Gender-Debatte - Jetzt auch noch „Biologist“

Der Streit um Transpersonen, das binäre Geschlechtersystem und die Gender-Ideologie ebbt nicht ab. Der neueste Schmähbegriff woker Aktivisten ist „Biologist“. Ein Begriff, der Natur isolieren und unliebsame Fakten aus dem Weg räumen soll. Wer ihn in den Mund nimmt, der will andere einschüchtern und entwurzeln.

Wenn wissenschaftliche Fakten nicht mehr anerkannt werden: Proteste gegen einen Vortrag der Biologin Marie-Luise Vollbrecht an der Humboldt-Universität zu Berlin / dpa
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Rieke Hümpel ist Biologin, Publizistin und Betreiberin einer Werbeagentur.

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Hatte man sich gerade daran gewöhnt, von den Anhängern der woken Ideologie bei jeder Gelegenheit als „rechts“ beschimpft zu werden, taucht nun immer öfter ein neues Agenda-Wort im Kampf gegen freie Sprache und unabhängiges Denken auf: „Biologist“, wer mit einem kleinen Tier-Video in den Sozialen Medien menschliches Verhalten niedlich bebildern möchte. „Biologist“, wer das Stillen mit dem Argument befürwortet, dass sich das Säugen von Nachkommen bei Säugetieren als sinnvoll erwiesen hat. „Biologist“, wer das wissenschaftliche Faktum der Zweigeschlechtlichkeit benennt. Und „Biologist“, wer ebendiese Bezeichnung in der aktuellen Anwendung für „affig“ hält.

Viele der als „Biologist“ Angesprochenen zucken zunächst ratlos mit den Schultern. Denn der Begriff ist ein kulturwissenschaftlicher und außerhalb der Gemeinde der Soziologen weitgehend unbekannt. Innerhalb dieser Szene kursieren unterschiedliche mehr oder weniger schwammige Definitionen, deren Kern sich wie folgt zusammenfassen lässt: Der Biologismus missbraucht biologische Prinzipien und Abläufe, indem er ungeprüft und im falschen Verständnis daraus allgemeingültige Regeln und Normen für den Menschen ableitet. 

Eine verhängnisvolle Fehlinterpretation

Eine „einseitige und ausschließliche Anwendung biologischer Gesichtspunkte auf andere Wissensgebiete“, definiert der Duden. Erstmals tauchte der Begriff aber in dem Aufsatz „Lebenswerte und Kulturwerte“ des Philosophen Heinrich Rickert um 1911 auf, der ihn an eine Wertung nach Gesundheit knüpft; sprich: Gesund soll sein, krank soll nicht sein (nach Alan Schink in der Zeitschrift Incipiens, 2014).  

Der Wissenschaftstheoretiker und Biologe Franz Manfred Wuketits betrachtete in einem Essay für das „Lexikon der Biologie“ des Spektrum-Verlags 1999 die Historie der biologistischen Denkweise, die er bereits in der frühen Neuzeit erkannte. Von Biologismus im engeren Sinne spricht er indes erst im Zusammenhang mit dem Sozialdarwinismus. Wichtig: Nicht der Biologe Darwin war demnach der Biologist, sondern diejenigen, die seine Theorie der natürlichen Auslese fehlinterpretierten und als Selektionsprinzip vorschnell auf die menschliche Kultur und Gesellschaft übertrugen.
 

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Ein Beispiel ist der Soziologe Albert Schäffle, der in seinem umfangreichen Werk „Bau und Leben des socialen Körpers“ (1878) die menschliche Gesellschaft systematisch im Licht der von ihm so bezeichneten „organischen Biologie“ zu analysieren versuchte und daraus eine biologistische Gesellschaftstheorie ableitete, die von der wissenschaftlich unhaltbaren Vorstellung eines universellen Daseinskampfes geleitet ist.

Der Zoologe und Philosoph Ernst Haeckel trieb es noch weiter auf die Spitze, indem er aus dem Selektionsprinzip eine „ethische Maxime“ folgerte. Demnach habe der Staat die Aufgabe, „lebensuntüchtiges“ Leben auszusondern. Wuketits schreibt: „Die von der sozialdarwinistischen Ideologie gelieferte ‚Begründung‘ rassenhygienischer Maßnahmen führte im Nationalsozialismus zu den denkbar schrecklichsten Konsequenzen. Kaum je zuvor ist eine naturwissenschaftliche Theorie, die Selektionstheorie (Anm. d.Verf.: richtig ist „Theorie der natürlichen Auslese“), so gründlich mißverstanden und so verhängnisvoll auf den Menschen angewandt worden wie in den nationalsozialistischen Doktrinen (Euthanasie).“

Ins gesellschaftliche Abseits

Biologismus führte also in der Vergangenheit zu dem grauenhaftesten Verbrechen der Menschheitsgeschichte. Jemand einen „Biologisten“ zu nennen, ist daher keine Kleinigkeit. Selbstverständlich lässt sich kein vernünftiger Mensch gern mit Nazi-Wissenschaftlern und Eugenikern vergleichen. Jedem ist klar, dass es keine schlimmere Ecke gibt, in die man rutschen kann. Es ist das gesellschaftliche Abseits. Sich der zutiefst negativen Konnotation bewusst, setzen Gender-Ideologen diesen Hau-drauf-Begriff schrill und grob gegen Kritiker ein, die sich ihrer ideologischen Sicht in den Weg stellen – vornehmlich gegen Biologen.

Dabei ist es ein Widerspruch in sich, ausgerechnet einer Naturwissenschaft vorzuwerfen, dass ihre Ergebnisse von der Gesellschaftswissenschaft falsch verstanden und pervertiert wurden und werden. Atemraubend dann auch die verdrehten „Herleitungen“ solcher Gehirnakrobatik seitens einiger Gender-Aktivisten: Es sei zum Beispiel eine biologistische „Absolut-Setzung“, den Fakt der Zweigeschlechtlichkeit als solchen zu präsentieren. Denn damit – und jetzt wird es ganz wild – würde die Existenz von Transpersonen „delegitimiert“.

Fakten als wichtigste Verständigungsbasis einer aufgeklärten Gesellschaft werden also zu Dogmen umgedeutet. Was damit bezweckt wird, ist leicht durchschaubar: Sind Fakten erst aus dem Weg geräumt oder negativ konnotiert, ist endlich Platz für die eigenen Glaubenssätze. Beispiel: Erst wenn der Fakt der Zweigeschlechtlichkeit als Biologismus abgewertet wurde, kann der Glaubenssatz „Transfrauen sind Frauen“ die Position eines vermeidlichen Faktums einnehmen. Wer nicht glauben möchte, dass biologische Männer Frauen sein können, wird dann im Handumdrehen als „Biologist“ diffamiert. 

Nicht länger als Teil der Natur fühlen

Aber auch der alltäglichste Naturvergleich kann einen künftig vom normalen Bürger in die Position des „Biologisten“ katapultieren. Hier ist das Ziel ein etwas anderes: Wir sollen uns nicht länger als Teil der Natur fühlen dürfen. Mit dem Hinweis auf unsere Kultur sollen wir von der Umwelt isoliert werden. Es ist ein Angriff gegen etwas, das uns ausmacht – auf unser Gefühl, in der Natur geborgen zu sein, ein Teil von ihr zu sein, ihr zu entstammen. 

Vielleicht ist es ja schon biologistisch, wenn ich beim Anblick einer Katzenmama denke, dass wir über Arten hinweg grundsätzliche Gefühle teilen? Bringt mich ein „Typisch Mann“ schon in die Nähe von NS-Wissenschaftlern? Ist es noch ethisch vertretbar, Ausgedachtes für nicht real zu halten? Jedes Heranziehen von nicht durch Studien abgesicherter Beobachtungen belebter Natur in unser Denken wird so bereits verdächtig. Wir sollen zutiefst verunsichert werden, was wir überhaupt noch selbst denken dürfen.

Breite Front der Schmähbegriffe

Wer dieser Tage den Begriff „Biologist“ in den Mund nimmt, möchte sehr wahrscheinlich andere zum Schweigen bringen, einschüchtern, entwurzeln. Der Begriff reiht sich damit nahtlos ein in die breite Front gender-ideologischer Schmähbegriffe. Die direkten Nachbarn im sprachlichen Missbrauch heißen „Nazi“, „gruppenbezogener Menschenfeind“, „Klimaleugner“ (mit der Assoziation zu Holocaustleugner), „Demokratie-Delegitimierer“, „libertärer Autoritarist“, „Neoliberalist“, „Rassist“ oder „TERF“ (für Frauen, die an der Zweigeschlechtlichkeit festhalten). 

Es sind Schmähungen, die mit enormem Aufwand jeder für sich und von uns allen wieder entkräftet werden müssen. Kaum ist man mit dem einen Begriff durch, ploppt ein neuer auf – ein zermürbender Kampf. Er kostet Zeit, Energie und gute Laune. Und die Frage bleibt: Was berechtigt diese Leute eigentlich dazu, uns derart zu beschäftigen? 

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