Futtern wie bei Muttern - Warum nicht mal Kohlrouladen?

Unser Genusskolumnist stellt sich auf den mit Riesenschritten nahenden Herbst ein. Der Grill wird bald eingemottet, und es darf ruhig etwas deftiger sein. Da kam eine Einladung zu Kohlrouladen gerade recht. Nunmehr ist er ein begeisterter Anhänger dieses „altmodischen“ Gerichts.

Von wegen „altmodisch“: Kohlrouladen sind ein zeitloser Hochgenuss / dpa
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Autoreninfo

Rainer Balcerowiak ist Journalist und Autor und wohnt in Berlin. Im Februar 2017 erschien von ihm „Die Heuchelei von der Reform: Wie die Politik Meinungen macht, desinformiert und falsche Hoffnungen weckt (edition berolina). Er betreibt den Blog „Genuss ist Notwehr“.

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Der Herbst naht mit Riesenschritten. Bei vielen Menschen führt dies auch zu einer allmählichen Umstellung der Essgewohnheiten. An den zunehmend kühler werdenden Abenden darf es mal wieder etwas deftiger sein. Bestimmt gibt es noch ein leicht wehmütiges „Abgrillen“ im Garten  – wohlwissend, dass es dann voraussichtlich das letzte Mal in diesem Jahr war. Da traf es sich gut, dass ich mich neulich mal wieder bekochen lassen durfte. Und tatsächlich war was Deftiges angekündigt: Kohlrouladen.

Ist das wirklich „deutsch“?

Das klingt nicht nur deftig, sondern auch sehr deutsch. Gerichte wie Kohlrouladen werden gerne spontan eher negativ mit Piefigkeit, übelriechenden Küchendüften und Omas Sonntagsessen assoziiert. Kohl klingt – vor allem, wenn es sich um nicht gerade hippe Sorten handelt – irgendwie nach Mangelzeiten oder gar Kriegswintern. Und dass die Füllung besagter Kohlrouladen hauptsächlich aus Hackfleisch und alten Brötchen besteht, macht den Gedanken an dieses Essen für viele auch nicht unbedingt anziehender.

Natürlich ist das alles ziemlicher Unfug. Die Grundidee, Gemüse- oder Obstblätter mit Fleisch gefüllt zu garen, geht laut Kulinarhistorikern auf die Küche im Byzantinischen Reich zurück. Verwendet wurden vor allem Weinblätter, aber auch verschiedene Kohlarten und Mangold. In kühleren Regionen Mittel- und Osteuropas war Kohl vor allem ein unverzichtbarer Vitaminspender. Und in ganz Osteuropa, aber auch auf dem Balkan, gibt es kein Land, in dem nicht Kohlrouladen (oder wie immer sie da auch heißen) zu den regionalen Spezialitäten gehören. So eindeutig „deutsch“ ist das also gar nicht.

Ernährungssoziologe gerät ins Schwärmen

Den Ernährungssoziologen Dabiel Kofahl animierte die Bitte um ein Kohlrouladen-Statement zu eher weitschweifigen philosophischen Gedanken. Bei Kohlrouladen falle ihm vor allem ein, „dass es sich im Kulinarischen wie auch mit dem übrigen Leben verhält - oder das sich im Kulinarischen einfach ein ganz zentrales Moment der Existenz widerspiegelt“.
 

Zuletzt in „Genuss ist Notwehr“ erschienen:


Au Backe, das muss man erst mal wirken lassen, aber Kofahl lässt nicht locker: „Und dieses Moment ist nicht, wie es uns die Moderne lange Zeit hat verkaufen wollen, ein gerade nach vorne schießender Pfeil, keine immer weiter in die Zukunft laufende Gerade, sondern das Leben und auch das kulinarische Leben ist vielmehr eine Karussellfahrt, es geht eben in kreisenden Bewegungen voran. Insofern schließen sich Nostalgie und Zukunfsorientierung gar nicht aus, sondern sie ergänzen sich, wie Ying und Yang, wie Alpha und Omega, wie Salz und Pfeffer“.

Hmm, geht es vielleicht ein bisschen geerdeter, Herr Soziologe? Wir sind hier schließlich nicht bei einem Fachmagazin für esoterische Weisheiten. Tatsächlich bekommt Kofahl zum Ende noch ein wenig Bodenhaftung: „Kohlrouladen passen eben gut in unsere Zeit, sie erinnern an gute Zeiten, sie schmecken, machen satt  Insofern sind sie auch noch ein Versprechen auf bessere zukünftige Zeiten. Die man, wenn man sich dann mal eine gute Roulade gönnt, herbeischmeckt“. Gerade noch mal die Kurve gekriegt, aber man fragt sich schon, ob man sich Sorgen um den Wissenschaftler machen muss.

Vorsicht mit den Kohlblättern

Wie dem auch sei: Die von meiner Gastgeberin fachgerecht zubereiteten Kohlrouladen waren ein Hochgenuss. Bei nächster Gelegenheit werde ich es selber probieren und habe mir alles genau erklären lassen.

Zunächst einen Kohlkopf in kochendem Salzwasser blanchieren, damit sich nach und nach vom Strunk die Blätter lösen und leicht abziehen lassen. Dazu immer wieder eintunken. Ein schmaler Grat: Sind sie noch zu hart, kann man sie später schlecht rollen, sind sie zu weich, werden sie matschig. Blätter beiseite legen.

Für die Füllung ein altbackenes Brötchen in Wasser einweichen, gut ausdrücken und klein zupfen. In einer Schüssel mit Hackfleisch (Rind und Schwein), Ei und Gewürzen vermischen und gut durchkneten. Eine feine geschnittene Zwiebel kann auch nichts schaden. Ruhig kräftig abschmecken, der Geschmack soll auch in die Kohlblätter einziehen.

Dann legt man jeweils 2-3 Kohlblätter überlappend auf ein Brett und platziert in der Mitte ein bisschen Hackfleischmasse. Nicht zu viel, sonst lässt sich das nicht vernünftig einwickeln. Zusammenfalten und die Rouladen mit Küchengarn  zusammenbinden oder mit einem Holzspieß auf einer Seite verschließen. Das mit dem Garn erscheint mir aber sicherer.

Ideal zum Einfrieren

Jetzt die Rouladen in Öl auf beiden Seiten anbraten. Sie sollen ruhig deutlich gebräunt sein, die Röststoffe geben Geschmack. Mit Gemüsebrühe ablöschen. Dann den offenen Bräter für ungefähr eine Stunde bei 180 Grad in den Backofen. Fertig. Dazu vielleicht einen Krautsalat (vom Kohl ist eh was übrig) und Kartoffeln. Und Bier. Es spricht auch nichts dagegen, mehr Rouladen als aktuell benötigt zu machen. Sie lassen sich prima einfrieren, um sie dann bei Gelegenheit als Prunkstück der „schnellen Küche“ zu nutzen.

Was daran irgendwie altmodisch oder piefig sein soll, verstehe ich nach diesem Genuss nicht. Die merkwürdigen Elogen von Daniel Kofahl allerdings auch nicht. Macht aber nichts.
   

Kohlrouladen

Zutaten für 4 Personen (4 oder 8 Stück, je nach Größe)

1 Weißkohl
400g gemischtes Hackfleisch
1 altbackenes Brötchen
1-2 Zwiebeln    
1-2 Eier
Salz, Pfeffer
weitere Gewürze optional (z.B. Kümmel und Estragon)

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