„Holy Spider“ im Kino - Eine göttliche Mission gegen Frauen

Der Film „Holy Spider“ erzählt die wahre Geschichte einer iranischen Journalistin, die einem religiös motivierten Serienmörder gegen alle Widerstände des patriarchalen Systems auf der Spur ist. Ein psychologisch packender Thriller, der zu keinem besseren Zeitpunkt hätte in die Kinos kommen können.

Eine mutige Journalistin kämpft für die Wahrheit: Zar Amir Ebrahimi in „Holy Spider“ / Screenshot (KinoCheck Indie)
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Autoreninfo

Lena Middendorf studierte Politik- und Kommunikations- wissenschaften an der Uni Greifswald. Nach Hospitanzen bei der Hamburger Morgenpost und der Süddeutschen Zeitung absolviert sie derzeit ein Praktikum bei Cicero.

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Der Film „Holy Spider“, der eben in den Kinos angelaufen ist, beruht auf wahren Begebenheiten. Und ist, obwohl er Anfang des Jahrtausends spielt,  hoch aktuell. Er gewährt mit seiner Geschichte des iranischen Serienmöders Saeed Hanaei einen tiefen Einblick in Irans patriarchales System. Auch Saeed verfolgt eine „göttliche Mission“ gegen „sittenlose Frauen“.

Dieser Film kommt zum richtigen Zeitpunkt. Der Tod Jina Mahsa Aminis, der die aktuelle iranische Revolutionsbewegung entfachte, war eigentlich nur der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Seit über 40 Jahren instrumentalisiert die theokratische islamische Republik Irans Religion, um ein unterdrücktes, patriarchales und menschenverletzendes System durchzusetzen. Die Propaganda, die die gegenwärtigen Proteste zum „Krieg gegen Gott“ erklärt und damit die Todesurteile und Hinrichtungen legitimiert, deckt sich mit den Motiven des Serienmörders Saeed Hanaei. Und so gelingt es dem Film, am Beispiel Saeeds die fatale psychologische Auswirkung einer religiös überhöhten Propaganda aufzuzeigen. Und zugleich einen realen Einblick in Irans paradoxe Gesellschaft zwischen privater Intimität und verhüllter Außenwelt zu gewähren.

Serienmörder mit purem Hass auf Prostituierte

In den Jahren 2000 bis 2001 ermordet Saeed Hanaei (gespielt von Mehdi Bajestani) in Maschhad 16 Prostituierte, die in seinen Augen verkommen und sittenlos sind. Sein Motiv ist ein religiöses. Saeed macht sich Vorwürfe im Krieg gegen den Irak, kurz nach der islamischen Revolution, nicht als Märtyrer für den Imam gefallen zu sein. Er ringt im Film ersichtlich mit sich, er sucht Allahs Vergebung und findet letztendlich seine Bestimmung als Serienmörder. 

Dabei ist Saeed routiniert, in dem was er tut. Er nutzt die düstere Nacht der Straßen Maschhads und holt die für ihn sichtbar verkommenen Frauen vom Straßenrand ab. Erst versichert er, über Geld und Drogen zu verfügen, dann bringt er die Frauen auf seinem Motorrad zu sich nach Hause. Dort braucht es zwei eng gezogene Knoten im Kopftuch der Frau, bis sie erstickt und tot in seinem Teppich eingerollt wird. Es ist der gleiche Teppich, auf dem er tagsüber mit seiner Tochter spielt.

Die aus Teheran stammende Journalistin Rahimi (gespielt von Amir Ebrahimi) wird auf den Fall des sogenannten „Spinnenmörders“ aufmerksam und macht sich auf die Reise nach Maschhad. Als sie vor Ort den Fall aufklären möchte, wird sie als Frau unmittelbar mit dem patriarchalen System Irans konfrontiert. Dennoch behauptet sie sich stark und durchsetzungsfähig. Um den Mörder ausfindig zu machen, riskiert sie ihr Leben und stellt sich mit einem Messer in der Tasche, roten Lippenstift und verrucht geschminkten Augen eines Nachts an den Straßenrand, wo Saeed sie abholt.

Nach außen hin wirkt Rahimi ruhig und stark, wenn sie heimlich ihr Aufnahmegerät einschaltet, doch ihre Fragilität kommt in den bedrohlichen, übergriffigen Momenten zum Vorschein. Mit zitternden Händen entkommt sie Saeeds Mordangriff. Dank Rahimi wird der Mörder von der Polizei gefasst.

Authentisches Spiel der Protagonisten

Die wechselnden Bilder aus Brutalität und Fragilität, Mord und gleichzeitiger Intimität, ziehen den Zuschauer nah an das Geschehen und das authentische Spiel der Protagonisten heran, was der realen Begebenheit des Films gerecht wird. Und den iranischen Zuständen.

Die Schauspielerin Amir Ebrahimi wurde selbst Opfer eines Skandals im Iran. Ein intimes Video, welches an die Öffentlichkeit gelangte, beendete ihre Schauspielkarriere. Nur kurze Zeit später wurde die Veröffentlichung von intimen und freizügigen Medien im Iran mit der Todesstrafe sanktioniert. Dass die jetzige Exil-Iranerin Ebrahimi es schafft, der Figur der Journalistin schauspielerisch so nahezukommen, hängt vermutlich mit ihren eigenen Parallelen als „skandalöse Frau“ in einem theokratischen System zusammen.

Auch Bajestani gelingt es, den Mörder Saeed, in seinem zwischen Fragilität und Brutalität schwankenden Ich darzustellen. Denn eigentlich ist Saeed ein gebrochener Mann, der von seinem Wahn einer islamischen Mission verfolgt wird. Bajestani schafft es, den Mörder in einer Szene zynisch, verletzlich und reumütig zugleich zu zeigen. 

Religion als willkürliche Legitimation von Gewalt

Dass ein solcher Film nur mit Einschränkungen im Iran hätte gedreht werden können, musste der in Teheran geborene Regisseur Ali Abbasi schnell feststellen. Denn wie bei jedem Film im Iran muss sich der Regisseur eine Drehgenehmigung vor Ort einholen. Abbasi verwarf die Idee. Dass der Film schlussendlich in Jordanien gedreht wurde, um ein realistisches Bild der iranischen Gesellschaft wiederzugeben, kann als politisches Paradoxon verstanden werden. Es spiegelt den im Iran vorherrschenden Kontrast zwischen privater Intimität und verhüllter Außenwelt.

Der psychologische Thriller zeigt auf, wie Religion als willkürliche Legitimation von Gewalt und Unterdrückung instrumentalisiert wird. Und durch die Figur Saeeds werden die verinnerlichten patriarchalen Strukturen, die psychologische Auswirkung des Systems auf die iranische Gesellschaft erkennbar. So sind die Menschen, die gegen Saeeds Erhängung protestieren sowie er selbst eigentlich Opfer des Systems. Saeed sagt selbst: „Ja, ich bin verrückt, verrückt nach Gott.“ So lässt der Film die Frage offen, wer Saeed eigentlich wäre, wenn er nicht als „Märtyrer“ fallen müsste.


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