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Der Kreml gibt Gas

Putin nutzt Russlands Rohstoffe als strategisches Mittel der Außenpolitik: Gasvorräte ersetzen Militärstützpunkte, hegemoniale Strategien münden in Lieferverträge statt in Aufmarschpläne. Das System Gasprom ist politisch erfolgreich, wirtschaftlich ein Sanierungsfall.

Hier genügt ein Knopfdruck: Gas an. Gas aus. Nichts ist zu hören in dem fensterlosen Zimmer dieses Wolkenkratzers mitten in Moskau. Nur gelegentlich piepst es in dem Kontrollraum, dem Herzen des Unternehmens Gasprom. Tausende von Lämpchen flimmern auf der Landkarte: Tausende Kubikmeter Gas täglich für die Ukraine, für Weißrussland, für Turkmenistan. Rund 150000 Kilometer Gaspipelines erstrecken sich auf dem riesigen Monitor. Das entspricht beinahe der fünffachen Länge des Äquators. Die Gasprom, eines der größten Energieunternehmen der Welt, hat eine enorme Reichweite. Und sie hat sehr viel Macht. Vom Gas der Russen hängen viele der einstigen Ostblockstaaten noch heute ab: die Ukraine, Weißrussland, Turkmenistan, Polen, Ungarn oder Bulgarien. Daran hat sich nach dem Zerfall der Sowjetunion nichts geändert, obgleich die Gasprom heute ein börsennotiertes Unternehmen ist mit einem Vorstand und einem Aufsichtsrat, dessen Geschäftsberichte die amerikanische Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers betreut. Seit Januar können sogar ausländische Anleger Aktien des Gasproduzenten direkt kaufen. Nach jahrelangem Tauziehen ist die Firma mit einem Börsenwert von rund 200 Milliarden Dollar damit offen für den internationalen Kapitalmarkt. „Das ist so“, erklärte kürzlich William Browder, Fondsmanager von Hermitage Capital, „als wenn Ausländern die Beteiligung am saudischen Ölförderer Saudi Aramco ermöglicht würde – dem größten Erdölproduzenten der Welt.“ Die Mehrheit der Gaspromaktien gehört dem russischen Staat. Mit seinen 330000 Mitarbeitern und einem Umsatz von rund 977 Milliarden Rubeln (etwa 28 Milliarden Euro) ist das Unternehmen ein Energieimperium, kontrolliert es doch mehr als 16 Prozent aller Weltreserven an Gas. Mit der Gasprom macht der russische Staat Politik. Viele Länder der früheren Sowjetunion, die ihr Gas von dem Unternehmen beziehen, zahlen dafür noch heute einen Preis, der unter dem Weltmarktniveau liegt. Wer sich aber politisch allzu stark vom Gasgeberland Moskau abwendet, dem dreht Moskau gerne mal den Hahn ab: Anfang 2004 zum Beispiel stellte die Gasprom ihre Lieferungen an das ansonsten Moskautreue Weißrussland für drei Tage ein. Der Kreml begründete dies ausdrücklich mit „Fehlern der inneren und äußeren Politik“. In dem jüngsten Streit zwischen Russland und der Ukraine geht es ebenfalls nur vordergründig um Gaspreise, hintergründig aber wiederum um die politische Orientierung der Ukraine, deren neue Regierung sich stark dem Westen zugewandt hat. „Gas und Öl gehören zu uns wie Militärstützpunkte“, beschrieb Fjodor Lukjanow, Chefredakteur der russischen Zeitschrift Russia in Global Affairs, einmal ironisch das Selbstverständnis der russischen Gesellschaft. Zweifelsohne ist die Gasprom heute das wichtigste außenpolitische Instrument Russlands. Auch innenpolitisch ist das Unternehmen ein bedeutender Machtfaktor, denn es bestreitet in guten Zeiten bis zu einem Drittel des russischen Steueraufkommens. Zugleich stellt die Gasprom in Russland ein Politikum dar – als Sinnbild postsowjetischer Macht, aber auch als Sinnbild für den postsowjetischen Kapitalismus: An der Gasprom hat sich so mancher Russe um Millionen bereichert. Im Jahre 1989 lässt Staatschef Michail Gorbatschow den Geschäftsbereich Gasindustrie des Ministeriums für Erdöl- und Gaswirtschaft der UdSSR in den Staatskonzern Gasprom umwandeln. Zum Chef des Unternehmens ernennt er den bisherigen Energieminister Viktor Tschernomyrdin. Im Dezember 1992 steigt Tschernomyrdin zum Premierminister Russlands auf, und sein bisheriger Stellvertreter, der Gasexperte Rem Wyachirew, wird neuer Chef der Gasprom. Die Sowjetunion fällt auseinander, es ist die Zeit der großen Privatisierungen in der russischen Roh-stoffindustrie. Im Februar 1993 beschließt der erste Präsident Russlands, Boris -Jelzin, die Gasprom in eine Aktien-gesellschaft umzuwandeln. Der Staat bleibt Hauptaktionär über einen direkten Anteil und über Firmenbeteiligungen. Darüber hinaus gelangt ein Teil der Aktien in Privatbesitz. Obwohl Ausländer Aktien der Gasprom nur indirekt mittels bestimmter US-Wertpapiere halten dürfen, landen in den nächsten Jahren auch Gasprom-Aktien in ausländischen Depots. Die Aktionärsstruktur der Gasprom wird immer unübersichtlicher, der Einfluss des Staates nimmt ab. Der Konzern entwickelt sich zu einem großen Dickicht aus Haupt- und Nebenfirmen. Derweil bleibt die Verflechtung zwischen Politik und Gasbetrieb eng. Zahlreiche Politiker übernehmen vor oder nach ihrer politischen Laufbahn einen führenden Posten in dem Gaskonzern. Einer von ihnen ist der einstige Firmenchef Viktor Tschernomyrdin, der nach seiner Amtszeit als Ministerpräsident in den Aufsichtsrat der Gasprom wechselt. Trotz ihres beinahe hundertprozentigen Gasmonopols im Inland und trotz ihrer Position als stärkster Gasanbieter auf dem Weltmarkt macht die Firma Schulden. Ein Grund dafür sind Missmanagement und Ineffizienz. Aber das ist nicht alles. Immer wieder erweitern führende Mitarbeiter das Firmendickicht, um die Einnahmen der Gasprom in die eigene Tasche zu wirtschaften. So entstehen zahlreiche private Firmen, die Gasreserven der Gasprom zu einem Bruchteil ihres Marktwertes kaufen dürfen, um sie anschließend für ein Vielfaches zu vertreiben. Diese Privatfirmen sind häufiger mit Führungskräften der Gasprom verbunden. Regelmäßig führt die Spur auch in kriminelle Strukturen. Bis zu dreistellige Millionenbeträge landen auf ausländischen Konten. Das Wall Street Journal schätzt, dass in dieser Zeit etwa ein Zehntel der Gasreserven der Gasprom so gehandelt wird. Im Interview mit dem Spiegel stellte der Mafia-Experte Jürgen Roth kürzlich fest: „Nach mündlichen Aussagen der Schweizer Staatsanwaltschaft soll ein ehemaliges Vorstandsmitglied von Gasprom mindestens zwei Milliarden US-Dollar beiseite geschafft haben. Und er ist kein Einzelfall.“ Die Ermittlungen laufen Roth zufolge bis heute ins Leere, weil niemand wagt, ernsthaft gegen die Gasprom vorzugehen. „Die Gasprom ist zu mächtig.“ Ende der neunziger Jahre haben die Auswüchse von Korruption und Ausbeutung im System Gasprom einen Höhepunkt erreicht, der Einfluss des Staates in dem Unternehmen dagegen einen Tiefpunkt. Mit seiner Macht-übernahme im Jahre 2000 kämpft der neue Präsident Wladimir Putin wieder für eine stärkere Kontrolle des Gasgiganten. Ein Jahr später setzt Putin den Gaspromchef Wyachirew ab und beruft den bisherigen stellvertretenden Energieminister, den 39-jährigen Alexej Miller, an die Spitze des Unternehmens. Putin und Miller kennen und schätzen sich aus gemeinsamen Petersburger Tagen. In der Tat gelingt es Miller, einige dubiose Geschäfte der Gasprom mit privaten Zwischenhändlern zu zerschlagen, freilich nicht alle. Mafiaexperte Roth sieht noch heute zahlreiche Verbindungen zwischen Gaspromfirmen und osteuropäischen Kriminellen. „Die korrupten Geschäftspraktiken sind die gleichen wie früher“, sagt er im Gespräch mit Cicero. Der Putin-Biograf Alexander Rahr von der Gesellschaft für Auswärtige Politik ist anderer Meinung. Heute gehe es bei der Gasprom ehrlicher zu, auch wenn ehrlicher etwas anderes bedeute als ehrlich. „Tschernomyrdin und Wyachirew hatten aus der Gasprom einen Selbstbedienungsladen für die erweiterte Familie gemacht. Das hat sich auf jeden Fall geändert.“ Vorbei seien die Zeiten, in denen jeder bei der Gasprom machen könne, was er wolle. „Wichtiges läuft heute nur auf Knopfdruck des Kreml.“ Unter Alexej Miller erhöht der Staat seinen direkten Anteil an der Gasprom wieder von rund 38 Prozent auf 51 Prozent. Größter ausländischer Aktionär ist mittlerweile die Ruhrgas mit 6,5 Prozent, die schon seit Jahren enge Beziehungen zur Gasprom pflegt und deren Vorstands-chef Burckhard Bergmann als einziger Ausländer im Aufsichtsrat der Gasprom sitzt. Gleichzeitig will der Kreml die Organisation der Gasprom straffen und die Macht der Gasprom noch stärken. „Gasprom wird nicht nur ein bedeutender Spieler auf dem Weltenergiemarkt sein, sondern Gasprom wird die Spielregeln bestimmen“, verspricht Gasprom-Chef Miller seinen Aktionären auf einer Hauptversammlung. Das Unternehmen soll nicht nur das Gasgeschäft, sondern auch das Ölgeschäft in der Welt dominieren. Ein paar Ölförderfirmen Russlands waren jedoch in den neunziger Jahren bei Auktionen in die Hände von Privatleuten gelangt. Dank dieser Auktionen – deren Spielregeln international umstritten sind – wurden einige Unternehmer zu Ölmilliardären. Einer von ihnen ist Michail Chodorkowski, ein anderer Roman Abramowitsch. Als Chodorkowski unter der Regierung Putin Anstalten macht, mit seinem Ölkonzern Politik zu betreiben, greift Putin hart ein. Im Jahre 2004 wird Yukos zerschlagen, Chodorkowski 2005 zu acht Jahren Lagerhaft verurteilt. Nach einer Zwangsauktion, deren Spielregeln wiederum international kritisiert werden, landet das Filetstück seiner Firma, der Ölproduzent Yuganskneftegas, schließlich bei der Gasprom. Um Gas- und Ölreserven zu bündeln, will Putin den staatseigenen Ölkonzern Rosneft in die Gasprom eingliedern, doch dieser Versuch scheitert am Widerstand einiger Führungskräfte von Rosneft. Der Ölkonzern bleibt ein eigenständiges Unternehmen und darf sich Yuganskneftegas einverleiben. Dafür übernimmt Gasprom einige Monate später mit Sibneft einen anderen Ölriesen, der bis dahin Roman Abramowitsch gehört hatte. Mit diesem Schritt erhöht der russische Staat seinen Anteil an der Ölförderung des Landes von deutlich unter zehn Prozent auf knapp ein Drittel. Nun ist die Gasprom im Gas- und im Ölgeschäft aktiv. Effizient arbeitet sie immer noch nicht. Die Schulden des Konzerns belaufen sich derzeit auf 23 Milliarden Dollar und das trotz des hohen Ölpreises, der auch den Gaspreis bestimmt. Wie eine Zeitbombe tickt das marode Leitungssystem, in dessen Wartung die Gesellschaft nicht genügend investiert. In seinem Bestreben, das Land im Griff zu haben, kontrolliert Wladimir Putin via Gasprom obendrein andere Branchen, die mit dem Kerngeschäft Ener-gie nichts zu tun haben. So betreibt der Gasriese eine eigene Bank, und er hat in den vergangenen Jahren unter Putin ein ansehnliches Medienimperium in seiner Tochter Gasprom-Media aufgebaut – auch hierbei wurden diverse mächtige Unternehmer ausgeschaltet. Letztes prominentes Beispiel ist der Erwerb der Zeitung Iswestija, die dem Kreml in ihrer Berichterstattung zu unbequem wurde. Bei diesen wie bei einigen anderen Zukauf-Aktionen der Gasprom waren internationale Banken als Finanzierer zur Stelle, und oft gehörte die Dresdner Bank zu ihnen. An der Figur ihres wichtigsten Repräsentanten in Russland, Matthias Warnig, zeigt sich, wie politisch die Verflechtungen auch zwischen der westlichen Industrie und der Gasprom sind: Warnig ist ein früherer Stasi-Mann und ein alter Bekannter Wladimir Putins. Heute bemüht sich die Gasprom darum, ihre Machtsphäre über die Produktion von Gas und Öl hinaus zu vergrößern. Der Bedarf an Gas wird in den kommenden Jahren weltweit stark steigen, besonders in Europa. Hier strebt die Gasprom danach, das Geschäft mit den Endverbrauchern direkt zu beherrschen. In Deutschland spielt die Gasprom ihre beiden alten Handelspartner BASF-Wintershall und Eon-Ruhrgas gerne gegeneinander aus, um Zugang zu den Stadtwerken zu bekommen. Wintershall und Ruhrgas sind seit kurzem Partner von Gasprom beim Bau einer neuen Leitung, die russisches Erdgas durch die Ostsee nach West-europa bringen soll. Die Pipeline hat große Proteste in Polen, im Baltikum und in anderen Staaten des ehemaligen Ostblocks ausgelöst. Sie befürchten, dass Russland mit dem Bau dieser Pipeline noch mächtiger wird, weil es bei der Durchleitung des Gases nicht mehr auf diese Länder angewiesen ist. Russland argumentiert dagegen, erst mit dieser Pipeline sei der Gastransport nach Westeuropa weiterhin gesichert. In der Tat hatte die Gasprom immer wieder damit zu kämpfen, dass ihre Pipeline auf dem Festland zu Selbstbedienungszwecken missbraucht oder gar auf Geheiß von Regierungen angezapft wurde. Im Westen wird die Gasleitung durch die Ostsee auch wegen der Rolle von Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder kritisiert. Als Bundeskanzler hat Schröder das Projekt sehr gefördert, nun soll er den Aufsichtsratsvorsitz der mehrheitlich russischen Firma Nordeuropäische Gaspipeline (NEGP) übernehmen, die das Ostsee-Projekt betreibt. Vorstand der NEGP wird wiederum der alte Vertraute Putins, Matthias Warnig. Zu Schröders möglichem Wechsel schrieb der Russe Garry Kasparov kürzlich in einem Beitrag für das Wall Street Journal, es schade der demokratischen Sache in Russland enorm, wenn sich das frühere Oberhaupt der drittgrößten Industrienation der Welt „enthusiastisch mit autoritären Schlägertypen verbindet“. Immer wieder wird in der Öffentlichkeit die Frage diskutiert, inwiefern sich Westeuropa mit dieser Pipeline allzu abhängig von russischem Gas macht und damit erpressbar wird. Am Wesen der Gasprom – einem wirtschaftlich eher ineffizienten, politisch aber äußerst mächtigen Staatsbetrieb – hat sich seit Sowjetzeiten jedenfalls nichts geändert. Die jüngste Geschichte des Unternehmens zeigt, wie Wladimir Putin seine Macht über die eigene Amtszeit hinaus sichern will: mit einem harten Griff um die Schlüsselressourcen des Landes und die Medien sowie mit seinen Gefolgsleuten in den wichtigsten Positionen dieses Systems. Als Nachfolger Putins wird in Moskauer Politikerkreisen heute der Name Dimitri Medwedjew genannt. Medwedjew ist stellvertretender Premierminister und Aufsichtsratsvorsitzender der Gasprom. Ferner heißt es, dass Putin wohl eines Tages den Posten Medwedjews bei der Gasprom übernehmen werde.

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