Krise der Öffentlich-Rechtlichen - Wie Patricia Schlesinger den RBB „gerockt“ hat

Die Affäre um die zurückgetreten RBB-Intendantin Patricia Schlesinger und ihr Umfeld zieht immer weitere Kreise. Das gesamte System des öffentlich-rechtlichen Rundfunks steht jetzt auf dem Prüfstand. Es steht schon seit langem wegen seiner Programmgestaltung, seiner inhaltlichen Ausrichtung und der Verschwendung von Gebührengeldern in der Kritik.

Abgerockt: Der Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) / dpa
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Autoreninfo

Rainer Balcerowiak ist Journalist und Autor und wohnt in Berlin. Im Februar 2017 erschien von ihm „Die Heuchelei von der Reform: Wie die Politik Meinungen macht, desinformiert und falsche Hoffnungen weckt (edition berolina). Er betreibt den Blog „Genuss ist Notwehr“.

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„Lasst uns den RBB rocken.“ Mit dieser griffigen Losung war die damals 54-jährige Journalistin Patricia Schlesinger im Juli 2016 angetreten, um den schlingernden öffentlich-rechtlichen Sender der Hauptstadtregion Berlin-Brandenburg auf Kurs zu bringen und zu neuen Ufern zu führen. Und das wäre dringend notwendig, denn der TV-Sender ist bei den 3. Programmen unangefochten Schlusslicht bei den Einschaltquoten, das Programm wird als „Spartenprogramm für Senioren“ bespöttelt.

Schlesingers Referenzen für diesen Job waren tadellos. Ihren Beruf hatte sie quasi von der Pike auf gelernt, als Reporterin, Moderatorin, Magazinchefin (Panorama), Leiterin des großen ARD-Auslandsstudios für Südostasien in Singapur und später der gesamten Auslandsredaktion des Norddeutschen Rundfunks (NDR). Die Karriereleiter führte sie schließlich in die Leitungsebene des NDR, für die Programmbereiche Kultur und Dokumentation. Spätestens in einer derartigen Position werden die Nadelöhre auf dem Weg nach oben kleiner, doch Schlesinger schaffte es und setzte sich bei der Wahl zur neuen RBB-Intendantin gegen Theo Koll durch, der sich beim ZDF vergleichbare Meriten erworben hatte. Und als I-Tüpfelchen einer beeindruckenden Karriere übernahm sie im Januar 2022 auch noch den Vorsitz der gesamten ARD.

Desaster für die ganze ARD

Ihre Ankündigung hat sie wahrgemacht. Schlesinger hat den RBB gerockt, und zwar so kräftig, dass da jetzt kein Stein mehr auf dem anderen steht. Sicherlich also ganz anders, als sich das die Mehrheit im Rundfunkrat des RBB, die sie in das Amt brachte, vorgestellt hat. Im Raum stehen immer neue, schwerwiegende Vorwürfe gegen sie und ihre Vertrauten in führenden Positionen des Senders. Es geht um Begünstigung, Vorteilsnahme und Veruntreuung von Mitteln in erheblichen Größenordnungen. Das ist jetzt Gegenstand staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen und diverser interner und externer Untersuchungen und wird auch weiterhin die beiden Landesparlamente beschäftigen. Dabei ist es in Windeseile sehr einsam um Patricia Schlesinger geworden, die einst mit viel Vorschusslorbeeren gestartete Intendantin ist zur unisono geschmähten Unperson geworden. Bereits einige Tage nach ihrem Rücktritt meldeten sich langgediente Mitarbeiter „ihres“ Senders im Programm mit Kommentaren zu Wort, in denen eine fristlose Kündigung und die Prüfung von Regressansprüchen gegen die Ex-Intendantin gefordert werden.

 

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Für die ARD und das gesamte System des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (ÖRR) ist das ein Desaster. Er steht ohnehin seit vielen Jahren massiv in der öffentlichen Kritik, sowohl seine Programmgestaltung als auch die inhaltliche Ausrichtung als vermeintliches „Regierungsfernsehen“ betreffend. Hinzu kommt der verbreitete Unmut über die Finanzierung, die mittels einer für alle Haushalte obligatorischen monatlichen Abgabe erfolgt. Gegner reden von „Zwangsgebühren“. Die Stimmen, die eine Abschaffung des ÖRR fordern, werden lauter, das Vertrauen in die „Selbstheilungskräfte“ des ÖRR durch umfassende Strukturreformen schwindet zunehmend

Zwischen Hybris und Gier

Aber wie konnte das passieren? Und warum ausgerechnet in Berlin? Bei einer Betrachtung dieser Fragen muss man wohl mehrere Ebenen unterscheiden. Da ist auf der einen Seite die Person Schlesinger, die auf dem Gipfel ihrer Karriere zusammen mit ihrer Entourage Formen von Hybris und Gier entwickelt hatte, die in solchen Kreisen durchaus öfter anzutreffen sind, wenn man sich für unverwundbar hält. Dabei geht es nicht um ihr Grundgehalt von rund 300.000 Euro pro Jahr. Das bewegt sich im Rahmen vergleichbarer Positionen, etwa an der Spitze großer Kulturinstitutionen, gesetzlicher Krankenkassen und kommunaler Wohnungsgesellschaften. Doch wer nicht zu diesen Eliten gehört, wird sich schon fragen, wie man auf die Idee kommen kann, die Kosten der privaten Einweihungsfeier der neuen Wohnung mit Drei-Gänge-Menü, Champagner, edlen Weinen und Tischwäsche-Service seinem Arbeitgeber – und somit dem GEZ-Gebührenzahler – als „dienstliches Treffen“ in Rechnung zu stellen. Wobei ein prominenter Gast dieser Sause, Berlins Polizeipräsidentin Barbara Slowik, inzwischen unmissverständlich klarstellte, dass es offensichtlich eine rein private Feier war, und sie nicht nachvollziehen könne, dass diese von der Gastgeberin dienstlich abgerechnet wurde. Doch das ist nur eine schillernde Facette von Schlesingers Gebaren. Es geht um Büroumbauten für 650.000 Euro, um neues Parkett für 17.000 Euro, das ohne Ausschreibung beschafft wurde, um Großaufträge für gute Bekannte rund um ein geplantes Medienzentrum, um Rabattdeals für den Dienstwagen und vieles andere mehr.

Keine effektive Kontrolle

Womit man bei der zweiten Ebene landet. Der RBB hat wie alle ÖRR-Sender zwei Gremien, die unter anderem für die Kontrolle der Intendantin und die Aufsicht über die Finanzen zuständig sind, den Rundfunkrat und den Verwaltungsrat. Der Rundfunkrat gilt quasi als Beleg für die „Staatsferne“ der ARD. Seine 30 Mitglieder werden mehrheitlich von gesellschaftlich relevanten Verbänden und Institutionen entsandt, wie etwa Gewerkschaften, Wirtschafts- und Wohlfahrtsverbände, Kirchen, dem Landessportbund und dem Landesjugendring. Auch die beiden Landesparlamente entsenden Vertreter.

Dass sich trotz dieser vermeintlichen „Staatsferne“ ein parteipolitisches Proporzsystem etabliert hat, lässt sich unschwer an den Personaltableaus bei der Besetzung von Spitzenpositionen im Sender ablesen. Und den meisten „staatsfernen“ Rundfunkratsmitgliedern lassen sich ziemlich eindeutige Parteipräferenzen zuordnen. Der Rundfunkrat arbeitet ehrenamtlich, was die Möglichkeiten einer effektiven Kontrolle natürlich begrenzt. Doch angesichts der krassen und offensichtlichen Verstöße gegen zentrale Regeln bleibt die Frage, ob man bewusst weggeguckt hat, um keine Unruhe aufkommen zu lassen.

Während der Rundfunkrat sich hauptsächlich mit den Programmen und ihrer Entwicklung beschäftigt, hat der achtköpfige Verwaltungsrat explizit die Aufgabe, die Finanzen  zu kontrollieren. Doch auch auf dieser Ebene ist das offenbar nicht geschehen. Was nicht verwundern kann, denn der inzwischen zurückgetretene Vorsitzende dieses Gremiums, Wolf-Dieter Wolf, ist ebenfalls tief in den Vergabe-Sumpf um Schlesinger und ihren Ehemann, den Ex-Spiegel-Journalisten Gerhard Spörl, verstrickt. Gegen beide laufen ebenfalls staatsanwaltschaftliche Ermittlungen wegen Untreue und Vorteilsnahme.

Ein gutes Pflaster für Klüngelwirtschaft

Bleibt noch die dritte Ebene. Ist das alles „berlinspezifisch“? Ja und nein, möchte man antworten. Das Klüngelsystem rund um die ÖRR-Anstalten hat die Hauptstadt keineswegs exklusiv, kleinere und größere Skandale gab es in anderen Landesanstalten auch, etwa vor elf Jahren beim Mitteldeutschen Rundfunk (MDR). Auch exorbitante Gehälter, üppige Ausstattungen und Interessenkonflikte sorgten bei mehreren Sendern immer wieder für öffentlichen Unmut.

Allerdings hat der RBB mit der „Schlesinger-Affäre“ in dieser Hinsicht neue Maßstäbe gesetzt. Und natürlich ist Berlin mit seiner unseligen Tradition des Westberliner Filzes in der hochsubventionierten eingemauerten Stadt ein ganz besonderes Pflaster. Die 2003 vollzogene (Zwangs-)Vereinigung des alten Westberliner ARD-Senders SFB mit dem Ostdeutschen Rundfunk Brandenburg (ORB) zum RBB hat zudem viele Wunden geschlagen, die bis heute nicht wirklich geheilt sind. Die Schlesinger-Vorgängerin und Gründungsintendantin Dagmar Reim hatte vor allem die Aufgabe, den neuen Sender zu „verschlanken“, etwa durch Personalabbau und Abschaltung einiger Spartensender im Rundfunk. Intern wird im RBB um jeden Sendeplatz und um jede eigenständige Redaktion zäh gerungen, entsprechend klientelorientiert agiert auch der Rundfunkrat. Doch eine zukunftsfähige Neuausrichtung blieb dabei auf der Strecke. Ernüchtert gab sie ihren Posten nach 13 Jahren vorfristig auf. Dann kam Schlesinger, die den RBB „rocken“ wollte.

Womöglich die letzte Chance für den ÖRR

Jedenfalls steckt nicht nur der RBB, sondern der gesamten ÖRR wohl in der schwersten Krise seiner Geschichte. Wenn es jetzt nicht gelingt, den Skandal in all seinen Facetten transparent aufzuarbeiten und umfassende, strukturelle Veränderungen im ganzen System des ÖRR – sowohl programmatisch als auch organisatorisch – schnell auf den Weg zu bringen, hat er wohl kaum eine Zukunft. Die Dämme der Verteidigung des ÖRR als unverzichtbarer Institution würden brechen. Was verheerend wäre, denn eine Medienlandschaft, die ausschließlich von privatwirtschaftlichen Interessen und einzelnen mächtigen Interessengruppen dominiert wird, ist schlicht eine Horrorvorstellung.

 

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