Visastopp für Russen - Russen raus?

Finnland will die Vergabe von Visa für russische Touristen einschränken. Ähnliche Forderungen werden auch in anderen EU-Ländern laut. Ein genereller Visastopp für Russen wäre jedoch reine Symbolpolitik – ohne erkennbaren Nutzen für uns oder die Ukraine.

Ein Schild in den Farben der EU-Fahne an einer Passkontrolle in Lübeck / dpa
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Moritz Gathmann ist Chefreporter bei Cicero. Er studierte Russistik und Geschichte in Berlin und war viele Jahre Korrespondent in Russland.

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Sanna Marin, die finnische Premierministerin, hat das Unbehagen mancher Europäer auf den Punkt gebracht: „Ich finde es nicht richtig, dass russische Bürger als Touristen in die EU, den Schengen-Raum einreisen und Sightseeing machen können, während Russland Menschen in der Ukraine tötet“, sagte sie am Montag beim Treffen mit Bundeskanzler Olaf Scholz und den anderen skandinavischen Staatschefs. Am Dienstag kündigte sie dann eine massive Verschärfung der finnischen Visa-Vergabe an Russen an.

Die Diskussion um einen europäischen Visastopp für Russen ist in vollem Gange, seit Präsident Wolodymyr Selenskyj vor einer Woche in einem Interview mit der Washington Post gefordert hatte, die Russen sollten „in ihrer eigenen Welt leben, bis sie ihre Philosophie ändern“. Die Wahrheit ist: Mehrere Staaten haben die Vergabe von Touristen-Visa für russische Staatsbürger schon eingestellt, darunter die baltischen Länder, aber auch Tschechien und die Niederlande. Ende August wollen die Befürworter der Idee bei einem EU-Gipfel einen europaweiten Visastopp für Russen erzwingen.

Wie sollte sich Deutschland verhalten?

Bundeskanzler Scholz hielt gestern mit einem Argument dagegen, das nicht wahrer wird, ganz egal, wie oft er es wiederholt: „Das ist nicht der Krieg des russischen Volkes, das ist Putins Krieg. Da müssen wir sehr klar sein.“ Nein, es ist nicht nur Putins Krieg. Es ist ein Krieg, an dem Hunderttausende Soldaten teilnehmen, den Umfragen zufolge der Großteil der Russen befürwortet – und sei es nur durch passives Akzeptieren. Und dennoch sollte jede Maßnahme, die Russland und die russische Bevölkerung trifft, gut durchdacht sein.

Neben dem moralischen Argument, das die finnische Ministerpräsidentin vorbrachte, argumentieren die Befürworter eines Visastopps vor allem mit einem pädagogischen Effekt: Auf diese Weise würden die Russen merken, dass es so etwas wie kollektive Verantwortung gebe, dass eben auch der einfache, sich unpolitisch gebende Russe für die Untaten seines Landes zu büßen habe. Die Idee ist im Prinzip nicht falsch, aber wird sie von den Russen auch so verstanden werden – oder nicht viel eher als Beleg dafür, dass die von der staatlichen Propaganda behauptete Russophobie in den westlichen Staaten eben doch real ist?

Gesinnungsprüfung bei der Visavergabe

Die Idee, man könnte nur „gute“ Russen nach Europa lassen, also solche, die sich gegen den Krieg aussprechen, ist nicht praktikabel. Wie soll das aussehen: unter Einsatz eines Lügendetektors im deutschen Konsulat in Moskau bei der Abgabe des Visumsantrags?

Eher noch zieht das moralische Argument: Bürger eines Landes, das seit einem halben Jahr seinen Nachbarn mit einem brutalen Krieg überzieht, wollen wir nicht als Touristen auf unseren Straßen, in unseren Museen und in unseren Restaurants sehen. Es gibt kein Recht auf eine Einreise in die EU, ein Visum ist ein Privileg, das wir gewähren.

 

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Ein Visastopp für explizit touristische Reisen in den Schengen-Raum wäre also denkbar. Aber nur, wenn gleichzeitig klar kommuniziert wird, wer weiterhin kommen darf: Da sind einerseits Schüler und Studenten, die den Austausch suchen. Dieser Austausch ist ohnehin schon deutlich erschwert durch die Einstellung der meisten akademischen Kooperationen – und das Einfrieren von Städtepartnerschaften und Schulaustauschprogrammen. Andererseits sollten wir junge, qualifizierte Arbeitskräfte, die es satt haben, im System Putin zu leben, bei uns willkommen heißen. Ein russischer Braindrain ist durchaus in unserem Interesse.

Was ist mit der russischen Schwiegermutter?

Und dann ist da die wohl wichtigste Gruppe, die wir nicht vergessen sollten: russische Staatsbürger mit Verwandten in Deutschland. Es gibt davon mehrere Millionen in Deutschland: Der Russlanddeutsche mit der Mutter in Omsk, der jüdische Kontingentflüchtling mit Verwandten in Moskau, Russen, die aus politischen und wirtschaftlichen Gründen ausgewandert sind – und Russen, die in Deutschland geheiratet haben. Seit Ausbruch der Corona-Krise war die Visavergabe wegen der Reduzierung des Botschaftspersonals in Russland ohnehin schon deutlich erschwert. Sollen wir der russischen Schwiegermutter wirklich verweigern, ihre Enkelkinder zu besuchen, die sie womöglich seit über zwei Jahren nicht gesehen hat? Die Direktflüge zwischen der EU und Russland sind eingestellt, man fliegt heute teuer über die Türkei oder Serbien. Das ist schon Strafe genug.

Im Falle Finnlands oder der baltischen Staaten ist allerdings verständlich, warum das Thema eine höhere Relevanz hat: Dort kommen Russen zu Hunderttausenden über die gemeinsamen Grenzen mit Autos oder Bussen zum Urlaub ins Nachbarland. Und nicht zu vergessen: Diese Länder haben in den letzten Jahren durchaus wirtschaftlich profitiert von den russischen Touristen.

Goldene Pässe für reiche Russen

Wenn es uns darum geht, „die Richtigen“ zu treffen, sollten wir aber in der EU noch einmal genau darauf schauen, an wen Länder wie Zypern im letzten Jahrzehnt „goldene Pässe“ verteilt haben: EU-Staatsbürgerschaften als Belohnung für Investitionen im Land. In vielen Fällen sind das Menschen, die von der Korruption im System Putin profitiert haben, und sich über die Jahre ihre Chalets und Chateaus in der Schweiz, Italien oder Frankreich zugelegt haben.

Und die EU sollte sich auch die sogenannte „Liste der 6000“ nochmal genau anschauen: In dieser Liste sammeln die Mitstreiter des inhaftierten Oppositionellen Alexej Nawalny seit April Unterstützer und Beteiligte am Ukraine-Krieg – und korrupte Profiteure des Systems Putin. Und längst nicht alle sind auch tatsächlich sanktioniert – inklusive Einreisesperren. Nawalnys Team hat dazu erst am Dienstag wieder ein Update gepostet, in dem es sich unter anderem darüber wundert, dass Gazprom-Chef Alexej Miller, einer von Putins engsten Vertrauten, noch nicht sanktioniert ist.

Und ganz allgemein gilt: Die Diskussion über den Visa-Stopp dient – im wahrsten Sinne des Wortes – als Nebenschauplatz dieses Kriegs, mit der man vor allem innenpolitisch punkten kann, ob in Warschau oder Riga. Um es auf eine einfache Formel zu bringen: Wichtiger als die Bestrafung der Russen ist die Stärkung der Ukrainer, insbesondere die militärische. Und da hat gerade Deutschland noch nicht seine Hausaufgaben gemacht.

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