Lars Klingbeil bei Caren Miosga - Substanzloser Sonntag

Die Partei im Umfragetief, der Kanzler unbeliebt: Es sieht derzeit düster aus für die SPD. Daran konnte auch SPD-Chef Lars Klingbeil mit seinem Auftritt bei Caren Miosga nichts ändern.

Lars Klingbeil bei Caren Miosga / Screenshot
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Autoreninfo

Ben Krischke ist Leiter Digitales bei Cicero, Mit-Herausgeber des Buches „Die Wokeness-Illusion“ und Mit-Autor des Buches „Der Selbstbetrug“ (Verlag Herder). Er lebt in München. 

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In der Ampelkoalition gibt es seit Ausbruch des Ukrainekrieges vor mittlerweile über zwei Jahren immer wieder Ungereimtheiten, wie die Bundesrepublik mit der Situation umgehen soll. Die Zeiten freilich sind vorbei, als die ehemalige Verteidigungsministerin Christine Lambrecht meinte, Deutschland könne ja Helme liefern. Mittlerweile wird über die großen Geschütze diskutiert. Im Wortsinn. Derzeit über Marschflugkörper namens Taurus, die Bundeskanzler Olaf Scholz aber nicht liefern will. 

Anton Hofreiter, heute so etwas wie der Waffenexperte der Grünen (verrückt genug, dass es eine solche Rolle mittlerweile gibt), findet das falsch. Marie-Agnes Strack-Zimmermann von der FDP, Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, aber auf dem Sprung ins EU-Parlament nach Brüssel, ebenso. Für Lars Klingbeil wiederum, Vorsitzender der SPD, gehe es „um die Frage, wie wir zu Frieden kommen in der Ukraine“, sagte er am Sonntagabend bei Caren Miosga. Er unterstütze Olaf Scholz bei dessen Entscheidung gegen die Taurus-Lieferungen. 

Der Ukrainekrieg-Spagat

Nun ist bei solchen Rollenverteilungen, in diesem Fall SPD-Kanzler und SPD-Chef, nicht immer klar, ob derjenige, der in der Hierarchie im Prinzip eine Stufe niedriger steht, denjenigen, der eine Stufe höher steht, aus Überzeugung unterstützt oder aus Loyalität. Klingbeil macht einen Spagat: Einerseits sagt er, Deutschland werde die Ukraine „dauerhaft und tatkräftig“ unterstützen, andererseits soll die Tatkraft beim Taurus aber enden. 

Es sind ebenso diese kleinen wie großen Widersprüche, die die Debatte über Deutschlands Umgang mit dem russischen Überfall von Beginn an prägen. Nun ist der Autor dieser Zeilen kein Militärexperte – das sei erwähnt, weil kürzlich ein Cicero-Gastautor, der einer ist, richtig festgestellt hat, dass alle so tun, als wären sie welche –, aber der Eindruck entsteht häufiger, dass die Strategie der Bundesregierung darin besteht, dass sie der Ukraine zwar beim Durchhalten hilft, aber nicht beim Siegen, obwohl sie Letzteres suggeriert. 

Viel ist schließlich die Rede davon, dass die Ukraine derzeit den demokratischen Westen verteidigen würde – man kennt diese Wortwahl schon aus anderen Zusammenhängen, vom Krieg in Afghanistan zum Beispiel. Gleichzeitig scheint der demokratische Westen aber nicht genügend in Gefahr zu sein, um nicht nur von „konsequenter Unterstützung“ zu sprechen, sondern diese auch zu leisten. Dazu würde, wären Taten und Rhetorik im Einklang, auch gehören, Taurus zu liefern; was an dieser Stelle nicht als Plädoyer für solche Lieferungen verstanden werden soll, sondern als Hinweis, dass etwas inkohärent ist in der deutschen Ukraine-Politik. 

Die Argumente des Kanzlers

„Ich kenne Olaf Scholz nun schon ein bisschen länger: Der entscheidet Sachen nach Prinzipien und nach Haltung und nicht nach der Frage, ob irgendwo irgendwelche Wahldaten sind“, sagte Klingbeil am Sonntagabend und reagierte damit überdies auf einen Vorwurf, der ebenfalls immer wieder in den Raum gestellt wird, wonach der Bundeskanzler  aus wahltaktischen Gründen gegen die Taurus-Lieferungen ist. 

Begründungen, Taurus nicht zu liefern, gibt es viele. Scholz hat davon mehr als eine formuliert. Begründungen, Taurus sehr wohl zu liefern, gibt es auch. So sprach der Sicherheitsexperte Nico Lange kürzlich im Cicero-Interview davon, dass die Argumente des Bundeskanzlers gegen die Lieferungen fadenscheinig und wir von einer „diffusen Angst“ vor Putin gelähmt seien.  

Stand jetzt bekommt die Ukraine jedenfalls keine Taurus-Marschflugkörper aus Deutschland. Und während Unterstützer solcher Lieferungen schon sauer werden, wenn irgendwer den Begriff „Diplomatie“ in Zusammenhang mit dem Ukrainekrieg verwendet, befürchten Gegner solcher Lieferungen, dass die Ukraine russisches Territorium angreifen und damit einen Dritten Weltkrieg auslösen könnte. Die Wahrheit liegt, wie immer, wohl irgendwo dazwischen. Und weil niemand in den Kopf von Olaf Scholz hineingucken kann, kommt an dieser Stelle – entlang des Gesprächsfadens von Miosga – ein Themenwechsel. 

Mea maxima culpa

Denn wenn er da schon sitzt, der Vorsitzende der Kanzlerpartei, dann will über die SPD auch im innenpolitischen Sinne gesprochen werden. Er bereue gewisse Äußerungen, die er im Bundestagswahlkampf 2021 getätigt habe, sagte Klingbeil bei Miosga. Klingbeil, damals noch Generalsekretär, hatte etwa den Unionskanzlerkandidaten Armin Laschet als „Mini-Trump“ bezeichnet. Bei Miosga zog Klingbeil – mea maxima culpa – als Wiedergutmachung dann eine Grenze zwischen AfD und Union. Die einen seien „politischer Gegner“, die anderen Rechtsextremisten, so Klingbeil. 

Blöd nur für Klingbeil, dass AfD und CDU in aktuellen Umfragen deutlich vor der SPD stehen. Da nutzt auch eine solche Grenzziehung nichts mehr. Manch Demoskop will bereits errechnet haben, dass die Union in der Summe mehr Zustimmung hat als SPD, Grüne und FDP zusammen. In gleich drei ostdeutschen Bundesländern wird dieses Jahr zudem gewählt. In Thüringen zum Beispiel könnten die Sozialdemokraten an der Fünfprozenthürde scheitern. Dort stehen sie derzeit bei sechs Prozent. 

Düster sieht es also aus für die deutsche Sozialdemokratie – und das hat eben auch und ganz besonders damit zu tun, dass sich viele Sozialdemokraten von der aktuellen SPD nicht mehr vertreten fühlen. SPD-Hochburgen fallen mittlerweile an andere Parteien, und Scholz ist, zeigen alle Umfragen, alles andere als beliebt in der Bevölkerung. 76 Prozent, zeigt eine jüngste Dimap-Umfrage, sind unzufrieden mit dem Bundeskanzler. 

Schwierige Zeiten

Quo vadis, Kanzler und Sozialdemokratie? Das sollte bei Miosga dann in größerer Runde diskutiert werden. Die Journalistin Helene Bubrowski kam dazu, warf Scholz vor, Versprechen nicht einzuhalten, „Beruhigungspillen“ zu verabreichen, die nicht mehr wirkten, und nicht die Wahrheit zu sagen, wie es um das Land bestellt sei. Auch der Leiter des Kiel Instituts für Weltwirtschaft, Moritz Schularick, kam dazu, betonte, es seien schwierige Zeiten, und stellte fest, dass Deutschland ökonomisch angeschlagen ist. 
 

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Miosga wiederum stellte dann richtigerweise fest, dass niemand auf diesem Planeten einem wie Olaf Scholz ernsthaft abkaufen kann, dass „You’ll never walk alone“ eine Botschaft ist, die tief aus seinem Herzen kommt. Aber geschenkt, weil Klingbeil das selbstredend anders sieht. Und ob ein politischer Slogan nun gut oder schlecht ist, ist auch egal, weil es eben nur ein Slogan ist, ein Lippenbekenntnis, das so lange ein leerer Klang bleibt, bis es mit Realpolitik gefüllt wird. 

Davon, von diesem „You’ll never walk alone“, kosten Butter und Benzin auch nicht weniger, und es rettet auch Unternehmen nicht, die pleitegehen, und verhindert auch nicht, dass andere, um nicht pleite zu gehen oder weil sie woanders nicht in Bürokratie ersticken, ins Ausland abwandern. Und auch nicht, dass es perspektivisch eng wird mit der Rente, weil immer weniger Leute immer mehr andere Leute finanzieren müssen. 

Der Elefant im Raum

„Es ist richtig: Wenn jemand 45 Jahre hart gearbeitet hat, dann sollen die eine vernünftige Rente haben“, sagte Klingbeil etwa. Da würde ihm wohl auch niemand mit Verstand widersprechen. Aber die demografische Entwicklung ist nun mal im Gange. Bubrowski etwa kritisierte, dass der Kanzler verspreche, dass das Rentenniveau stabil bleiben werde, obwohl er das – und da hat Bubrowski Recht – überhaupt nicht seriös versprechen kann. 

Klingbeil wertete das prompt als Angriff auf den Sozialstaat. Ist es nicht. Es ist sogar das Gegenteil. Wer einen funktionierenden Sozialstaat haben möchte, muss dafür sorgen, dass dieser sich auch finanzieren lässt. Man müsse andere Wege der Finanzierung finden, meinte Volkswirt Schularick richtigerweise. Und auch Bubrowski hatte einen Punkt, als sie sich bei Miosga darüber wunderte, dass die SPD nicht einsieht, dass die Sozialausgaben gesenkt werden müssten; dass es also dringend Reformen braucht. Klingbeil tat, was zu erwarten war: Er sprach von der „alleinerziehenden Mutter“, die unterstützt werden müsse, und von dem „behinderten Kind“, das ebenfalls Unterstützung brauche.   

Über das Thema Migration wurde am Sonntagabend seltsamerweise gar nicht gesprochen, obwohl die, da man schon bei den Sozialausgaben war, wie der Elefant im Raum stand. Schweigen im Wald. Dabei spielt auch die Migration eine gewaltige Rolle bei der Frage, wo eigentlich das ganze Geld für all die Wohltaten herkommen soll, inklusive jener Wohltaten, die darauf hinauslaufen, dass jeder, der nach Deutschland kommt, im Prinzip eine Art bedingungsloses Grundeinkommen erhält – finanziert auch von jenen, die früher einmal SPD-Kernklientel waren, den Arbeitern nämlich. Und die es heute nicht mehr sind. 

Zusammenfassend lässt sich feststellen: Es war ein weitgehend substanzloser Sonntagabend bei Caren Miosga. Wer Antworten vom SPD-Chef wollte, bekam sie nicht. Dafür eine große Portion Kennen-wir-schon, mit Ausflüchten und der Reduzierung komplexer Sachverhalte auf politische Slogans. Willkommen in der Standpunktrepublik. Glücklich, wer sich die Sendung nicht angesehen, sondern nur diese Zusammenfassung gelesen hat. Gern geschehen.
 

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