Neues DFB-Trikot - In der Politisierungsfalle

Mit dem neuen Auswärtstrikot will der DFB die Vielfalt des Landes repräsentieren. Doch wer Rosa oder Lila in der Männermode für Ausdruck von Offenheit hält, zeigt nur, welch reaktionären Geschlechterklischees er verfallen ist.

Nationalspieler Helmut Rahn im Jahr 1960 / dpa
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Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Eigentlich gibt es ja keinen vernünftigen Grund, das Design der Trikots einer Nationalmannschaft alle zwei Jahre zu ändern. Und tatsächlich lief die deutsche Fußballnationalmannschaft Jahrzehnte lang in ihrer traditionellen Kombination auf: weißes Hemd, schwarze Hose.

Doch die Kommerzialisierung des Sports macht auch vor den Leibchen der Fußballmillionäre keinen Halt. Denn ein Trikot, egal, ob von einer Vereins- oder einer Nationalmannschaft, ist auch ein Fan-Artikel. Und mit Fan-Artikeln kann man Geld verdienen. Sehr viel Geld. Schließlich kommt bei Preisen zwischen (aktuell) etwa 100 Euro (Fanversion) und 150 Euro (Originalversion) für alle Beteiligten einiges zusammen.

Eine ikonische Farbauswahl 

Begonnen hatte alles jedoch ganz bescheiden. Als am 5. April 1908 das erste Länderspiel einer DFB-Auswahl stattfand (gegen die Schweiz in Basel, die Eidgenossen gewannen 5:3), traten die Mannen des deutschen Fußballbundes in schwarzen Stutzen, schwarzer Hose und einem weißen Trikot auf, das ein schwarzer Längsbalken mit Reichsadler schmückte. Das Heimtrikot anlässlich der letzten WM erinnerte daran.
 

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Die ikonische Farbauswahl geht zurück auf die Farben Preußens, die in der Folgezeit alle politischen Stürme überdauerte. Preußen gibt es schon lange nicht mehr, doch die DFB-Auswahl spielt noch immer in Schwarz und Weiß. Und das hat gute Gründe. Denn die Kombination ist nicht nur von einer signifikanten und klaren Ästhetik, sondern strahlt Souveränität, Dominanz und Kampfgeist aus – also genau jene Eigenschaften, die den deutschen Fußball einmal prägten.

Adler auf der Brust 

Als ästhetische Vollendung der traditionellen Schwarz-Weiß-Optik muss das Trikot-Design der Jahre 1972 und 1974 gelten. Schwarze Hose, schlichtes weißes Shirt ohne Firlefanz, lediglich den Adler auf der Brust und schwarze Bündchen an Ärmeln und Rundkragen. Puristischer, schlichter, pointierte, ja bauhausmäßiger ging es nicht. Man hätte es nie ändern sollen.

Doch man änderte. Bei der EM in Italien 1980 verunstalteten erstmals drei Streifen des Herstellers aus Herzogenaurach die Ärmel des National-Trikots. 1986 in Mexiko wurden die Bündchen nationalfarbig. Das wirkliche Elend begann dann bei der Heim-EM 1988. Nun prangte ein von so genannten Designern verunstaltetes schwarz-rot-gelbes Band auf der Brust der Spieler. In diesem Stil ging es weiter. Den ästhetischen Tiefpunkt markierte schließlich – passend zur sportlichen Leistung – die WM 1994.

Heim- und Auswärtstrikot (r.) der deutschen Fußallnationalmannschaft für die Euro 2024 / dpa

Doch man kann den Kreativen jener Jahre vorwerfen, was man will: schlechten Geschmack, verkrampfte Originalität, Designeramoklauf. Eines waren sie zum Glück nicht: politisch. Die Trikots waren einfach geschmacklos. Damit konnte man leben. Das hat sich mit dem Trikotjahrgang 2024 geändert. Nun zeigt man Haltung, nicht nur mittels Armbinden, sondern gleich am ganzen Körper. Zumindest beim Auswärtstrikot.

Rosa als Vielfaltsfarbe

Das changiert nun von Pink über Lila nach Dunkelblau. Damit soll das Leibchen, so der DFB, „die neue Generation deutscher Fußballfans und die Vielfalt des Landes repräsentieren“. Inwiefern jedoch ausgerechnet Rosa oder Lila die Vielfalt Deutschlands darstellen, wird wohl auf ewig das Geheimnis der Kreativabteilung von Adidas bleiben.

Es beschleicht einen ein schlimmer Verdacht: Kann es sein, dass beim DFB ein reaktionäres Männerbild gepflegt wird, das Rosa oder Lila in einem mit Männlichkeit assoziierten Sport für progressiv hält? Ist es möglich, dass bei Adidas Menschen sitzen, die in überholten heteronormen Klischees denken? Hat man sich in Frankfurt und Herzogenaurach in seinen eigenen Vorurteilen verrannt?

Denn rosa oder lila Hemden gehören seit Jahrzehnten zur durchschnittlichen Herrengarderobe. Und in lila Trikots spielte Real Madrid schon in der Saison 2016/17 und zuletzt 22/23. Wer mit einem rosa-lila Trikot Modernität, Offenheit und Vielfalt verbindet, der zeigt auf peinliche Weise, was für einem provinziellen und von Vorurteilen behafteten Weltbild er anhängt. Doch die Modernität von gestern wirkt heute bestenfalls bieder.

Wieder einmal tappt der DFB damit in die Politisierungsfalle. Statt einzusehen, dass insbesondere die Identifikation mit einer Nationalmannschaft über die Tradition funktioniert (und die traditionelle Auswärtskombination des DFB ist grün-weiß), überfrachtet man das Trikot mit gesellschaftspolitischen Botschaften. Das ist an sich schon eine Zumutung. Wenn diese Ideologisierung des Sports dann auch noch die eigene Rückständigkeit zeigt, wird alles zu einer großen Peinlichkeit.

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