Demokratie und Wohlstand - Deindustrialisierung ist der Treibstoff des Populismus

Eine stabile Demokratie hat ihr Fundament in der wohlstandssichernden Industrie eines Landes. Der Wahlerfolg Donald Trumps und der Brexit sollten uns eine Mahnung sein, die deutsche Industrie nicht leichtsinnig aufs Spiel zu setzen.

Industrieanlagen in Wesseling bei Köln / picture alliance
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Autoreninfo

Markus Karp ist an der Technischen Hochschule Wildau Professor für Public Management und Staatssekretär a.D.

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Die moderne demokratische Gesellschaft hat ihr materielles Fundament in der Industrialisierung. Erst die derart geboosterte Arbeitsproduktivität hat jene Wohlstandsdividende hervorgebracht, welche es ermöglicht, dass die Gesellschaft sich ein soziales Netz, Zugang zu höherer Bildung für breite Schichten und einen historisch hohen Grad von Verstädterung leisten kann. 

Auch in unserer vermeintlich postindustriellen Gesellschaft ist das verarbeitende Gewerbe noch Grundlage unseres Wohlstands: Nicht nur, weil die Urenkel jener Bauernsöhne, die auf ein Scherflein vom Wohlstand durch Fabrikarbeit hofften, heute gutes Geld in Konzernbürokratien und Forschungsabteilungen verdienen. Auch die Umsätze im Dienstleistungssektor werden mit Geld gemacht, welches die Exportwirtschaft hereinholt. Die Mittel für Sozialpädagogen, Polizisten und Professoren kommen aus Überschüssen einer Volkswirtschaft mit industriellem Rückgrat.

Ebenso sollte die integrative Kraft gutbezahlter Industriearbeitsplätze in einer Einwanderungsgesellschaft nicht unterschätzt werden. Hier lebt immer noch der Traum vom Wohlstand durch harte Arbeit, der in vielen anderen Branchen, die viel zu oft trotz Personalmangels nicht sonderlich gut zahlen, keine Aussicht auf Verwirklichung hat. 

Dass dies auch Jahrhunderte nach Beginn der Industrialisierung nicht alles kalter Kaffee ist, zeigt sich schon daran, dass der Aufstieg von Staaten und Gesellschaften auch heute noch auf das Engste mit ihr verknüpft ist. Eine andere erwiesenermaßen funktionierende Formel für den Weg zu Wohlstand und Demokratie gibt es eigentlich nicht. Taiwan und Südkorea sind Musterbeispiele von autoritär regierten Armenhäusern, die sich aus den bescheidenen Anfängen mit Leichtindustrien zu Hightech-Nationen emporgearbeitet und gleichzeitig demokratisiert haben.

Trumps Erfolg und der amerikanische Rostgürtel

Umgekehrt ist zu besichtigen, was passiert, wenn dieses industrielle Fundament des Wohlstands unterspült wird: Ein Donald Trump beispielsweise ist nicht zu denken ohne die breiten Wählerschichten, die der Verlust der gewaltigen industriellen Kapazitäten des heutigen amerikanischen Rostgürtels umtreibt. Es ist ja auch nicht so, dass all die einst dort hergestellten Güter nicht mehr nachgefragt werden würden: Sie werden lediglich unter ökologisch und sozial schlechteren Bedingungen in Übersee gefertigt. 

Auch zum Brexit, ein schwerer Schlag für ganz Europa, wäre es ohne die letztlich ausschlaggebenden Stimmen aus verödeten nordenglischen Industrierevieren nicht gekommen. Die spezifischen Probleme Ostdeutschlands haben im Wesentlichen ihre Wurzel im Implodieren der einst alles Wirtschaftsleben dominierenden Industrie. 

 

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Dies sollte aber nicht zum allzu simplen Fehlschluss verleiten, der daraus folgende elektorale Protest gehe vor allem von abgehängten Existenzen aus. Dies würde bedeuten, dass es nur ein Mehr an Transferleistungen bräuchte, um den Unmut zu beschwichtigen. Es ist eine paternalistische Sicht, welche an der Realität vorbeigeht. In der zeigt sich: Nicht einmal Vollbeschäftigung genügt zur Beschwichtigung des Wählerzorns. Untersuchungen zeigen, dass die Protestwahl bei Weitem nicht nur von sich ökonomisch in Zwangslage befindlichen Menschen ausgeht. 

Die oftmals ratlos gestellte Frage, weshalb Wähler, denen es objektiv gut geht, trotzdem bereit sind, der etablierten Politik eine radikale Abfuhr zu erteilen, stellt sich eigentlich nur, wenn ein viel zu vereinfachtes Menschenbild zugrunde gelegt wird. Zum Menschsein gehört unweigerlich eine Vorstellung vom Kommenden. Gegenwärtiger Wohlstand überstrahlt bei der Wahlentscheidung nicht den verlorenen Glauben an die Zukunft. Das ist auch einleuchtend, denn eine Wahl ist nicht allein Petitum über die Zufriedenheit im Hier und Jetzt, sondern genauso eine Weichenstellung für das Vorausliegende.

„It’s the economy, stupid“

Wo aber die Angst vor einem stetigen Abwärtstrend alles andere überstrahlt, nützt auch ein guter wirtschaftlicher Istzustand wenig. Hier findet sich der Grund, weshalb sich die Biden-Administration trotz guter Konjunkturdaten, einer eher mittigen Agenda und des vom Kapitolsturm des 6. Januar 2021 ausgehenden demokratischen Grusels ihrer Wiederwahl nicht sicher sein kann. Zwar gilt nach wie vor Bill Clintons Credo „It’s the economy, stupid“, aber angesichts längst aufgerissener tiefer gesellschaftlicher Gräben, einer großen Verunsicherung über die Folgen progressiver Transformationspolitik sowie nicht nachhaltig geordneter Einwanderung lassen sich die realen Erfolge der Präsidentschaft schwierig in künftige Wählerstimmen verwandeln. Es fehlt in dieser verunsichernden Gemengelage der Glaube an ihre Fortschreibung.

Zukunftszuversicht hängt nicht unwesentlich vom Gedeihen der industriellen Basis ab. Innovationen und Erfindungen heimischer Industrien, Produktionszuwächse, Beschäftigungsaufwuchs sind nicht nur für Ökonomen und Anteilseigner von Interesse. Jener Bevölkerungsmehrheit, welche nicht als postmateriell und wachstumsskeptisch einzuschätzen ist, gelten sie als Ticket für den Wohlstand von Morgen und Übermorgen. Sie werden als die sprichwörtlich bessere Zukunft für Kinder und Enkelkinder wahrgenommen.

Umso schlimmer ist es, wenn diese ausgeprägten Zukunftszweifel von einer tatsächlichen Rezession im produzierenden Gewerbe, einer bereits messbaren Deindustrialisierung, bestätigt werden. Dann maximieren sich die Protestpotentiale. Die Bundesregierung muss daher dringend gegensteuern, will sie verhindern, dass die politische Ordnung der Bundesrepublik eine dauerhafte populistische Unwucht bekommt. 

Harte Verteilungskämpfe

Selbst Marktwirtschaftsskeptikern sollte hieran gelegen sein: Die teuren Transformationsvorhaben, die sozialstaatlichen Haltelinien, lassen sich mit Schulden nur kurzfristig finanzieren. Ebenso wenig wird es politisch durchzuhalten sein, sich lediglich auf politisch wohlgelittene Industriezweige und Erzeugnisse zurückzuziehen, welche mit protektionistischen Maßnahmen und Subventionen halbwegs weltmarkttauglich gemacht werden. Auch dies hätte einen haushalterischen, gesellschaftlichen und politischen Preis, der unmöglich aufgebracht werden kann, nicht einmal auf Kosten kommender Generationen. 

Die öffentlich kursierenden Szenarien von Minuswachstum und Wohlstandsabschmelzung durch Deindustrialisierung würden bei ihrer Realisierung nicht zu einer besseren Welt, sondern zu Verteilungskämpfen und weiter zunehmenden Fliehkräften in der politischen Landschaft führen. Es ist daher nicht zu hoch gegriffen, zu sagen, dass die Bewahrung der industriellen Basis unseres Landes bedeutet, sich schützend vor dessen Demokratie zu stellen. Die ökologischen und sozialen Ansprüche unserer Gesellschaft können nur mit einem starken produzierenden Gewerbe erreicht werden, nicht durch dessen Abwicklung.  

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