Oscar-Preisträger „The Zone of Interest“ - Das Grauen im Schleier

Der Film „The Zone of Interest“ hat den Oscar für den besten internationalen Film gewonnen. Hochverdient, weil er sehr intelligent, aber ohne Kitsch die Schrecken des Holocaust erzählt.

Sandra Hüller als Hedwig Höß / dpa
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Autoreninfo

Alexandre Kintzinger studiert im Master Wissenschafts- philosophie an der WWU Münster und arbeitet nebenbei als freier Journalist. Er ist Stipendiat der Journalistischen Nachwuchsförderung (JONA) der Konrad-Adenauer-Stiftung. 

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„The Zone of Interest“ ist eine britisch-polnische Co-Produktion mit zwei Hauptdarstellern, Christian Friedel als Rudolf Höß, Kommandant des Konzentrationslagers Auschwitz, und Sandra Hüller in der Rolle seiner Frau. Hüller verkörpert dabei eine Frau, die sich ganz bewusst einer Ideologie unterwirft – und die Realität zugunsten ihrer eigenen Traumwelt ausblendet. Und wie: Dafür hätte sie ebenfalls einen Oscar verdient. 

Der Film erzählt das Leben von Rudolf Höß und seiner Frau. Diese wohnen in einem Haus mit Bediensteten und einem Garten mit eigenem Gewächshaus – direkt neben dem Konzentrationslager. Nur selten begibt sich der Film weg von diesem durch und durch konstruierten Familienidyll. Regisseur Glazer ist bekennender Kubrick-Fan und dies merkt man am Sound sowie auch an den markanten, sehr eingehenden Kameraperspektiven.

Eine bürgerliche Familien-Idylle

Der Zuschauer sieht hochauflösende Bilder langer Szenen dieses Familienlebens.  Ein Stilmittel, das auch als Kritik an der modernen Kultur der digitalen Anteilnahme am Privatleben anderer verstanden werden kann. Wir schauen Influencern, Prominenten oder Politikern zu und nehmen das, was sie uns vorleben, als die Norm oder idealisieren gar das Gezeigte. Würde der Film ausblenden, dass sich die Wohnung der Familie Höß neben einem KZ befindet – wie auch, dass beide überzeugte Nationalsozialisten und Blut-und-Boden Anhänger sind – würde sich uns nur eine bürgerliche Familien-Idylle präsentieren.

Beide genießen Ausflüge in die Natur, Kanufahrten mit den Kindern und den ökologischen Eigenanbau im Garten. Zynisch gesehen könnte es sich hier auch um das Leben einer großbürgerlichen Familie in Hamburg Winterhude handeln, mit Haus, Garten und Kanu an der Alster. Oder in Berlin und München, und das Kanu wird ersetzt durch einen Ausflug ins Grüne mit Lastenrad und E-Bike.
 

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Auch ist der Film sicherlich eine Kritik an sich von der Außenwelt isolierenden bürgerlichen Eliten; welche sich Konsum und Trends erlauben, solange ihr Wohlstand dafür reicht beziehungsweise solange das bestehende System oder die Ideologie der Zeit ihnen diese Annehmlichkeiten ermöglicht. Die Abgründe und Probleme, das Elend vieler anderer Menschen außerhalb der Glaskuppe, ignorieren sie dabei. Zum Teil opportun und wissentlich, zum Teil aber auch blind in selbstverständlicher Manier.

Die Nazi-Ideologie, außerhalb einiger sehr offensichtlicher Szenen oder Dialoge, tritt im Leben der Familile Höß wenig auf. Die Motive von Frau und Herr Höß sind geprägt von Karrierismus oder kleinbürgerlichen Verlustängsten. Wirklich nichts soll das Idyll erschüttern.

Hinter der Maske

Der Film zeigt aber auch die moralischen Verwerfungen, die sich hinter der Maske jeder Familienidylle auftun können. Auf erschreckende Weise blickt der Zuschauer wie durch ein Fenster, vor dem sich Parallelwelten abspielen. Wir sehen eine Welt des radikalen Spießertums; grotesk bisweilen. Die Schrecken des Holocaust erleben wir nur selten in Bildern, sondern oft  nur im Gespräch, als empathieloses Geschwätz oder als bürokratischer Austausch. Auch hier zeigt uns Glazer eine Kritik an der heutigen Gesellschaft, wo Diskurse einerseits sehr infantil geführt werden, und an anderer Stelle oft irgendwelche Begriffe erfunden werden, um schlechte Lösungen aufzuwerten oder Probleme zu kaschieren.

Größtenteils aber ist das Grauen nur subtiles Hintergrundgeräusch; ein Rauschen. Und auch in unserer Gesellschaft, in unseren Gesellschaftssystemen nehmen wir heutzutage Ereignisse in der Umwelt, im Alltags- und im Weltgeschehen nur als Rauschen wahr. Wir sehen die Ereignisse vielleicht medial, doch ihre Tragweite können oder wollen wir nicht erkennen. Oder die Ideologie der jeweiligen Zeit verhindert, dass wir diese Tragweiten erkennen möchten.

Denn Ideologie ist, um es mit Adorno zu beschreiben, oftmals wie ein unsichtbarer Schleier, der sich über alles legt und so die Handlungen der Einzelnen scheinbar unbewusst in bestimmte Richtungen lenkt. Menschen wie der Lagerkommandant Höß nehmen die Ideologie bewusst an. Er rechtfertigt seine schrecklichen Taten mit ihr. Der Verantwortung, die er hat, ist er sich bewusst. Inwiefern dies, vor allem in totalitären Systemen, aber auch in demokratischen auf den Großteil der Menschen zutrifft, ist die kompliziertere Frage. Macht uns Ideologie nur zu Zuschauern, wie wir Rezipienten eines Films sind? Dennoch aber sollte Ideologie nicht herhalten als Ausrede für Opportunismus. Die Geschichte zeigt uns doch, dass Menschen aus Ideologien ausbrechen oder Narrative wenigstens hinterfragen können. 

Realen und digitale Orte

Gegen Ende dieses Films, ohne zu viel zu verraten, folgt noch ein ideologiekritischer Blick auf die Gedenk-und Erinnerungskultur. Kulturinstitutionen, Medienprojekte (Man denke an das unsäglich dumme „Ich bin Sophie Scholl“-Instagram-Projekt dess ÖRR), aber auch Gedenkorte oder Museen – sie alle haben gemeinsam, dass sie oftmals nur oberflächlich sind. Sicherlich gibt es auch einige lobenswerte Ausnahmen, doch das Problem liegt auch darin, dass viele Menschen diese realen oder digitalen Orte nur passiv konsumieren.

Eine ernsthafte persönliche Auseinandersetzung findet nicht statt. Gerade sehen wir ja, dass Gedenkkultur dann für viele Bürger der Besuch einer Demo mit der ganzen Familie bedeutet. Ähnlich wie der Kinobesuch als zur Unterhaltung, oftmals banalisierte historische Zusammenhänge inklusive. Es wird demonstriert, für sich selbst, für seinen eigenen moralischen Ablasshandel; nicht wirklich für andere. Dann lieber der Besuch eines sehr intelligenten Kinofilms.

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