Über das Leben eines Schulleiters - Der Alleskönner und sein Alltag am Limit

Eine moderne Schule gleicht immer mehr einem mittelständischen Wirtschaftsbetrieb. Die Aufgaben eines Schulleiters sind daher vielfältig: Er ist Inspirator, Streitschlichter, Pressesprecher und Finanzvorstand. Vor allem jedoch muss er die Schule pädagogisch voranbringen. Nicht alle sind diesen Herausforderungen gewachsen.

Ein guter Schulleiter verbindet Organisationstalent mit einer großen Portion Sozialkompetenz / picture alliance
Anzeige

Autoreninfo

Rainer Werner unterrichtete an einem Berliner Gymnasium Deutsch und Geschichte. Er verfasste das Buch „Fluch des Erfolgs. Wie das Gymnasium zur ,Gesamtschule light‘ mutiert“.

So erreichen Sie Rainer Werner:

Anzeige

Während der Corona-Lockdowns konnte man in der Presse Erfahrungsberichte von Eltern lesen, die einen Einblick vermittelten, wie die Schulen die Betreuung ihrer Kinder im Homeschooling bewältigt haben. Die von den Eltern vorgenommenen Bewertungen reichen von „vorzüglich“ bis „mangelhaft“. Einigen Schulen ging ein Teil ihrer Schüler „verloren“, weil die Lehrkräfte keine Mittel fanden, mit den Kindern aus bildungsfernen Milieus aus der Ferne zu kommunizieren. Die Lernmaterialien, die sie in analoger Form in der Schule deponierten, wurden nie abgeholt. 

Andere Schulen gaben schon früh bekannt, dass auch während des Homeschoolings der reguläre Stundenplan gilt. Nur Sport und Bildende Kunst wurden zu Freistunden erklärt. Wenn Schüler nicht über das nötige digitale Equipment verfügten, kam eine Lehrkraft zu ihnen nach Hause und richtete ein Leih-Tablet ein, damit die Kommunikation möglich war. 

Wer trägt für gutes und für schlechtes Schulmanagement die Verantwortung? Natürlich der Schulleiter. Er ist qua Amt für die Lernqualität an seiner Schule verantwortlich. Gerade in außergewöhnlichen Zeiten hätte er es in der Hand, sein Kollegium zu Höchstleistungen anzuspornen. Wenn während des Homeschoolings Teile der Schülerschaft vom Radar verschwinden, kann man davon ausgehen, dass der Schulleiter das Tun seines Kollegiums nicht kontrolliert. Wenn an einer Schule kreative Methoden des Fernunterrichts angewandt werden, ist die Vermutung naheliegend, dass der Schulleiter sein Kollegium ermuntert hat, erfindungsreich zu sein und außergewöhnliche Dinge auszuprobieren. 

Die Kunst der Rede

Das Anforderungsprofil für die Position des Schulleiters ist äußerst komplex. Vielfältige Eigenschaften und Fertigkeiten muss er in sich vereinen. Natürlich muss er ein guter Lehrer sein. Er hat ja ständig andere Lehrer – Referendare und Anwärter auf eine Funktionsstelle – zu prüfen und zu beurteilen. Guten von schlechtem Unterricht kann man aber nur unterscheiden, wenn man die Kriterien eines guten Unterrichts kennt und wenn man selbst in der Lage ist, einen guten Unterricht zu erteilen. Der Schulleiter muss ein guter Kommunikator sein. Die Kunst der Rede und der Überzeugung durch Argumentation muss bei ihm überdurchschnittlich gut entwickelt sein. Von der launigen Rede vor Schülern der Unterstufe bei der Einschulungsfeier bis zur nachdenklichen Ansprache bei der Abiturfeier – stets muss er den richtigen Ton treffen.  

Im schulischen Alltag steht er im Dialog mit den unterschiedlichsten Gruppen. Auf der Konferenz der Lehrer sind pädagogischer Sachverstand und Überzeugungskraft gefragt. Bei einer Elternversammlung muss er die Schule gut „verkaufen“ und hochkochende Konflikte geschickt befrieden. Die privaten Sponsoren der Schule wollen umschmeichelt sein. Bei den Vertretern des Schulamtes oder des Bauamtes kann man nur mit dem beharrlichen Verhandlungsgeschick eines Brüsseler EU-Bürokraten etwas ausrichten. All diese unterschiedlichen „Wellenlängen“ der Kommunikation muss der Schulleiter aus dem Effeff beherrschen. Seit längerem gibt es Fortbildungskurse in Rhetorik für Führungskräfte. Sie zu belegen und das Gelernte im Alltag anzuwenden, ist für Schulleiter mit rhetorischen Schwächen durchaus empfehlenswert. 

Die Guten um sich scharen

Die moderne Schule gleicht immer mehr einem mittelständischen Wirtschaftsbetrieb. Das Budgetrecht, das ihr vom Schulamt übertragen worden ist, erfordert betriebswirtschaftliches Denken und kluges ökonomisches Handeln. Dabei müssen die unterschiedlichen Interessengruppen, die es auch an der Schule gibt, berücksichtigt und die finanziellen Mittel gerecht unter ihnen verteilt werden. Der Schulleiter muss jedoch immer das große Ganze, den pädagogischen Fortschritt der Schule, im Blick haben. Mitunter muss er deshalb Einzelinteressen hintanstellen, auch um den Preis, dass er sich bei Teilen des Kollegiums unbeliebt macht oder sich sogar die Feindschaft einzelner Kollegen oder ganzer Fachbereiche zuzieht. 

 

Mehr von Rainer Werner:

 

Auch hier gilt: Er muss die Kollegen von der Richtigkeit seines Handelns überzeugen. Das gelingt ihm umso besser, je mehr gutwillige und kompetente Kollegen er um sich schart, die den engen Horizont des Fächeregoismus oder der Verliebtheit in die eigenen Steckenpferde hinter sich gelassen und das Wohl der ganzen Schule in den Blick genommen haben. Ein guter Schulleiter schmiedet deshalb Bündnisse mit den Kollegen, die er als seine „Besten“ erkennt. Eine solche „Aristokratie“ (griech.: Herrschaft der Besten) kann an einer Schule mehr bewegen als noch so viele gut gemeinte Erlasse, Beschlüsse und Deklarationen, die allzu oft nur Papier bleiben, weil es keine Leitwölfe gibt, die das für richtig Erkannte mutig und entschlossen in die Hand nehmen. 

Wichtig ist, dass der Schulleiter die in der Schule zu vergebenden Funktionsstellen nur mit herausragenden Lehrkräften besetzt. Das sind vor allem die Positionen in der Schulleitung und die Fachbereichsleitungen. Diese Lehrer sind seine „Offiziere“, auf die er in allen schulischen Auseinandersetzungen zurückgreifen kann. Aber auch hier gilt: Auch diese „Truppen“ muss er von der Richtigkeit seiner Ideen überzeugen, damit sie die Überzeugung weitertragen.  

Autoritäres Gehabe ist passé   

Ein Schulleiter ist ein wandelnder Streitschlichter. Im komplexen „Lebensraum Schule“, wo täglich bis zu 1000 Menschen zusammenkommen, kann es nicht ausbleiben, dass es Reibereien, Animositäten, ja manchmal auch heftigen Streit gibt. Die letzte Schlichtungsinstanz ist immer der Schulleiter. Wenn es ihm allerdings gelingt, Aufgaben klug zu delegieren, kann er sich viele Kleinigkeiten vom Leibe halten, die ihn zeitlich und nervlich über Gebühr belasten würden. Wenn jedoch die vorgeschalteten Instanzen das Problem nicht lösen können, muss er letztlich doch eingreifen und eine Lösung finden. Beim Umgang mit hausinternem Streit sind vor allem Sachkenntnis (Wessen Anliegen ist berechtigt?), Einfühlungsvermögen (Warum verbeißt sich der Kollege so sehr in die Sache?) und Takt (Wie kann ich eine Lösung finden, bei der jeder sein Gesicht wahren kann?) gefragt. Autoritäres Durchgreifen, wie wir es aus der „alten Zeit“ zu Anfang des 20. Jahrhunderts kennen, ist für den Direktor einer Schule heute nicht mehr möglich. 

Thomas Mann hat in seinem Roman „Buddenbrooks“ das Portrait eines autoritären Gymnasialdirektors gezeichnet: „Was Direktor Wulicke persönlich betraf, so war er von der rätselhaften […] und eifersüchtigen Schrecklichkeit eines alttestamentarischen Gottes. Er war entsetzlich im Lächeln wie im Zorne. Die ungeheure Autorität, die in seinen Händen lag, machte ihn schauerlich launenhaft und unberechenbar. […] Es blieb nichts übrig, als ihn im Staub zu verehren.“ Wie lächerlich sähe ein Schulleiter aus, wenn er heute auf solche Verhaltensmuster zurückgriffe! Er würde zudem die Lösung des Konflikts nur erschweren, weil alle Beteiligten seine Vorgehensweise als anmaßend und als ein Zeichen von Inkompetenz betrachteten. 

Taktgefühl ist vonnöten

Immer wieder sind Fälle öffentlich bekannt geworden, in denen ein Schulleiter bei der Konfliktregelung das nötige Einfühlungsvermögen hat vermissen lassen und durch cholerisches Verhalten den Konflikt verschärft hat. Offensichtlich fällt auch eine Leitungsfigur in schwierigen Situationen gerne in archaische Verhaltensmuster zurück. Um das zu verhindern, sind soziale Kompetenz und emotionale Intelligenz für einen Schulleiter unabdingbare Eigenschaften. 

In der Lehrerausbildung werden diese Kompetenzen nicht gelehrt, in der Praxis als Lehrer können sie nur in bescheidenem Maß erworben werden. Takt und Einfühlungsvermögen sind Wesensmerkmale, Teil der Persönlichkeit, die einen Lehrer in besonderer Weise für die Tätigkeit eines Leiters prädestinieren. Wer sie hat, kann mit diesem Charisma wuchern und Schüler, Eltern und Lehrer hinter sich scharen. Wem sie nicht gegeben sind, dem bleiben nur die „Mühen der Ebenen“, das unentwegte Klein-Klein der alltäglichen Konfliktregulierung. 

Pädagogisch führen

Die wichtigste Eigenschaft, die ein Schulleiter besitzen muss, ist pädagogische Kompetenz. Er muss in der Lage sein, für seine Schule ein Leitbild, eine Vision zu entwickeln, an der sich alle Lehrer und Schüler im Alltag orientieren. „Wenn das Ziel groß ist, können die Schritte klein sein.“ Dieser Satz des Reformpädagogen Hartmut von Hentig sollte jedem Schulleiter als Motto dienen. Unzählige Schulleiter begnügen sich damit, ihre Schule gut zu verwalten. Niemand, der je das Durcheinander einer chaotisch geplanten Schule erlebt hat, wird einen geordneten schulischen Ablauf geringschätzen. Dies ist aber nur eine notwendige und noch keine hinreichende Bedingung für eine gute Schule. 

Ein guter Schulleiter weiß um die Schwächen seiner eigenen Schule, er erkennt die Stellschrauben, an denen gedreht werden muss, um die Fehler zu beheben. Er muss in der Lage sein, das Lehrerkollegium, die Eltern und die Schüler für das Ziel, gemeinsam eine gute Schule zu entwickeln, zu begeistern und sie auf gemeinsame pädagogische Werte zu verpflichten. Eine gute Schule ist geprägt von einer positiven Lern- und Lehrkultur. Nur guter Unterricht führt zu einer guten Schule.

Professionelle Personalpolitik 

Deshalb ist eine professionelle Personalpolitik ein Schlüssel zur Verbesserung des Unterrichts an der Schule. Jeder Schulleiter sollte sich darum bemühen, von der Schulbehörde die „Personalhoheit“ für seine Schule zu erhalten. Dann könnte er die Lehrer selbst einstellen. Dann hätte er es in der Hand, begabte hauseigene Kräfte gezielt zu fördern und qualifizierte Lehrer von außen zu rekrutieren, die dazu beitragen, das pädagogische und didaktische Niveau der Schule zu heben. 

Mitarbeitergespräche sind ein wichtiges Mittel des Leiters, um die Befindlichkeiten seiner Lehrkräfte zu erkennen und eine Vertrauenskultur aufzubauen. Oft stehen Lehrer unter einem Leidensdruck, den man ihnen von außen nicht ansieht und der erst virulent wird, wenn sie sich mit einem Burnout-Syndrom für längere Zeit von der Schule verabschieden. Regelmäßige vertrauensvolle Gespräche des Leiters mit den Lehrkräften, in denen über alles offen geredet werden sollte, können dazu beitragen, die Ursachen für negatives Befinden herauszufinden. Oft genügt eine fachliche Beratung oder der Wechsel des Lehrers in eine andere Lerngruppe, um der Lehrkraft wieder neuen Mut für die anstrengende Tätigkeit zu vermitteln. 

Mut vor Königsthronen

Wenn Schulleiter ihre Schule mit pädagogischem Geschick und Leidenschaft führen, kann es nicht ausbleiben, dass es zu Konflikten mit der jeweiligen Schulbehörde kommt. Die am grünen Tisch entworfenen Verordnungen sind nämlich häufig mit der Realität an den Schulen nur schwer zu vereinbaren. Allzu oft merkt man, dass ideologische Überzeugungen die Feder geführt haben, nicht aber pädagogischer Sachverstand und Einblick in die Realität „vor Ort“. 

Als der Berliner Senat an den Grundschulen das Jahrgangsübergreifende Lernen (JüL) einführte, waren die Lehrkräfte an den Schulen in sozialen Brennpunkten entsetzt. Sie ahnten, dass ihre Schüler für diese anspruchsvolle Lernmethode, die man neudeutsch Peer-Teaching nennt, nicht geeignet sind. An ihren Schulen müssen die Schüler, die unterschiedlicher ethnischer Herkunft sind, zuerst einmal die deutsche Sprache lernen und mit dem Leistungsgedanken einer Schule vertraut gemacht werden. Der Protest der Schulleiter in diesen Stadtquartieren hatte Erfolg. Seit 2012 dürfen die Schulen und sogar einzelne Lehrkräfte selbst entscheiden, ob sie diese Lernform anwenden oder nicht.

Zwei Vorbilder aus Berlin

Zwei Berliner Schulleiter wurden berühmt, weil sie sich gegen behördliche Entscheidungen zur Wehr setzten. Der Direktor der Friedrich-Bergius-Sekundarschule in Berlin-Friedenau, Michael Rudolph, wollte es nicht hinnehmen, dass seine Schule von der Berliner Schulinspektion mit negativen Bewertungen bestraft wurde, weil seine Lehrkräfte zu wenig die „schülerzugewandten“ Lernmethoden verwendet hatten. Der an seiner Schule bevorzugte traditionelle Unterricht mit starker Lehrerzentrierung hatte zu guten Schülerleistungen und Schulabschlüssen geführt, was bei der Bewertung nicht berücksichtigt wurde. Als er sich in einem Interview im Tagesspiegel gegen diese Absurdität wehrte, gab es eine Welle der Sympathie und kollegialer Unterstützung. Inzwischen wurden die Fragebögen der Schulinspektion so überarbeitet, dass auch die Leistungsdaten der Schüler Berücksichtigung finden. 

Der Leiter des Rosa-Luxemburg-Gymnasiums in Berlin-Pankow, Ralf Treptow, löckte ebenfalls gegen den Stachel. Da sich sein Gymnasium der Hochbegabtenförderung verpflichtet sieht, wollte er 2012 wegen des großen Elternzuspruchs eine dritte Schnelllerner-Klasse ab Jahrgang 5 aufmachen. Die von der SPD geführte Schulverwaltung lehnte dies mit der Begründung ab, das berlinweite Kontingent für grundständige Klassen sei erschöpft. Schulleiter, Lehrkräfte und Eltern wehrten sich erfolgreich gegen diese pädagogische Planwirtschaft zu Lasten begabter Schüler. Ohne das Rückgrat und die Standfestigkeit dieser beiden Schulleiter hätten sich pädagogische Evidenz und gesunder Menschenverstand nicht durchgesetzt. 

Leitung auf Zeit

Die Schulleitertätigkeit ist ein extrem aufreibender Job. Kaum ein Leiter ist so souverän und mit einem so robusten Nervenkostüm ausgestattet, dass er ohne Blessuren davonkommt. Erschöpfungszustände, Krankheiten, ja, längere Auszeiten sind die Folge. Das Beamtenrecht sieht vor, dass eine Schulleiterfunktion ohne zeitliche Begrenzung verliehen wird. Das liegt daran, dass sie an eine Dotierung gebunden ist, die nach dem Beamtenrecht nicht reduziert werden kann. Das führt dazu, dass sich Schulleiter durch die Amtszeit quälen, obwohl jeder sehen kann, dass sie am liebsten aus dem Amt ausscheiden würden. 

Das Beamtenrecht sollte deshalb so geändert werden, dass die Funktionsstellen an der Schule, besonders die des Schulleiters, nur noch für eine begrenzte Zeit – etwa für sieben Jahre – vergeben werden. In dieser Zeit kann sich der Leiter in seine Tätigkeit einarbeiten und seine Führungsqualitäten unter Beweis stellen. Dieser Zeitraum ist auch lang genug, um die Schule pädagogisch prägen zu können. Die Option der Verlängerung um weitere sieben Jahre sollte nur greifen, wenn alle am schulischen Leben Beteiligten das Gefühl gewonnen haben, dass der Inhaber der Stelle den Anforderungen eines Schulleiters auch weiterhin gewachsen ist und dass er ihnen auch in Zukunft zur Zufriedenheit aller genügen wird.

Anzeige