Tarifrunde bei der Bahn - Ein Bahnstreik in der Weihnachtszeit ist eine scharfe Waffe

Wenn der Gewerkschaftschef der Lokomotivführer mit Streik droht, ist das erfahrungsgemäß ernst zu nehmen. Da der Arbeitgeber der Staat ist und die Regierung traurige Weihnachtsbilder vermeiden will, könnte es für den Steuerzahler teuer werden.

Tarif-Rambo: GDL-Chef Claus Weselsky / dpa
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Dr. Hugo Müller-Vogg arbeitet als Publizist in Berlin. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher zu politischen und wirtschaftlichen Fragen, darunter einen Interviewband mit Angela Merkel. Der gebürtige Mannheimer war von 1988 bis 2001 Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

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Claus Weselsky ist auf Krawall gebürstet. Der streitbare Chef der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) sprach schon von Streik, da hatte die Tarifrunde mit der Deutschen Bahn noch gar nicht begonnen.

Dass der gebürtige Dresdner die harte Gangart einer geschickten Verhandlungsstrategie vorzieht, hat er schon mehrfach bewiesen. In der letzten Tarifrunde 2021, als die Corona-Pandemie das Land belastete und das Hochwasser das Ahrtal verwüstet hatte, ließ er seine Lokführer den Bahnverkehr lahmlegen. Schon 2015 hatte er den bis dahin längsten Bahnstreik organisiert.

Die GDL genießt im Vergleich zu den meisten anderen Gewerkschaften gleich zwei strategische Vorteile. Die Lokomotivführer können mit ein paar Tausend Leuten den kompletten Schienenverkehr lahmlegen. Zudem sind von ihrem Ausstand Millionen Menschen und zahllose Betriebe gleichzeitig betroffen. 

Den Schaden hat der Steuerzahler

Wenn Weselsky jetzt raunt, Feiertage seien kein Grund, nicht zu streiken, dann ahnt man, was er vorhat. Allein die Drohung, mit einem Streik über Weihnachten und Neujahr Millionen Menschen die Feiertage zu vermiesen, wird den Bahnvorstand erheblich unter Druck setzen. 

In einer solchen Lage würde sich wahrscheinlich die Bundesregierung einschalten und die Bahn zu einem gegebenenfalls wirtschaftlich nicht zu verantwortenden Abschluss drängen. Schließlich gehört die Bahn dem Staat. Und die Rechnung wird letztlich an den Steuerzahler weitergereicht.

 

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Es ist bei der Bahn wie bei allen Arbeitskämpfen im öffentlichen Dienst: Bei einem Ausstand in einem Staatsunternehmen werden – anders als beispielsweise in der Automobilindustrie – nicht böse Kapitalisten geschädigt, sondern die Staatskasse. So gesehen will die GDL Millionen Fahrgäste im Nah- und Fernverkehr als Geiseln nehmen.

Wie groß die Angst der Bahnmanager vor einem Streik in der Weihnachtszeit ist, zeigt ihr ungewöhnliches Vorgehen. Bereits in der ersten Verhandlungsrunde hat sie ein stattliches Angebot auf den Tisch gelegt: eine Lohnerhöhung von 11 Prozent sowie eine steuer- und abgabenfreie Inflationsausgleichsprämie von 2850 Euro. Das entspricht in etwa dem jüngsten Tarifabschluss für den öffentlichen Dienst im Bund und in den Kommunen. 

Tarif-Rambo

Das ist Weselsky zu wenig. Die GDL fordert mindestens 555 Euro mehr pro Monat. Vor allem aber soll die Arbeitszeit für Schichtarbeiter bei vollem Lohnausgleich von 38 auf 35 Wochenstunden verkürzt werden, bei einer Viertagewoche. Das bedeutete nach Angaben der Bahn, dass in diesem Bereich die Belegschaft um zehn Prozent aufgestockt werden müsste. Dies sei auf dem „historisch engen Arbeitsmarkt“ nicht möglich. Insgesamt entsprechen die GDL-Forderungen nach Berechnungen der Bahn einer Erhöhung um 50 Prozent.

Dass in Tarifauseinandersetzungen jede Seite anders rechnet, ist nichts Neues. Natürlich wird es nicht bei diesem ersten Angebot der Arbeitgeberseite bleiben; da ist noch Luft nach oben. Gleichwohl laufen Tarifrunden zwischen der Bahn und den Lokführern nach anderen Regeln ab als in anderen Branchen.

Weselsky und seine GDL ringen nicht nur mit der Bahn um mehr Geld und bessere Arbeitsbedingungen. Sie versuchen obendrein, ihre Position innerhalb des Bahnkonzerns gegenüber der ungleich größeren Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) zu stärken. Spektakuläre Tarifabschlüsse sind stets ein gutes Argument bei der Mitgliederwerbung.

Die Bahnreisenden, nicht zuletzt die vielen Pendler, müssen sich darauf einstellen, dass ihre Züge demnächst noch häufiger ausfallen als ohnehin. Denn Weselsky wird im Februar nächsten Jahres 65. Diese Tarifrunde wird also seine letzte sein. Dass ihm schon aus Gründen der Eitelkeit an einem spektakulären Abgang liegt, darf getrost unterstellt werden. Die wirtschaftlichen Schäden einer großen Tarifschlacht bucht er wohl unter „Kollateralschaden“ ab. Ein Tarif-Rambo macht nämlich keine Gefangenen. 

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