EU-Sanktionen gegen Russland - Öl-Embargo: „Chinesen und Inder freuen sich darüber“

Mit einem weitestgehenden Verzicht auf russisches Erdöl will die Europäische Union Putin wirtschaftlich in die Knie zwingen. Doch das kann auch schiefgehen, warnt Carsten Fritsch, Rohstoff-Experte der Commerzbank. Denn während der Westen unter steigenden Ölpreisen leidet und es zu lokalen Versorgungsengpässen kommen kann, freuen sich andere Länder über Russlands Rabatte.

Zukunft ungewiss: Noch bekommt die Raffinerie in Schwedt russisches Erdöl per Pipeline, das Embargo gilt vorerst nur für Lieferungen per Schiff / dpa
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Daniel Gräber leitet das Ressort Kapital bei Cicero.

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Carsten Fritsch ist Rohstoff-Analyst der Commerzbank. Sein Schwerpunkt liegt auf den Märkten für Rohöl und Ölprodukte.

Herr Fritsch, die EU hat ein Öl-Embargo gegen Russland beschlossen. Zunächst sind nur Lieferungen auf dem Seeweg, nicht per Pipeline betroffen. Welche Folgen wird das Embargo für Deutschland haben?

Die Folgen sind jetzt schon zu spüren. Der Rohöl-Preis ist deutlich gestiegen. Für kurzfristig lieferbares Öl liegt er gerade bei 124 Dollar je Barrel. So teuer war Brentöl zuletzt Anfang März. Damals war der Preis zu Beginns des Ukraine-Krieges stark gestiegen. Jetzt sehen wir, dass seit letztem Mittwoch, als die Debatte über ein Öl-Embargo der EU konkreter wurde, der Preis um rund 10 Dollar gestiegen ist. Daran sieht man, welche Auswirkungen das bislang hatte.

Was heißt kurzfristig lieferbares Öl? Können Sie uns erklären, wie die Preisbildung funktioniert?

Weltweit wird Öl an den Terminbörsen gehandelt. Da gibt es verschiedene Kontraktfälligkeiten. Das heißt, Käufer und Verkäufer schließen jetzt einen Handel ab. Das Öl wird aber erst zu einem späteren Zeitpunkt geliefert, zum Teil sind das Monate. Vor allem die Termingeschäfte mit einer frühzeitigen Fälligkeit, also kurzfristiger Lieferung, sind im Preis stark gestiegen. Man ist also bereit, am Markt für schnell lieferbares Öl deutlich mehr zu bezahlen.

Steigen die Preise, weil man künftige Knappheiten befürchtet oder weil das Öl jetzt schon knapp wird?

Wir haben schon Knappheiten, vor allem am Markt für Ölprodukte. Die Benzin-Lagerbestände in den USA sind zu dieser Jahreszeit so niedrig wie seit 2014 nicht mehr, und die Sommerfahrsaison hat gerade erst begonnen. In Nordwest-Europa sind die Gasölvorräte so niedrig wie zuletzt 2008 zu dieser Jahreszeit. Und wenn nun beträchtliche Mengen an Rohöl und Ölprodukten wie Benzin und Diesel, die auch von dem Embargo betroffen sind, aus Russland wegfallen, dann wird es noch knapper.

Welche Auswirkungen wird das Embargo auf Russland haben?

Carsten Fritsch

Für Russland fallen perspektivisch bis zu drei Millionen Barrel pro Tag Öllieferungen nach Europa weg. Die Pipeline Druschba ist zwar davon ausgenommen, aber Deutschland und Polen wollen bis Jahresende auch darüber kein Öl mehr beziehen. Dann würden die russischen Öllieferungen in die EU um 90 Prozent sinken. Allerdings gelingt es Russland schon seit einiger Zeit, andere Abnehmer zu finden. In Indien und China, aber auch in der Türkei. Denn diese Länder beteiligen sich nicht an den Sanktionen und kaufen das billigere russische Öl dankend auf.

Warum ist es billiger?

Weil der Westen als Käufer wegfällt. Das ist schon länger der Fall, nicht erst seit dem Embargo. Viele westliche Ölhändler und Ölgesellschaften haben ihr Russlandgeschäft aus Angst vor Reputationsschäden und Sanktionen bereits eingestellt. Das hat sich am Markt bereits bemerkbar gemacht. Russisches Öl liegt etwa 30 Dollar je Barrel unter dem Brent-Ölpreis. Die Chinesen und Inder freuen sich darüber. Sie zahlen zwar immer noch mehr als vor einem Jahr, aber eben deutlich weniger als wir. Und deshalb ist der Rückgang der russischen Ölexporte nicht so stark ausgefallen, wie man das zunächst gedacht hat.

Dann gibt es also die Gefahr, dass sich der Westen mit dem Embargo mehr selbst schädigt als Russland schwächt.

Das ist zu befürchten. Aber die weitere Entwicklung bleibt abzuwarten. Indien kauft derzeit knapp eine Million Barrel Rohöl am Tag aus Russland. Wenn wirklich drei Millionen Barrel, die bislang täglich in die EU geliefert wurden, wegfallen, bleibt noch immer eine beträchtliche Lücke. Zudem kann es sein, dass der Preisabschlag noch größer wird, weil die Chinesen und Inder gegenüber den Russen die bessere Verhandlungsposition haben. Der Verlust kann für Russland also doch noch größer werden, als es aktuell den Anschein hat.

Aber wenn Putin dennoch seine Armee nicht aus der Ukraine zurückzieht und bei uns der wirtschaftliche Schaden wächst, könnte die Stimmung kippen und der politische Rückhalt für das Embargo schwinden.

Das Risiko besteht durchaus, falls es zu lokalen Versorgungsengpässen oder zu dramatischen Preissteigerungen kommt. Immerhin warnte der Chef der Internationalen Energieagentur vor Knappheiten bei Kraftstoffen in den Sommermonaten. Allerdings könnte die EU in diesem Fall mit einer weiteren Freigabe von Ölreserven gegensteuern.

Das Gespräch führte Daniel Gräber.

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