Besuch im kriselnden Konsumtempel - Mal wieder im KaDeWe

Obwohl nicht zu dessen Zielgruppe gehörend, hat unser Genusskolumnist die Meldungen über eine drohende Pleite des KaDeWe mit Entsetzen zur Kenntnis genommen. Schließlich ist er patriotischer Westberliner. Nach einem Besuch war er wieder ein bisschen beruhigt.

KaDeWe in Berlin-Charlottenburg / picture alliance
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Autoreninfo

Rainer Balcerowiak ist Journalist und Autor und wohnt in Berlin. Im Februar 2017 erschien von ihm „Die Heuchelei von der Reform: Wie die Politik Meinungen macht, desinformiert und falsche Hoffnungen weckt (edition berolina). Er betreibt den Blog „Genuss ist Notwehr“.

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Als in der vorigen Woche die ersten Berichte über eine drohende Pleite des KaDeWe durch die Medienwelt waberten, dürfte das vor allem viele Westberliner ins Mark getroffen haben. Als dann sogar auch noch ganz kurzfristig die angekündigte Öffnung am verkaufsoffenen Sonntag abgesagt wurde, witterten viele bereits das nahende Ende des ikonischen Konsumtempels.

Doch ein tiefer Seufzer der Erleichterung wogte durch die Stadt, als nach einigen Tagen klar wurde, dass das wirtschaftlich im Prinzip recht gesunde KaDeWe mit großer Wahrscheinlichkeit weiter bestehen wird. Der eingereichte Insolvenzantrag entpuppt sich als geschickter Schachzug, um sich aus dem Würgegriff der gerade implodierenden Signa-Holding zu befreien und nicht von deren herabstürzenden Trümmern erschlagen zu werden.  Denn Hauptgrund für die aktuelle Schieflage sind dem Vernehmen nach absurd hohe Mieten, die die zur Holding gehörende KaDeWe-Group und andere Kaufhäuser an die Immobiliensparte des Konzerns abdrücken mussten. Mit diesen Mondmieten hübschte Signa den Buchwert der Immobilien auf, um auf dieser Basis immer neue Kredite aufzunehmen. Ein schon lange bröckelndes Kartenhaus, das mit der Zinswende endgültig einstürzte.

Ein Kaufhaus mit wechselvoller Geschichte

Das KaDeWe hat eine lange, wechselvolle Geschichte. 1907 eröffnete der erfolgreiche Kaufmann Abraham Adolf Jandorf an der damaligen Stadtgrenze zwischen Charlottenburg und Wilmersdorf sein siebentes Kaufhaus in Berlin, und das erste, das von vornherein auf das Luxussegment ausgerichtet war. In den 1920er Jahren avancierte das Kaufhaus des Westens (KaDeWe) zu einem Nobelkaufhaus von europäischem Rang. 1927 verkaufte Jandorf seine, Kaufhäuser an die Hermann Tietz-Gruppe (Hertie), die nach 1933 von den Nazis enteignet und „arisiert“.

Im Krieg wurde das Kaufhaus stark zerstört, der Wiederaufbau konnte erst 1956 vollständig beendet werden. Doch befeuert durch die Wirtschaftswunderzeit erblühte das KaDeWe allmählich wieder und überstand auch die folgenden Krisen, wie etwa den Mauerbau. Hier traf sich das, was die faschistische Barbarei vom alten Berliner Bürgertum übriggelassen hatte, mit Neureichen, wohlhabenden Zuzüglern und Touristen, um das Hohelied des ungezügelten Luxuskonsums zu zelebrieren. Zeitweilig gab es keinen Ort in der Stadt, an dem es größere Chancen gab, Prominenten aus Politik, Wirtschaft und Show-Business im Fahrstuhl, auf der Rolltreppe oder am Käsestand zu begegnen.

Leuchtfeuer im „Kampf der Systeme“

Besonders an Sonnabenden wurde das KaDeWe zu einem regelrechten Wallfahrtsort, und die U1, die vom feinen Stadtviertel Westend direkt vor die Eingangspforte des Kaufhauses führt, zu einer Art Shuttle-Linie für den fast schon rituellen Wochenendeinkauf der Begüterten. Aber es kamen auch viele, die das einfach mal sehen wollten. Auch meine alles andere als wohlhabenden Eltern warfen sich ab und zu in Schale, um mit meiner Schwester und mir das Kultkaufhaus aufzusuchen und das „Leben der Anderen“ zu bestaunen. Großartig einkaufen oder speisen war natürlich nicht drin, aber eine Bockwurst mit Salat schon. Und tatsächlich standen wir einmal direkt neben Bubi Scholz, der größten Berliner Box-Ikone aller Zeiten.

 

Zuletzt in „Genuss ist Notwehr“ erschienen:

 

In den Zeiten des Kalten Krieges wurde der Konsumtempel zu einem Leuchtfeuer im Kampf der Systeme. Denn während es ein paar Kilometer weiter, außerhalb des eingemauerten Stadtstaates Westberlin, im Ostberliner „Nobelkaufhaus“ Centrum am Alexanderplatz nicht mal Bananen oder anständige Jeans gab, konnte man im KaDeWe in der legendären 6. Etage Austern und Champagner schlürfen, um den zuvor auf dem Weg dorthin in unteren Geschossen getätigten Erwerb von Designer-Klamotten, edelsten Parfüms oder einer Rolex gebührend zu feiern.  

Juwelenraub als PR-Turbo

Doch Westberlin blieb in internationalem Maßstab Provinz, und erst die Wiedervereinigung der Stadt schuf die Grundlagen für den Wiederaufstieg des KaDeWe in die globale Luxus-Liga. Es folgten erhebliche Investitionen und Umbauten. Nach mehreren Besitzerwechseln landete das Kaufhaus 2012 schließlich bei der Signa-Gruppe des österreichischen Milliardärs René Benko, der wohl als lebende Abrissbirne der deutschen Kaufhauskultur in die Geschichtsbücher eingehen wird.

Dem Nimbus des KaDeWe als exklusiver Luxustempel konnte das alles anscheinend wenig anhaben. Ein spektakulärer Juwelenraub in dem Kaufhaus im Januar 2009 war da sogar noch ein PR-Turbo, denn plötzlich war das KaDeWe in allen Schlagzeilen, auch als globale Botschaft an genussaffine Kundschaft. Denn ein Kaufhaus, in dem sich ein derart aufwendiger Einbruch lohnt, muss ja einiges zu bieten haben.

Klare Botschaften gleich hinter dem Eingang

Auch die seit einigen Jahren virulenten Turbulenzen rund um die Signa-Gruppe, die das Kaufhaus zusammen mit dem Oberpollinger in München und dem Alsterhaus in Hamburg in einer eigenen Premium-Firma (KaDeWe-Group) gebündelt hatte, schienen das Haus nicht ins Wanken zu bringen. Erst Ende Dezember 2023 wurde eine neue Champagner-Bar eröffnet, mit Preisen von bis zu 55.000 Euro pro Flasche. Doch die KaDeWe-Group ist jetzt insolvent, und hinter den Kulissen laufen die Verhandlungen über eine neue Eigentümerstruktur.

Alles ein guter Grund, dass KaDeWe, mit dem ich eigentlich wenig zu tun habe, nach vielen Jahren mal wieder aufzusuchen. Zwar ist die Zeit des livrierten Empfangspersonals am Eingang vorbei, dennoch erhält man sofort deutliche Botschaften. Man betritt im Erdgeschoss eine „Luxery Goods“ betitelte, imposante Galerie des Überflusses. Locker gruppierte, luftig abgeteilte Shops von Gucci, Chanel, Dior, Chanel, Louis Vuitton, Prada, Armani und wie alle heißen, reihen sich aneinander.

„Geld spielt keine Rolle“ soll die Devise sein

Man ahnt, dass die ausgestellten Täschchen, Schuhchen und Gürtelchen erhebliche Löcher in das persönliche Budget reißen könnten. Vielleicht hat man vorher auch aufgeschnappt, dass man im KaDeWe einen City-Rucksack für den Preis eines hochmodernen Kühlschranks erwerben kann, oder das Geld für ein „Kleines Schwarzes“ locker für den Kauf einer neuen Einbauküche reichen würde. Aber man ahnt es eben nur, denn Preise sieht man an den ausgestellten Produkten nicht. Und wer eh weiß, dass er sich das alles nicht leisten kann, wird sich kaum mit unziemlichen Fragen nach dem Preis als armer Schlucker outen wollen.

Diese „Geld spielt keine Rolle“ – Attitüde findet man auch in der Lebensmittelabteilung in der sagenumwobenen 6. Etage des KaDeWe. Man passiert die „Kaviar-Bar“, einem Tresen mit Champagner und Meeresfrüchten und einem Ausschank der Edel-Marke Veuve Clicquot, und geht natürlich an der legendären Austern-Bar vorbei, wo es immer noch heißt: „Sie werden platziert“. Man kommt geht in die Weinabteilung, wo es an vielen Regalen oder an speziellen Wein-Humidoren ebenfalls keine Preisauszeichnungen gibt. Wer einen Blick auf die Flaschen wirft und sich ein bisschen auskennt, weiß, dass es hier um drei- bis teilweise vierstellige Beträge für eine Flasche geht.

Konzept scheint zu funktionieren

Das sind klare Signale: Wir setzen hier auf Kunden, denen das vollkommen egal ist, haben aber auch nichts gegen Flaneure, die die Konsumwelt der Reichen und Schönen einfach mal bestaunen wollen. Und es gibt hier auch immer wieder sorgfältig eingestreute Angebote „fürs Volk“. Ja, man kann im KaDeWe auch Wiener mit Kartoffelsalat essen, abgepackten Billig-Käse aus dem Kühlregal kaufen oder in einer anderen Etage einen 5er Pack Socken für 9,99 Euro im Angebot erstehen.  

Gekauft habe ich bei meinem KaDeWe-Besuch nichts. Nicht aus Prinzip, sondern weil ich einfach nichts gebraucht habe. Ich wollte angesichts des Medientrubels einfach mal nachschauen, was es mit dem Mythos KaDeWe heutzutage so auf sich hat. Natürlich gibt es all das, womit sich die Reichen und Schönen ihren Alltag versüßen, und was sich Klein-Fritzchen mal staunend angucken will – von Jahrgangschampagner über die Rolex bis zur exklusiven Designermode – inzwischen auch an anderen Orten in der Stadt – aber nicht unter einem Dach. Das könnte als Konzept – anders als bei normalen Kaufhäusern – wohl auch noch eine Weile funktionieren. Und das Gebäude sieht innen und außen ja auch nicht schlecht aus. Von daher alles im grünen Bereich.  

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