Traditionsgebäck erlebt Höhenflug - Wer hip sein will, isst Zimtschnecken

Eigentlich hatte unser Genusskolumnist nicht vor, jemals wieder eine Zimtschnecke zu essen, denn Zimt mag er generell nicht. Aber weil jetzt so viel darüber geredet wird, musste er natürlich einen Selbstversuch machen. Den Hype um das fettig-mehlige Zuckermonstrum kann er nicht nachvollziehen.

Schmecken tun sie so lala, aber als Stillleben machen sie schon was her / dpa
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Autoreninfo

Rainer Balcerowiak ist Journalist und Autor und wohnt in Berlin. Im Februar 2017 erschien von ihm „Die Heuchelei von der Reform: Wie die Politik Meinungen macht, desinformiert und falsche Hoffnungen weckt (edition berolina). Er betreibt den Blog „Genuss ist Notwehr“.

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Zunächst dachte ich, dass mich der Ernährungssoziologe Daniel Kofahl auf den Arm nehmen will. Denn sein Hinweis, dass ausgerechnet rund um die Zimtschnecke ein ungeheurer Hype entfacht worden sei, der offensichtlich Wirkung zeige, erschien mir dann doch recht abwegig. Aber tatsächlich sprechen jetzt sogar einigermaßen seriöse Medien vom „Trendobjekt Zimtschnecke“. 

PR-Turbo durch Social Media 

Auch mehrere Wirtschaftsportale berichteten über ein schnell expandierendes Zimtschnecken-Start-up-Unternehmen namens „Cinnamood“. 18 Franchise-Filialen haben bereits geöffnet, so in Berlin, Köln, Frankfurt, Hamburg, Düsseldorf und München. Weitere sollen in Kürze folgen, unter anderem in Wien, Zürich, Amsterdam, Stuttgart, Leipzig, Dresden, Bremen, Hannover und Saarbrücken.      

PR-Turbo für dieses eigentlich gar nicht so neue Süßgebäck sind Social-Media-Kanäle wie Instagram und TikTok. „Food-Influencer“ verzeichnen für ihre Zimtschnecken-Präsentationen mitunter siebenstellige Klickzahlen, und jede Cinnamood-Filiale hat ihren eigenen Instagram-Kanal. Längst haben auch viele Bäckereien und Backshops nachgezogen, und natürlich gibt es inzwischen auch Bio-Zimtschnecken und vegane Varianten. Und da „Zimtschnecke“ wohl auf Dauer nicht so groovy klingt, ist auch zunehmend von „Cinnamon Rolls“ die Rede, obwohl diese US-Variante eigentlich etwas anders ist. 

Gefühl von Behaglichkeit und Kindheitserinnerungen 

Der Soziologe Kofahl erlebt den Zimtschnecken-Hype auch unmittelbar bei seiner Tätigkeit als Lehrbeauftragter. Eine kurze Umfrage im Auditorium seiner Vorlesung in Wien habe ergeben: „Die jungen Damen lieben allesamt Zimtschnecken.“ Offensichtlich sei dieses Gebäck „die Trendcousine des auf dem schnelllebigen Markt der kulinarischen Neuigkeiten nicht mehr ganz frischen Bananenbrots“. Sie habe „durch ihre Spiralform eine Ästhetik, die instagramabel ist, und somit Content und Aufmerksamkeit generiert“. 

Und der Geschmack, der sich aus der Kombination von Hefeteig, Zimt, Zucker und gegebenenfalls noch Apfel ergebe, „löst wohl bei vielen Menschen das Gefühl von Behaglichkeit und Kindheitserinnerungen aus“. Zudem seien sie relativ leicht auch selbst zu backen. Der riesige Hype lasse sich aber wohl nur damit erklären, „dass vor allem die Damenwelt sich gerne was zu naschen sucht, und da bedarf es Abwechslung: Trends und Do-it-yourself-Inszenierungen, damit man den Kalorienüberschuss in der gegenwärtigen Diätwelt rechtfertigen kann.“ 

In Schweden schon sehr lange Kultgebäck 

Persönlich tangiert mich der Zimtschnecken-Hype kaum. Wie auch immer geformten Teigklöpsen aus Mehl, Milch, Butter, Hefe und viiiel Zucker kann ich generell eher wenig abgewinnen, und wenn dann noch Zimt im Spiel ist, hört der Spaß endgültig auf. Aber die Sache mit dem „Trendgebäck“ ist schon irritierend. Denn die Zusammensetzung betreffend sind Zimtschnecken fast identisch mit den seit dem 19. Jahrhundert vor allem in Norddeutschland beliebten Franzbrötchen

 

Zuletzt in „Genuss ist Notwehr“ erschienen:

 

In Schweden hat die Zimtschnecke, die dort „Kanelbulle“ heißt, schon lange Kultstatus, aber keinen kurzlebigen. Seit 1999 wird dort sogar der „Tag der Zimtschnecke“ („Kanelbullens dag“) gefeiert, an dem rund sieben Millionen Exemplare in Supermärkten und Cafés verkauft werden - bei einem Land mit 10 Millionen Einwohnern. Es wird davon ausgegangen, dass dieselbe Menge auch noch zusätzlich in Privathaushalten gebacken wird. Aufmerksamen Lesern und Zuschauern von Schweden-Krimis wird zudem nicht entgangen sein, dass da stetig Zimtschnecken auftauchen. Besondern der beliebte „Kommissar Wallander“ war stets ganz wild darauf. Nicht zu vergessen der erfolgreiche Roman „Zimtschnecken und Schneegestöber“ von Hanna Blixt. Aber das entwickelte sich alles ohne Influencer bei Instagram und TikTok, und es brauchte auch kein Start-up wie Cinnamood, um die Zimtschnecke populär zu machen. 

Ein Selbstversuch, aber nur als Käufer 

Natürlich habe ich auch einen Selbstversuch gemacht. Allerdings nicht mit eigener Herstellung, denn das wäre in diesem Fall nun wirklich des Guten zuviel. Ich habe für diese Kolumne schon etliche merkwürdige Dinge testweise gekocht, geschmort oder gebraten, vom dänischen Nationalgericht „Stegt Flæsk med persillesovs“ bis zu „Baked Beans“ nach Art der kanadischen Holzfäller, aber Zimtschnecken kommen mir nicht in den Ofen! Und Zimt hat meiner Auffassung nach ohnehin nichts in der Küche zu suchen, aber das nur nebenbei. 

Ich habe mir stattdessen zwei Zimtschnecken gekauft. Eine im Billig-Backshop und eine (fast dreimal so teuer) beim Bio-Bäcker. Nur so viel: Den Hype um diese fetten, süßen Fladen mit dieser merkwürdigen Zutat habe ich danach genauso wenig verstanden wie zuvor. 

Der nächste Trend kommt bestimmt 

Der Ernährungssoziologe Kofahl gibt derweil bereits eine Art Entwarnung. Derzeit sei es angesichts des Hypes in bestimmten Zielgruppen quasi ein Muss, Zimtschnecken zu essen oder gar zu backen, und dies auch medial zu dokumentieren. „Aber dann – so ein Zufall – kommt schon wieder der nächste Trend um die Ecke. Und dann hört man wieder damit auf.“ Was für das auf Expansionskurs befindliche Zimtschnecken-Start-up Cinnamood sicherlich eine große Herausforderung wäre. Und vielleicht kommt dann ja wieder das gute alte Bananenbrot in Mode. 

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