Hass im Netz - Lobbybasiertes Regieren

Bundesfamilienministerin Lisa Paus hat eine Studie über Hass im Netz vorgestellt. Alle Welt diskutiert nun ein wichtiges Problem, aber niemand fragt, wer eigentlich hinter dieser Studie steckt. Über ein Paradebeispiel für staatsfinanzierten Aktivismus.

Nadine Hadad, Reporterin, Lisa Paus, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Elena Kountidou, Geschäftsführerin Neue deutsche Medienmacher*innen / dpa
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Autoreninfo

Ralf Hanselle ist stellvertretender Chefredakteur von Cicero. Im Verlag zu Klampen erschien von ihm zuletzt das Buch „Homo digitalis. Obdachlose im Cyberspace“.

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Transparenzberichte von Stiftungen oder gemeinnützigen Gesellschaften sind wie die Allgemeinen Geschäftsbedingungen von Smartphones. Gut, dass es sie gibt, doch wer sie bis in die tiefsten Tiefen durchdringen will, der braucht meist Stunden, ja ganze Tage. Im Endeffekt ist es dann fast egal, ob man in einem totalitären Überwachungsregime à la Orwell telefoniert oder eben im westlichen Überwachungskapitalismus, wo man der Einfachheit halber immerzu den „Accept-Button“ drückt, nur damit es irgendwie mal vorangeht.

Da wäre zum Beispiel das „Kompetenznetzwerk gegen Hass im Netz“. Laut Eigendarstellung ein „Zusammenschluss von fünf etablierten Organisationen, die sich gegen Hassrede und Gewalt im digitalen Raum engagieren“. Gut, möchte man da meinen; Hass im Netz ist wirklich ein handfestes Problem. Dann aber liest man sich tiefer in die „AGB“ ein, und mit jedem weiteren Satz möchte man seinen Augen nicht trauen. 

Doch bringen wir es der Ordnung halber in eine gute Reihenfolge: Das „Kompetenznetzwerk gegen Hass im Netz“ ist ein vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördertes Trägernetzwerk. Letzten Dienstag sorgte es für größere Schlagzeilen, als die am Netzwerk Beteiligten eine Studie mit dem Titel „Lauter Hass – leiser Rückzug“ im Bundesfamilienministerium vorstellten. Diese beruhte auf der Befragung von 3.000 Internetnutzern ab 16 Jahren zu einem in der Tat wichtigen Phänomen der digitalen Gesellschaft, kommt dabei aber letztlich zu einem wenig überraschenden Ergebnis: Hass im Netz bedrohe den demokratischen Diskurs. 

Gut die Hälfte hat Hass im Netz erlebt

Doch weil die Studie inklusive Vorerhebungen immerhin fast ein dreiviertel Jahr Arbeit gekostet hat und das Ergebnis auch ganz gut in die Zeit passt – immerhin wird am morgigen 17. Februar der Digital Service Act voll wirksam –, saß denn am besagten Dienstag Lisa Paus (Bündnis 90/Die Grünen) auf einem großen Podium in ihrem Berliner Ministerium und stellte dort zusammen mit u.a. Elena Kountidou („Neue deutsche Medienmacher*innen“) und Anna Lena von Hodenberg, ihres Zeichen nach einstige NDR-Mitarbeiterin sowie Gründerin der gemeinnützigen Organisation HateAid, die Ergebnisse von „Lauter Hass – leiser Rückzug“ vor.

Die wiederum sind im Kern schnell erzählt: Etwa die Hälfte der für die Studie Befragten hat Hass im Netz bereits wahrgenommen, jeder Achte war laut eigenen Angaben selbst betroffen. Fast jeder Zweite wurde schon einmal online beleidigt, einem Viertel der Befragten wurde körperliche Gewalt angedroht. Und, wenig erstaunlich, aber dennoch natürlich alarmierend: Eine Mehrheit stellt fest, dass der Hass im Netz in den letzten Jahren zugenommen habe.

Eine staatlich finanzierte politische Vorfeldorganisation

Soweit also zu der Studie. Wir kommen gleich noch einmal auf sie zurück. Doch zunächst sollte es hier ja um das Transparenzdickicht von Stiftungen oder gemeinnützigen Gesellschaften gehen: Mit dem „Kompetenznetzwerk gegen Hass im Netz“ verhält es sich nämlich nun so: Das Label steht für ein Trägernetzwerk, hinter dem sich wiederum fünf beteiligte Organisationen verbergen: die gemeinnützige Gesellschaft Das Nettz, die ebenfalls gemeinnützige Gesellschaft Hate Aid, der gemeinnützige Verein „Neue deutsche Medienmacher*innen“, die gemeinnützige Trägergesellschaft für Jugendschutz sowie der Verein Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur. 

Wer also unter der versammelten Kompetenz bereits eine universitäre Forschungsstätte, ein In-, An- oder sonstiges Institut vermutet hätte, der muss sich leider noch weiter durchs Kompetenzwirrwarr deutscher Politikberatung wühlen. Nicht einmal ein triviales Meinungsforschungsinstitut nämlich ist im unmittelbaren Umfeld dieses sogenannten Kompetenzzentrums angesiedelt. Es scheint sich somit um eine staatlich finanzierte politische Vorfeldorganisation zu handeln, die u.a. aus dem Projekt „Demokratie leben“ alimentiert wird. 

Mittel aus öffentlicher Hand

Vier der fünf Tochterorganisationen wiederum, die sich bereits Ende 2021 unter der damals frisch in- und schnell auch wieder exthronisierten Bundesfamilienministerin Anne Spiegel zusammengefunden hatten,  haben nun also unter reichlich Medienaufmerksamkeit die besagte Studie „Lauter Hass – leiser Rückzug“ durchgeführt: Das Nettz, Hate Aid, die „Neuen deutschen Medienmacher*innen“ sowie die Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur. 

Der besondere Clou: Alle vier bekommen ihrerseits reichhaltig Zuwendungen vom Staat. „Das Nettz“ etwa, eine sogenannte Vernetzungsstelle gegen Hate Speech, gibt an, dass das Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend im Jahr 2022 mehr als zehn Prozent zum Jahresbudget beigetragen habe. Wie viel es genau war, geht aus dem Transparenzbericht nicht eindeutig hervor. Zwischen 11 und 99 Prozent ist somit letztlich alles möglich. Das Ministerium ist damit auf jeden Fall der größte Einzelspender der gemeinnützigen Gesellschaft. An zweiter Stelle folgt die Bundeszentale für politische Bildung, eine nachgeordnete Behörde im Geschäftsbereich des Bundesinnenministeriums. Auch von hier gab es noch einmal mehr als zehn Prozent aus Steuermitteln.
 

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Ganz ähnlich ist es bei Hate Aid, der gemeinnützigen Gesellschaft der ehemaligen Journalistin Anna Lena von Hodenberg. 36,3 Prozent der Mittel kommen hier aus öffentlicher Hand – das sind laut Transparenzangaben immerhin etwas mehr als 1 Million Euro und insgesamt mehr als zehn Prozent im Vergleich zum Jahr 2021. Das besondere Schmankerl: Neben Anna Lena von Hodenberg, die 25 Prozent der Gesamtbeteiligung an der Gesellschaft hält, wird der größte Anteil (50 Prozent) von der Bürgerbewegung Campact gehalten. Der Verein ist bekannt für Aktionen, mit denen Druck auf Wirtschaft und Politik gemacht werden soll – besonders dann, wenn diese den Aktivisten von Campact zu konservativ daherkommt. So ist erst am gestrigen Donnerstag eine Annonce in der FAZ geschaltet worden, in der Campact den CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz dazu auffordert, „klare Kante gegen die AfD“ zu zeigen.

Eigentlich rühmte man sich bei Campact lange Zeit dafür, dass man sich als Verein nur noch ausschließlich aus Spenden und Förderbeiträgen finanziere. Seit der Gründung der sogenannten Demokratie-Stiftung Campact aber, die es seit 2019 zusätzlich zum Verein gibt, sind auch bekannte Großspender mit an Bord. Und via der Campact-Tochter Hate Aid wiederum scheint man sich nun also auch an staatliche Mittel kurzgeschlossen zu haben. Anna Lena von Hodenberg übrigens war einst selbst Kampagnenmacherin bei Campact, bevor sie 2017 „ihre eigene“ Organisation für „Menschenrechte im Netz“ gründete.

Auf der Suche nach der Wissenschaft

Wer sich nun fragt, wo bei all diesen politischen Pressure- und Lobby-Groups denn nun genau die wissenschaftliche Kompetenz liegen soll – immerhin ging es doch um die Vorstellung einer Studie – der fragt sich das sehr zu recht. Man muss schon tief ins Kleingedruckte gehen, um einen Rest an wissenschaftlicher Expertise zu finden. Irgendwo ganz unten auf der vorletzten Seite der Studienpublikation stehen tatsächlich zwei Namen: Lukas Bernhard und Lutz Ickstadt, zwei Angestellte bei der Pollytix Strategic Research GmbH – einem Unternehmen für strategische Beratung.

Letztlich aber sind die beiden Herren auch nicht so wichtig. Schließlich heißt es im Studiendesign unmissverständlich: „Der verwendete Fragebogen wurde von Das NETTZ (Eigenschreibweise; Anm. d. Red.), der Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur, Hate Aid und den Neuen deutschen Medienmacher*innen im Kompetenznetzwerk gegen Hass im Netz konzipiert.“  Und weil man in diesen Organisationen die Weltwahrnehmung oftmals unter einem vordefinierten Fokus verengt, interessiert man sich in der Studie schwerpunktmäßig vor allem für gruppenbezogene Hassphänomene. Wobei das Wort „Hass“ bei allen Definitionsversuchen letztlich extrem schwammig bleibt.  

Kommen wir somit zur vielleicht wichtigsten Aussage der Studie: „Besonders Wähler*innen von Bündnis 90/Die Grünen sind hiervon [gemeint ist Hass im Netz, d. Verf.] stark betroffen.“ Und: „Insbesondere Betroffene mit der Wahlabsicht Bündnis 90/Die Grünen berichten häufig, dass sich der erfahrene Hass im Netz auf ihre politischen Ansichten bezog (71 %).“ 

Hass ist ein Problem

Nun soll das Phänomen hier wahrlich nicht kleingeredet werden. Es ist letztlich egal, wer aus welchen Gründen auch immer Hass oder Mobbing im Netz erfährt; solange das Opfer sozial oder psychisch darunter leidet oder gar strafrechtlich relevante Phänomene tangiert sind, liegt ein offenkundiges Problem vor. Ein Problem liegt aber auch dann vor, wenn in einer Studie an allzu vielen Stellen die Annäherung an die Realität im Bias verschwindet. 

So heißt es etwa gleich auf der ersten Seite von „Lauter Hass – leiser Rückzug“: „Die politische Einstellung spielt bei der Bewertung, was als Hass im Netz gilt, eine wesentliche Rolle: Wer sich politisch (eher) links einordnet, nimmt Hass im Netz häufiger wahr als Personen, die eine andere politische Einstellung angeben.“ Was im Umkehrschluss aber auch bedeutet, dass Menschen, die sich politisch eher konservativ oder gar rechts verorten, möglicherweise genauso häufig von Hass im Netz betroffen sind, diesen aber als solchen gar nicht wahrnehmen. Denn was Hass objektiv ist und was subjektiv als Hass empfunden wird, sind zwei Paar Schuhe.

Nur so ist es dann vielleicht auch zu erklären, dass die Studie selbst in ihrem harten Datenteil zu scheinbar widersprüchlichen Ergebnissen kommt. Während in der Tat 71 Prozent derjenigen mit einer grünen Wahlabsicht angaben, der erfahrene Hass bezöge sich auf ihre politischen Ansichten (gefolgt von AfD- und SPD-Wählern mit 56 jeweils Prozent), waren 52 Prozent der mit einer eher rechten politischen Orientierung der Meinung, der Hass sei auf eben dieses Weltbild zurückzuführen, bei denen mit einer linken Orientierung waren es lediglich 48 Prozent.

Lobbyismus in der Politik

Das würde übrigens auch zu den Ergebnissen einer Studie aus dem vergangenen Jahr passen, die der Politikwissenschaftler Hans Vorländer zusammen mit dem MIDEM- Forschungszentrum der Universität Dresden und unter Förderung der Mercator-Stiftung durchgeführt hat. Unter dem Titel „Polarisierung in Europa“ kam diese quantitative Analyse unter anderem zu einem äußerst überraschenden Resultat: „Wer sich politisch als ‚links‘ beschreibt, ist im Schnitt deutlich stärker polarisiert als Menschen, die sich eher ‚rechts‘ verorten. Außerdem erweisen sich die Wählerinnen und Wähler von linken bis linksextremen sowie grünen und ökologischen Parteien europaweit signifikant stärker polarisiert als andere.“

Das „Kompetenznetzwerk gegen Hass im Netz“ hielt sich bei derlei Petitessen erst gar nicht auf. Was bei der Vorstellung der Studie nämlich vor allem zählte, war eine eindeutige politische Forderung an Ministerin Paus: Die Politik müsse die Internetplattformen endlich stärker in die Verantwortung nehmen. Ähnliches war auch schon im Studientext selbst zu lesen. Und siehe da, die Bundesfamilienministerin zog gleich auch das sprichwörtliche Kaninchen als endgültige Hassbremse aus dem Hut: „Inzwischen gibt es eine gesetzliche Grundlage für ganz Europa mit dem Digital Services Act“, so Lisa Paus in einem Interview mit der über die Studie berichtenden Tagesschau. „Wir sind gerade dabei, die entsprechenden Aufsichtsbehörden aufzubauen“. 

Dass es an diesem Digital Services Act auch eine Menge Kritik gibt, blieb selbstverständlich unerwähnt – sowohl in der Tagesschau wie auch bei der Pressekonferenz im Bundesfamilienministerium. Das nämlich ist des Pudels Kern: Kritik wird von der Regierung nicht finanziert. Im Gegenteil: Die Lobby fordert, die Politik liefert. Und das Ganze sieht am Ende sogar so aus, als wäre es wissenschaftsbasiertes Regieren.  

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