„Female ICE“ der Deutschen Bahn - Eine Dragqueen auf die Lok!

Ein ICE ohne Männer an Bord, zumindest nicht beim Personal. Damit will die Deutsche Bahn Frauen „sichtbarer“ machen. Doch mit der Werbeaktion, die trotz enormen Aufwands öffentlich kaum wahrgenommen wurde, hinkt das Staatsunternehmen dem Zeitgeist meilenweit hinterher.

Nur weibliches Personal: Der „female ICE“ fährt von München nach Berlin / Deutsche Bahn AG
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Mathias Brodkorb ist Cicero-Autor und war Kultus- und Finanzminister des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Er gehört der SPD an.

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Haben Sie schon davon gehört? Die Deutsche Bahn will es jetzt richtig krachen lassen. Sie hat einen „female ICE“ auf die Schiene gesetzt. Einen Zug, der nur von Frauen betrieben wird und von München nach Berlin fährt – aus dem katholischen Patriarchat ins bunte Matriarchat sozusagen. Von der Lokführerin bis zur Schaffnerin: alles nur Frauen. Sogar die Außenhülle des ICE und die Kopfpolster wurden umgestaltet. Die Deutsche Bahn nennt das „branding“. Wohin man auch sieht: Von überall blitzt einem der Schriftzug „female ICE“ entgegen. Und natürlich gibt es auch einen „female Bus“. Der ist derzeit im Raum Forchheim im Einsatz. Auch er ist extra „gebrandet“. Und halten Sie sich fest: Am Steuer sitzt mitunter eine Frau!

Was die Deutsche Bahn in Sachen „female ICE“ an Ressourcen mobilisiert hat, ist nahezu atemberaubend. Auf einer eigenen Kampagnenplattform werden 35 hauptamtliche Mitarbeiter vorgestellt, die sich mit dem Projekt befassen, darunter ganze sechs für Pressearbeit und Kommunikation. Allein von der Jungfernfahrt des Zuges hat dieses Team elf begleitende Videos produziert, die allerdings kaum aufgerufen werden. Von einer derartigen Personalausstattung können viele Redaktionen in Deutschland nur träumen. Aber die Bahn macht’s möglich.

Bahn will Frauen „sichtbar“ machen

Ein weiblicher Intercity-Express: Das hatte ich mir ohnehin schon lange gewünscht. Was wäre, frage ich Sie, im Vergleich dazu schon die schnöde Tatsache, dass die Bahn einigermaßen pünktlich kommt? Wenn ich mich zwischen Pünktlichkeit und Frauenförderung bei der Deutschen Bahn entscheiden müsste, wäre ich ganz klar für die Frauenförderung. Martin Seiler, Vorstand bei der Deutschen Bahn für Personal und Recht, hat denn die Gleichstellung in seinem Unternehmen auch schon komplett verinnerlicht. Sie ist für ihn nämlich kein Arbeitgeber mehr, sondern ausdrücklich eine „Arbeitgeberin“.
 
Für die Deutsche Bahn geht es dabei darum, so sagt es jedenfalls Ulrike Haber-Schilling – ihres Zeichens „Vorständin“ für Personal und DB Regio – Frauen endlich „sichtbar“ zu machen. So richtig „sichtbar“ würde man Frauen im „female ICE“ freilich erst dann machen, wenn mit ihm auch nur Frauen fahren dürften – und zwar mit Prosecco für umme bis zum Abwinken in der ersten und auch in der zweiten Klasse. Denn natürlich wollen wir Frauen, die in der zweiten Klasse fahren, auf keinen Fall dadurch unsichtbar machen, dass sie dem prickelnden Getränke entsagen müssten.

Stellen Sie sich doch einfach einmal die absurde Situation vor, dass überwiegend Männer in diesem „female ICE“ führen und von adrett gekleideten Damen in Uniform bedient und betreut würden. Und zack: wäre aus dem Versuch, Frauen sichtbar zu machen, am Ende deren symbolische Unterwerfung geworden, ein chauvinistischer Akt auf Schienen quasi.

Dürfen auch Männer mitfahren?

Ich wollte denn bei der Deutschen Bahn auch nachfragen, ob tatsächlich nur Frauen mit dem Zug fahren dürften. Das wäre ja konsequent gewesen. Ich gebe zu: Es war ein bisschen naiv anzunehmen, ich würde an einem Freitag gegen 16 Uhr eine Presseanfrage an die Deutsche Bahn stellen können, verbunden mit der Hoffnung, noch am gleichen Tage eine Antwort zu erhalten. Dafür reichen sechs Mitarbeiter in der Pressestelle des „female ICE“ nicht aus.

Aber so absurd, wie sich das im ersten Moment anhören mag, schien mir das Unterfangen gar nicht zu sein. Immerhin wirbt die Deutsche Bahn ja ganz offiziell damit, für Pressevertreter „rund um die Uhr – an 365 Tagen im Jahr“ erreichbar zu sein. Das klingt zwar genauso, als verspräche die Bahn, immer pünktlich zu sein, aber für ein paar Stunden wollte ich mich diesem Versprechen an den Busen werfen. Es war einfach zu verlockend.

„Wie halten Sie es mit Transfrauen?“

Und tatsächlich: Es gab keine Warteschleife, der Hörer wurde sofort abgenommen. Allerdings war der Kollege auf der anderen Seite bloß von der „Bereitschaft“, also eine Art von analoger Mail-Weiterleitung. Er würde, so versprach er, meine Anfrage an die richtige Stelle übermitteln und ich erhielte bestimmt am Montag eine Antwort.

Über einer meiner Fragen musste er ein wenig schmunzeln: „Wie halten Sie es eigentlich mit Transfrauen in Ihrem ‚female ICE‘, also Personen mit Penis, die sich für eine Frau halten. Dürfen die denn nun auf dem ‚female ICE‘ Dienst schieben – oder nicht?“ Der Kollege von der Pressebereitschaft der Deutschen Bahn hob dann an zu sagen: „Jetzt mal unter uns: …“ Aber was er dann sagte, kann ich natürlich nicht schreiben. Das wäre gegen die Regeln. Er hat es ja „unter uns“ gesagt. Nur soviel: So völlig unberechtigt fand er die Frage am Ende wohl nicht.

Dabei offenbart ja gerade diese Frage, wie sehr die Deutsche Bahn mit ihrem „female ICE“ so etwas von old school ist. Ihre Vision ist es nicht nur, im Konzern mehr Frauen in Führungspositionen zu bringen, sondern auch, „diverse Teams zu ermöglichen“. Die Deutsche Bahn will mitsurfen auf der Welle der geschlechtersensiblen Vielfalt.

Statt schlichter Frauenförderung ist „diversity“ angesagt

Wer in Sachen Geschlechtervielfalt heute ganz hipp sein will, macht unter dem Motto „diversity“ aber gerade nicht Frauen sichtbar, sondern das so genannte „dritte Geschlecht“. Schlichte Frauenförderung, wie es die Deutsche Bahn mit dem „female ICE“ betreibt: Das riecht nach dem Feminismus der 1970er und 1980er Jahre und ist so etwas von „Emma“. Und wird auch noch mit Methoden des 19. Jahrhunderts umgesetzt. Sie erinnern sich? Damals gab es noch Knaben- und Mädchenschulen. Ausgerechnet die Einführung gemeinsamen Unterrichts von Weiblein und Männlein galt einmal als Meilenstein in der Emanzipation der Frauen.

Offenbar hat man in der Kommunikationsabteilung der Deutschen Bahn noch immer nicht verstanden, dass schon die bloße Unterscheidung zwischen Mann und Frau seit Judith Butler und damit seit mehr als 30 Jahren als „epistemisches Regime der vermeintlichen Heterosexualität“ gilt, also als Ausgrenzung und Unterdrückung Homosexueller.

Initiative „railbow“:  LGBTIQ*-Mitarbeiter der Deutschen Bahn

Angesichts dessen ist es schon beachtlich, wie spärlich der Bahn-Konzern die Initiative „railbow“ unterstützt. Sie müssen sich das ungefähr so vorstellen: Während die Deutsche Bahn für die „females“ ein bombastisches Feuerwerk mit extraordinärem Catering organisiert, wird den Kollegen von „railbow“ bloß eine Konfettikanone gesponsert.

Gegründet hat sich das Netzwerk rund um Bahnmitarbeiter aus der LGBTIQ*-Szene schon im Jahr 2011. Sein bisher größter Erfolg: Zum zehnjährigen Jubiläum hat der Bahn-Konzern richtig einen gucken lassen. Seitdem zieren die Regenbogenfarben einen ICE und einen Deutsche Bahn-Keks. Die Euphorie bei „railbow“ war seinerzeit groß: Dass „der komplette Zug von der einen Schnauze bis zur anderen komplett einen Streifen in Regenbogen bekommen hat“, das hätte „all unsere Vorstellungen“ übertroffen, hieß es in einer Mitteilung des Netzwerkes. Auch ich war voll geflasht. Und es könnte Teil der Lösung eines Problems sein.

Wenn der Regenbogen-Aufkleber ohnehin schon angebracht ist, könnte man aus dem Zug doch gleich einen „railbow-ICE“ machen. Vom Lokführer bis zum Schaffner: fahren dürften ihn nur Vertreter der LGBTIQ*-Szene, um sie so noch „sichtbarer“ zu machen. Am besten mit einer Dragqueen auf der Lok. Nebenbei hätte sich dann auch noch das Problem mit den Transfrauen auf dem „female ICE“ in Luft aufgelöst.

Aber wahrscheinlich wird daraus am Ende nichts, denn auch der „female ICE“ war bloß ein Werbegag für einen Tag, der von der Öffentlichkeit weithin ignoriert wurde. Da half es auch nichts, dass sich der Regierende Bürgermeister von Berlin, Franziska Giffey, die Ehre gab, den einfahrenden Zug höchstpersönlich am Bahnhof zu begrüßen.

Frauen in Führungspositionen

Dabei hat die Bahn, entgegen ihrer eigenen Selbstbezichtigung, nicht einmal ein Problem mit Frauen in Führungspositionen. 25,5 Prozent sind es derzeit und 30 Prozent sollen es ab dem Jahr 2024 sein. Der Anteil der Frauen an allen Mitarbeitern beträgt allerdings „nur“ 23,4 Prozent. Es ist hier ja genauso wie in der Wissenschaft: Wenn in einem Fach 20 Prozent aller Habilitierten Frauen sind, kann man unter den Professoren kaum mehr als 20 Prozent Frauen erwarten. Andernfalls müsste man das Prinzip der Bestenauswahl über den Haufen werfen. Der Schlüssel für mehr Frauen auf Lehrstühlen liegt also in mehr Habilitationen von Frauen. Man nennt das das „Kaskadenmodell“.

Und genauso ist es freilich bei der Deutschen Bahn: Wenn man dort Frauen in Führungspositionen bringen will, geht es unter Wahrung der Bestenauslese nur in dem Umfang, wie Frauen überhaupt bei der Deutschen Bahn beschäftigt sind und Berufserfahrung sammeln konnten. Bevor die Deutsche Bahn also mehr Frauen in Führungspositionen bringen kann, muss sie mehr Frauen einstellen als bisher. Aber auch das hat die Deutsche Bahn vor. Gelingt ihr das, wird sie in Sachen „Frauen in Führungspositionen“ in Wahrheit nicht besser, sondern bloß nicht schlechter. Aber auch das ist ja nicht nichts.


 

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