehmen wird.

Wie genau hat der Ukraine-Krieg die Situatiuon beeinflusst?

Die Exportmengen der Ukraine wurden deutlich gekürzt: fast fünf Millionen Tonnen weniger als erwartet. Russland liefert zwei Millionen Tonnen weniger. Als Reaktion zogen andere Länder nach und verringerten ihre Exporte, um die eigene Versorgung sicherzustellen, wodurch sich die auf dem Weltmarkt verfügbare Menge zusätzlich reduzierte.

Da Russland ukrainische Häfen blockiert, kann Ware aus der Ukraine nur noch tröpfeln. Nur etwa ein Zehntel der ursprünglichen Menge kann auf dem Schienenweg oder über den rumänischen Hafen Konstanza aus dem Land transportiert werden. Und wenn Getreide jetzt in Containern per Schiene transportiert wird, zieht das neue Probleme nach sich. Zum einen haben die Länder der ehemaligen Sowjetunion ein ganz anderes Schienennetz als Westeuropa. Container müssen deswegen auf halber Strecke von einem Zug auf den anderen gesetzt werden, was die Sache teuer, langwierig und ineffizient macht. Hinzu kommt, dass im Zuge der russischen Invasion die Getreidelager überfallen und leergeräumt sowie wesentliche Teile der Transportinfrastruktur, beispielsweise Brücken oder Straßenabschnitte, zerstört wurden.

Welchen Einfluss hat der Krieg auf die kommende Ernte? Werden die Getreideengpässe noch zunehmen?

Wienke von Schenck / Foto: privat

Das hängt davon ab, wie lange der Krieg andauert. Wir sprechen bei den aktuellen Prognosen noch von Getreide, das 2021 in der Ukraine geerntet worden ist. Die Landwirte in der Ukraine machen weiter, so gut sie können, und pflanzen Getreide an. Aber die ganze Aussaat des Frühjahrs 2022, das betrifft vor allem Mais und Sonnenblumen, war extrem gestört. Die Bauern bekommen keine Arbeitskräfte, weil diese an der Front kämpfen, sie haben kaum Düngemittel, weil wegen der Seeblockaden und der zerstörten Infrastruktur der Dünger nicht bei ihnen ankommen kann. Man muss deshalb davon ausgehen, dass die Ertragsmengen für Sonnenblumen und Mais 2022 deutlich zurückgehen.

Die Aussaat vom Herbst 2021, Weizen und Gerste, das sogenannte Wintergetreide, ist noch normal in den Boden gekommen, vielleicht auch noch einmal gedüngt worden, aber im Jahr 2022 nicht mehr. Und auch Felder sind zerstört oder vermint worden. Wir wissen nicht, was überhaupt noch gedroschen werden kann. Auch bei der nächsten Ernte werden Arbeitskräfte fehlen, und die Infrastrukturprobleme bleiben bestehen. Es ist gehemmt und reduziert, aber dennoch macht jeder das, was er kann.

Was bedeutet das für die Preisentwicklung auf dem Weltmarkt?

Im Februar 2022, vor Kriegsbeginn, sollten, basierend auf Rechnungen des US-Landwirtschaftsministeriums, weltweit 208,5 Millionen Tonnen Weizen gehandelt werden. Sowohl die Nordhalbkugel als auch die Südhalbkugel hatten ihre Weizenernte da bereits unter Dach und Fach, und man rechnete damit, dass die Produktion in dieser Saison 779 Millionen Tonnen erreicht hätte. Die Versorgungslage war also gut.

Aktuell wird die Weizenproduktion im Wirtschaftsjahr 2022/ 23, in dem weder auf der Nordhalbkugel noch auf der Südhalbkugel gedroschen worden ist, im Vergleich zum Vorjahr vermutlich um fünf Millionen Tonnen zurückgehen. Wir brauchen aber mehr, weil gleichzeitig die Bestände weiter absinken. Das ist ein sicheres Indiz dafür, dass die Preise noch weiter steigen werden. Getreide ist schon sehr teuer geworden, und es wird noch teurer werden. Das ist absehbar.

Kommt es auch bei Getreide-Exporten aus Russland zu Einschränkungen?

Nein, die Produktion in Russland läuft völlig normal. Da gibt es kaum Einschränkungen. Die Russen müssen natürlich auch mehr für Düngemittel bezahlen, aber nicht in dem Maße wie die Westeuropäer, weil Düngemittel in Russland selbst hergestellt werden. Man geht davon aus, dass Russland 2022 sogar eine größere Weizenernte als 2021 einfährt. Und es gibt viele Länder, die auch bereit sind, diesen Weizen zu kaufen.

In Europa wird wegen der globalen Weizenknappheit in Frage gestellt, ob die geplante Stillegung von Ackerflächen für den Naturschutz noch zu verantworten ist. Auch pflanzliche Biokraftstoffe sind in die Kritik geraten. Was sagen Sie zu dieser Diskussion?

Es ist schwer einzuschätzen, ob Deutschland, ob die EU jetzt darauf verzichten sollten, nachwachsende Rohstoffe zur Biokraftstoff-Produktion einzusetzen. Das ist auch ein regionales Problem. Den meisten Mais in der EU verbrauchen etwa Spanien und Italien, die ihre Ethanolproduktion sowieso bereits reduziert haben. Eine weitere Reduktion dürfte daher nicht mehr stark ins Gewicht fallen. Die Frage ist aber: Womit ersetzen wir die Biokraftstoffe, auf die wir verzichten wollen? Mit fossilen Brennstoffen? Woher bekommen wir die fossilen Brennstoffe – etwa aus Russland? Das hilft dann nicht. Die Abhängigkeit verschiebt sich nur vom einen auf das andere.

Auch ein Verzicht auf die Stilllegung von Ackerflächen dürfte keinen sonderlichen Effekt haben. Denn man kann sich vorstellen kann, dass die Flächen, die die Landwirte stilllegen, nicht die allerbesten sind, sondern eher die ohnehin nicht besonders ertragreichen. Wenn diese Felder wieder zur Produktion aufgenommen werden, kann man natürlich die Erntemenge ein bisschen steigern, aber vier Prozent mehr Fläche bedeutet nicht vier Prozent mehr Weizen. Das wird also nicht der große Mengenschub, der immer erwartet wird.

Sie haben zu Beginn unseres Gesprächs gesagt, dass wir in Deutschland keine Getreideknappheit zu fürchten haben. In Supermärkten sieht man aber immer wieder leere Mehlregale. Wie kommt das?

Das lag am Verbraucher, nur am Verbraucher. Man sieht das ja nicht nur beim Mehl, sondern auch beim Pflanzenöl. Eine Mühle, sowohl eine Ölmühle als auch eine Getreidemühle, hat eine bestimmte Verarbeitungskapazität. Die reicht normalerweise aus, um die deutschen Verbraucher zu versorgen. Wenn die jetzt aber ihre Nachfrage verfünffachen, kann eine normale Mühle ihre Kapazität nicht von einem Tag auf den anderen verfünffachen. Die laufen sowieso schon auf voller Leistung. Die Supermarktregale sind nicht leer, weil es bei uns an Getreide oder Ölsaaten fehlt, sondern weil die Mühlen nicht hinterherkommen. Wenn der deutsche Verbraucher nicht so panisch gewesen wäre, Mehl und Sonnenblumenöl zu kaufen, um es zu Hause zu bunkern, hätte man in unseren Läden überhaupt nichts gemerkt.

Mit einer tatsächlichen Knappheit hat das also nichts zu tun?

Höchstens beim Sonnenblumenöl. Denn davon produzieren wir selbst nicht so viel und kaufen es zu, hauptsächlich aus der Ukraine. Das füllen wir hier für den Verkauf in Flaschen ab. Da gab es zwar keinen spürbaren Einbruch, weil die vertraglich gesicherten Mengen auch geliefert werden konnten, aber eben nichts darüber hinaus. So ist auch zu erklären, warum sich der Preis für Sonnenblumenöl mehr als verdoppelt hat. Der Lebensmitteleinzelhandel hat mit den Ölmühlen einen Vertrag über eine bestimmte Liefermenge pro Tag zu einem bestimmten Preis. Wenn die Supermärkte auf einmal doppelt so viel Öl haben möchten, aber nicht mehr dafür bezahlen wollen, dann geht das nicht, weil sich die Rohstoffpreise verdoppelt haben.

Ich habe jetzt gerade gesehen, dass Lidl Sonnenblumenöl aus Spanien für 4,99 € pro Liter verkauft. Das sind völlig neue Lieferwege, und wir wissen ja auch um die Logistikprobleme aufgrund von Niedrigwasser, coronabedingtem Ausfall von Fahrern und erhöhten Spritkosten. Diese Mehrkosten sieht man ja auch bereits in der Preisentwicklung aller Nahrungsmittel. So wird auch das Pflanzenöl immer teurer, und selbst Anbieter, die noch Bestände an Öl in ihren Lagern haben, werden das nicht zu Preisen abgeben, die vor drei Monaten Gültigkeit hatten.

Das Gespräch führte Sophia Martus.

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