Ostern - Das Fest der moralischen Bescheidenheit

Mit Ostern tun sich die Kirchen schwer. Erst wurde es zum Friedensevent umgedeutet, dann zum allgemeinen Weltverbesserungsfest. Dabei hat Ostern eine hochaktuelle Botschaft: Vergebung der Sünden statt Moralismus und Selbstgerechtigkeit.

Ostern ist mehr als nur das Fest der Hasen und bunten Eier / dpa
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Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Ostern ist ein christliches Fest. Das klingt banal. Man muss aber hin und wieder daran erinnern. Ostern ist nicht das Fest der Osterhasen. Oder der Eier. Zu Ostern feiert die Christenheit die Auferstehung Jesu. Und das hat mit den putzigen Überbringern bunter Naschwaren zunächst wenig zu tun. Ich schreibe bewusst: zunächst. Denn die Auferstehung von Tod passt natürlich ganz gut in die heidnische Symbolik für Fruchtbarkeit und Frühling. Beide erzählen von der Überwindung des Todes.

Fluch und Segen zugleich 

Für das moderne Christentum erwies sich Osterhase und Eiersuche als Segen und Fluch zugleich. Mit der industriellen Herstellung von Zucker im 19. Jahrhundert etablierte sich ein modernes Brauchtum, das dem Osterfest seine markante Ikonographie verlieh. Ostern entwickelte sich zum Bastel- und Süßigkeitenfest für Kinder. Und die Erwachsenen delektieren sich am Osterbraten.

Dieses familienfreundliche Arrangement übertünchte effektvoll die theologischen Peinlichkeiten, die das Osterfest der modernen Theologie bereitet. Ein gekreuzigter Religionsstifter ist ja noch zu vermitteln – aber ein wiederauferstandener? Das ist unter den Bedingungen einer wissenschaftlichen Moderne selbst für glaubensaffine Menschen schwer vorstellbar.

Allgemeines Weltverbesserungsfest

Während des kalten Krieges und seiner Rüstungsdebatten interpretierten die Kirchen – insbesondere die evangelischen – Ostern sinnigerweise zu einem Friedenfest um. Was genau Ostern mit Frieden zu tun hat, können einem selbst versierte Theologen nur schwer erklären. In der Regel verweist man auf die allgemeine Friedensbotschaft Christi und die Lebensbejahung, die im Osterfest verdeutlicht sei. Dass das Ostergeschehen von Jesu Zeitgenossen eher als Endzeitereignis gedeutet wurde, übersah man im pazifistischen Eifer geflissentlich.

Nach dem Ende des kalten Krieges und der Marginalisierung der Friedensbewegung wurde Ostern mit unerbittlicher Konsequenz endgültig zum allgemeinen Weltverbesserungsfest umgedeutet. Man ist für Frieden, für eine saubere Umwelt, die Rettung des Klimas und natürlich auch gegen Ausgrenzung und Diskriminierung. Und im letzten Jahr schaffte es der EKD-Vorsitzende Bedford-Strohm sogar, einen Bogen von Corona zu den zwei Jüngern Jesu zu schlagen, die sich auf den Weg nach Emmaus machten – „wie um sich auf wandernde Quarantäne zu begeben“. Wahrlich ein Höhepunkt der Bibeldeutung.

Wir sind alle Sünder 

Dabei hat Ostern eine ganz einfache und ganz klare Symbolik. Es ist das Gegenstück zum Sündenfall. Durch Evas Biss in den Apfel erkannten die Menschen Gut und Böse und wurden sterblich. Der Opfertod Jesu hebt dieses Verhängnis auf, indem Christus alle Sünden der Menschen auf sich nimmt und den Tod überwindet.

In einer Zeit, in der Banalitäten zu Sünden aufgeblasen werden und politische Tugendwächter keinesfalls geneigt sind, diese zu vergeben, sondern versuchen, Vertreter anderer gesellschaftspolitischer Positionen sozial zu isolieren und in die mediale Verbannung zu schicken, hat Ostern durchaus Aktualität. Denn Ostern ist das Fest wider die moralische Hybris und den verbohrten Moralismus.

Es erinnert daran, dass wir alle Sünder sind, unabhängig davon, wie großartig wir uns selbst einschätzen. Es mahnt uns, Gut und Böse, Schuld und Sünde nicht zu gesellschaftlichen Kategorien zu machen. Denn was Gottes Sohn auf sich genommen hat, darüber braucht der Mensch nicht selbstgerecht zu richten. Zumal man nie ausschließen sollte, dass man selbst der eigentliche Sünder ist.

Fest der moralischen Demut 

Und für alle jene, denen die Rede von Gott und Gottes Sohn nicht ganz geheuer ist: Moralische Kategorien sind äußerst kontingente und allzu menschliche Größen. Doch die Welt ist weiter als die enge Perspektive des aufrechtgehenden Zweibeiners. Das Menschliche ist eben nur das Menschliche.

Ostern ist das Fest der moralischen Demut und ethischen Bescheidenheit. Das gibt ihm in unseren Tagen einen geradezu subversiven Anstrich. Dass sich die moralischen Inquisitoren unserer Gegenwart davon beeindrucken lassen, darf bezweifelt werden. Allen anderen gemahnt es zur Nachsicht, auch gegenüber den narzisstischen Scharfrichtern des richtigen Meinens.

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