Neuer Vorwurf gegen Rammstein-Sänger - Wiener Staatsanwaltschaft: Keine Ermittlungen gegen Lindemann 

Der Österreichische Rundfunk meint, einen neuen Sexskandal aufgedeckt zu haben: Rammstein-Sänger Till Lindemann soll einer Frau gegen deren Willen den Hintern versohlt haben. Doch die Wiener Staatsanwaltschaft lehnt Ermittlungen ab.

Till Lindemann, Frontmann der deutschen Hardrock-Band Rammstein / dpa
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Jens Peter Paul war Zeitungsredakteur, Politischer Korrespondent für den Hessischen Rundfunk in Bonn und Berlin, und ist seit 2004 TV-Produzent in Berlin. Er promovierte zur Entstehungsgeschichte des Euro: Bilanz einer gescheiterten Kommunikation.

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Unmittelbar vor zwei ausverkauften Auftritten der deutschen Hardrockband Rammstein am Mittwoch und Donnerstag im Wiener Ernst-Happel-Stadion vor jeweils 55.000 Gästen glaubt sich der Österreichische Rundfunk (ORF) einer Sensation auf der Spur: Eine Frau habe sich an den Sender gewandt und geschildert, wie Rammstein-Sänger Till Lindemann ihr vor vier Jahren gegen ihren Willen den Hintern verhauen und ihr „körperliche Schmerzen zugefügt“ habe. Während der ORF von „neuen schweren Vorwürfen“ spricht und prominent seit Montagmittag stündlich in seinen Hauptnachrichten berichtet und kommentiert, sieht die Wiener Staatsanwaltschaft keinen Anlass für Ermittlungen. Für die Einleitung eines Verfahrens, so die Medienstelle, lägen aktuell keine ausreichenden Informationen vor. 

„Es fehlen sowohl Angaben zur Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft (wann und wo soll sich der Vorfall ereignet haben?) als auch initiale Ermittlungsansätze, zumal das Opfer nach eigenen Angaben anonym bleiben und keine Anzeige erstatten möchte“, sagte Staatsanwältin Romina Kaschnitz-Biegl gegenüber Cicero. „Sollten weiterführende Informationen oder Beweismittel bekannt werden, wird die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens erneut zu prüfen sein.“ 

„Mit dem Gesicht aufs Bett gedrückt“

Der ORF beschreibt das Ergebnis seiner Recherchen wie folgt: Lindemann habe das Opfer vor vier Jahren in einem Hotelzimmer mit dem Gesicht nach unten aufs Bett gedrückt, ihren Rock hochgeschoben und sie so stark geschlagen, dass Handabdrücke auf ihrem Gesäß zu sehen gewesen seien. Es habe keine Zustimmung ihrerseits gegeben, sogar eine eindeutige verbale Ablehnung, so die Person, die mit „H.“ vorgestellt wird und anonym bleiben wolle. 

Der Sender weiter: „Obwohl ‚Handys verboten‘ gewesen seien, habe eine an diesem Tag ebenfalls anwesende Frau es geschafft, noch im Hotelzimmer Fotos von den Folgen der mutmaßlichen Misshandlung zu machen.“ Geschehen sei das „im Zuge der Rammstein-‚Stadium Tour‘.“  

Nach seinen Angaben liegen dem ORF die Fotos vor. Er habe sie „einer digitalforensischen Prüfung auf Echtheit unter der Leitung von Thomas Gloe vom Unternehmen dence GmbH“ unterziehen lassen. Danach handele es sich hier „um sehr wahrscheinlich unveränderte Originalaufnahmen“. Weder Aufnahmedatum noch Uhrzeit der betreffenden Dateien seien manipuliert worden.
 

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Darüber hinaus bat der ORF auch die Rechtsmedizinerin Kathrin Yen aus Heidelberg um eine Begutachtung. Sie komme zu dem Schluss, „dass die Abdrücke auf dem Gesäß der Betroffenen echt sind“. Yen wird mit den Worten zitiert, die vorgelegten Fotos zeigten „Verletzungen nach stumpfer Gewalteinwirkung im Sinne mindestens eines sehr kräftigen Schlages mit der flachen Hand auf die rechte Gesäßhälfte“. Am ehesten sei der Schlag mit der rechten Handfläche oder mit dem linken Handrücken ausgeführt worden. „Fremdbehandlung“ könne als „belegt“ gelten. Schilderungen und Aufnahmen seien aus rechtsmedizinischer Sicht „plausibel vereinbar“, so die Expertin nach Darstellung des Senders. 

„30 Sekunden oder zwei Minuten“

H. wird vom ORF weiter wie folgt zitiert: „Ich weiß nicht, wie lange es war. Es kann sein, dass es dreißig Sekunden waren, es kann sein, dass es zwei Minuten waren. Dann bin ich aufgestanden und mir war superschwindelig von dem Aufs-Bett-Hauen.“ Die anderen anwesenden Frauen hätten den Ernst der Lage erst im Nachhinein bemerkt. 

Es gehe ihr auch heute nicht darum, Anzeige zu erstatten, sondern darum, anonym bleiben und ihre Geschichte erzählen zu können: „Ich zähle zu den Frauen, die von Till Lindemann sexuell missbraucht wurden, in der Hinsicht, dass er mich körperlich angefasst hat, obwohl ich das nicht wollte. Wenn ich Aufmerksamkeit wollen würde, wäre ich nicht anonym. Dann würde ich das auf Instagram posten.“

Die Berliner Generalstaatsanwaltschaft lehnte jeden Kommentar zu dem Wiener Vorgang ab. Pressesprecher Sebastian Büchner: „Im Hinblick auf eine mögliche Gefährdung der laufenden Ermittlungen können wir derzeit keine weiteren Auskünfte zu dem Verfahren erteilen.“ Denkbar wäre zum Beispiel, dass Berliner Staatsanwälte die Frau aus Wien vorladen, um sie als Zeugin zu hören. Ob das als zumindest theoretische Möglichkeit in Frage kommt, wollte Büchner ebenfalls nicht sagen.

Frauenministerin Raab wütend

Vor dem ersten Auftritt der Band an diesem Mittwoch in Wien ist eine „riesige“ Kundgebung gegen Rammstein angekündigt, die „Keine Bühne für Täter“ fordert, alternativ auch „Keine Bühne für mutmaßliche Täter“. Eine entsprechende Petition wurde laut ORF von „mehr als 16.500 Menschen“ unterzeichnet.

Frauenministerin Susanne Raab (Österreichische Volkspartei) zeigte sich nach Veröffentlichung des ORF-Berichts in einer E-Mail an den Sender nach dessen Angaben „wütend und fassungslos“. Sie appelliere an die Veranstalter und die Stadt Wien, effiziente Sicherheits- und Schutzkonzepte zu erstellen. Zu den Vorwürfen brauche es „rasche Aufklärung“, so Raab. 

Meri Disoski, Frauensprecherin der Grünen, bedankte sich – so der Sender in seinen offiziellen Darstellungen und Nachrichten weiter – bei der Betroffenen, dass sie sich nicht habe einschüchtern lassen. „Es erfordert Mut, Machtmissbrauch von Männern und sexualisierte Gewalt öffentlich zu thematisieren“, so Disoski. Da Rammstein-Konzerte „offensichtlich kein sicherer Raum für Frauen sind“, so Viktoria Spielmann, Frauensprecherin der Wiener Grünen, fordere die Partei die Absage der Konzerte, meldet der öffentlich-rechtliche ORF.

Behörden: Es fehlen wesentliche Angaben

Nach einem Bericht der Austria Presse Agentur (APA) fehlt den Wiener Behörden aber Ort und Zeit, wann und wo sich der Vorfall zugetragen haben soll. Das mutmaßliche Opfer habe im ORF weder seine Identität noch Ort und Zeitpunkt des angeblichen Vorfalls genannt, einzig, dass es sich während der seit 2019 laufenden Stadiontour der Band, die durch Europa führt, passiert sein soll. 

Die Staatsanwaltschaft Wien könne laut Sprecherin auf Basis der vorliegenden Informationen nicht einmal feststellen, ob sie überhaupt für den Fall zuständig wäre. Es sei auch keine Anzeige eingegangen, die ein weiteres Vorgehen rechtfertigen würde. Die Frau, die die Vorwürfe erhebt, habe – so APA weiter – im ORF selbst bekundet, Lindemann aus Angst vor nachteiligen Konsequenzen nicht anzeigen zu wollen. Falls sich dies ändern sollte, würde die Staatsanwaltschaft in dem Fall erneut tätig werden, so die Sprecherin nach Darstellung der Agentur.

Vizekanzler: Wir sagen kein Konzert ab

Vizekanzler und Kulturminister Werner Kogler von den Grünen zeigte am Dienstag laut Nachrichtenagentur „Verständnis für die Forderung der Grünen Frauen, die geplanten Wiener Rammstein-Konzerte zu streichen“. Dies resultiere daraus, dass Frauen, die entsprechende „plausible Vorwürfe erheben, nicht immer ausreichend Gehör gefunden haben“. APA weiter: „Zugleich stellte Kogler jedoch auch klar: Weder die Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer (Grüne) noch der Kulturminister würden in die Durchführung oder die Absage von Konzerten ‚eingreifen‘.“

Unterdessen erwirkten Lindemanns Anwälte aus der Kanzlei Schertz Bergmann nach eigenen Angaben eine weitere einstweilige Verfügung gegen die YouTuberin Kayla Shyx (bürgerlicher Name Kaya Loska). Sie hatte – so Schertz Bergmann in einer Presseerklärung – über ihren YouTube-Kanal am 5. Juni 2023 ein Video mit dem Titel „Was wirklich bei Rammstein Afterpartys passiert“ hochgeladen, das laut Kanzlei bis heute 5,8 Millionen Mal abgerufen wurde. In diesem Video habe sie unter Berufung auf Shelby Lynn und andere angebliche Zeuginnen unter anderem behauptet, Mädchen seien bei Rammstein-Konzerten von Till Lindemann unter Einfluss von Drogen, K.O.-Tropfen und Alkohol sexuell missbraucht worden. Gestern habe ihr das Hamburger Landgericht weitere wesentliche Passagen aus dem Video untersagt.

Keine Ermittlungen gegen Keyboarder

Gegen Rammstein-Keyboarder Christian „Flake“ Lorenz ist nach Darstellung der Berliner Generalstaatsanwaltschaft nach wie vor kein Ermittlungsverfahren anhängig. Süddeutsche Zeitung und Norddeutscher Rundfunk hatten am Montag vergangener Woche in grosser Aufmachung von angeblichen sexuellen Übergriffen des Musikers berichtet, die 21 und 27 Jahre zurückliegen und den Vorwürfen gleich in zweierlei Hinsicht eine neue Dimension verleihen sollen, weil es um eine damals 17-Jährige gehe und nun weitere Bandmitglieder betroffen seien. 

Oberstaatsanwalt Büchner gegenüber Cicero: „Zu ‚Flake‘ ist der Sachstand unverändert.“ Die beiden angeblichen oder tatsächlichen Opfer des Keyboarders haben also offensichtlich auch jetzt auf Strafanzeigen gegen den heute 56-Jährigen verzichtet. Ermittlungen von Amts wegen, also auf eigene Initiative, erscheinen der Berliner Behörde nach Lage der Dinge nicht angezeigt.
 

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