Europäische Zentralbank - Bedingungsloses Grundeinkommen für Banken

Die EZB hat eine Art bedingungsloses Grundeinkommen für Banken geschaffen. Ein leistungsloses Grundeinkommen, das sich über die nächsten zehn Jahre zu ungefähr einer Billion Euro addieren könnte. Wenn es nicht geldpolitische Änderungen gibt.

Straßenmusiker vor der Frankfurter Skyline: Im Hintergrund die EZB / dpa
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Bernd Lucke war Mitbegründer und Vorsitzender der AfD, deren marktwirtschaftlichen und liberalen Flügel er bis zu seiner Abwahl im Juli 2015 vertrat. Nach seinem Austritt aus der AfD gründete der 58 Jahre alte Wirtschaftsprofessor die Partei Alfa heute Liberal-Konservative Reformer , für die er bis 2019 im EU-Parlament saß. Lucke lehrt Makroökonomie an der Universität Hamburg.

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Ein bedingungsloses Grundeinkommen wird seit langem kontrovers diskutiert. Es erfährt Unterstützung u. a. von Sozialisten, Utopisten, Liberalen und Libertären. Das wichtigste Argument seiner Gegner ist die Sorge, dass es leistungsfeindlich ist, weil es sich um ein leistungsloses Einkommen handelt: Eine reine Transferleistung des Staates ohne jede Gegenleistung.

Wie auch immer man dazu steht: Die Europäische Zentralbank schafft jetzt Fakten. Allerdings nicht so, wie sich Befürworter und Gegner ein bedingungsloses Grundeinkommen vorgestellt haben. Denn was die EZB in die (Finanz-) Welt gesetzt hat, ist ein bedingungsloses Grundeinkommen für Banken. Ein völlig leistungsloses Grundeinkommen, das, wenn es nicht geldpolitische Änderungen gibt, sich über die nächsten zehn Jahre zu ungefähr einer Billion Euro addieren könnte.

Eine Banknote ist echtes Geld

Um das zu verstehen, muss man sich vor Augen führen, was der Unterschied zwischen einer Banknote und einem Bankguthaben ist: Eine Banknote ist echtes Geld, das von der EZB gedruckt wurde. Ein Bankguthaben ist lediglich das Versprechen einer Geschäftsbank, auf Anforderung des Kontoinhabers eine Banknote zur Verfügung zu stellen. Wenn die Geschäftsbank das Versprechen nicht einlösen kann, ist sie insolvent. Dann hat die Bank ein Problem und der Bankkunde ebenfalls. Er stellt nämlich fest, dass ein Bankguthaben, anders als eine Banknote, kein echtes Geld ist. Mit einem Guthaben bei einer insolventen Bank kann man nirgendwo bezahlen.

Damit Banken nicht insolvent werden, halten sie bei der Zentralbank sog. „Reserven“. Reserven können jederzeit 1:1 in Bargeld (Banknoten) umgetauscht werden. Reserven liegen auf einer Art Girokonto, das Geschäftsbanken bei der Zentralbank halten. Aber anders als bei normalen Girokonten gibt es keinen Zweifel daran, dass Reserven wirklich jederzeit in Bargeld umgetauscht werden können, denn die Zentralbank darf Bargeld selbst „drucken“ (bzw. elektronisch erzeugen). Wenn also eine Geschäftsbank genug Reserven hat, braucht der Bankkunde sich um sein Guthaben keine Sorgen zu machen.

Viel größer als gesetzlich vorgeschrieben

Nun sind in den letzten Jahren die Reserven der Geschäftsbanken enorm angestiegen. Man spricht von „Überschussreserven“, weil die Reserven viel größer sind als gesetzlich vorgeschrieben. Das liegt maßgeblich an dem massiven Ankauf von Staatsanleihen, den die EZB seit 2015 veranlasst hat. Die Geschäftsbanken, von denen die Staatsanleihen gekauft wurden, erhielten als Gegenleistung Reserven – nicht Bargeld. Denn keine Bank hätte Verwendung für soviel Bargeld gehabt. Allerdings haben die Banken jetzt auch viel zu hohe Reserven.

Nehmen wir als Beispiel die Deutsche Bank: Ihren Bilanzen lässt sich entnehmen, dass sie am 31.12.2014 (vor Beginn der EZB-Anleihenkäufe) Bargeld und Reserven in Höhe von 74 Mrd. Euro besaß. Am 31.12.2022 war diese Position auf 179 Mrd. Euro angewachsen. Ganz grob kann man daraus schließen, dass die Deutsche Bank in diesen acht Jahren den Notenbanken des Eurosystems Wertpapiere für rund 100 Mrd. Euro verkauft hat.

Diese Wertpapiere waren niedrig verzinslich. Viele hatten eine Rendite in der Nähe von 0%, teilweise sogar negativ. Das war die natürliche Konsequenz der Niedrigzinspolitik der EZB. Seit Mitte 2022 aber hat die EZB die Zinsen drastisch erhöht. Inzwischen zahlt sie für die Überschussreserven der Geschäftsbanken 4% Zinsen. Nehmen wir (realistisch) an, dass die o. g. Bilanzposition (179 Mrd. Euro) 150 Mrd. Euro an Überschussreserven enthält. Dann zahlt die EZB allein der Deutschen Bank im laufenden Jahr ein bedingungsloses Grundeinkommen von 6 Mrd. Euro! Nämlich 4% Zinsen auf 150 Mrd. Euro an Reserven.

Reserven stiften keinen Nutzen

Dies ist ein bedingungsloses Grundeinkommen, weil es völlig leistungslos gezahlt wird – von der Zentralbank, die das Geld bekanntlich einfach drucken darf. Leistungslose Einkommen für kommerzielle Unternehmen sind ungerechtfertigt. Warum sind Zinseinkommen auf Reserven ungerechtfertigt? 

In einer Marktwirtschaft sind Zinseinkommen normalerweise gerechtfertigt: Ein Kreditgeber erhält Zinsen erstens, weil er es ermöglicht, dass sein Geld vom Kreditnehmer produktiv oder nutzenstiftend eingesetzt wird. Zweitens weil der Kreditgeber ein Risiko trägt – es könnte ja sein, dass der Kredit notleidend wird. Drittens, weil der Kreditgeber auf Liquidität verzichtet, denn während der Laufzeit des Kredits kommt er nicht an sein Geld heran.
 

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Nichts von dem ist bei der Reservehaltung der Geschäftsbanken der Fall: Reserven stiften keinen Nutzen, sie liegen einfach nur bei der Zentralbank rum. Es ist keinerlei Risiko damit verbunden, denn die Zentralbank ist immer zahlungsfähig. Es gibt auch keinen Liquiditätsverzicht, denn die Banken können sich die Reserven jederzeit in Banknoten auszahlen lassen. 

Ergo: Die Deutsche Bank erhält ca. 6 Mrd. Euro im Jahr, ohne dass sie irgendeine Leistung erbringt. In ähnlicher Form gilt das für alle großen Banken der Eurozone. 6 Mrd. Euro ist kein Pappenstiel: Der Gewinn der Deutschen Bank (vor Steuern) lag 2021 bei 3,4 Mrd. Euro, 2020 bei 1 Mrd., 2019 bei 2,6 Mrd. und 2018 bei 1,3 Mrd. Euro. Das bedingungslose Grundeinkommen von 6 Mrd. Euro ist also weit mehr als das, was die Deutsche Bank normalerweise durch ihre Leistungen verdient.

100 Mrd. Euro an Geschäftsbanken

Kein Wunder, dass die Bankaktien seit Beginn der Zinserhöhungen prächtig gestiegen sind. Denn auch in den nächsten Jahren bestehen beste Aussichten auf das bedingungslose Grundeinkommen: Die EZB will an einer Politik hoher Reservebestände auch mittelfristig festhalten. Da die Zinsen aufgrund der Inflationsgefahren vermutlich nicht stark sinken werden, werden die Banken der Eurozone auch in den nächsten Jahren großzügig von der EZB alimentiert werden.

Um das noch einmal in Zahlen auszudrücken: Die Geschäftsbanken der Eurozone haben derzeit rund 4 Billionen Euro Überschussreserven bei den Notenbanken des Eurosystems. Bei einem Zinssatz von 4% ergibt sich, dass die EZB in 2023 160 Mrd. Euro (!) an Zinszahlungen (oder besser: leistungslose Einkommen) an diese Banken abführt. 

Selbst wenn die Zinsen oder die Reserven in den nächsten Jahren etwas zurückgehen sollten, ist realistisch davon auszugehen, dass das Eurosystem im Schnitt jährlich mindestens 100 Mrd. Euro an die Geschäftsbanken auszahlen wird. Nach spätestens zehn Jahren hätten die Geschäftsbanken insgesamt eine Billion (=1000 Mrd.) Euro empfangen. Ohne jede Leistung und völlig unabhängig davon, wie profitabel ihr eigentliches Geschäft ist.

Diese Last tragen letztlich die Steuerzahler

Und wer bezahlt das alles? Letztlich bezahlen es die Steuerzahler. Aus folgendem Grund: Die Zentralbank zahlt hohe Zinsen auf die Reserven der Geschäftsbanken. Sie selbst hat aber nur geringe Zinseinnahmen aus den Staatsanleihen, die die Geschäftsbanken der Zentralbank (gegen Reserven) verkauft haben, denn diese Staatsanleihen wurden in den Jahren der Niedrigzinsphase aufgelegt. Deshalb macht die EZB (und mit ihr die Bundesbank) derzeit hohe Verluste: Hohe Zinsausgaben, aber nur geringe Zinseinnahmen.

Früher war das anders. Früher hat die Bundesbank (und später auch die EZB) Reserven knapp gehalten. Wenn Geschäftsbanken Reserven brauchten, um jederzeit zahlungsfähig zu sein, mussten sie sich Reserven bei der Zentralbank leihen und dafür Zinsen bezahlen. Deshalb konnte die Bundesbank (und auch die EZB) einen hübschen Gewinn ausschütten, der an den Bundeshaushalt abgeführt wurde. 

Dieser Gewinn bleibt jetzt absehbar für Jahre aus. Stattdessen fließen 1000 Mrd. Euro an die Geschäftsbanken und verursachen erhebliche Verluste der Zentralbanken. Das bedingungslose Einkommen der Geschäftsbanken ist ein bedingungsloser Einnahmeausfall im Bundeshaushalt. Und diese Last tragen letztlich die Steuerzahler. Wenn die Bundesregierung derzeit nach Wegen sucht, um die Haushaltslücke zu stopfen: Warum schöpft sie nicht die leistungslosen Einkommen ab, die deutsche Geschäftsbanken von der Bundesbank erhalten?
 

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