Ersatz für Gas aus Russland - Die schwierige Suche nach neuen Lieferanten

Europa will möglichst schnell auf Gas und Öl aus Russland verzichten. Aber wer soll es ersetzen? Derzeit wendet sich der Blick nach Afrika, wo es große Vorkommen gibt: Algerien etwa liefert schon heute fast 12 Prozent des europäischen Verbrauchs. Doch Suche nach neuen Vorkommen ist teuer und zeitaufwändig – und russische Energiekonzerne sind auch in vielen afrikanischen Ländern sehr aktiv.

Erdölförderanlage in Nigeria / picture alliance
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Autoreninfo

Ekaterina Zolotova ist Analystin für Russland und Zentralasien beim amerikanischen Thinktank Geopolitical Futures.

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Es überrascht nicht, dass der Wirtschaftskrieg gegen Russland zu Spannungen auf den europäischen Energiemärkten geführt hat, wo man sich darum bemüht, alternative Quellen zu dem nach wie vor größten Lieferanten zu finden. Italien zum Beispiel hat bereits Vereinbarungen getroffen, um die Erdgaslieferungen aus Algerien und Angola zu erhöhen. Russland ist deswegen jedoch nicht sonderlich besorgt – es geht davon aus, dass die internen Probleme in der Region, die jüngste Opec+-Vereinbarung sowie der Wettbewerb um Energie in der EU dazu führen werden, dass Europa weiterhin ziemlich abhängig von seinen eigenen Exporten bleibt. Moskau sieht natürlich, was Europa tut – und wird alle geeigneten Maßnahmen ergreifen, um seine Position auf den europäischen Märkten durch eine verstärkte Zusammenarbeit mit den afrikanischen Staaten zu erhalten.

Die Debatte über den Verzicht auf russisches Gas zugunsten anderer Anbieter, insbesondere in Afrika, ist nicht neu. US-Präsident Ronald Reagan ermutigte Europa bereits 1981 dazu, als die Urengoi-Pomary-Uzhgorod-Gaspipeline – die Hauptleitung für russische Exporte nach Europa über die Ukraine – gerade gebaut wurde. Ziel war es, die Sowjetunion zu schwächen, die – wie das heutige Russland – in hohem Maße von den Einnahmen aus dem Öl- und Gassektor abhängig war. Washington legte eine Obergrenze für Westeuropa fest (die Verbündeten durften nur bis zu 30 Prozent ihres gesamten Gasverbrauchs von der Sowjetunion beziehen) und verbot der General Electric Corporation unter Androhung von Sanktionen den Export von Technologie und Ausrüstung in die Sowjetunion. Europa ging schließlich seinen eigenen Weg: Westdeutschland und die Sowjetunion hatten wichtige Öl- und Gasinfrastrukturverträge, die beide nicht aufgeben wollten, und andere Länder hatten zu wenig Möglichkeiten, um ihre eigene Produktion zu steigern.

Europa importiert fast 85 Prozent des russisches Gases

Die heutigen Spannungen sind in gewisser Weise ähnlich. Es stimmt, dass eine Drosselung der russischen Importe der Regierung in Moskau schaden würde. Sie erwirtschaftet mehr als ein Drittel ihres Haushalts mit Öl- und Gasverkäufen, wobei Europa etwa 85 Prozent des gesamten russischen Gases importiert. Aus diesem Grund hat die Europäische Kommission einen Plan zur Sanktionierung russischer Transportunternehmen beschleunigt. Wenn dieser Plan umgesetzt wird, könnte die EU ihre Nachfrage nach russischen Lieferungen bis Ende 2022 um bis zu zwei Drittel reduzieren, wobei die Lieferungen durch steigende Importe von der arabischen Halbinsel, aus Zentralasien, Afrika, Aserbaidschan und Norwegen sowie aus den USA, die Flüssigerdgas liefern, ausgeglichen werden.

Im Kontext des derzeitigen Wirtschaftskriegs nehmen die afrikanischen Länder jedoch aus mehreren Gründen einen besonderen Platz ein. Der erste Grund ist die schiere Menge an Erdgasressourcen – nach Angaben des britischen Energieunternehmens BP etwa 455,2 Billionen Kubikmeter. Der zweite Grund ist die Nähe. Das Erbe des Kolonialismus hat dazu geführt, dass viele afrikanische Regionen auf den Handel mit Europa ausgerichtet sind, mit Gaspipelines und LNG-Terminals als Ergänzung. Drittens liefern Länder wie Algerien und Nigeria bereits eine nicht unbedeutende Menge an Gas nach Europa: Auf Algerien entfallen fast 12 Prozent des europäischen Verbrauchs, auf Nigeria etwa 3 Prozent.
 
Wichtiger ist jedoch, dass die afrikanischen Länder das Potenzial haben, ihre Produktion und ihr Angebot zu steigern, ohne dass die globalen Versorgungsströme dramatisch umorientiert werden müssten. Die Ankurbelung der Produktion und die Entdeckung neuer Vorkommen sind eine viel wirksamere Methode der Energiekriegsführung als die Neuausrichtung der bestehenden Handelsströme. Denn wenn die Europäische Union Länder bevorzugt, die bereits über eine entwickelte Infrastruktur für die Produktion, die Verarbeitung und den Transport verfügen, die bereits Kunden haben und einen beträchtlichen Marktanteil besetzen, dann werden diese Länder höchstwahrscheinlich ihre derzeitigen Märkte aufgeben müssen, um die europäische Nachfrage zu decken. (Man denke an Aserbaidschan, Katar und Norwegen.) Dies wird mit ziemlicher Sicherheit dazu führen, dass russisches Öl die Lücken füllt. Die Ausweitung der Produktion in Afrika umgeht dieses Problem.

Problematische Alleingänge

All dies ist leichter gesagt als getan. Nahezu jedes EU-Land versucht, dasselbe zu erreichen, allerdings auf bilateraler Basis. Was für das eine Land von Vorteil ist, kann für das andere durchaus von Nachteil sein. Darüber hinaus wird es für EU-Mitglieder, die einen Alleingang wagen, schwieriger sein, die enormen Ressourcen aufzubringen, die erforderlich sind, um die afrikanische Produktion so weit anzukurbeln, dass der Wegfall der russischen Lieferungen ausgeglichen wird.

Man kann gar nicht hoch genug einschätzen, wie schwierig es sein wird, die notwendige Infrastruktur kurzfristig aufzubauen. Es ist ja nicht so, dass es keine Pipelines gäbe. Transmed, eine Erdgasleitung von Algerien über Tunesien nach Sizilien und von dort auf das italienische Festland, liefert rund 30 Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr. Und Medgaz, die Hauptgasleitung, die das größte Gasfeld in Algerien mit Spanien verbindet, hat eine Kapazität von 8 Milliarden Kubikmetern pro Jahr. Die bestehenden Pipelines haben entweder eine viel zu geringe Kapazität, um Lieferungen aus Russland zu ersetzen, oder sie wurden durch Bauarbeiten oder regionale Konflikte unbrauchbar gemacht (dies ist der Fall bei der Maghreb-Europa-Gaspipeline in Algerien). Ganz zu schweigen von den Schwierigkeiten beim Bau neuer Pipelines durch das Mittelmeer, das für moderne Technologien oft zu tief ist.

Und selbst wenn die neue Infrastruktur voll funktionsfähig wäre, wird dabei die Tatsache ignoriert, dass die Gasproduzenten dazu neigen, immer mehr von ihren eigenen Ressourcen zu verbrauchen. In Algerien beispielsweise stieg der Gasverbrauch von 25,3 Milliarden Kubikmetern im Jahr 2010 auf 43,1 Milliarden Kubikmeter im Jahr 2020. In Ägypten stieg er von 43,4 Mrd. Kubikmeter auf 57,8 Mrd. Kubikmeter, während er in Westafrika von 8,6 Mrd. Kubikmeter auf 25,2 Mrd. Kubikmeter anstieg. Das bedeutet, dass Algerien fast die Hälfte dessen verbraucht, was es produziert, Ägypten fast alles, was es produziert, und Westafrika etwa zwei Drittel dessen, was es produziert.

Drohende Unruhen

In der Regel steht die Produktion aus verschiedenen Gründen nicht im Einklang mit dem gestiegenen Verbrauch. Als Reaktion auf die sinkenden Ölpreise haben internationale Ölgesellschaften begonnen, ihre Investitionen zu reduzieren. In Algerien ist die Erschließung neuer potenzieller Explorationsgebiete, bei denen es sich größtenteils um neue Schiefergasvorkommen handelt, aufgrund des Mangels an Wasserressourcen, die für die hydraulische Frakturierung erforderlich sind, nicht mehr tragbar. In Nigeria hängt die Gasproduktion von der Ölproduktion ab, und die Ölproduktion ist durch das Opec+-Abkommen begrenzt. In Angola ist die Produktion um mehr als ein Drittel zurückgegangen, weil die westlichen Betreiber einfach kein Geld mehr in die ständig instabilen Volkswirtschaften investieren wollen. Und es versteht sich von selbst, dass die Umleitung der benötigten Gaslieferungen nach Europa die dortige Bevölkerung verärgern und möglicherweise zu Unruhen führen wird.

Unterdessen hat Russland seine Position in der Region erheblich gestärkt. Lukoil, Gazprom, Rosneft und andere bauen direkt oder indirekt die Energiebeziehungen zu vielen afrikanischen Staaten aus. So ist Lukoil beispielsweise in das Offshore-Tiefwasserprojekt im Tano-Block des Schelfs von Ghana in Westafrika eingestiegen, wo es zwei Gasfelder gibt. Lukoil erwarb auch einen 25-prozentigen Anteil am Förderprojekt Marine XII auf dem Schelf der Republik Kongo. Rosneft erwarb eine 30-prozentige Beteiligung an dem Offshore-Gasfeld Zohr in Ägypten. Gazpromneft hat über seine Tochtergesellschaft NIS Projekte in Libyen und Offshore-Felder in Äquatorialguinea und Angola. Gazprom beteiligt sich an den Explorations- und Produktionsarbeiten in El Assel, Algerien, an denen es einen Anteil von 49 Prozent hält. Russland ist auch am Seetransport beteiligt, wie die Lieferung eines von Gazprom gecharterten Tankers aus Kamerun nach Spanien zeigt.

Russlandfreundliches Afrika

Für Europa ist es also möglich, aber schwierig, neue Partner zu finden. Die Suche nach neuen Vorkommen ist teuer und zeitaufwändig. Und die Umlenkung bestehender Ströme birgt die Gefahr, dass Russland neue Märkte erschließt. Selbst wenn alles reibungslos verläuft, ist es unwahrscheinlich, dass Afrika in absehbarer Zeit die russischen Energieträger ersetzen kann, auf die Europa verzichten will – nämlich etwa 40 Prozent des jährlichen Verbrauchs. 

Moskau wird daher kurzfristig auf die Nichtumsetzbarkeit des aktuellen europäischen Afrikaprojekts setzen, während es mittelfristig seinen Marktanteil weiter ausbaut. Angesichts des Mangels an Investitionen und Technologie und der eher freundlichen Haltung der afrikanischen Staaten gegenüber Russland und ihrer blockfreien Sanktionspolitik könnte die Zukunft für Russland auf diesem Gebiet noch rosig sein.

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