Europäische Zentralbank - Vergangene Entscheidungen werden der EZB zum Verhängnis

Auf der gestrigen EZB-Sitzung blieben zentrale Fragen der Inflationsbekämpfung unbeantwortet. Eine geldpolitische Sitzung, in der offenbar nur abgewartet wurde, wirkt bei noch immer hoher Inflation und steigenden Zinsen auf Staatsanleihen wie aus der Zeit gefallen.

EZB-Präsidentin Christine Lagarde / picture alliance
Anzeige

Autoreninfo

Heike Lehner ist Wirtschaftswissen- schaftlerin aus Wien und beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit Geldpolitik und Umweltökonomie. Sie ist in der Finanzbranche tätig.

So erreichen Sie Heike Lehner:

Anzeige

In den vergangenen Monaten wurde eine Tatsache unumstößlich klar: Die Zinserhöhungen der Europäischen Zentralbank (EZB) wirken. Die Kreditnachfrage von Haushalten und Unternehmen ist in der Eurozone zuletzt weiter merklich zurückgegangen und Banken vergeben weniger Kredite. Ebenso ist die schwache Wirtschaftsleistung zum Teil auf die Bemühungen der EZB zur Inflationsbekämpfung zurückzuführen. Wir sehen nun erste Erfolge, da die Inflation seit einigen Monaten sinkt.

Dennoch gibt es keinen Grund zur Entwarnung. Um die Inflation nachhaltig wieder auf die zwei Prozent zu reduzieren, werden die Zinsen noch weiterhin hoch bleiben. Außerdem sind die Risiken einer erneut steigenden Inflation etwa wegen der hohen Energiepreise signifikant.  

Diese Gefahren, hervorgerufen durch geopolitische Spannungen, wurden bei der gestrigen Pressekonferenz von EZB-Präsidentin Christine Lagarde betont. Es bleibt aber zu hoffen, dass die Wirtschaftsdaten der kommenden Monate weitere Zinserhöhungen nicht erforderlich machen. Somit wären die Zinsentscheidungen der EZB leichter zu fällen. Denn die Normalisierung der Geldpolitik – also weg von den Nullzinsen der vergangenen Jahre – wirft weitere große Fragen auf.  

Die gestrige EZB-Sitzung hat allerdings keine dieser Fragen beantwortet. Viel mehr noch: Laut Lagarde wurden einige dieser Themen nicht einmal diskutiert. Das ist unverständlich. Denn es droht, dass der Währungshüterin die Entscheidungen der Zeit vor der aktuellen Phase der hohen Inflationsraten zum Verhängnis werden. 

Fiskalpolitische Signale wären angebracht gewesen

Seit der Finanzkrise, als die Zinsen nicht mehr weiter gesenkt werden konnten, hat die EZB eine Vielzahl an geldpolitischen Instrumenten eingesetzt. Das führte zu Unmengen an Liquidität am Markt. Die bekannteste Maßnahme waren wohl die Ankäufe von Staats- und Unternehmensanleihen, sogenanntes Quantitative Easing (QE). Das jüngste große Kaufprogramm „PEPP“ wurde im Jahr 2020 aufgrund der Coronakrise aufgesetzt. Seit die Zinsen wieder gestiegen sind, wurden jegliche Ankäufe zurückgefahren. Mittlerweile werden keine zusätzlichen Gelder für neue Anleihen ausgegeben, nur mehr die der auslaufenden Anleihen werden teilweise bis Ende 2024 reinvestiert.  

Wider Erwarten vieler EZB-Beobachter wurde während dieser Sitzung nicht einmal besprochen, wie es mit diesen Reinvestitionen weitergehen soll. Etwa, ob man sie früher reduzieren möchte. Auch andere Punkte, wie man beispielsweise mit den Reserven, die Banken bei der EZB halten müssen, weiter umgehen wird, wurden nicht besprochen. Obwohl nicht damit gerechnet wurde, dass endgültige Entscheidungen diesbezüglich getroffen werden, wären Signale in irgendeine Richtung angebracht gewesen.  

 

Mehr zum Thema:

 

Die Gründe, wieso sich manche für weitere Staatsanleihekäufe oder zumindest für einen längeren Zeitraum dieser Reinvestitionen aussprechen, sind klar: Die Zinsen auf Anleihen der Euromitglieder sind stark gestiegen. Obwohl das Sorgenkind weiterhin Italien heißt, kämpfen auch viele andere Mitglieder der Währungsunion mit erhöhten Zinsen. Während die EZB in der Vergangenheit die billige Neuverschuldung durch QE möglich gemacht hat, darf sich die Zentralbank aber jetzt nicht dem Druck beugen und dies weiter tun.  

Die gestrige Entscheidung und die darauffolgende Pressekonferenz der EZB machten diesbezüglich stutzig: Sie deuten darauf hin, dass man abwarten und keine plötzliche Reaktion der Märkte heraufbeschwören wollte. Hinzu kommt, dass von den erwähnten Reinvestitionen der vergangenen Monate insbesondere Italien, Frankreich und Griechenland profitiert haben. Somit wurden die Anleihen von Staaten unterstützt, die nicht gerade für ihre fiskalische Disziplin bekannt sind.  

Gestrige EZB-Sitzung war alles andere als aufschlussreich

Dabei gäbe es Alternativen: Beispielsweise das Transmission Protection Instrument („TPI“), das es der EZB erlauben würde, im Falle des Falles zusätzliche Staatsanleihen anzukaufen. Obwohl das Programm und die damit verbundene indirekte Staatsfinanzierung kritisch zu sehen ist – es existiert nun einmal. Es wäre weitaus transparenter und ehrlicher, Staaten mit dem TPI unter die Arme zu greifen, als zu versuchen, mit Reinvestitionen der alten Kaufprogramme einzelne Staaten stärker zu unterstützen.  

Die gestrige EZB-Sitzung war alles andere als aufschlussreich. Obwohl wie erwartet keine Entscheidungen getroffen wurden, gab es auch keine Informationen über die geldpolitischen Instrumente, die außer den bekannten Leitzinsen noch existieren. Eine geldpolitische Sitzung, in der offenbar nur abgewartet wurde, wirkt bei noch immer hoher Inflation und steigenden Zinsen auf Staatsanleihen wie aus der Zeit gefallen. Es bleibt zu hoffen, dass die EZB nicht schon wieder zu spät handelt. Denn nachdem sie zuerst die Inflation unterschätzt hat, kann sie es nicht leisten, schon wieder falsch zu liegen.  

Die Neuverschuldung weiterhin derart stark mit Reinvestitionen zu stützen, obwohl es transparentere Programme für den Notfall gibt, könnte ein weiterer Fehler der EZB sein. Es ist widersprüchlich, dass die EZB auf der einen Seite bei jeder Pressekonferenz der letzten Monate betont hat, wie wichtig es sei, dass Staaten disziplinierte Fiskalpolitik betreiben, nur um auf der anderen Seite den jahrelangen Anleihekäufen kein rascheres Ende zu setzen. Denn diese Anleihekäufe untergraben nicht nur fiskalische Disziplin, sie erschweren auch die Inflationsbekämpfung. Dass die Entscheidungen aus der Nullzinsphase irgendwann rückgängig gemacht werden müssen, war klar. Nur hoffentlich verpasst die EZB den richtigen Zeitpunkt nicht.  

Anzeige