Weinliebhaber - „Der Klimawandel ist hilfreich für den Weinbau“

Michel Rolland ist der berühmteste Önologe der Welt. Im Interview spricht er über Qualitätssprünge beim Wein, internationale Märkte, über die Macht von Weinkritikern – und er verrät, was man sich in den Keller legen sollte.

Michel Rolland im Weinberg / Foto: Giulio di Sturco
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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Michel Rolland studierte nach einer Ausbildung an der Weinbauschule bis zum Jahr 1972 Önologie an der Universität von Bordeaux. Der heute 76-Jährige stieg 1973 zusammen mit seiner Frau in ein Analyselabor in Libourne ein. Seinen Ruf als Berater begründete er ab den späten 1970er Jahren bei Weingütern am rechten Ufer des Bordelais. Sein Erfolg als führender „Flying Winemaker“ mit Einsätzen in aller Welt erfolgte parallel zum Aufstieg des mit ihm befreundeten amerikanischen Weinkritikers Robert Parker. Rollands Familie besitzt selbst mehrere Weingüter, darunter den Stammbetrieb Château Le Bon Pasteur in Pomerol. Außerdem hält er Anteile oder betreibt Joint Ventures mit Weingütern in Spanien, Argentinien und Südafrika.

Herr Rolland, Sie beraten international mehr als 200 Weingüter und betreiben selbst Weinbau in aller Welt. Ich treffe Sie heute in Frankfurt am Main. Wo kommen Sie gerade her und wohin geht es als Nächstes?

Ich muss Sie enttäuschen, meine Reise ist diesmal wenig spektakulär: Ich bin heute von Bordeaux mit einem Direktflug gekommen und fliege morgen direkt nach Bordeaux zurück.

Was führt Sie hierher?

Eine Präsentation meines neuesten Weines: eine Cuvée namens „Pangaea“. Dabei handelt es sich um einen Verschnitt der besten Weine von vier Kontinenten. Genauer gesagt: 44 Prozent Cabernet Sauvignon aus dem Napa Valley in den USA, 31 Prozent Merlot aus Bordeaux, 17 Prozent Malbec vom Valle de Uco in Argentinien, 4 Prozent Petit Verdot aus Spanien und nicht zuletzt 4 Prozent Cabernet Franc aus Südafrika. Pro Jahrgang werden nur 2500 Flaschen davon produziert, der Preis liegt entsprechend hoch – um die 500 Euro.

Sie sind der bekannteste „Flying Winemaker“ der Welt. Aber wie muss man sich Ihre Arbeit genau vorstellen? Was passiert, wenn Sie als beratender Önologe zum ersten Mal ein Weingut betreten, das Sie als Berater engagiert hat?

Die Philosophie ist sehr einfach: Ich mache so wenig wie möglich. Es geht damit los, dass ich erst einmal den Wein probiere, der dort bisher produziert wurde – und grundsätzlich keine Kritik daran übe, weil ich niemandes Arbeit schlechtreden möchte. Wenn sich die Qualität als sehr schlecht herausstellen sollte, sage ich dem Eigentümer: Geben Sie mir drei Jahre Zeit. Sollte die Qualität mittelmäßig sein, kann ich – gute Wetterverhältnisse vorausgesetzt – schon für den nächsten Jahrgang eine merkliche Steigerung in Aussicht stellen.

Aber wo genau setzen Sie an? Manche sagen, die Qualität eines Weines entstehe im Weinberg; andere behaupten, ausschlaggebend sei die Arbeit im Keller. Wie sehen Sie das?

Am allerwichtigsten ist zunächst die Lage, das Terroir. Dann erst folgt die Arbeit im Keller. Man kann schlechten Wein aus gutem Terroir produzieren, jedoch niemals hervorragenden Wein aus mittelmäßigem Terroir. Aber mit gutem Lesegut, guter Vinifikation und guter Lage lässt sich durchaus herausragende Qualität erzielen. Diese drei Faktoren müssen allerdings konsequent zusammengeführt werden.

Sie haben in den 1970er Jahren als beratender Önologe angefangen. War es da leicht, Winzer davon zu überzeugen, dass sie sich Expertise von außen holen müssen, um die Qualität ihrer Weine zu verbessern?

Es gibt da ein grundsätzliches Problem: Viele Winzer sind davon überzeugt, dass sie den besten Wein der Welt herstellen. In Bordeaux gibt es ein Sprichwort: Sie dürfen eher über die Ehefrau des Winzers lästern als über dessen Wein. Und in den 1970er Jahren bestand auf den allermeisten Weingütern ein enormer Modernisierungsbedarf. Meine Aufgabe war es also, den Gutsbesitzern durch sanftes Zureden klarzumachen, dass sie mit ein paar Eingriffen und neuen Methoden signifikante Qualitätssprünge erreichen würden. Dabei galt es unbedingt den Eindruck zu vermeiden, dass jetzt alles anders werden müsse. Das hätte die meisten nur abgeschreckt. Vor 50 Jahren haben die Winzer sich im Wesentlichen damit abgefunden, was die Natur und die Witterungsverhältnisse eines bestimmten Jahrgangs eben hergaben. Es fehlte das Wissen darüber, wie sich auch bei widrigen Bedingungen das Beste für einen Wein rausholen lässt.

Wissen Sie noch, wer Ihr erster Kunde war?

Das lässt sich so genau nicht sagen. Denn angefangen habe ich damals ja mit einem klassischen Analyselabor – für die Ermittlung von Alkoholgehalt, Säuregrad und so fort. Mein damaliger Geschäftspartner war kein Önologe wie ich, sondern ein studierter Chemiker. Wir haben anfangs in unserem Laboratorium übrigens so gut wie nie einen Wein probiert. Das hat sich dann allerdings mit der Zeit geändert, und die meisten Weine schmeckten schrecklich. So kamen wir auf die Idee, unser beider Expertise zur Qualitätsverbesserung zu nutzen. Es war also eine fließende Entwicklung.

Als international tätiger Berater sind Sie ja auch mit unterschiedlichen Geschmacksvorstellungen konfrontiert. Gibt es von Land zu Land oder von Kontinent zu Kontinent voneinander abweichende Meinungen darüber, was einen guten Wein ausmacht?

Tatsächlich kann ich bei dieser Frage meine eigene Herkunft ja nicht verleugnen: Ich stamme aus Bor­deaux, genauer gesagt aus dem Anbaugebiet Pomerol – was mich mehr zu einem Merlot-Mann macht als zu einem Cabernet-Sauvignon-Typen. Und als junger Berater habe ich entsprechend versucht, den Stil erfolgreicher Pomerol-Weine auch bei anderen Weingütern zu implementieren. Was natürlich nicht gut funktioniert hat. Erst später habe ich konsequent die jeweiligen Gegebenheiten vor Ort einbezogen, vor allem eben das Terroir. Das ist mein Erfolgskonzept. Es mag von Land zu Land zwar unterschiedliche Geschmacksvorstellungen geben, aber exzellente Qualität kann nur dann entstehen, wenn man sich auf die natürliche Umgebung einlässt – und versucht, das Beste daraus zu machen. Es geht deshalb auch nicht um meinen persönlichen Stil.

Was sind denn aktuell die größten Trends in der internationalen Weinszene?

Ich möchte hier gar nicht von Trends sprechen, sondern blicke lieber auf die langfristige Entwicklung im Weinbau während der vergangenen fünf Jahrzehnte. Und da ist es natürlich frappierend zu sehen, welche enormen Qualitätssprünge Weinbauregionen gemacht haben, die wir früher gar nicht auf der Landkarte hatten. Gerade für uns Franzosen endete der Weinkosmos ja lange Zeit an unseren eigenen Landesgrenzen. Heute finden Sie guten Wein praktisch überall, ob in China, Südamerika oder in Armenien. Und das liegt vor allem daran, dass das Know-how und die technischen Möglichkeiten bei der Vinifikation in den vergangenen Jahrzehnten derart viel besser geworden sind, dass es kaum noch halbwegs geeignete Orte gibt, an denen sich kein guter Wein produzieren lässt. „Guter“ Wein, wohlgemerkt. „Hervorragender“ Wein ist noch mal etwas anderes.

 

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Welche Auswirkungen wird der Klimawandel auf den internationalen Weinbau haben? 

Ganz einfach: Der Klimawandel und die globale Erderwärmung sind für den Weinbau hilfreich. Auch das ist übrigens ein Grund dafür, warum wir in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten in vielen Regionen einen Qualitätssprung beim Wein erlebt haben. Insgesamt war die Weinqualität in der Geschichte der Menschheit wahrscheinlich noch nie so hoch wie heute. Denken Sie doch nur an die 1970er Jahre: Da war beispielsweise in Bordeaux von insgesamt zehn Jahrgängen nur die Hälfte gut oder sehr gut. Heutzutage gibt es praktisch überhaupt keine wirklich schlechten Jahrgänge mehr.

Werden neue Anbaugebiete in nördlicheren Regionen entstehen? Vielleicht gibt es ja bald schwedischen Riesling?

Das glaube ich eher nicht. Die Engländer träumen ja davon, dass sie irgendwann zur Weinbaunation werden und sie dann auf teure Importe aus dem Ausland verzichten können. Aber ich war ja beispielsweise auch schon in Cornwall unterwegs, um dort die Bedingungen zum Weinanbau unter die Lupe zu nehmen. Und ich kann Ihnen sagen: Die Böden dort sind besser für Viehzucht geeignet als für Reben. Wenn die Böden hart sind, dann sind sie hart wie Stein. Sind sie hingegen feucht, dann meistens schlammig oder sumpfig. Was Schweden angeht, kann ich über die Bodenbeschaffenheit nichts sagen. Vielleicht können sie dort angesichts der klimatischen Verhältnisse inzwischen alle sieben Jahre einen vernünftigen Wein produzieren. Aber eine große Zukunft für schwedischen Wein sehe ich nicht.

Sie selbst stammen ja wie gesagt aus Bordeaux. Nun war in letzter Zeit häufiger zu lesen, dass der Weinbau dort in einer tiefen Krise steckt – vor allem, was das untere und das mittlere Preissegment angeht. Was genau ist da los in der wahrscheinlich berühmtesten Weinregion der Welt?

Das stimmt, Bordeaux erlebt eine Krise. Die meisten Leute denken beim Namen „Bordeaux“ ja nur an die weltberühmten Produzenten wie Château Lafite, Château Margaux, Château Petrus und so weiter. Die ganz Großen waren schon immer da und werden wahrscheinlich auch bleiben bis in alle Ewigkeit. Aber Bordeaux insgesamt produziert jedes Jahr um die sechs Millionen Hektoliter an Wein, das ist eine enorme Menge. Und die Region befindet sich im Wettbewerb mit Anbaugebieten auf aller Welt: Argentinien, Chile, Südafrika und so weiter – wo ja, wie gesagt, teilweise beachtliche Qualität entsteht. Außerdem läuft in Bordeaux der Weinvertrieb traditionell über die sogenannten „Négociants“, also über große Handelshäuser, die 70 Prozent der erzeugten Weine entweder direkt an den Endverbraucher oder an Wiederverkäufer vermarkten. Und die haben eigentlich wenig Interesse an den mittleren oder einfachen Qualitäten, weil die Margen bei den Spitzenweinen natürlich viel lukrativer für sie sind. Also verramschen sie die Massenware zu Dumpingpreisen an die großen Supermarktketten, übrigens auch in Deutschland. Für die Winzer selbst bleibt da am Ende kaum noch etwas übrig, um überleben zu können.

Welches bislang noch eher unbekannte Weinanbaugebiet ist aus Ihrer Sicht besonders interessant? Sie selbst waren ja vor einiger Zeit in Armenien aktiv …

Armenien ist eine sehr spannende und lustige Region. Als ich zum ersten Mal dorthin ging, war das mit einem Mann – einem Argentinier mit armenischen Wurzeln –, der sich in den Kopf gesetzt hatte, im Land seiner Vorfahren Wein anzubauen. Dieser Mann hat es weitab von seiner Heimat zu einem großen Vermögen gebracht, weshalb ich in der komfortablen Situation war, ihn in seinem Privatjet begleiten zu können. Vor Ort habe ich natürlich als Erstes die Böden begutachtet. Und es stellte sich heraus, dass deren Beschaffenheit für Weinanbau grundsätzlich sehr gut ist, sie aber leider von teilweise sehr großen Steinen durchsetzt sind. Meine erste Reaktion: Das wird hier nichts! Was für meinen Auftraggeber, der es nicht ohne Grund zum Milliardär gebracht hat, aber erst recht ein Ansporn war. Er beschloss also, jeden einzelnen Stein herausnehmen zu lassen; außerdem legte er ein insgesamt 45 Kilometer langes Bewässerungssystem an. Und am Ende haben wir dort Wein produziert – und zwar Wein von durchaus beachtlicher Qualität.

Sind Sie eigentlich je von einem deutschen Winzer um Beratung gebeten worden?

Noch nie. Wahrscheinlich sind die meisten deutschen Weingüter auch einfach zu klein, als dass es sich für sie lohnen würde, mich zu engagieren. Außerdem gelte ich als Spezialist für Rotwein, und in Deutschland wird eben vor allem Weißwein produziert. Was mich übrigens nicht davon abhält, deutschen Riesling zu trinken, den ich sehr schätze. Ich bin ja bekanntlich überzeugter Franzose und erzähle überall herum: Der beste Merlot kommt aus Frankreich, der beste Cabernet Sauvignon kommt aus Frankreich, der beste Syrah kommt aus Frankreich – ebenso der beste Pinot noir, Chardonnay und Sauvignon. Nur bei einer Rebsorte müssen wir den ersten Platz mit Deutschland teilen, nämlich beim Riesling.

Wie groß ist heutzutage noch der Einfluss von Weinkritikern auf den Weinmarkt? Sie selbst waren ja lange Zeit so etwas wie ein Weggefährte des legendären Robert Parker, der mit seinen „Parker-Punkten“ seit den späten 1970ern ein ganz wichtiger Faktor zur Preisbildung auf dem internationalen Weinmarkt war.

Die Zeiten, in denen ein Robert Parker eine praktisch singuläre Stellung innehatte, sind längst vorbei. Heute gibt es eine ganze Flut an Weinkritikern, die zwar auch international bekannt sind, aber kein einziger von ihnen verfügt über die Macht, „Weinkisten zu bewegen“, wie wir in Frankreich sagen. Also die Verkäufe eines hoch bewerteten Weines so richtig anzukurbeln. Wenn damals von Parker eine hohe Bewertung kam, war der Wein praktisch sofort ausverkauft. Inzwischen gelingt es allenfalls noch einem Kritiker wie James Suckling, die Märkte ein wenig zu beeinflussen – allerdings beschränkt auf den angloamerikanischen Sprachraum. Robert Parker dagegen fand zu seinen besten Zeiten sogar in Japan höchste Beachtung.

In Italien gibt es einen Kritiker namens Luca Maroni, der meinem Eindruck nach praktisch nie weniger als 95 von 100 möglichen Punkten für einen Wein vergibt.

Ja, aber das nimmt doch keiner ernst. Wenn Sie einmal 99 Punkte vergeben, ist Ihnen die Aufmerksamkeit garantiert. Tun Sie das aber dreimal nacheinander, verpufft der Effekt ganz schnell. Die gesamte Kritikerszene ist ja ohnehin völlig überfordert von der schieren Menge an Weinen, die es zu probieren gilt. Als ich früher mit Robert Parker Tastings veranstaltet habe, wurden maximal 100 Weine probiert. Heutzutage werden bei solchen Veranstaltungen etwa in Bordeaux 850 und mehr Weine verkostet. Das Ergebnis lautet dann ungefähr so: 20 Weine unterhalb von 92 Punkten, fünf Weine oberhalb von 98 Punkten – und 825 Weine im Bereich zwischen 95 und 98 Punkten. Ich bitte Sie: Was soll man mit so etwas anfangen?

Wie hat sich eigentlich das Konsumverhalten mit Blick auf Wein verändert? Kaufen die Leute noch Flaschen, um sie dann im Keller zu lagern und erst nach vielen Jahren zu trinken?

Das ist tatsächlich ein Problem: Heute wird Wein vor allem für den sofortigen Konsum gekauft – immer mehr Menschen leisten sich eine gute Flasche Wein und möchten sie gleich abends probieren. Damit geht leider sehr viel verloren, zumindest bei herausragenden Weinen. Die benötigen nämlich noch viel Zeit im Keller, um ihr eigentliches Potenzial zu entfalten. Die meisten großen Weine werden leider zu jung getrunken. Außerdem habe ich es in Paris schon oft erlebt, dass den Leuten ihre teuersten Weine aus dem Keller gestohlen wurden. Also lassen sie es lieber ganz sein, sie dort aufzubewahren.

Dennoch: Welche Weine sollte man sich heute kaufen, um sie für mehrere Jahre im – gut verschlossenen – Keller liegen zu lassen?

Da würden mit spontan mindestens 1500 Weine einfallen. Ich fürchte, das sprengt den Rahmen dieses Interviews. Aber wenn wir uns mal nur auf Bordeaux beschränken, würde ich sagen: Kaufen Sie die angesehenen Châteaus aus dem Jahrgang 2022, denn der ist herausragend. Sogar besser als 2018, 2019 oder 2020 – die auch schon sehr gut waren. Aber 2022 ist noch mal ein Stück besser. Da können Sie eigentlich nichts falsch machen. 

Das Gespräch führte Alexander Marguier. 

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