Gipfeltreffen in Südafrika - Die BRICS-Staaten sind noch längst nicht am Ziel

Beim BRICS-Gipfel geht es um zwei Themen: Erweiterung der Gruppe sowie Einführung einer eigenen Währung. Doch Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika sind weder wirtschaftlich vergleichbar noch ziehen sie politisch am selben Strang.

Flaggen der Teilnehmerstaaten beim BRICS-Gipfel in Johannesburg / picture alliance
Anzeige

Autoreninfo

Antonia Colibasanu ist Analystin bei Geopolitical Futures und Dozentin an der rumänischen National Defence University mit Sitz in Bukarest.

So erreichen Sie Antonia Colibasanu:

Anzeige

Seit Dienstag halten die Mitglieder der BRICS-Gruppe ein zweitägiges Gipfeltreffen in Johannesburg ab. Es wird erwartet, dass sie bei dieser Gelegenheit zwei Schlüsselthemen erörtern: die Erweiterung der Gruppe sowie die Einführung einer gemeinsamen Währung. Beide Themen sind entscheidend für die Zukunft dieser Partnerschaft von fünf großen Entwicklungsländern: Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika. Die Erörterung der beiden Themen soll die Gruppe als internationale Kraft stärken, auch wenn in beiden Bereichen bisher kaum Fortschritte erzielt wurden.

Die Ansichten über die künftige Entwicklung der Gruppe sind je nach Blickwinkel unterschiedlich. Einige glauben, dass BRICS eine wachsende Rolle in internationalen Angelegenheiten spielen wird, da der Westen an Bedeutung verliert, während andere sie als weitgehend irrelevant ansehen, da die Mitglieder in wichtigen politischen und wirtschaftlichen Fragen nicht übereinstimmen.

Den Westen überflügeln

Um zu verstehen, wie sich die Gruppierung in Zukunft entwickeln könnte, müssen wir zunächst verstehen, wie es dazu kam. Im Jahr 2001 prägte der ehemalige Chefvolkswirt von Goldman Sachs, Jim O'Neill, erstmals den Begriff „BRIC“, zu dem Südafrika damals noch nicht gehörte, um wachsende Märkte zu beschreiben, denen er voraussagte, dass sie den Westen schließlich überflügeln würden. Damals sahen die Länder keine Notwendigkeit, einen formellen Block zu bilden, um die Zusammenarbeit untereinander zu fördern.

Erst 2009 richtete Russland den ersten BRIC-Gipfel aus und erklärte, die globale Finanzkrise von 2008 sei der Beweis dafür, dass die wichtigsten Schwellenländer der Welt zusammenarbeiten müssten, um zu verhindern, dass der Westen die Geschicke der Weltwirtschaft und ihre eigene Entwicklung kontrolliert. Es ist wichtig anzumerken, dass 2008 auch das Jahr war, in dem Russland in Georgien einmarschierte, seine Abkehr vom westlichen Wertesystem verkündete und begann, seine Macht über die ehemaligen Sowjetstaaten wiederherzustellen, während es gleichzeitig auf der Suche war nach Verbündeten in Asien und darüber hinaus. Aus Sicht Russlands entwickelten sich die BRIC-Staaten zu einer antiwestlichen politischen Plattform, die es unterstützen wollte.

Inmitten des weltweiten Wirtschaftsabschwungs erkannte auch China die Notwendigkeit, seine Abhängigkeit von den westlichen Märkten und insbesondere vom US-Dollar zu verringern. Es sah in den BRIC-Staaten eine Möglichkeit, um sein Handelsportfolio zu diversifizieren. Brasilien und Indien wiederum hofften auf eine Chance, um die Weltpolitik zu beeinflussen und ihre eigenen Perspektiven auf der Weltbühne zu vertreten. Jedes Mitglied, insbesondere China und Russland, sahen in Afrika den Schlüsselkontinent, durch den sie sich vom Westen absetzen konnten. Daher luden sie Südafrika 2010 ein, der Gruppe beizutreten.

Fokus auf Geldpolitik

Im Laufe der Zeit konzentrierte sich China zunehmend auf die Geldpolitik. Im Jahr 2015 unterstützte Peking die Gründung der beiden Wirtschaftsinstitutionen der BRICS, des Contingent Reserve Arrangement (CRA) und der New Development Bank (NDB), die als Alternativen zum Internationalen Währungsfonds und zur Weltbank gedacht sind. China ist die wichtigste Finanzierungsquelle für die CRA und hält 40 Prozent der Stimmrechte. Ebenfalls 2015 führte China sein eigenes, auf dem Yuan basierendes Interbanken-Nachrichten- und Abrechnungssystem ein, das sogenannte Cross-Border Interbank Payment System, um die Verwendung des Dollars in seiner Wirtschaft zu verringern und den Yuan als internationale Währung zu fördern.

Der Fokus auf die Entdollarisierung wuchs im Jahr 2022, als der zunehmende Handel zwischen Russland und China in Verbindung mit der Finanzierung eines Parallelhandelssystems durch Russland zu einem wachsenden Anteil des Yuan am russischen Finanzmarkt führte. Vom Westen sanktioniert, schwenkte Russland auf China um und nahm den Yuan als eine seiner Hauptwährungen für internationale Reserven, den Überseehandel und sogar einige persönliche Bankdienstleistungen an. Gleichzeitig musste Russland seinen Einfluss im Ausland ausbauen, um Zugang zu alternativen Handelsrouten zu erhalten.

Während China der wirtschaftliche Anführer der Gruppe ist, setzt Russland die politischen Leitlinien. Es ist daher nur natürlich, dass die BRICS jetzt, mehr als anderthalb Jahr nach dem Ausbruch des globalen Wirtschaftskriegs wegen des Einmarschs Russlands in die Ukraine und der Verhängung von Sanktionen gegen Moskau durch den Westen, über das Potenzial für die Einführung einer gemeinsamen Währung und die Expansion diskutieren.

Es ist jedoch zu beachten, dass der Rückgang bei der Verwendung des Dollars im vergangenen Jahr nicht darauf zurückzuführen ist, dass Russland den Yuan dem Dollar vorgezogen hätte, sondern auf die Maßnahmen der USA, die den Dollar für den russischen Markt weniger verfügbar machen. Eine Entdollarisierung als Politik (und nicht als Reaktion auf westliche Sanktionen) könnte nur erreicht werden, wenn die BRICS-Staaten eine gemeinsame Währung einführen – ähnlich dem Euro, der 1999 von den teilnehmenden EU-Mitgliedern eingeführt wurde.

Keine gemeinsame Wirtschaftskultur

Für die Einführung einer neuen Währung reicht es jedoch nicht aus, Banknoten auszugeben und sie für einsatzbereit zu erklären. So etwas erfordert eine echte wirtschaftliche Konvergenz zwischen den teilnehmenden Nationen durch einen gemeinsamen Markt – was für die BRICS angesichts der großen Unterschiede zwischen ihren Volkswirtschaften äußerst schwierig zu bewerkstelligen sein wird. Es fehlt ihnen schlicht an einer gemeinsamen Wirtschaftsstruktur und einem gemeinsamen Regierungssystem. Sie befinden sich nicht einmal auf demselben Kontinent, geschweige denn haben sie gemeinsame Grenzen. Die Entwicklung eines effizienten gemeinsamen Marktes würde den Aufbau einer neuen Infrastruktur erfordern, einschließlich Sicherheits- und Versicherungssystemen zum Schutz der Handelswege, was für die BRICS nahezu unmöglich ist, da keines ihrer Mitglieder eine globale Seemacht ist.

Grundsätzlich erfordert die gemeinsame Nutzung einer Währung auch ein hohes Maß an Vertrauen zwischen den Teilnehmern, damit sie die Regeln für den Emittenten der Währung festlegen können – eine Institution, die sie gemeinsam koordinieren (wie die Europäische Zentralbank). Die Nutzer des Dollars und des Euros vertrauen darauf, dass die Emittenten dieser Währungen genügend Geldscheine drucken, um die Zahlung zu garantieren und den Zugang sowie die Konvertierbarkeit sicherzustellen. Dieses Vertrauen ist bei den BRICS-Staaten nicht vorhanden, und es ist unklar, wie eine gemeinsame Währung ausgegeben werden würde.

Andererseits wären die BRICS-Länder nicht dazu bereit, eine bestehende Währung eines ihrer Mitglieder zu übernehmen. Obwohl Indien Berichten zufolge den chinesischen Yuan im Handel mit Russland verwendet hat, waren bisher nur einige Ölraffinerien bereit, Zahlungen auf diese Weise zu leisten. Der Yuan ist auf dem globalen Devisenmarkt nicht frei konvertierbar, so dass seine Verfügbarkeit von der Politik Pekings abhängt. Die russische Zentralbank muss derzeit Peking um Erlaubnis bitten, wenn sie größere Transaktionen in Yuan durchführen will – was die indische Zentralbank in nächster Zeit wahrscheinlich nicht tun wird. Die andauernden Streitigkeiten zwischen Peking und Neu-Delhi in einer Reihe von Fragen werden eine Koordinierung in allen Bereichen sehr schwierig machen.

Eine „Yuanisierung“ kommt nicht in Frage

Da eine „Yuanisierung“ für die BRICS-Staaten nicht in Frage kommt, scheint die Einführung einer neuen Währung die einzige Möglichkeit für die Mitglieder zu sein, um den Dollar zu verdrängen. Obwohl diese Option in den Medien breit diskutiert wurde, gibt es keine Anzeichen für Fortschritte. Mehrere wichtige Fragen bleiben unbeantwortet. Was wäre nötig, damit Indien und China so eng zusammenarbeiten, dass sie ihre Volkswirtschaften integrieren? Was bräuchte es, damit Russland, Brasilien und Südafrika sich mit ihnen integrieren? Welche wirtschaftlichen Interessen haben sie gemeinsam? Und wie könnte ein Finanzinstitut angesichts der Tatsache, dass keines der BRICS-Länder über konvertierbare Währungen verfügt, eine BRICS-Münze schaffen und ihre Verfügbarkeit für internationale Unternehmen und Privatpersonen garantieren?

Selbst Russland, der größte Unterstützter der BRICS-Staaten, hält die Schaffung einer einheitlichen Währung für ein langfristiges Ziel. Aber selbst das scheint Wunschdenken zu sein. Denn es ist unwahrscheinlich, dass die BRICS-Mitglieder ihre Differenzen beilegen und genügend Vertrauen aufbauen können, um eine gemeinsame Währung herauszugeben. Tatsächlich scheinen sie nicht mehr zu teilen als das Misstrauen gegenüber dem Westen – und selbst in diesem Punkt sind sie sich nicht völlig einig.

 

Mehr zum Thema:

 

Die Erweiterung der Teilnehmerzahl ist ein weiteres Thema, zu dem die Gruppe einen Konsens anstrebt. Die Mitglieder erörtern seit 2017 die Möglichkeit eines BRICS+, und China brachte das Thema im vergangenen Jahr während des BRICS-Gipfels zur Sprache. Einem südafrikanischen Beamten zufolge haben 23 Länder offiziell den Beitritt zu den BRICS beantragt, während 40 Länder informell ihr Interesse an einer Mitgliedschaft bekundet haben. Dies mag wie eine beeindruckende Anzahl potenzieller Mitglieder erscheinen, aber ein formeller Beitritt ist kompliziert, da es kein offizielles Verfahren dafür gibt – es sei denn, er erfolgt auf Einladung aller Mitgliedsstaaten, wie es bei Südafrika 2010 der Fall war.

Angesichts des Krieges in der Ukraine erscheint die Erweiterung jetzt noch dringlicher. Da die westlichen Länder nicht mehr bereit sind, mit Russland Geschäfte zu machen, versucht Moskau, seinen Einfluss in Ländern auszuweiten, die sich in diesem Krieg bisher neutral verhalten haben – auch durch die BRICS, die von Anfang an als Plattform für die internationale Einflussnahme der Mitglieder gedacht waren. Neutrale Länder haben die Früchte der Lobbyarbeit beider Seiten geerntet, indem sie Erklärungen über die Notwendigkeit von Ruhe abgaben und dies gleichzeitig als Gelegenheit nutzten, um ihre strategischen Positionen zu verbessern.

Nützlich für Moskau

Für Moskaus Lobbyarbeit waren die BRICS-Mitglieder ein natürlicher Ansatzpunkt. Neben der Ausweitung des Handels mit China verbesserte Russland auch die Beziehungen zu Brasilien, das es als potenziellen neuen Markt für seine Düngemittel und Ölprodukte ansieht. Der Handel zwischen den beiden Ländern stieg im Jahr 2022 um mindestens sieben Prozent, was zum Teil auf die Unterstützung Chinas zurückzuführen ist, das die Waren zwischen den beiden Ländern auf langen Strecken mit der Bahn transportiert.

In den vergangenen fünf Jahren hat auch der Handel zwischen Brasilien und China zugenommen. Brasilien nutzte die Handelsspannungen zwischen China und den Vereinigten Staaten, indem es seine Exporte (insbesondere von Lebensmitteln) in das BRICS-Land steigerte. Dennoch ist Brasilien nach wie vor stark von den USA abhängig, die ein wichtiger Absatzmarkt für brasilianische Waren mit hoher Wertschöpfung sind. Die USA sind auch der wichtigste ausländische Abnehmer für den brasilianischen Bergbausektor, auf den 50 Prozent der Gesamtexporte des Landes und etwa drei Prozent der gesamten Arbeitskräfte entfallen.

In der Zwischenzeit hat Russland in Indien auch einen wichtigen alternativen Markt (und Absatzweg) für sein Öl gefunden. Indien hat russisches Öl mit Preisnachlässen für den Eigenbedarf gekauft und ist gleichzeitig zu einer Art Durchgangsstation für russische Energieexporte geworden, die trotz der Sanktionen die westlichen Märkte erreichen. Die Pläne Moskaus, im Rahmen des Nord-Süd-Transportkorridors in die Hafeninfrastruktur in Indien zu investieren, könnten in dieser Hinsicht hilfreich sein.

Doch ganz gleich, wie sehr sich Russland um den Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen bemüht: Indien ist ebenso wie Brasilien nach wie vor auf die Vereinigten Staaten als wichtigsten Handelspartner und strategischen Verbündeten angewiesen. Neu-Delhi ist Mitglied der Quad-Sicherheitsgruppe, zu der auch die USA, Japan und Australien gehören. Aus sicherheitspolitischer Sicht können Indiens Beziehungen zu Russland also nur bis zu einem gewissen Punkt reichen. Es braucht die USA (und den Westen im weiteren Sinne), um die Schifffahrtswege im Indischen Ozean zu sichern, von denen seine Wirtschaft abhängt.

Dissens beim Thema Erweiterung

Außerdem ist die Unterstützung der BRICS-Länder für die Erweiterung geteilt. Während sich beispielsweise alle fünf Länder darauf geeinigt haben, über eine mögliche Mitgliedschaft Argentiniens zu diskutieren, lehnt Brasilien Berichten zufolge jede darüber hinausgehende Erweiterung ab. Wie Indien möchte Brasilien seine engen Beziehungen zu den USA beibehalten, während es gleichzeitig seine Beziehungen zu Europa verbessern will. Das Land nutzt die BRICS, um seinen Standpunkt in globalen Angelegenheiten zum Ausdruck zu bringen, verfolgt aber grundsätzlich eine Strategie der Blockfreiheit und konzentriert sich auf sein wichtigstes Ziel: die Integration seiner eigenen nördlichen und südlichen Regionen und das Erreichen sozioökonomischer Stabilität.

Von den USA, China und Russland umworben, sehen Brasilien, Indien und andere Länder des globalen Südens die Chance, ihre Position auf der Weltbühne zu verbessern. Ihre chronischen inneren Instabilitäten schränken jedoch ihre Fähigkeiten ein, die derzeitigen Chancen zu nutzen (die sich ihrerseits rasch verändern). Auch wenn sich die BRICS heute aktiver als früher um Koordinierung bemühen, finden die meisten bedeutsamen Interaktionen zwischen den BRICS-Mitgliedern und mit potenziellen neuen Teilnehmern auf bilateraler Ebene statt. Da ihre Beziehungen durch wirtschaftliche, politische und sicherheitspolitische Bedenken begrenzt sind, scheint die Möglichkeit einer Erweiterung der Mitgliedschaft ebenso wie die Einführung einer gemeinsamen Währung derzeit in weiter Ferne zu liegen.

In Kooperation mit

Anzeige