Kinderbuchverlag schreibt Bücher von Michael Ende um - Jim Knopf, Jürgen Habermas und der Neger

Der Irrsinn der Sprachreinigungsorgien geht weiter. Nun sind auch noch die Geschichten um den kleinen Jim Knopf betroffen. Aber wann ist endlich auch Jürgen Habermas an der Reihe?

Scheinriese Tutur, Lukas und Jim Knopf im Puppenkistenmuseum Augsburg / dpa
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Mathias Brodkorb ist Cicero-Autor und war Kultus- und Finanzminister des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Er gehört der SPD an.

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Seit gestern kann man sie kaufen, die Neuauflagen der Geschichten um Jim Knopf des weltberühmten Kinderbuchautors Michael Ende. Neu sind dabei nicht nur die Illustrationen, sondern auch Teile des Textes. Der Grund: Der kleine Jim Knopf ist ein Schwarzer. Und mitunter ist in den Geschichten von „Neger“ die Rede.

Jürgen Zimmerer, Professor für Globalgeschichte an der Universität Hamburg, findet das ganz „wunderbar“, also die Tilgung des Wortes „Neger“.  Ganz wunderlich allerdings ist, was der Verlag zur Begründung ausführt. Dass die Texte Michael Endes rassistisch seien, wird jedenfalls nicht behauptet, ganz im Gegenteil. Ausdrücklich weist der Verlag darauf hin, dass Ende mit seinen Geschichten „ein Gegenbild zur nationalsozialistischen Ideologie“ geschaffen habe. Es handelt sich also eigentlich um antirassistische Kinderliteratur im besten Sinne.

Denn, so der Verlag, nur der unsympathische Herr Ärmel nehme in den Geschichten überhaupt das Wort „Neger“ in den Mund, „um auf die fehlende Weltoffenheit dieses typischen Untertans hinzuweisen“. Anders gesagt: Endes Texte sind eigentlich humanistische Lehrstücke. Sie machen Kinder damit vertraut, dass es auch „schlechte Menschen“ gibt. Sie konfrontieren sie mit der Realität, um sich daran als Persönlichkeiten zu entwickeln und differenzierte Urteilsvermögen auszubilden. Auch von einem schlechten Beispiel kann man ja immerhin lernen, wie es nicht sein soll. Omnis determinatio est negatio.

Man fragt sich dann aber, warum man in die Geschichten Endes überhaupt eingreifen musste. Gestrichen wurden nicht nur das „N-Wort“, wie der Verlag bekannt gibt, sondern auch „die stereotypen Beschreibungen“, die eigentlich die antirassistische Absicht des Textes unterstreichen sollen. Und die Begründung dafür lautet allen Ernstes: „Heute kann auch ein solch distanzierter Gebrauch als diskriminierend gewertet werden.“

Man halte sich also fest: Auch ein eindeutig antirassistischer Text könne heute als „diskriminierend gewertet“ werden. Das allerdings läuft auf die These hinaus, dass man aus Texten allerhand herauslesen kann, wenn man zu blöd ist, ihn zu verstehen. Oder zu borniert, ihn verstehen zu wollen. Während Texte Menschen eigentlich klüger machen sollen, läuft dieser implizite Imperativ darauf hinaus, das Niveau der Literatur dem seiner Leser anzupassen, auf dass es nichts mehr zu lernen gibt.

Der Neger im Kopf

Ich muss Ihnen eine drollige Geschichte erzählen. Seitdem meine Tochter lesen kann, ist sie treue Abonnentin des Kinder Spiegel. Die Redaktion gibt sich stets größte Mühe, den woken Zeitgeist schon an die Kleinen heranzuführen. Eines Tages stellte das Töchterlein eine Frage zu einem Text: „Papa, was bedeutet eigentlich ‚N-Wort‘?“ Ich bekam unfreiwillig einen Lachanfall. In dieser Szene wurde das ganze Dilemma wie in einem Brennglas deutlich.

Man kann das Wort „N-Wort“ ja gar nicht sinnvoll verwenden, ohne zugleich unweigerlich an „Neger“ zu denken. Und wenn man um die Wortgeschichte von „Neger“ nicht Bescheid weiß, kann man mit „N-Wort“ schlicht nichts anfangen. Gar nichts!

Die bemühten Sprachreinigungsorgien erwachter Erwachsener sind somit in einem kulturellen blinden Fleck gefangen. Ihre Protagonisten bemerken zweierlei nicht: Dass die sinnvolle Rede vom „N-Wort“ stets einen ganzen Kosmos kulturgeschichtlichen Wissens voraussetzt und dass dieses Wissen sich notwendig um das Wort „Neger“ gruppiert. Die angeblich antirassistische Rede setzt die Memorierung des angeblich rassistischen Sprechens immer schon voraus, wenn sie sich nicht in vollständig sinnloses Gestammel auflösen soll.

Was macht man also, wenn die eigene Tochter danach fragt, wofür eigentlich das „N-Wort“ steht? Man gibt eine kleine Einführung in die Geschichte des neuzeitlichen Rassismus und die Geschichte des Wortes „Neger“. Und so bringt der Versuch, durch Verwendung des „N-Wortes“ das Wort „Neger“ aus der Welt zu schaffen, das Wort „Neger“ erst recht in die Welt zurück. Der amerikanische Comedian Louis C. K. hat daher ganz recht: Das „N-Wort“ ist letztlich bloß die Art und Weise, wie erwachte Weiße auch „Neger“ sagen dürfen, ohne „Neger“ sagen zu müssen: „Das ist bescheuert: Wenn Du das ‚N-Wort‘ sagst, dann packst Du das Wort ‚Neger‘ in den Kopf.“

Der Lord Voldemort der Identitätspolitik

Eigentlich sind diese Dinge so logisch und klar, dass man sich wundern muss, wie es so weit kommen konnte. Wenn Sie mich fragen: Schuld ist der Sprachphilosoph Ludwig Wittgenstein oder die Tatsache, dass wir glauben, er hätte recht gehabt. Vor gut 100 Jahren schrieb er den bis heute viel zitierten Satz: „Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt.“ Es kann also nur in der Welt sein, was sprachlich in meinem Kopf ist. Um die Wirklichkeit zu verändern, muss man dann also die Gedanken durch den Umbau der Sprache manipulieren. Dass George Orwell seinen Roman „1984“ schrieb, hatte nicht nur politische, sondern auch geistesgeschichtliche Gründe.

So wie Naturvölker einst Bäume und Steine anbeteten, weil sie ihnen okkulte Qualitäten andichteten, ist es heute mit einzelnen Worten. Allein die Vereinigung von fünf Buchstaben zum Wort „Neger“ soll bereits ein rassistischer Akt sein, als würde dem Wort eine giftige Substanz innewohnen, die sich bei Gebrauch in die Seele des Sprechers einschreibt und ihn kontaminiert.

Freilich basiert diese Unterstellung auf einer simplen Verwechslung, der zwischen Wort und Begriff, zwischen zusammengesetztem Sprachzeichen und dem eigentlichen Gedankeninhalt. Es ist nicht das bloße Wort, das Rassismus produziert, sondern ausschließlich dessen absichtsvolle Verwendungsweise. Derer aber gibt es viele verschiedene.

 

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Aufgrund der Verwechslung zwischen bloßem Wort und Begriff kann die Bezeichnung „N-Wort“ ihren Zweck auch gar nicht erfüllen. „N-Wort“ und „Neger“ sind nicht umfangsgleich, bezeichnen also nicht dasselbe. „N-Wort“ ist offenkundig bloß ein Name und damit ein sprachliches Zeichen für ein anderes sprachliches Zeichen: den Lord Voldemort der Identitätspolitik.

Das Sprachzeichen „Neger“ hingegen kann sich sowohl auf sich selbst beziehen als auch auf Menschen. „N-Wort“ hingegen kann sich niemals auf Menschen beziehen, sondern nur auf ein Wort, das man nicht in den Mund nehmen will, dabei zugleich aber in seinen Kopf packt. Genau deshalb trägt es ja den Namen „N-Wort“. Es ist lediglich ein Sprachzeichen, das das Wort „Neger“ folglich nur in jenen Fällen ersetzen kann, in denen allein über Sprache gesprochen wird.

Oder um es an einem praktischen Beispiel deutlich zu machen: Immanuel Kant, der Schöpfer des Kategorischen Imperatives und Promoter der Idee der Menschenwürde, schrieb in seinen „Vorlesungen über Physische Geografie“ einst die Sätze: „Die Menschheit ist in ihrer größten Vollkommenheit in der Rasse der Weißen. Die gelben Indianer haben schon ein geringeres Talent. Die Neger sind weit tiefer, und am tiefsten steht ein Teil der amerikanischen Völkerschaften.“ Und jetzt ersetzen Sie doch einfach mal das Wort „Neger“ durch den Plural von „N-Wort“. Den sich einstellenden Irrsinn zu bemerken, ist unvermeidbar.

Vom Verlust des historischen Bewusstseins

Nun ließe sich Vieles über das blasierte Denken sagen, das sich anmaßt, nachträglich in Kunstwerke und historische Dokumente einzugreifen. Sind die Urheber zu lange tot, können die sich gegen diese Anmaßung nicht einmal mehr zur Wehr setzen. Nimmt man den Gedanken ernst, Zeugen der Vergangenheit dem jeweiligen Zeitgeist angleichen zu wollen, müsste die Weltgeschichte alle 10 oder 20 Jahre komplett neu geschrieben werden. Der Zeitgeist entwickelt sich ja immer weiter, es werden ja immer verrücktere Ideen geboren!

Was noch mehr verblüfft als die Ignoranz gegenüber der Heiligkeit eines Kunstwerks, ist das unhistorische Bewusstsein, das damit zum Ausdruck kommt. Und selbst von Historikern munter befeuert wird. Wer unliebsame Spuren der Vergangenheit in der Gegenwart tilgen will, arbeitet ja letztlich an dem Projekt, die gesamte Weltgeschichte mit dem Gegenwartsbewusstsein identisch zu machen.

Dann könnte man nach Vollendung des Projekts allerdings die Geschichte als wissenschaftliche Disziplin auch ganz abschaffen. Sie wäre überflüssig geworden, weil man von ihr auch nichts mehr lernen könnte. Aber man merkt ja gleich das Problem: In diesem Spiel wird die Historie von einer Wissenschaft in ein Propagandainstrument verwandelt. Das Wahrheitsministerium lässt grüßen.

Auf eines sollte man sich aber wenigstens einigen können: dass man zumindest die Kinder in Ruhe lässt, solange die Erwachsenen noch ungestraft Werke von Kant und Hegel kaufen können, in denen alles andere als wohlwollend vom „Neger“ die Rede ist.

Und wenn wir mit Kant und Hegel fertig sind, wären die linken Philosophen Horkheimer und Adorno dran. Auch sie sprachen regelmäßig vom „Neger“, meinten das aber im Unterschied zu Kant und Hegel sozialkritisch und wohlwollend. Aber darauf kommt es ja nicht an! Und dann könnten wir uns natürlich noch um Jürgen Habermas kümmern. Da er noch lebt, könnte der sich immerhin noch selbst gegen Eingriffe in sein Werk verteidigen.

Gibt man zum Beispiel bei der Zeitschrift Merkur das Wort „Neger“ in die Suchmaschine ein, werden ganze 276 Texte ausgespuckt. Darunter findet sich auch ein Text von Habermas aus dem Jahre 1954, in dem dieser fernab von jedem Rassismus ebenfalls vom „Neger“ spricht.  Das böte dieser Tage woken Sprachhygienikern ungeahnte Möglichkeiten der publizistischen Selbstaufwertung!

Aber freilich gäbe es noch eine weitere Möglichkeit, um mit diesen Erscheinungen umzugehen: die Aktivierung eines minimalen historisch-kritischen Bewusstseins. Das wäre zwar nicht spektakulär, hätte aber vor nicht allzu langer Zeit tatsächlich als Ausdruck von Bildung gegolten.

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