Klimakrise trifft auch Feinschmecker - Mon dieu! In Frankreich wird der Senf knapp

Auch unser Genusskolumnist ist ein großer Freund von originalem Dijon-Senf. Aber jetzt drohen Engpässe. Auch für ihn ist das bitter, doch in Frankreich bedeutet das einen regelrechten Kulturschock. Dabei ist in diesem Falle gar nicht der Ukraine-Krieg daran schuld.

Anzeige

Autoreninfo

Rainer Balcerowiak ist Journalist und Autor und wohnt in Berlin. Im Februar 2017 erschien von ihm „Die Heuchelei von der Reform: Wie die Politik Meinungen macht, desinformiert und falsche Hoffnungen weckt (edition berolina). Er betreibt den Blog „Genuss ist Notwehr“.

So erreichen Sie Rainer Balcerowiak:

Anzeige

Deutschland befindet sich zweifellos in einer veritablen Krise. Ein Krieg (auch ein Wirtschaftskrieg) ist eben kein digitales Strategiespiel oder ein sportlicher Wettkampf, sondern zeitigt auch hier schwere wirtschaftliche und soziale Folgen. Unseren französischen Nachbarn geht es derzeit allerdings auch nicht besser. Die können vielleicht mit ausgetrockneten Flüssen, abgeschalteten AKWs und dem von der EU verfügten Exportverbot von Champagner und Trüffeln nach Russland noch irgendwie umgehen. Aber jetzt wird der Senf knapp! Ausgerechnet in Frankreich, wo Senf sozusagen Kernelement der nationalen kulinarischen Identität ist, während wir das hauptsächlich als hässliche Kleckse neben zweifelhafte Würste auf den Teller klatschen.

Französische Küche ohne Senf undenkbar

Frankreich ist das gelobte Land der Senfsoße, der Vinaigrette und der scharf gewürzten Mayonnaise. Dijon-Senf sorgt als Marinade bei einem Braten für die unwiderstehliche Kruste. Doch Senf ist mittlerweile vielerorts zur „Bückware“ geworden, die nur noch für bevorzugte Kunden unter der Ladentheke aufbewahrt und ausgegeben wird. Und bei den Supermärkten, die noch was im Lager haben, gilt die eiserne Regel: Nur ein Glas pro Kunde. Kennt man ja in Deutschland vom Klopapier und vom Sonnenblumenöl.

Einige verzweifelte Gastronomen haben bereits Hilfeaufrufe veröffentlicht und bitten Privathaushalte, die vielleicht einen größeren Vorrat haben, um Senfspenden. In Frankreich, wo die Gastronomie einen viel höheren gesellschaftlichen und kulturellen Stellenwert als in Deutschland hat, stößt das durch durchaus auf Resonanz. Pierre Grand-Girard, der in der Bretagne ein Restaurant betreibt, bat auf Social Media-Kanälen: „Wenn Sie feststellen, dass Sie ein paar Senfgläser zu viel haben, sind wir bereit, sie Ihnen abzukaufen.“ Wie der Sender TF1 berichtet habe, höre das Telefon des Restaurants seither nicht mehr auf zu klingeln, und Grand-Girard werde mit gespendeten Senfgläsern überhäuft, heißt es in einer Reportage des in Zürich erscheinenden Tagesanzeigers.

Diesmal liegt es nicht an Putin

Nahezu reflexhaft denkt man bei solchen Verwerfungen, dass dafür Putin bzw. der von ihm geführte Angriffskrieg gegen die Ukraine ursächlich sind. Und liegt damit ziemlich daneben. In diesem Fall sind es schlicht die Folgen den Klimawandels, die den Franzosen den Genuss vermiesen. Denn die für den klassischen Dijon-Senf benötigten Senfsaatsorten stammen größtenteils aus Kanada, wo eine extreme Hitzewelle im Juli 2021 die Pflanzen verdorren ließ.

 

Zuletzt in „Genuss ist Notwehr“ erschienen:

 

Zwar wird Senfsaatgut auch im Burgund produziert, doch dort war es wiederum ein sehr nasser Winter und ein extremer Kälteanbruch im April 2021, der die Ernte einbrechen ließ. Ohnehin könnte die nationale Produktion selbst bei gutem Vegetationsverlauf die kanadischen Ausfälle nicht kompensieren. Erst jetzt kommt, also an dritter Stelle, der Krieg und die Sanktions- und Embargo-Politik ins Spiel. Auch Russland und die Ukraine produzieren und exportieren Senfsaaten, doch die fallen derzeit als Ersatzlieferanten aus.

In Deutschland noch keine Engpässe

Der Senf-Schock sitzt tief beim Nachbarn. Alle Akteure sind sich einig, dass man den über Jahrzehnte stark zurückgefahrenen Senfanbau wieder ankurbeln will. Doch bis das einen relevanten Selbstversorgungsgrad ermöglicht, werden einige Jahre vergehen, die irgendwie überbrückt werden müssen. Für französische Feinschmecker dürfte es schockierend und nahezu demütigend sein, dass derzeit über Alternativen zum Senf nachgedacht werden muss. Laut New York Times kommen dabei etwa Meerrettich, Wasabi, Worcestershire-Sauce und Saucen aus Roquefort oder Schalotten infrage.

In Deutschland ist die Lage an der „Senffront“ derzeit noch relativ entspannt, die Lager sind voll. Doch ab Herbst könnte es zu Engpässen kommen. Hier werden die verarbeiteten Körner zu 80 Prozent aus der Ukraine und aus Russland importiert, bei der Verarbeitung dominieren – anders als in Frankreich – die weißen Senfsorten, sowohl für Einlegegurken als auch für den hierzulande besonders beliebten „Tafelsenf mittelscharf“. Doch solange Senf hauptsächlich als (wie anfangs erwähnt) hässlicher Klecks neben zweifelhafte Würste auf den Teller geklatscht wird, ist das genusskulturell wohl zu verschmerzen. Für Frankreich ist die Senfkrise dagegen eine Katastrophe.

Soziologe sieht Mitschuld bei den Grünen

Der Ernährungssoziologe Daniel Kofahl – selber begeisterter Senfkonsument und anscheinend erneut auf Krawall gebürstet – sieht zumindest eine Mitverantwortung für die Senfkrise bei den Grünen. Es sei „bemerkenswert, dass gerade die an der Regierung befindenden Grünen, die sich einst selbst Peace-Zeichen und Sonnenblumen ans Revers hefteten, sich in dieser Gemengelage als potemkinsche Friedens- und Umweltpartei entlarven, denen es gar nicht schnell genug gehen kann, auf einmal wieder mehr Erdöl aus Arabien zu verbrennen und mit Kampfpanzern in Osteuropa eskalierend mitzumischen, wobei sie Umwelt, Frieden und Senfsaucen mehr gefährden, als man es alten weißen Männer wie Willy Brand und Helmut Kohl jemals hätte vorhalten können“. Man könne versucht sein, auf die Barrikaden zu gehen und Senfeier zu werfen, „wenn sie nicht so wertvoll geworden wären“.

Anzeige