Rupert Murdoch - Der Letzte seiner Art

Rupert Murdoch gehört zu den einflussreichsten Medienmogulen der Welt. Jetzt hat der 92-jährige Patriarch seine Nachfolge bekanntgegeben. Ein Blick zurück zeigt: Kompromisslosigkeit und eiserner Wille haben Murdoch dorthin gebracht, wo er heute ist.

Proteste gegen Rupert Murdoch und Fox News / dpa
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Autoreninfo

Christian Schnee studierte Geschichte, Politik und Public Relations in England und Schottland. Bis 2019 war er zunächst Senior Lecturer an der Universität von Worcester und übernahm später die Leitung des MA-Studiengangs in Public Relations an der Business School der Universität Greenwich. Seit 2015 ist er britischer Staatsbürger und arbeitet als Dozent für Politik in London.

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Nicht jeder Verleger bringt es bis auf die Bühnen im Londoner Theaterviertel Westend. „Ink“ heißt das Stück des Dramatikers James Graham, das die Geschichte eines hemdsärmeligen und respektlosen australischen Medienunternehmers erzählt. Es ist die Geschichte von einem, der es immer eilig hat, auf niemanden Rücksicht nimmt, die Konventionen des Geschäfts ignoriert und den kruden Publikumsgeschmack bedient.

Es ist die Geschichte von Rupert Murdoch und seinem Aufstieg zum Besitzer eines Medienimperiums, 25 Milliarden Dollar schwer, das sich über drei Kontinente erstreckt, zu dem neben namhaften Zeitungen und TV-Sendern auch der Verlag HarperCollins und bis 2019 das Hollywood-Studio 21. Century Fox gehörte. Jetzt hat der 92-jährige Patriarch seine Nachfolge bekanntgegeben. Zur Aktionärsversammlung im November wird er den Vorsitz der Unternehmensgruppe News Corp und Fox an seinen Sohn und Stellvertreter Lachlan weitergeben.

Eine eher langweilige Gewerkschaftspostille

Rupert Murdoch, Sohn eines australischen Zeitungsverlegers, schrieb für den Melbourne Herald und die britische Birmingham Gazette noch bevor er ein Studium im englischen Oxford begann. Nach dem frühen Tod seines Vaters erbte er 1952 die News in Adelaide – seine erste Zeitung. Andere Titel in Australien und Neuseeland kaufte er in den folgenden Jahren hinzu. Dem Magazin The Economist galt er schon damals als „Erfinder der modernen Boulevardzeitung“. Was das genau bedeutete, erfuhr das britische Publikum Ende der 1960er Jahre, als Rupert Murdoch zunächst das Wochenblatt News of the World in London kaufte und ein Jahr später die Sun, eine eher langweilige Gewerkschaftspostille.

In nur 100 Tagen nach der Übernahme stieg die Auflage der Sun von 700.000 auf 1,4 Millionen Exemplare. Mit Skandalen, Tratsch, Sex, Celebrities und Sport auf den Titelseiten trieb er die Auflagen seiner Blätter hoch. Wenig Rücksicht nahm Murdoch auf die Empfindlichkeiten der prüden britischen Gesellschaft, etwa bei der Veröffentlichung der Tagebücher des Callgirls Christine Keeler, die ihrer Affäre mit Verteidigungsminister John Profumo wegen bekannt geworden war. Das Mädchen von „Seite 3“ war ebenfalls seine Idee. Auch politisch legten sich seine Blätter mit dem Establishment an: Eliten, die einfache Leute verachten, müssen zur Rechenschaft gezogen werden, befand Murdoch und forderte seine Redakteure auf, gegen selbstgefällige Bürokratien anzuschreiben und die Freiheit der Rede zu verteidigen.

Klage wegen unlauterer Recherchemethoden

Zeitweise beherrschte Murdoch 40 Prozent des britischen Zeitungsmarktes. Zu viel, fand die Marktaufsicht und rang ihm die Zusage ab, bei der Times und Sunday Times, die er im Jahr 1981 kaufte, journalistische Berichterstattung nicht zu beeinflussen. Deshalb ist die Sun bis heute sein wichtigstes politisches Instrument und persönliches Sprachrohr geblieben. „Wenn Sie wissen wollen, was ich denke, lesen Sie die Sun“, antwortete er Lord Leveson, dem Leiter des Parlamentsausschusses zur Untersuchung der zwielichtigen Praktiken britischer Printmedien. Anlass zu der Anhörung gaben seinerzeit Redakteure der News of the World, die sich in die Mobiltelefone von Prinz William, Hugh Grant und Sienna Miller gehackt hatten.

Besonders groß war die Empörung, als bekannt wurde, dass Journalisten die Mailbox der entführten Milly Dowler anzapften, um Mitteilungen von Familie und Verwandten an das 13-jährige Mädchen abzuhören. Der Skandal hatte irreparablen Schaden angerichtet: Die News of the World wurde 2011 nach fast 170 Jahren eingestellt. Ihr Chefredakteur kam ins Gefängnis, und Murdoch musste den Opfern eine Milliarde Pfund zahlen. Es war „der demütigste Moment meines Lebens“, gestand Murdoch seinerzeit. Umstritten sind seine journalistischen Praktiken bis heute geblieben. Im Januar nächsten Jahres soll in London ein Prozess beginnen, in dem Prinz Harry die Sun wegen unlauterer Recherchemethoden verklagt.

„Mächtiger und aggressiver“

Für David Axelrod, einst die rechte Hand Barack Obamas im Weißen Haus und später Medienberater der englischen Labour-Partei, ist die britische Presse „mächtiger und aggressiver“ als alles, was er in den USA kennengelernt hatte. Die einen litten unter den Kampagnen der Londoner Boulevardblätter, andere kultivierten ein enges Verhältnis mit ihren Besitzern, wie etwa Margaret Thatcher. Die Premierministerin und der Verleger Murdoch teilten ein politisches Ziel – die Zerschlagung der Gewerkschaftsmacht.

Seinerzeit durften Medienhäuser ausschließlich Gewerkschaftsmitglieder in den Druckereien beschäftigen, und Entscheidungen über Produktion und Arbeitsabläufe konnten Eigentümer nur mit Einwilligung der Gewerkschaftsfunktionäre treffen. Wenn dem Betriebsrat journalistische Inhalte missfielen, stoppten die Drucker die Pressen. Murdoch wollte dem ein Ende setzen und ließ im Londoner Stadtteil Wapping eine neue, moderne Druckerei errichten. Zum Schein behauptete er, dort solle eine neue Zeitung entstehen.

 

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Am 24. Januar 1986 machte er dann ernst, entließ 6000 gewerkschaftlich organisierte Mitarbeiter, schloss die alten Verlagsgebäude an der Fleet Street und begann über Nacht die Produktion in Wapping mit einem Rumpfteam, das er unauffällig in den Wochen zuvor angeheuert hatte. Die Gewerkschaftsbosse waren außer sich, karrten wütende Gewerkschafter nach Wapping, um die Fabrik zu stürmen. Dort erwarteten sie Hundertschaften der Polizei. Es flogen Steine und Stahlrohre, Autos brannten, Scheiben wurden zertrümmert, Barrikaden gebaut. Die Polizeileitung durchbrach mit Reiterstaffeln die Linien der Gewerkschafter.

Hinter den belagerten Werkstoren schrieb, setzte und druckte die neue Belegschaft derweil ihre Zeitungen. Mittendrin, über Druckfahnen gebeugt: Murdoch. Vor den Toren Polizisten zum Schutz der Lieferwagen. So ging es für 54 Wochen in einen Konflikt, der als „Schlacht von Wapping“ in Erinnerung bleibt. Thatcher hatte Wort gehalten, als Murdoch sie brauchte. Und der hielt Wort, als der Wahlkampf anstand, und ließ die Sun zur Wahl der Konservativen aufrufen. Nach einem unerwarteten vierten Wahlsieg der Tories 1992 titelte der Chefredakteur unbescheiden: „Die Sun hat gewonnen!“

„Wer von dem Tiger nicht gefressen werden will ...“

Drei Jahre später saß der aufstrebende Labour-Vorsitzende Tony Blair in einem Flugzeug auf dem Weg nach Hayman Island, eine Privatinsel mit Luxusressort vor der Küste von Queensland in Australien, um bei der Geschäftsführung von News Corp und ihrem Vorsitzenden Murdoch vorzusprechen und um Unterstützung im Wahlkampf zu bitten. Es sei die wichtigste Reise seines Lebens gewesen, vertraut Blair später dem Journalisten Piers Morgan an, der wissen wollte, wieso sich ein linker Parteichef ausgerechnet mit einem Erzkapitalisten einließ. „Wer von dem Tiger nicht gefressen werden will, muss ihn reiten“, soll der Labour-Chef geantwortet haben.

Die Rechnung ging auf. Murdoch wechselte die Fronten, trommelte für einen Wahlsieg Labours und später für Blairs Entscheidung für den Irakkrieg. Heute ist Murdoch zurückgekehrt an die Seite der Konservativen, mit denen ihn tiefes Ressentiment gegenüber der EU verbindet. Dank seiner Medienmacht wurde Euroskepsis von einem Randthema zum Kernanliegen der Tories. „Wenn ich in Downing Street bin, hört man auf mich. In Brüssel interessiert sich niemand dafür, was ich sage“, erklärte Murdoch dem Journalisten Anthony Hilton, wieso er die EU ablehne.

Sein Einfluss in London hingegen ist messbar. Zehnmal trafen sich Manager und Lobbyisten von News Corp in den zwölf Monaten vor dem Brexit-Referendum mit dem Premierminister oder dem Schatzkanzler, die sich für ähnliche Treffen mit dem Führungspersonal der BBC nur siebenmal Zeit nahmen. Dass Boris Johnson und andere prominente Brexiteers ins Kabinett von Theresa May berufen wurden, war ausdrücklicher Wunsch Murdochs. Dem Verdacht, der Druck des Verlegers könnte Personalentscheidungen der Regierungschefin beeinflusst haben, wurde von Downing Street 10 nie widersprochen.

Fox News als Sprachrohr Donald Trumps

In keinem Land hat Murdoch mehr Einfluss auf das politische Geschehen als in Großbritannien, auch nicht in den USA, wo er mit den üppigen Profiten aus dem Londoner Zeitungsgeschäft – allein die Sunday Times machte zur besten Zeit jede Woche eine Million Pfund Gewinn – in den 1980er Jahren auf Einkaufstour gegangen war. Heute gehört zu seinem Portfolio neben der New York Post, die einst von Alexander Hamilton gegründet wurde, auch das Wall Street Journal. Er etablierte 1986 den Fernsehkanal Fox und zehn Jahre später den Nachrichtensender Fox News, der im Jahr 2000 nach unklarem Ausgang der Präsidentschaftswahl George W. Bush zum Sieger gegen Al Gore erklärte.

Murdoch (M.) verkündet 1981 die Übernahme der Times / picture alliance

Lange galt Fox News als Sprachrohr Donald Trumps. Damit wollte Murdoch sich Einfluss im Weißen Haus verschaffen. Mit Erfolg: Zeitweise telefonierte er fast täglich mit dem Präsidenten. Um dieses enge Verhältnis nicht zu gefährden, machten sich die Starmoderatoren von Fox die Behauptung zu eigen, die Firma Dominion, ein Hersteller von Wahlmaschinen, sei beteiligt gewesen an einem Komplott, die Präsidentschaftswahlen 2020 zu manipulieren. Als Dominion klagte, zahlte Fox 787 Millionen Dollar, um einen Gerichtsprozess abzuwenden. In einer internen E-Mail gab Murdoch zu, Trumps Behauptung, die Wahlen gewonnen zu haben, sei „ein ziemliches Verbrechen“.

„Einen Rupert Murdoch wird es nie mehr geben“

Es sind Fehleinschätzungen wie diese, die Aktionäre nervös werden lassen. Zwar gab es keine Forderungen nach einem Wechsel an der Spitze von News Corp und Fox. Aber Gerüchte über einen Führungswechsel ließen die Aktien steigen. Dass es nach 70 Jahren an der Spitze jetzt so weit ist, hat wohl auch mit Murdochs neuer Lebenspartnerin zu tun, Elena Zhukova, die ehemalige Schwiegermutter des Oligarchen Roman Abramovich.

Derweil wird kontrovers darüber diskutiert, ob sein Nachfolger eine gute Wahl ist. Lachlan, der mit seiner Familie in Australien lebt, weitab von der New Yorker Konzernzentrale, wird überschaubarer geschäftlicher Ehrgeiz nachgesagt. Milliardär ist er ohnehin schon. Die Kontrolle über den Konzern muss sich Lachlan zunächst weiterhin mit seinem Vater teilen, der sich den Titel eines Ehrenvorsitzenden zulegt. Später wird er für Entscheidungen bei seinen Geschwistern James und Elizabeth sowie der Halbschwester Prudence um Unterstützung werben müssen.

Konkurrenten könnten den Wechsel und Meinungsunterschiede in der Familie als Chance sehen und sich um die lukrativsten Teile des Konzerns bemühen, etwa das profitable Wall Street Journal. Die Londoner Times soll bei Bloomberg auf der Einkaufsliste stehen. Gut möglich, dass Kelvin MacKenzie, der ehemalige Chefredakteur der Sun, richtig liegt mit seiner Prognose, die Ära der mächtigen Männer im Mediengeschäft sei vorbei. Dank sozialer Medien hätten die Zeitungsverleger ihre Macht verloren: „Einen Rupert Murdoch wird es nie mehr geben.“

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