„Desinformation“ und Meinungsfreiheit - Die Vereinten Nationen fordern Zensur

Eine Politikrichtlinie der Vereinten Nationen möchte vermeintliche Hassrede und Desinformation bekämpfen. Doch ist dabei allerdings etwas anderes zu befürchten: Zensur. Dabei gibt es kein Recht auf exklusive Wahrheitsansprüche und unverletzte Gefühle.

Antonio Guterres spricht auf der Generalversammlung der Vereinten Nationen / dpa
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Uwe Steinhoff ist Professor am Department of Politics and Public Administration der Universität Hongkong sowie Senior Research Associate im Oxford University Programme on the Changing Character of War. Zuletzt erschien von ihm das Buch „Freedom, Culture, and the Right to Exclude – On the Permissibility and Necessity of Immigration Restrictions“.

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Der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Antonio Guterres, hat soeben eine Politikrichtlinie (policy brief) vorgestellt, welche „misinformation and disinformation“, also in Treu und Glauben ebenso wie absichtlich mit Schädigungswillen verbreitete Fehlinformationen, insbesondere auf digitalen Plattformen, verurteilt – und ausgerechnet Zensur als Gegenmittel empfiehlt. Das macht die Richtlinie ironischer- oder vielleicht eher zynischerweise zum besten Beispiel für das, was sie kritisiert. Sie verbreitet nämlich Fehlinformationen. 

Dass dies im besten Glauben und mit lauteren Absichten geschieht, wird man bezweifeln dürfen. So erklärt Guterres, er möchte den „digitalen Raum inklusiver und sicherer für alle machen, zugleich aber das Recht auf Meinungs- und Redefreiheit energisch verteidigen“. Bittere Erfahrungen mit Cancel Culture lehren jedoch, dass diejenigen, die woke Forderungen nach „sicheren Räumen“ und „Inklusion“ unterschreiben, ganz im Gegenteil alles daransetzten, dissidente Stimmen von allen Räumen auszuschließen, in denen sie ihren Dissens effektiv äußern könnten.

Guterres erklärt zudem, die Gefahr könne „nicht übertrieben werden. Durch soziale Medien unterstützte Hassrede und Desinformation kann zu Gewalt und Tod führen.“ Die Gefahr kann sehr wohl übertrieben werden, zum Beispiel indem man, wie Guterres, vergisst zu erwähnen, dass von NGOs und Regierungen unterstützte Zensur angeblicher „Hassrede und Desinformation“ ebenfalls zu Gewalt und Tod führen kann. 

Zensur bekämpft keine Fehlinformationen

Der beste Weg, Fehinformationen zu bekämpfen, ist daher nicht Zensur, sondern offener Diskurs, der durch Redefreiheit geschützte „Markplatz der Ideen“, wie Verteidiger der Meinungsfreiheit von John Stuart Mill bis Nadine Strossen überzeugend argumentiert haben. Und in der Tat, derweil Guterres von Wissenschaft redet und die unter Zensoren so beliebte These von der Schädlichkeit allzu freier Rede repetiert, bietet er selbst keinerlei wissenschaftliche Evidenz, um diese These zu untermauern. Die Texte, auf welche er sich in seinen Fußnoten beruft, sind schlicht weitere UN- und NGO-Deklarationen, kosmetisch verziert mit der einen oder anderen einseitig ausgewählten wissenschaftlichen Studie, welche zudem die zentrale These – Zensur ist das geeignete Mittel – nicht nur nicht belegt, sondern nicht einmal behandelt.  

Wenn also Guterres erklärt, „großangelegte Desinformationskampagnen untergraben wissenschaftlich etablierte Fakten und stellen ein existentielles Risiko für die Menschheit dar“, so ist ihm zu erwidern, dass die von Möchtegern-Zensoren und auch von ihm demonstrierte erwähnte Einseitigkeit gerade zeigt, dass die Vereinten Nationen, NGOs sowie Regierungspolitiker und -bürokraten weder willens noch auch nur fähig sind, Lügen verlässlich von Fakten zu unterscheiden. Das tatsächliche Menschheitsrisiko sind daher Zensurbehörden und Wahrheitsministerien.  

Diffamierungskampagnen während der Covidkrise

Ein Beleg hierfür ist die Covidkrise. Guterres erklärt, dass „eine Flut von Fehl- und Desinformationen über das Virus, öffentliche Gesundheitsmaßnahmen und Impfstoffe online zu zirkulieren begann“. Er versäumt zu erwähnen, dass viele dieser Fehlinformationen von Regierungen verbreitet wurden, die ihrerseits wahre Behauptungen durch Zensurmaßnahmen bei digitalen Plattformen unterdrückt haben. Auch beim Diffamieren renommierter dissidenter Wissenschaftler – und solche Diffamierungskampagnen sind selbst nichts anderes als Desinformationskampagnen – haben sich international diverse Regierungen und Regierungsvertreter unrühmlich hervorgetan, auch im Westen.

 

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Über diese Vorgänge gibt es übrigens wissenschaftliche Veröffentlichungen. Diese kommen in Guterres’ Fußnoten nicht vor. Die Covidkrise, wie überhaupt jede Krise, wäre sicherlich besser gemeistert worden, hätte tatsächlich eine offene und ehrliche Diskussion stattgefunden, statt eine von digitalen Plattformen, „staatstragenden“ Medien und Regierungen manipulierte. 

Standpunktdiskriminierung

Was „Hassrede“ angeht: In Guterres Richtlinie ist sie definiert als „jede Art von Kommunikation in Rede, Schrift oder Verhalten, welche eine Person oder Gruppe unter Bezug darauf angreift oder mit abwertender oder diskriminierender Sprache belegt, wer sie sind, mit anderen Worten, basierend auf deren Religion, Ethnie, Nationalität, Rasse, Hautfarbe, Herkunft, Geschlecht oder anderem Identitätsmerkmal.“ Aus dieser Definition folgt freilich, dass solche „Hassrede“ zu verbieten eher pedantisch ist. Es gibt schließlich auch Menschen, Supremazisten, die sich als Mitglieder überlegener Rassen „identifizieren“. Nach Guterres’ Definition wäre eine Aussage wie „Vermeintliche Herrenmenschen sind Schwachköpfe“ Hassrede. Ebenso der ernst gemeinte Tweet einer Feministin: „Männer sind Schweine“. 

Natürlich zeigen die Bespiele bereits, dass diese nicht „gemeint“ sein werden. Wenn jedoch ein „Hassredegesetz“ nicht konsequent nach seinem semantischem Gehalt angewendet wird, wird dies zwangsläufig genau den Effekt haben, dessentwegen sich solche Gesetze gerade bei der autoritären Linken solch großer Beliebtheit erfreuen: Sie erlauben Standpunktdiskriminierung. Sprich, sie sind ein Mittel, vom Marktplatz der Ideen jene Ideen auszuschließen, die einem missfallen. Das führt freilich zu einer Einschränkung der Freiheit und zur Unterminierung des Prozesses der Wahrheitsfindung.

Exemplarisch gesagt, Feministinnen, die erklären, dass „Transfrauen“ keine Lesben sein können, weil sie nun einmal keine Frauen seien, werden dann, wie schon jetzt in Norwegen geschehen, mit Gefängnis aufgrund von „Hassrede“ bedroht, während „Satiriker“, die solche Feministinnen als „Scheißhaufen“ bezeichnen, einen Preis verliehen bekommen, wie bekanntlich in Deutschland geschehen

Es gibt kein Recht auf unverletzte Gefühle

Nochmals, die Frage ist nicht: Können Falsch- oder Desinformation sowie Hassrede Schaden verursachen? Natürlich können sie. Dies rechtfertigt aber keine Zensur. Zum einen, weil man das Recht hat, anderen auf vielerlei Art zu schaden. Wenn der Besitzer eines Restaurants besser kocht als sein Konkurrent und ihm somit die Kundschaft abjagt, schadet er ihm damit. Dazu hat er aber ein Recht. Ebenso gilt, dass Rede, die anderen Menschen schadet, nicht schon allein dadurch verbotswürdig ist. Es gibt ein Recht auf Meinungsfreiheit, kein Recht auf unverletzte Gefühle oder gegen unangenehme Wahrheiten.  

Zum anderen aber verletzt nicht nur Hassrede, sondern auch deren Unterdrückung Gefühle, und erzwungene Rede, etwa der Zwang, einen sich als Frau deklarierenden Mann als solche zu bezeichnen, ebenso. Dasselbe gilt für die Zensur vermeintlicher Desinformation: Auch diese kann schaden und selbst zu Desinformation führen. Die Frage zur Rechtfertigung von Zensur lautet also: Würde ein von NGOs, supranationalen oder nationalen Behörden zensierter und manipulierter Diskurs zu weniger Desinformation, Rechteverletzungen und Schäden führen als ein offener und unzensierter Diskurs? Wer auf diese Frage mit einem Ja antwortet, hat nicht nur aus der jüngsten, sondern aus der Menschheitsgeschichte nichts gelernt. 

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