Weihnachten und Kreuz - Der Wert religiöser Symbole

Religiöse Symbole sind Teil unserer Kultur und Identität. Wer das bezweifelt, ist entweder ein religiöser oder ein laizistischer Fundamentalist. Dabei haben religiöse Symbole auch in säkularen Gesellschaften eine wichtige Funktion. Millionen Menschen, die morgen Weihnachten feiern, zeigen das.

Katholische Kirche St. Nikolaus im bayerischen Füssen / dpa
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Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Morgen ist es wieder so weit. Vor sonst leeren Kirchen werden sich Schlangen bilden. Nicht alle Besucher werden einen Sitzplatz bekommen. Und auch von denen, die keinen Gottesdienst besuchen, wird der eine oder andere auf der heimischen Anlage Bachs Weihnachtsoratorium mit der altbekannten Geschichte hören.

Zu Weihnachten könnte man den Eindruck gewinnen, Deutschland sei ein nach wie vor zutiefst christliches Land. Dagegen sprechen allerdings die leeren Kirchenbänke an den anderen 364 Tagen im Jahr, das Verschwinden religiöser Bildung, die kulturelle Auflösung konfessioneller Milieus und das Verschwinden religiöser Alltagsrituale (Tischgebete etc.).

Angesichts der faktischen De-Christianisierung Deutschlands erscheint der bayerische Kreuz-Erlass aus dem Jahr 2018 als reiner Anachronismus. „Im Eingangsbereich eines jeden Dienstgebäudes ist als Ausdruck der geschichtlichen und kulturellen Prägung Bayerns gut sichtbar ein Kreuz anzubringen.“ So steht es im § 28 der Allgemeinen Geschäftsordnung für die Behörden des Freistaates Bayern (AGO).

Das Neutralitätsgebot verlangt nicht den Verzicht auf religiöse Symbole

Dagegen klagte der bayerische Bund für Geistesfreiheit (BfG). Der sah die staatliche Neutralitätspflicht verletzt. Im vergangenen Juni entschied allerdings der Münchner Verwaltungsgerichtshof, die Kreuze dürften hängen bleiben, denn diese seien ein „passives Symbol ohne missionierende Wirkung“.

Gegen diese Einschätzung ging der BfG beim Bundesverwaltungsgericht in Revision. Der entschied am vergangenen Dienstag im Sinne des bayerischen Ministerpräsidenten. Denn das Neutralitätsgebot, so die Leipziger Richter, verlange vom Staat nicht den Verzicht auf religiöse Symbole, sondern verpflichte ihn nur zu „Offenheit“. Wie ja im Kreuzerlass stehe, identifiziere sich der Staat durch die Amts-Kreuze nicht mit „christlichen Glaubenssätzen“, sondern weise nur auf die geschichtliche und kulturelle Prägung Bayerns hin. Andere Bekenntnisse würden dadurch nicht diskriminiert.

 

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Eine wichtige Klarstellung. Den Richtern ist es damit gelungen, etwas juristisch auszuformulieren, was seit Jahrzehnten im Grunde selbstverständliche Praxis ist und von den meisten Menschen als Gewinn erlebt wird – insbesondere zu Weihnachten. Denn im Grunde ist auch das Weihnachtsfest, genauso wie das Kreuz, schon lange kein allein religiöses Fest mehr, das für eine religiöse Überzeugung steht und daher möglicherweise Menschen anderer Weltanschauungen ausschließt.

Wie auch das Kreuz ist das Weihnachtsfest ein Kulturgut und nicht ausschließlich religiöses Symbol. Das hat auch hässliche Seiten, angefangen bei der routiniert beklagten Kommerzialisierung des Festes bis hin zum grausamen Weihnachtskitsch samt blinkenden Weihnachtsmännern und „Last Christmas“ aus den Lautsprechern. Doch zugleich bezieht Weihnachten seinen die Kirchen füllenden Zauber aus seiner Institution als Familienfest, als Ritual, als Ort der Einkehr, Innerlichkeit und Besinnung, als Insel der Stille, der Kerzen und der Festlichkeit in einer sonst lauten, grellen und ordinären Welt.

Das Verhältnis von weltlicher Kultur und Religion ist nicht immer eindeutig 

Diese Transformation religiöser Symbole zu Bestandteilen einer säkularen Kultur und damit zur kulturellen Identitätsstiftung über ihren ursprünglich weltanschaulichen Kontext hinaus ist Fundamentalisten naturgemäß ein Dorn im Auge. Den Fundamentalisten von beiden Seiten wohlgemerkt, also den Fundamentalisten des Laizismus einerseits und den Fundamentalisten des Religiösen andererseits.

Beide Fundi-Gruppen könne nicht damit leben, dass das Verhältnis von weltlicher Kultur und Religion nicht immer eindeutig ist. Religiöse Fundamentalisten sehen dadurch die Reinheit des religiösen Symbols beschmutzt oder es für weltliche Belange missbraucht. Und die Fundamentalisten des angeblichen Freidenkertums sehen sich schon deshalb in ihrer Freiheit bedroht, weil sie nicht in einem kultur- und traditionsfreien Raum leben.

Indem religiöse Symbole über die Jahrhunderte in die Kultur diffundieren, geben sie den Menschen dadurch Halt und Orientierung und werden Teil ihrer Identität, ihrer Herkunft, ihrer Erinnerungen. All das muss nichts mit ihrer ursprünglichen Bedeutung zu tun haben, nimmt dieser aber auch nicht ihre Würde, im Gegenteil. Denn die säkulare Erinnerung und Identitätsstiftung gibt dem religiösen Symbol einen ganz individuellen Wert, der es loseist von dem Kollektivistischen und Unterwerfenden, das Religion und ihren Symbolen immer innewohnt.

Die Transformation von Kreuz und Weihnachtsfest in Symbole einer bürgerlichen Kultur haben diese somit zivilisiert. Wer darin einen Verlust sieht, verweigert sich im Kern der modernen Gesellschaft. Und wer meint, dass durch das Kreuz in einer Behörde die Neutralitätspflicht des Staates verletzt ist oder gar dessen Toleranzgebot, hat von der Funktion religiöser Symbole in Kulturen wenig bis nichts verstanden. Anders übrigens als die Millionen Agnostiker, die morgen wieder in die Kirche strömen werden.

In diesem Sinne allen Lesern ein besinnliches Weihnachtsfest! 

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