Vandalismus gegen Kirchen - Die Unfähigkeit, das Fremde zu ertragen

Frankreichs Kirchen brennen: Paris, Grenoble, Corbeil-Essonnes und jetzt Nantes. Immer öfter fallen europäische Kulturdenkmäler dem Vandalismus der Gegenwart zum Opfer. Wer steckt dahinter und vor allem warum?

Brand in der Kathedrale von Nantes: Verdacht auf Brandstiftung / dpa 
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Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Diese Woche traf es die Kathedrale von Nantes. Wenige Tage zuvor brannte die polnisch-französischen Kirche in Corbeil-Essonnes. Im letzten Jahr die Kirche Saint-Sulpice im sechsten Pariser Arrondissement und die Kirche Saint-Jacques in Grenoble. Im selben Zeitraum wurde in der Kirche von Whir-au-Val eine Marienfigur geköpft, im normannischen Avranges die Basilika Saint Gervais verwüstet und in Tours die Basilika des heiligen Martin beschmiert. 

Es sind nicht immer spektakuläre Brände. Zumeist handelt es sich um Schmierereien, mitunter werden Figuren zerstört, Tabernakel aufgebrochen und Hostien entwendet oder manchmal auch nur Kreuze umgeschmissen. Dennoch irritiert das Ausmaß von Gewalt gegen zumeist katholische Kirchen in Frankreich in den letzten Jahren. Die katholische Kirche geht von etwa 1.000 Fällen von Vandalismus pro Jahr aus – vom einfachen Graffiti über zerschlagene Figuren bis zur Brandstiftung.

Kein System zu erkennen

Ein System ist dabei nicht zu erkennen. Die Kirchenschändungen treten im Norden Frankreichs ebenso auf wie im Süden, am Atlantik oder in den östlichen Departements. Hinweise auf Täter gibt es kaum. Vermutlich sind die Mehrzahl insbesondere der harmloseren Fälle eher der Kategorie Jugendvandalismus zuzuordnen. Aber auch bei den schwereren Vergehen ist kein Muster erkennbar. Die Kirche selbst vermutet mal radikale Laizisten unter den Tätern, mal Anhänger des Satanistenmilieus. Aber auch das ist vage und erklärt die Gewaltbereitschaft gegen Kulturgüter kaum.

Allerdings haben Kirchenschändungen in Frankreich seit der französischen Revolution eine gewisse Tradition. Während der Revolution selbst wurde die Inneneinrichtung von Notre-Dame zerstört. Überall in der Provinz kam es zu Kirchenschändungen und Bilderstürmereien. Französischen Revolutionstruppen planten den Abriss des Mainzer Domes, man begnügt sich dann damit, die Holzeinrichtung zu verfeuern. Der Kölner Dom diente als Pferdestall. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen.

Vandalismus ohne Botschaft?

Doch der Vandalismus der Gegenwart hat mit demjenigen der Vergangenheit nur die Gewalt gemein. Anders als im 19. Jahrhundert treffen die Zerstörungen von Kirchen und Kirchenmobiliar eine weitestgehend entchristianisierte Gesellschaft. Sollte sich hinter den Taten also überhaupt eine Botschaft verbergen, so zielt sie auf die kulturelle, die abendländische Identität Frankreichs, für die die Kirche symbolisch steht.

Unter dieser Perspektive reiht sich der Vandalismus gegenüber Kirchen in die Zerstörungswut gegen Denkmäler, Kunstwerke und andere Symbole europäischer Tradition, die von den USA über England bis nach Frankreich und Deutschland schwappt. Die vorgeschobenen Gründe unterscheiden sich dabei: Mal geht es angeblich um den Kampf gegen Rassismus, mal gegen vermuteten Sexismus oder gegen irgendeine andere Diskriminierung. Gemeinsam ist den Gewalttaten jedoch eine Verachtung der europäischen Geistes- und Kulturtradition, die für alle Übel der Welt verantwortlich gemacht wird, für Diskriminierungen, Krieg, Ausbeutung und Unterdrückung.

Toleranz gegenüber dem Fremden

Und in der Tat gehört dies alles auch zur europäischen Geschichte. Niemand bezweifelt das. Doch eine – auch kritische – Auseinandersetzung mit der eigenen Herkunft ist eine Sache. Sie auf die Anklagebank zu setzen und am liebsten eliminieren zu wollen eine ganz andere.

Was sich in den gegenwärtigen Autodafés ausdrückt, ist im Grunde ein tiefes und sich als Hass artikulierendes Unverständnis des Fremden im Eigenen. So sehr man das exotische Fremde bewundert und als Bereicherung in die eigene Lebenswelt hineinholen möchte, so unwillig ist man, das Fremdgewordene der eigenen Kultur anzunehmen. Gilt Toleranz gegenüber dem Fremden aus der Fremde als Ausweis höherer Gesinnung und eines gelebten Humanismus, so ist die Herabsetzung des Fremdartigen der eigenen Geschichte vielen ein Beleg für ihr kritisches Bewusstsein.

Das Mäntelchen der Offenheit

Das ist in jeder Hinsicht verlogen. Denn Verständnis für das Fremde beginnt bei dem fremd gewordenen eigenen. Wer aus guten Gründen für Neugier und Verständnis gegenüber anderen Traditionen und Sitten wirbt, ist daher gut beraten, bei seiner eigenen Kulturgeschichte anzufangen.

Eine Gesellschaft hingegen, die die eigenen Kulturdenkmäler fremdgewordener Epochen zerstört oder deren Zerstörung achselzuckend hinnimmt, zeigt, wie unfähig sie ist, mit dem Fremden umzugehen. Ihre Umarmung des exotischen Fremden entlarvt sich vor diesem Hintergrund als eine Inszenierung, um der eigenen Borniertheit das Mäntelchen der Offenheit umzuhängen.

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