Dieses Bild ist leider nicht mehr verfügbar
() Martin Walser
Selbstporträt mit Hund

Er halte es für möglich, dass wir von Tieren so viel lernen könnten wie sie von uns: Der Schriftsteller und passionierte Hundebesitzer Martin Walser entwirft eine Charakterstudie seines Hundes Bruno, die nicht nur Dokument einer innigen Beziehung, sondern auch beziehungsreiche Introspektion ist.

Bruno war sofort und ist immer noch ein Dramatiker. Die Appenzeller-Erscheinung vertritt er perfekt, weiße Brust, schwarzweißer Kopf und das genau platzierte Ockerorange, zum Beispiel in den gründgenshaft steilen Brauen und an den Füßen, bevor die dann in Weiße enden; nicht zu vergessen die Schwalbe, die jedem Appenzeller zartweiß im Nacken fliegt. Aber was Bruno einzigartig, aber nicht monströs, sondern zukunftshaltig macht, das ist seine Bewegungserfindung. Er fällt etwas größer aus als der lyrische Bogenspringer Robi. Vor allem seine Pfoten, die ich nur ungern so nenne, sind überaus entwickelt. Eigentlich für die Gesamtstatur ein bisschen zu groß. Aber das führt eben zu den Bewegungen, die Bruno erwähnenswert machen. Von Anfang an hatte er eine mehr als stürmische Art der Begrüßung praktiziert. Auch Leute, die zum ersten Mal ins Haus kommen, werden von ihm so stürmisch angesprungen, können sich also dieser nach Umarmung trachtenden Bewegung kaum entziehen. Ich übergehe die daraus resultierenden Peinlichkeiten. Erstens gibt es Garderoben, die unter Brunos Tatzen und Krallen – um einmal ganz im Tierischen zu bleiben – zu leiden haben, zweitens gibt es Menschen, die für stürmische Hundezudringlichkeit keinen Sinn haben. Es gibt offenbar Leute, die bringen es Hunden gegenüber sogar zu Angst. Aber auch Hundekompatible stoßen, wenn Bruno sie anspringt, Laute aus, die ich nicht Freudenschreie nennen kann. Ich darf seine Heftigkeit wenigstens ambivalent nennen. Dann wäre, dann ist Bruno ein Meister der Ambivalenz. Er begrüßt jeden Eintretenden, als habe er vierzig Tage in der Wüste auf den gewartet. Jeder, den er so anrennt, kann in dieser Belästigung eine sensationelle Herzlichkeit entdecken. Jeder – und dazu neigt ja jeder – jeder sieht, dass er, einzig und allein er gemeint ist mit diesem Herzlichkeitsfurioso. So begrüßt dieser Hund nur ihn, ihn, ihn. Das lässt manchen Eintretenden die unangenehme Zudringlichkeit dann doch leichter ertragen. Und ich darf in Brunos rabiatem Begrüßungszeremoniell ausgedrückt sehen, wie unwillkommen jeder Eintretende doch ist, auch wenn er nichts als willkommen ist. Es gibt noch einen Maßstab fürs Willkommensein: Je ruhiger einer auf Brunos Verve reagiert, desto willkommener ist er. In dieser Ruhe drückt sich Nähe aus. Ein Dazugehören. Das alles leistet Bruno ganz nebenbei mit seinem Übungsprogramm. Und dieses Übungsprogramm findet dann seine Anwendung mir gegenüber. Wenn ich zurückkomme, egal ob nach einer Stunde oder nach vierzehn Tagen, dann nimmt er Anlauf und springt mich an mit immer demselben Ziel: Er will seine Vorderpfoten (die ich zum letzten Mal so nenne) mir auf die Schultern legen. Jeder, der die ja äußerstens halbhohe Appenzeller-Ethnie kennt, weiß, dass ein Hund, der einem Einsachtzigmenschen seine Begrüßungsgliedmaßen auf die Schultern legen will, dass der sich schon übermäßig aufrichten muss. Und das tut Bruno, wenn ich zurückkomme. Er steht dann auf seinen zwei Hinterbeinen, und er steht aufrecht, und er bietet mir sein Gesicht an zu jedweder Begrüßungsbekundung meinerseits. Wenn ich ihm den Kopf, das Gesicht auch nur ein bisschen nähere, leckt er mir entgegen, und wir zärteln dann auf eine Weise, die nur möglich ist, weil er jetzt so groß ist wie ich. Und ich sehe in seinen schillerheldenhaft lodernden Freiheitsaugen, wie er diesen Augenblick der reinen Aufgerichtetheit genießt und dass er von mir erwartet, dass ich ihn auch genieße. Und er erwartet auch, dass ich jetzt einen Schritt zurücktrete und er dann so aufrecht stehen bleibt. Aber so weit sind wir noch nicht. Aber so weit werden wir kommen. Bruno ist gerade mal fünf, also, da ist noch viel, vielleicht sogar alles drin. Und das Zukunftshaltige in seinem Bewegungsvermögen wird noch deutlicher beim Abschied. Dass ein Hund – irgendwann muss auch dieses Wort weg –, dass ein solches Tier – ja, Tier, das ist ein unendlich reiches, schönes, unerschöpfbares Wort –, dass ein solches Tier die Begrüßungsgesten bis zum schönsten Aufgerichtetsein entwickelt, ist eine zu Herzen gehende, aber durchaus auch eine erwartungsgemäße Zugewandtheit. Der sogenannte Vierbeiner spürt instinktiv, dass er nicht ewig darauf warten will, bis dieser Zweibeiner sich zu ihm herunterbiegt, nein, da lässt sich doch proben, ob man sich nicht auf Augenhöhe begegnen kann! (…) Kein Mensch, der ihn sieht, wird ihn mit der dressierten Dämlichkeit eines Zirkuspudels zusammenbringen. Er steht dann so, als habe er diese Aufgerichtetheit an Denkmälern des 19. Jahrhunderts studiert, also an der Aufgerichtetheit Bismarcks, Humboldts oder Schillers. Und er steht so, als wolle er mir folgen, ohne dazu von der früheren Vierbeinigkeit Gebrauch zu machen. Das heißt: Bruno ist drauf und dran, den aufrechten Gang zu probieren. Was mich dann am meisten bewegt: Er ist nicht nur stolz und glücklich, weil er es so weit gebracht hat, er findet diese Eröffnung des aufrechten Gangs auch lustig. Er lacht nämlich in diesem Augenblick wie nur sein lyrischer Vorgänger Robi gelacht hat. Robi nach den lyrisch-romanischen Einmeterfünfzigsprüngen, Bruno, wenn er sich an der Schwelle zur Epoche des aufrechten Ganges erlebt! Ich klatsche nicht, ich gratuliere nicht, ich zeige nur, dass auch ich in diesem Augenblick glücklich bin. Martin Walser gehört zu den wichtigsten Schriftstellern der Gegenwart. Seine Reflexion des „Hundischen“ erscheint im August im von Andrea Köhler herausgegebenen Band „Das Tier und wir“ im Hoffmann & Campe Verlag Lesen Sie dazu: Sind Sie ein glücklicher Mensch? - ein Interview mit Martin Walser Foto: Picture Alliance

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.