Abgang von Herbert Diess bei Volkswagen - Das Ende der Ära Piëch

Sein Mangel an sozialer Kompetenz ist nur einer der Gründe, warum Herbert Diess als Volkswagen-Chef abtreten muss. Sein Führungsstil stand intern schon lange in der Kritik. Diess war seinerzeit vom VW-Patriarchen Ferdinand Piëch angeworben worden. Mit seinem Nachfolger Oliver Blume beginnt bei VW nun die Ära Porsche.

Vorstand und Belegschaft gegen sich aufgebracht: Herbert Diess / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Guido Reinking beobachtet seit 20 Jahren die Automobilbranche, zunächst für die Welt am Sonntag, dann für die Financial Times Deutschland sowie neun Jahre als Chefredakteur der Automobilwoche. Sein eigenes Magazin Mobilität von Morgen erscheint als Beilage in der Wirtschaftswoche und als Website.

So erreichen Sie Guido Reinking:

Anzeige

Herbert Diess’ Nachbar in Wolfsburg hat mir einmal folgende Begebenheit erzählt: Früh morgens, es hatte geschneit, fegte er Ausfahrt und Bürgersteig vor seinem Haus frei. Und da bei Herbert Diess noch alles dunkel war, befreite er auch dessen Weg zur Straße vom Schnee. Gerade war er fertig, da trat Diess aus dem Haus, blickte sich um, grüßte seinen Nachbarn und sagte: „Oh, es hat geschneit.“ Ohne Wort des Dankes fuhr der VW-Chef ins Büro. Nun will ich nicht behaupten, dass Herbert Diess ein unhöflicher Mensch ist. Dass es ihm aber an sozialer Kompetenz fehlt, hört man aus verschiedenen Quellen – auch von BMW, seinem ehemaligen Arbeitgeber.

Dieser Mangel an sozialer Kompetenz ist ein Grund für seinen Abgang. Im direkten Umgang recht unterkühlt zu sein, das hat Herbert Diess mit seinem Mentor Ferdinand K. Piëch gemeinsam. Piëch hatte Diess Ende 2014 bei BMW abgeworben – schon damals mit der Aussicht, einmal an die Konzernspitze zu rücken. Matthias Müllers Job als VW-Chef war es, den Schutt aufzuräumen, der nach dem Beben des Dieselskandals VW zu ersticken drohte. Herbert Diess sollte dann den Wiederaufbau in Angriff nehmen, die Neuerfindung von Volkswagen.

Bei solchen Zielen ist übertriebene Rücksichtnahme eher fehl am Platz. Selbst alte Weggefährten aus BMW-Zeiten bekamen den rüden Führungsstil zu spüren: Audi-Chef Markus Duesmann musste die Verantwortung für die Softwaresparte Cariad abgeben, denn die Entwicklung eines neuen Betriebssystems liegt weit hinter dem Plan. Auch Einkaufsvorstand Murat Aksel, eigentlich ein enger Vertrauter von Diess, zog sich schon dessen Zorn zu, weil VW stärker als andere Hersteller unter der Chip-Krise leidet.

Diess drohte mit dem Abbau zehntausender Arbeitsplätze

Das erinnert stark an den Führungsstil des VW-Patriarchen Ferdinand Piëch. Doch anders als Diess hielt Piëch, was er versprochen hatte. Er machte aus VW den erfolgreichsten europäischen Autobauer, technisch in vielerlei Hinsicht führend. Und die Machbalance bei VW beherrschte Piëch virtuos. Denn mit dem Land Niedersachsen und der mächtigen Arbeitnehmerseite im Aufsichtsrat sollte man sich besser nicht anlegen. Das VW-Gesetz sichert der Gewerkschaft größeren Einfluss als in jedem anderen mitbestimmten Unternehmen. Statt die Belegschaft in die Ära der neuen, elektrifizierten Mobilität mitzunehmen, drohte Herbert Diess mit dem Abbau zehntausender Arbeitsplätze – vor allem in Stammwerk Wolfsburg.

 

Mehr zum Thema:

 

Man könnte meinen, er hätte damit schon vor einem Jahr um seine Abberufung geradezu gebettelt. Ein Wunder, dass er im Amt blieb. Umso überraschender der nun doch recht plötzliche Abgang. Gründe gibt es genug. Die E-Mobilität, die Herbert Diess rigoros im Konzern durchsetzte, gehört nicht dazu. Niemand, der bei VW in verantwortlicher Position arbeitet, stellt noch das Primat des batterieelektrischen Autos infrage. Auch der neue VW-Chef Oliver Blume nicht, der nur deshalb für E-Fuels kämpft, weil die klimaneutralen Kraftstoffe den Sechszylinder des Porsche 911 retten. Und den würden die zahlungskräftigen Fans der Marke doch schmerzlich vermissen.

Andere Gründe spielen bei Diess’ Abgang eine Rolle: Nur Wenige bei VW können begreifen, warum man mit Milliardenaufwand bei der neuen Tochter Cariad ein eigenes Betriebssystem entwickeln muss. Stattdessen sollte sich das Unternehmen um Benutzeroberflächen und Anwendungssoftware kümmern. Denn auf dem Gebiet liegen viele VW-Produkte nicht nur weit hinter Tesla, sondern auch hinter Mercedes und BMW zurück. Deren Autos bekommen Software-Updates per Funk geliefert, für die VW- und Audi-Kunden noch immer in die Werkstatt müssen.

Mit Diess’ Abgang ist die Ära Piëch nun endgültig Geschichte. Es beginnt mit Oliver Blume die Ära Porsche. In Stuttgart weiß man, wie man erfolgreiche Autos baut, die nicht nur die Erwartungen der Politik erfüllen, sondern auch der Anteilseigner und vor allem der Kunden.

Anzeige